Urteil des VG Minden vom 20.04.2005

VG Minden: anerkennung, private krankenversicherung, bvo, therapie, beihilfe, wissenschaft, hauptsache, diagnose, krankheit, arzneimittel

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Minden, 4 K 4953/03
20.04.2005
Verwaltungsgericht Minden
4. Kammer
Urteil
4 K 4953/03
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in
der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die am ................... geborene Klägerin steht als verbeamtete M. im Dienst des beklagten
Landes.
In der Zeit vom 12.04. bis zum 18.04.2001 wurde die Klägerin vom Arzt T. U. wegen der
Diagnose "Myalgie Nacken-Schulter-Bereich, Cephalgien" u.a. mit Synchron- Massagen
und Ölstrahlanwendungen behandelt. Unter dem 20.06.2001 beantragte sie beim Kreis N. -
M1. eine Beihilfe zu den mit der Rechnung vom 07.06.2001 geltend gemachten
Aufwendungen von 1.985,00 DM, wobei zahlreiche Gebührennummern der GOÄ analog in
Ansatz gebracht worden waren.
Die Beihilfestelle des Kreises N. -M1. erkannte daraufhin mit Bescheid vom 26.06.2001
zunächst Aufwendungen in Höhe von 145,00 DM als beihilfefähig an und bewilligte unter
Berücksichtigung des Beihilfesatzes von 70 % eine Beihilfe in Höhe von 101,50 DM.
Zusätzlich wurde ausgeführt, dass das Gesundheitsamt zur Prüfung der wissenschaftlichen
Anerkennung und Beihilfefähigkeit der einzelnen durchgeführten Therapien eingeschaltet
worden sei und nach Abschluss dieser Überprüfung eine endgültige Entscheidung ergehe.
In einem zweiten Bescheid vom 25.07.2001 erkannte die Beihilfestelle des Kreises N. - M1.
auf der Grundlage des Gutachtens des Amtsarztes Dr. X. vom 16.07.2001 weitere
Aufwendungen in Höhe von 143,43 DM als beihilfefähig an und bewilligte dazu eine
Beihilfe in Höhe von 100,40 DM. Die übrigen Aufwendungen könnten keine
Berücksichtigung finden. Der medizinische Einlauf vom 17.04.2001 sei angesichts der
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ärztlichen Diagnose medizinisch nicht begründet. Ferner stünden die abgerechneten
Nummern 200, 500, 531, 530 und 1435 GOÄ nicht im Zusammenhang mit der Diagnose.
Die Kosten für Saunabäder ("überwärmendes Kräuterdampfbad") außerhalb einer
Sanatoriumsbehandlung oder einer Heilkur seien nicht beihilfefähig. Die Massagen
könnten nur mit einem Höchstbetrag von 27 DM anerkannt werden. Dass offenbar mehrfach
Massagen am selben Tag von mehreren Personen in verschiedenen Körperpositionen
durchgeführt worden seien, entspreche nicht der gängigen Praxis. Die Analogberechung
bezogen auf die Behandlung 8 sei im Hinblick auf das Leistungsverzeichnis für ärztlich
verordnete Heilbehandlungen unzulässig. Schließlich seien die Auslagen für Massageöle,
-pasten und Handschuhe als Praxisbedarf bereits mit den berechneten Gebühren
abgegolten.
Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 24.08.2001 Widerspruch, den sie unter
dem 25.02.2003 begründete. Sie machte geltend, dass die Bescheide in die
Therapiefreiheit des Arztes eingriffen.
Diesen Rechtsbehelf wies die C. Detmold mit C1. vom 16.06.2003 zurück. Zur Begründung
wurde ausgeführt, dass keine Verpflichtung der Beihilfefestsetzungsstelle zur zusätzlichen
Sachverhaltsaufklärung bestehe, wenn Erläuterungen zu den vorgenommenen
Analogberechnungen fehlten. Die eventuelle Therapiefreiheit des Arztes berühre das
Erstattungsverhältnis zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn nicht.
Am 15.07.2003 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie gibt zu bedenken,
dass ihre private Krankenversicherung keine Zweifel an der wissenschaftlichen
Anerkennung der durchgeführten Maßnahmen geäußert habe. Hinzu komme, dass der
Kreis N. -M1. in ihrem Fall die gleichen Behandlungen durch Herrn U. in der Vergangenheit
aufgrund des Gutachtens des Amtsarztes L. vom 01.07.1998 als beihilfefähig angesehen
habe. Auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom
20.01.1999 - AN 12 K 96.02300 - werde verwiesen, wonach zwischen den Methoden nach
Ayurveda und Ayurveda- Maharishi zu differenzieren sei und Behandlungen nach der
reinen Ayurveda-Lehre wegen der Ähnlichkeit mit kurüblichen Leistungen dem Grunde
nach als beihilfefähig anzuerkennen seien.
Der Beklagtenvertreter hat sich in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt, zu den
Aufwendungen für die am 15.04.2001 erfolgte Massage und für die "heiße Rolle" vom
18.04.2001 zu einem Betrag von insgesamt 34,18 DM weitere Beihilfe zu gewähren. Die
Beteiligten haben daraufhin insoweit den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Die Klägerin beantragt im Übrigen,
das beklagte Land unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 25.07.2001 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2003, geändert durch Erklärung des
Vertreters des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2005, zu
verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 20.06.2001 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es macht geltend, dass die auf der amtsärztlichen Stellungnahme vom 01.07.1998
beruhenden Beihilfebewilligungsbescheide vom 06.07.1998 und vom 28.05.1999
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rechtswidrig gewesen seien.
Die Kammer hat die Amtsärzte des Kreises N. -M1. L. und Dr. X. zur Frage der
Beihilfefähigkeit der in der Rechnung des Arztes U. vom 07.06.2001 aufgeführten
Aufwendungen als sachverständige Zeugen gehört.
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt
erklärt haben, war das Verfahren einzustellen.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verpflichtung des beklagten Landes, über ihren
Beihilfeantrag vom 20.06.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut
zu entscheiden. Denn der C1. des Kreises N. M1. vom 25.07.2001 und der
Widerspruchsbescheid der C. E. vom 16.06.2003 sind, soweit sie sich auf die noch im Streit
stehenden in der Rechnung des Herrn U. vom 07.06.2001 ausgewiesenen Aufwendungen
beziehen, rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Auf die zutreffende
Begründung der angegriffenen Bescheide zu den noch streitigen Rechnungspositionen
wird Bezug genommen und ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-,
Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung - BVO -) erhalten Beamte in
Krankheitsfällen Beihilfen. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO sind die notwendigen
Aufwendungen im angemessenen Umfange in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung der
Gesundheit, zur Besserung und Linderung von Leiden, zur Beseitigung oder zum
Ausgleich angeborener oder erworbener Körperschäden sowie bei dauernder
Pflegebedürftigkeit beihilfefähig. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BVO umfassen die beihilfefähigen
Aufwendungen u.a. die Kosten für die Untersuchung, Beratung und Verrichtung durch
einen Arzt. Nicht beihilfefähig sind wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlungen (§
4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO).
Als wissenschaftlich anerkannt im Sinne der BVO können Heilbehandlungen und
Arzneimittel angesehen werden, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden
Meinung in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit als
wirksam und geeignet angesehen werden. Um "anerkannt" zu sein, muss einer
Behandlungsmethode oder Arzneimitteln von dritter Seite attestiert werden, dass sie zur
Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet und wirksam sind.
Die "wissenschaftliche" Anerkennung erfährt eine Methode oder ein Arzneimittel, wenn
Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und anderen
Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen
Fachrichtung tätig sind. Die Überzeugung von der Wirksamkeit muss freilich nicht in jedem
Falle in der Fachwelt uneingeschränkt und einhellig geteilt werden. Das würde der Vielfalt
wissenschaftlich begründeter Standpunkte und Erkenntnisse und der darauf gestützten
Behandlungsmethoden nicht gerecht werden. Das Merkmal der wissenschaftlichen
Anerkennung setzt aber doch eine weit gehende Zustimmung der im Fachbereich tätigen
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Wissenschaftler voraus. Es ist nicht erfüllt, wenn eine Einschätzung der Wirksamkeit und
Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen
Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode
befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering
beurteilt.
Vgl. OVG NW, Beschluss vom 11.03.1996 - 6 A 563/95 -.
Gemessen an diesen Voraussetzungen hält die Kammer die vom Arzt U. bei der Klägerin in
der Zeit vom 12.04. bis zum 18.04.2001 wegen einer Schmerzsymptomatik durchgeführten
Behandlungen, soweit sie von der Beihilfestelle nicht als beihilfefähig anerkannt worden
sind, nicht für wissenschaftlich anerkannt.
Die Kammer geht in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon aus, dass es sich bei den
einzelnen Anwendungen - u.a. Ölstrahlbehandlung des Kopfes, Ganzkörperbehandlung mit
Synchron-Massagen, überwärmendes Kräuterdampfbad - um Behandlungen im Sinne der
aus Indien stammenden Ayurveda-Therapie handelt. Dabei kommt es nach der Auffassung
der Kammer nicht darauf an, ob die streitgegenständlichen Anwendungen - wie von der
Klägerin behauptet - der reinen Ayurveda-Lehre oder aber der Ayurveda-Maharishi-Lehre
zuzuordnen sind,
vgl. zu dieser Abgrenzung mit unterschiedlichen rechtlichen Konsequenzen wegen eines
ausdrücklichen Ausschlusses der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen der Ayurveda-
Maharishi-Therapie im Bundesland Bayern Bayerisches VG Ansbach, Urteil vom
20.01.1999 - AN 12 K 96.02300 -,
wobei allerdings im vorliegenden Fall davon auszugehen sein dürfte, dass es um
Behandlungen im Sinne der Ayurveda-Maharishi-Therapie ging. Denn der indische Arzt T.
U. , der die Klägerin seit Jahren und auch im Jahr 2001 behandelt hat, hat ausweislich der
Internet- Homepage des Veda Villa Ayurveda A. in C2. -T1. im Jahr 1994 eine
Weiterbildung zum Maharishi-Ayurveda-Arzt absolviert und ist dort seit dieser Zeit - in
dieser Funktion - tätig.
Ungeachtet dessen gibt es nach den Erkenntnissen der Kammer jedenfalls keine
kontrollierten klinischen Studien von Wissenschaftlern, die die medizinische Wirksamkeit
der noch im Streit stehenden Behandlungen des ayurvedischen Formenkreises belegen.
Auch die Klägerin hat keine entsprechenden wissenschaftlichen Belege beigebracht. Dass
die Ayurveda-Therapie in den einschlägigen Fachkreisen keine überwiegende
Zustimmung erhält, sondern eine umstrittene Außenseitermethode ist, ist auch bereits in
der Rechtsprechung entschieden worden.
Vgl. dazu VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 11.06.1996 - 11 A 218/94 -;
Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 04.04.1995 - S 12 Kr 42/93 -.
Die fehlende wissenschaftliche Anerkennung der einzelnen vom Beklagten nicht als
beihilfefähig berücksichtigten therapeutischen Maßnahmen haben die in der mündlichen
Verhandlung als sachverständige Zeugen befragten Amtsärzte des Kreises N. -M1. L. und
Dr. X. im Ergebnis ebenfalls bestätigt. Dazu hat Herr Dr. X. zur Überzeugung der Kammer
ausgeführt, dass sich auch die von Herrn U. angenommene Gleichsetzung von
Ölstrahlbehandlungen mit Akupunkturbehandlungen nach einer Internetrecherche nicht
feststellen lasse. Vor diesem Hintergrund bestand für die Kammer auch keine
Veranlassung, eine weitere Beweisaufnahme durch die beantragte Einholung eines
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Sachverständigengutachtens zur Frage der wissenschaftlichen Anerkennung der
Ayurveda-Therapie im weiteren oder engeren Sinne durchzuführen, zumal das Veda Villa
Ayurveda A1. in C2. -T1. im Internet selbst damit wirbt, dass es bei den unter der Leitung
von Herrn U. durchgeführten ayurvedischen Behandlungsprogrammen um "Wellness pur"
bzw. um "Luxus" gehe.
Beihilfefähig sind die der Klägerin entstandenen Aufwendungen für die ayurvedischen
Behandlungen auch nicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 BVO. Danach können auch
Aufwendungen für wissenschaftlich noch nicht anerkannte Heilbehandlungen von der
obersten Dienstbehörde für beihilfefähig erklärt werden, wenn wissenschaftlich anerkannte
Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden sind.
Voraussetzung für eine Beihilfefähigkeit ist danach, dass die wissenschaftlich noch nicht
allgemein anerkannte Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase
entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich
allgemein anerkannt werden kann. Dass die Methode wissenschaftlich nicht endgültig
verworfen worden ist und eine Anerkennung in Zukunft noch in Betracht kommen könnte,
genügt jedoch nicht, um ausnahmsweise die Beihilfefähigkeit einer wissenschaftlich nicht
allgemein anerkannten Heilbehandlung zu rechtfertigen. Voraussetzung ist vielmehr, dass
nach dem Stand der Wissenschaft die Aussicht, d.h. die begründete Erwartung auf
wissenschaftliche Anerkennung besteht. Für eine solche Annahme ist zumindest
erforderlich, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse
vorliegen, die attestieren, dass die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder
zur Linderung von Leidensfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.06.1998 - 2 C 24.97 -, NJW 1998, 3436.
Auch diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da eine derartige begründete Aussicht auf
wissenschaftliche Anerkennung der Ayurveda-Heillehre nicht besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Da die Klage nur zu
einem geringfügigen Teil Erfolg hatte, hat die Kammer es als sachgerecht angesehen, der
Klägerin die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §
167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).