Urteil des VG Minden vom 29.01.2003

VG Minden: häusliche gewalt, aufschiebende wirkung, wohnung, hauptsache, gefahr, androhung, grundstück, polizei, haus, steigerung

Verwaltungsgericht Minden, 11 L 117/03
Datum:
29.01.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 L 117/03
Tenor:
1. Frau T. S. , T. straße 3, 4. I. , wird zum Verfahren beigeladen.
2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers
gegen die Zwangsgeldandrohung im Bescheid des Antragsgegners vom
23.1.2003 wird angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 4.062,50 ( festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die Ehefrau des Antragstellers ist beizuladen, weil sie als diejenige Person, zu deren
Schutz die streitige Polizeiverfügung ergangen ist, durch die Entscheidung im
vorliegenden Verfahren in ihren rechtlichen Interessen berührt wird (§ 65 Abs. 1 VwGO).
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.2.2002 - 5 B 278/02 - (insoweit n.v.).
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs des Antragstellers gegen die am 23.1.2003 vom Antragsgegner
zunächst mündlich verfügte und anschließend schriftlich bestätigte
Wohnungsverweisung mit zehntägigem Rückkehrverbot (§ 34 a Abs. 1, Abs. 5 Satz 1
PolG NRW) sowie Androhung eines Zwangsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung
gegen jene Maßnahmen ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet. Die gebotene
Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der
Polizeiverfügung einerseits und dem Interesse des Antragstellers sowie dem
inzwischen geäußerten gleichgerichteten Interesse der Beigeladenen andererseits,
dass der Antragsteller vorläufig von der sofortigen Vollziehung der Polizeiverfügung
verschont bleibt, fällt zu Lasten des Antragstellers und der Beigeladenen aus.
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Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen
Prüfung lassen sich hinsichtlich der Wohnungsverweisung und des Rückkehrverbots
die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache nicht abschließend
beurteilen.
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Eine fehlende hinreichende inhaltliche Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW, § 34 a
Abs. 1 Satz 2 a.E. PolG NRW) wird der Antragsteller der Wohnungsverweisung und
dem Rückkehrverbot allerdings nicht mit Erfolg entgegenhalten können, auch wenn die
schriftlich bestätigte Verfügung ihren räumlichen Geltungsbereich nur mit "Wohnung,
Haus, Grundstück" bezeichnet. Aus der im Adressenfeld der schriftlichen Bestätigung
genannten Anschrift des Antragstellers wird nämlich auch für einen objektiven
Empfänger hinreichend deutlich, dass die Wohnung, das Haus und das Grundstück T.
straße 3 in I. gemeint sind.
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Die Frage, ob am 23.1.2003 die in § 34 a Abs. 1 Satz 1 PolG NRW festgelegten
Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten - beabsichtigte Abwehr der von einer
Person ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen
Person - vorlagen, ist im vorliegenden Verfahren nicht endgültig zu beantworten. Es
sprechen aber überwiegende Anhaltspunkte für die Richtigkeit der polizeilichen
Gefahrenprognose. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Polizei bei Gewalttaten, die
sich im häuslichen Bereich und damit typischerweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit
abspielen, für ihre Beurteilung der Sachlage in besonderem Maße auf Feststellungen
angewiesen ist, die sich bei den unmittelbar beteiligten Personen treffen lassen. Die
Beigeladene hat den Antragsteller am 23.1.2003 gegenüber der Polizei erheblich
belastet. Sie hat sowohl auf einen aktuellen körperlichen Übergriff des Antragstellers ihr
gegenüber (Schlagen ins Gesicht, leichtes Würgen, dadurch bei ihr bewirkte starke
Kopf- und Nacken- /Halsschmerzen) als auch auf mehrfache körperliche
Misshandlungen durch ihn während eines Zeitraums von sechs Ehejahren
hingewiesen, die in ihrem geplatzten rechten Trommelfell ihren Höhepunkt gefunden
haben sollen. Der Antragsteller ist dem nicht grundsätzlich, sondern lediglich mit der
Behauptung entgegengetreten, er habe am 23.1.2003 den Rahmen einer üblichen
ehelichen Auseinandersetzung nur unwesentlich überschritten und die Beigeladene nur
geschubst, ohne sie zu verletzen. Bei der Würdigung dieser teilweise gegensätzlichen
Bekundungen ist zu berücksichtigen, dass die Beigeladene wohl kaum ohne
ausreichenden Anlass am 23.1.2003 um polizeiliche Hilfe nachgesucht hätte, der
Antragsteller seinen jüngsten körperlichen Übergriff als solchen einräumt und er nach
unbestrittener Darstellung des Antragsgegners bereits seit 1990 wegen zahlreicher
Gewaltdelikte einschlägig in Erscheinung getreten und sogar strafverurteilt worden ist.
All das spricht, obwohl die polizeilichen Einsatzbeamten am 23.1.2003 keine Spuren
von Gewaltanwendung bei der Beigeladenen feststellen konnten, für die Richtigkeit der
von ihr erhobenen Vorwürfe, zumal häusliche Gewalt oftmals kein einmaliges
Vorkommnis, sondern im Gegenteil ein Seriendelikt mit Tendenz zur Steigerung darstellt
(vgl. hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs, LT-Drs. 13/1525 S. 11 zu Nr. 5 Abs. 1).
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Auf Grund der vorgenannten Umstände hatten die Beamten des Antragsgegners zudem
wohl weder am 23.1.2003 noch hat der Antragsgegner inzwischen Anlass, die
Wohnungsverweisung und das Rückkehrverbot räumlich zu beschränken (§ 34 a Abs. 1
Satz 3 PolG NRW) oder hierfür eine kürzere Geltungsdauer als zehn Tage festzulegen
(§ 34 a Abs. 5 Satz 1 PolG NRW). Nur bei offensichtlichem Fehlen einer fortdauernden
Gefahr i.S.d. § 34 a Abs. 1 Satz 1 PolG NRW hätte ein Anspruch des Antragstellers
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darauf bestehen können, dass die Geltungsdauer von Wohnungsverweisung und
Rückkehrverbot entgegen der Regel des § 34 a Abs. 5 Satz 1 PolG NRW auf unter zehn
Tage verkürzt wird. Ein Fortbestehen der Gefahr war aber am 23.1.2003 keineswegs zu
verneinen, schon gar nicht offensichtlich auszuschließen, und ist es noch heute nicht.
Allein der inzwischen von der Beigeladenen erklärte Wunsch nach einer vorzeitigen
Rückkehr des Antragstellers in die Ehewohnung ist insoweit nicht maßgebend.
Vgl. VG Minden, z.B. Beschluss vom 20.9.2002 - 11 L 1105/02 - und Urteil vom
15.1.2003 - 11 K 3324/02 -.
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Da die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, soweit er sich gegen
die Wohnungsverweisung und das vorläufige Rückkehrverbot richtet, gleichwohl nicht
abschließend beurteilt werden können, stützt sich die Kammer insoweit für ihre
Entscheidung maßgeblich auf eine Abwägung der Folgen, die sich im Falle einer
Stattgabe oder Ablehnung des vorliegenden Antrags ergäben. Sollte sich nach
Ablehnung des Antrags die Unrichtigkeit der polizeilichen Gefahrenprognose
herausstellen, so hätte der Antragsteller zu Unrecht gravierende Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Sphäre hinnehmen müssen. Ihm wäre es dann verwehrt gewesen,
die Wohnung, die seinen Lebensmittelpunkt bildet und in der sich seine persönliche
Habe befindet, als Unterkunft zu nutzen. Dass damit erhebliche Unzuträglichkeiten auch
über die Notwendigkeit, anderswo zu nächtigen, hinaus verbunden sind, steht außer
Frage. Das Gewicht dieser Beeinträchtigungen wird allerdings deutlich dadurch
relativiert, dass die Wohnungsverweisung sich nur auf einen begrenzten Zeitraum
bezieht. Würde dem Antrag hingegen stattgegeben und realisierten sich dann die
polizeilich prognostizierten Gefahren, so ergäben sich weitaus schwerer wiegende
Konsequenzen. Mit Blick auf die von der Beigeladenen geschilderten wiederholten
körperlichen Übergriffe des Antragstellers mit bereits einer besonders schwer
wiegenden Verletzungsfolge (geplatztes Trommelfell) wären unter diesen Umständen
schwere Beeinträchtigungen zumindest ihrer körperlichen Unversehrtheit in Rechnung
zu stellen. Angesichts dessen muss das Interesse des Antragstellers an der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Wohnungsverweisung und
das vorläufige Rückkehrverbot zurücktreten.
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Zu den vorstehenden Abwägungskriterien vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.2.2002 - 5
B 278/02 -, NJW 2002, 2195 = NWVBl. 2002, 437 (nachfolgend BVerfG, Beschluss vom
22.2.2002 - 1 BvR 300/02 -, NJW 2002, 2225) -
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Hinsichtlich der zusätzlichen Zwangsgeldandrohung überwiegt demgegenüber das
Suspensivinteresse des Antragstellers, weil diese Androhung offensichtlich rechtswidrig
ist und sein Widerspruch dagegen erfolgreich sein wird. Nach § 56 i.V.m. § 53 Abs. 1
PolG NRW darf die Polizeibehörde dem Betroffenen nur für einen einzelnen, nicht aber -
wie es der Antragsgegner getan hat - für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine
Grundverfügung ein Zwangsgeld androhen. Eine solche rechtswidrige Androhung kann
auch nicht in dem Sinne teilweise aufrecht erhalten werden, dass sie bei
Zuwiderhandlungen jedenfalls eine Zwangsgeldfestsetzung ermöglicht.
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Vgl. ausführlicher (zu den vergleichbaren §§ 11, 13 VwVG) BVerwG, Gerichtsbescheid
vom 26.6.1997 - 1 A 10.95 -, DVBl. 1998, 230 = NVwZ 1998, 393, mit einer Übersicht
zum damaligen Streitstand.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 3, 162 Abs. 3
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VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG. Hinsichtlich
Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot, für die die Kammer den Auffangwert des §
13 Abs. 1 Satz 2 GKG zu Grunde legt, trägt die Festsetzung der Tatsache Rechnung,
dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.2.2002 - 5 B 278/02 - (insoweit n.v.).
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Für die zusätzliche Zwangsgeldandrohung berücksichtigt die Kammer ein Viertel des
angedrohten Betrages.
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