Urteil des VG Minden vom 26.05.2010

VG Minden (kläger, grundstück, treu und glauben, boden, durchführung, öffentliche sicherheit, gutachten, grund, abfall, behörde)

Verwaltungsgericht Minden, 11 K 1271/09
Datum:
26.05.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 1271/09
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es Nr. 11 der Ordnungsverfügung
des Beklagten vom 21.4.2009 betrifft.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu drei Vierteln und der
Beklagte zu einem Viertel.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger (E1. C1. sen., BA Bl. 37 und 262) ist Eigentümer des Grundstückes "S1.-------
-straße 48" (Flur 70, Flurstück 196), auf dem die Firma G1. X1. L. seit 1896 eine
Spedition betreibt. Die Inhaberfirma wurde 1994 durch Umwandlungserklärung vom
28.12.1994 in die Firma G1. X2. L. GmbH mit Sitz in C2. , S1.--------straße 48,
umgewandelt. Als geschäftsführende Gesellschafter wurden zunächst E1. C1. (sen.)
und E. . E1. C1. (jun.) bestellt, Enkel bzw. Urenkel des Firmengründers. Derzeit ist E. .
E1. C1. (jun.) alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens.
2
Bis Ende der vierziger Jahre wurde die Spedition mit Pferdespannwerken betrieben. Ab
1949 erfolgte die Umstellung der Spedition auf Kraftfahrzeuge. Zu diesem Zweck wurde
Mitte der fünfziger Jahre auf dem Betriebsgrundstück eine Betriebstankstelle errichtet
und ein Behälter für Vergaserkraftstoff mit einem Fassungsvermögen von 2000 Liter
sowie ein Behälter für Dieselkraftstoff mit einem Fassungsvermögen von 3700 Liter
durch die L1. I1. KG eingebaut. Diese teilte mit Schreiben vom 29.08.1972 dem
Beklagten mit, dass entsprechend seinen Forderungen der Tank mit einer
Kunststoffinnenhülle versehen und mit einem Leckanzeigegerät ausgerüstet worden sei.
Mit einem weiteren Schreiben vom 23.08.1978 teilte die L1. I1. KG mit, dass der 2000-
3
Liter-Behälter für Vergaserkraftstoff stillgelegt und ordnungsgemäß verfüllt worden sei.
Im Bereich der Dieselkraftstoff-Tankanlage bestand die Betriebsfläche aus Beton und
zum Teil aus Kopfsteinpflaster. Dort wurden LKWs mit Hochdruckreinigungsgeräten
unter Verwendung von Reinigungsmitteln gewaschen.
Mit Ordnungsverfügung vom 21.08.1990 gab der Beklagte dem Kläger folgendes auf:
4
"1. Die Bodenfläche der Tankstelle ist als Betondecke mit rißüberbrückendem
Beschichtungssystem und mechanischer Schutzschicht auszuführen. Die Beschichtung
muss gegen den verwendeten Dieselkraftstoff beständig sein. Die Beständigkeit der
Beschichtung ist mir bis zum vorgenannten Termin nachzuweisen, z.B. durch Vorlage
eines Prüfzeichens des Institutes für Bautechnik (IfBt). (§ 19 g Abs. 1 Satz 1 WHG i.V.
mit § 14 VAwS).
5
2. Das Wasser im Domschacht des unterirdischen Dieseltanks ist ordnungsgemäß zu
entsorgen. Der Domschacht ist gegen eindringendes Niederschlagswaser abzudichten.
(§ 19 g Abs. 1 Satz 1 WHG).
6
3. Der unterirdische Dieseltank einschl. des Leckanzeigegerätes ist von einem
Sachverständigen auf den ordnungsgemäßen Zustand überprüfen zu lassen. Für den
Fall, dass Mängel festgestellt werden, sind diese innerhalb eines Monats nach Vorlage
des Prüfberichts zu beseitigen. (§ 19 g Abs. 1 Satz 1 WHG, § 19 i Abs. 2 Satz 3 Nr. 2
WHG i.V. mit § 18 Abs. 1 Satz 1 NR. 1 VAwS).
7
4. Das 200 l-Heizölfaß und das 200 l-Frischölfass sind jeweils in eine abflusslose
Auffangwanne zu stellen. Niederschlagswasser ist fernzuhalten. (§ 19 g Abs. 1 Satz 1
WHG).
8
5. Mir ist ein Entwässerungsplan vorzulegen, aus dem die aktuelle
Entwässerungssituation (einschl. der vorhandenen Abscheideanlage) auf dem
Betriebsgrundstück der Fa. L. hervorgeht (§ 21 Abs. 1 Satz 3 i.V. mit 21 Abs. 2 Satz 1 Nr.
2 WHG).
9
6. Die Bodenfläche des LKW-Waschplatzes ist ebenfalls als Betondecke mit
rißüberbrückendem Beschichtungssystem auszuführen. Die Beschichtung muss gegen
die anfallenden bzw. verwendeten Stoffe (Reinigungsmittel, Schmutzwasser der
Fahrzeug-Wäsche) beständig sein. Die Beständigkeit ist mir nachzuweisen, z.B. durch
Vorlage eines IfBt-Prüfzeichens (§ 19 g Abs. 1 Satz 1 WHG)."
10
Der Kläger legte gegen diese Ordnungsverfügung Widerspruch ein und erhob nach
erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage. Das gerichtliche Verfahren endete mit einem
gerichtlichen Vergleich vom 27.04.1993 (8 K 3536/91). Der gerichtliche Vergleich sah
u.a. die Stilllegung des Vergasertanks und den Nachweis der Stilllegung durch eine
TÜV-Bescheinigung vor (Ziffer 3 des Vergleichs) sowie die ordnungsgemäße
Außerbetriebnahme des Dieselkraftstofftanks und die Verfüllung durch einen
Fachbetrieb (Ziffer 2 des Vergleiches).
11
Mit Schreiben vom 22.12.1995 legten die Prozessbevollmächtigten des Klägers eine
Bescheinigung des TÜV I2. /T. -B. e.V. über die Stilllegung des Dieselkraftstofftanks vor.
In dieser Bescheinigung wird durch den TÜV I2. /T. -B. e.V. bestätigt, dass
Anhaltspunkte für eine Boden- oder Grundwasserverunreinigung nicht vorlägen.
12
Im Hinblick auf diese Bescheinigung zog der Kläger seine vorher erteilte Zustimmung
an den Beklagten, Bodenluftuntersuchungen durchführen zu lassen, zurück.
13
Mit Ordnungsverfügung vom 27.10.1997 verpflichtete der Beklagte den Kläger, die
Durchführung von vier Bodenluftuntersuchungen im Bereich der ehemaligen Tankstelle
und des Abscheiders auf dem Grundstück "S1.--------straße 48" zu dulden und das
Grundstück zu dem genannten Termin - 03.12.1997 - zugänglich zu halten.
14
Die gegen diese Ordnungsverfügung nach erfolglosem Widerspruchsverfahrens
erhobene Klage wies das erkennende Gericht mit Urteil vom 21.03.2001 ab (8 K
3136/99). Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung lehnte das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom
09.05.2001 ab (20 A 734/01).
15
Am 27.06.2001 beauftragte der Beklagte das Institut für Umweltanalyse-Projekt-GmbH
(IfUA) mit der Durchführung von orientierenden Boden- und Bodenluftuntersuchungen
auf dem Grundstück "S1.--------straße 48". Am 03.07.2001 wurden auf dem Grundstück
vier Rammkernsondierungen (RKS) bis drei Meter unter Gelände abgeteuft und
Bodenproben entnommen. Vier ausgewählte Proben wurden laboranalytisch auf die
Gehalte an Mineralölkohlenwasserstoffen (MKW) und leicht flüchtigen aromatischen
Kohlenwasserstoffen (BTEX) untersucht. Desweiteren wurden alle vier RKS als
provisorische Bodenluftmessstellen ausgebaut. Die Bodenuntersuchungen ergaben bei
RKS 1 und RKS 2 MKW-Gehalte von 7.000 bzw. 2.900 mg/kg TS sowie bei RKS 1
Benzolgehalte von 0,082 mg/kg TS. In der provisorisch ausgebauten
Bodenluftmessstelle G1 wurden BTEX-Gehalte von 24 mg/m³ festgestellt. Im Gutachten
vom 23.07.2001 kommt die IfUA zu dem Ergebnis, dass die im Bereich der ehemaligen
Zapfstelle anzutreffenden Verunreinigungen auf Belastungen des Untergrundes mit
MKW und Monoaromaten schließen ließen. Aussagen über die räumliche und flächige
Relevanz der Schadstofffunde ließen sich jedoch aus diesen Daten nicht ableiten. Es
würden deshalb ergänzende Untersuchungen empfohlen.
16
Nach vorheriger Anhörung gab der Beklagte dem Kläger mit Ordnungsverfügung vom
29.10.2001 auf, im Bereich der ehemaligen Tankanlage (RKS 1 und 2) zur horizontalen
und vertikalen Eingrenzung des festgestellten Schadens weitere fünf
Rammkernsondierungen (RKS 5 bis RKS 9) niederzubringen und die durchzuführenden
Bodenproben auf MKW und BTEX untersuchen zu lassen.
17
Der Kläger legte durch seine Prozessbevollmächtigten gegen diese Verfügung
fristwahrend am 23.11.2001 Widerspruch ein und holte in der Folgezeit Angebote
verschiedener Firmen für die Durchführung der zusätzlich geforderten Untersuchungen
ein. Die Beauftragung eines Unternehmens durch den Kläger erfolgte jedoch nicht. Der
Beklagte legte den Vorgang deshalb mit Schreiben vom 10.07.2008 der
Widerspruchsbehörde vor, die mit Schreiben vom 12.01.2009 dem Beklagten mitteilte,
dass eine Bescheidung des Widerspruches nicht mehr angezeigt sei. Es sei nach
außen nicht vermittelbar, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung
bestehe, wenn die veranlassende Behörde die Ordnungsverfügung nicht mit Nachdruck
durchsetze. Dazu hätte auch die zeitnahe Vorlage des Widerspruchsvorgangs gehört.
Außerdem sei die Lage der RKS 5 und 9 durch die Ordnungsverfügung nicht
hinreichend bestimmt worden. Es werde deshalb geraten, die Ordnungsverfügung vom
29.10.2001 aufzuheben und eine neue Ordnungsverfügung unter Anpassung an die
18
heutigen Erfordernisse (ggfls. technischer bzw. rechtlicher Art) zu erlassen.
Am 27.02.2009 ließ der Beklagte auf dem Nachbargrundstück "S1.--------straße 44", das
im Eigentum der Frau C3. steht, ebenfalls Bodenluftuntersuchungen und
Bodenuntersuchungen durchführen. Diese ergaben im Bereich von 1,0 bis 2,0 Meter
unter Geländeroberkante MKW-Gehalte von 10.000 bzw. 13.000 mg/kg und BTEX-
Gehalte von 1,9 mg/kg.
19
Nach vorheriger Anhörung gab der Beklagte dem Kläger mit Ordnungsverfügung vom
21.04.2009 unter gleichzeitiger Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 29.10.2001
folgendes auf:
20
"1. Das o.g. Grundstück ist von einem Sachverständigen, der über eine Zulassung oder
Anerkennung für das Sachgebiet 2.2. "Boden-Grundwasser" nach der Verordnung über
Sachverständige für Bodenschutz und Altlasten vom 23.06.2002 (SV-BodAltIVO NRW)
verfügt, gutachterlich beurteilen zu lassen; und zwar hinsichtlich
21
- der Menge und Konzentration der im Boden befindlichen Verunreinigungen an
Mineralkohlenwasserstoffen (MKW) und aromatischen Kohlenwasserstoffen (BTEX),
22
- der Ausdehnung der Verunreinigung in Fläche und Tiefe,
23
- der Abschätzung der zu erwartenden Schadstoffeinträge über das Sickerwasser in das
Grundwasser (Sickerwasserprognose) und
24
- der Feststellung, ob durch die Kontamination eine Belastung des Grundwassers
eingetreten ist.
25
2. Im Bereich der Tankanlage (RKS/G1 und RKS/G2 gemäß Anlage 1) sind fünf
Rammkernsondierungen (DN 50) (RKS 5 bis RKS 9) bis in den anstehenden
Gipskeuper (Endtiefe jeweils ca. 5 m unter Geländeoberkante) niederzubringen und
zwar an den in Anlage 1 dieser Ordnungsverfügung gekennzeichneten Stellen.
26
3. Das aus den Rammkernsondierungen (RKS 5 bis RKS 9) gewonnene Bohrgut ist
organoleptisch zu untersuchen. Organoleptische Auffälligkeiten (geruchlich, optisch etc.)
sind zusammen mit dem Schichtaufbau sowie ggf. angetroffenen Auffüllungen gemäß
DIN 4022/23 zu protokollieren.
27
4. Aus dem bei den Rammkernsondierungen (RKS 5 bis RKS 9) gewonnenen Bohrgut
sind meterweise sowie bei geologischem Schichtwechsel und bei organoleptischen
Auffälligkeiten Bodenproben zu entnehmen und auf Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW)
und aromatische Kohlenwasserstoffe (BTEX) zu untersuchen; die
Untersuchungsergebnisse sind zu protokollieren.
28
5. An den fünf Rammkernsondierungen (RKS 5 bis RKS 9) sind der Anteil an
organischen Spurengasen festzustellen (mittels PID-Messungen) sowie
Bodenluftproben zu entnehmen und auf aromatische Kohlenwasserstoffe (BTEX) zu
analysieren; die Untersuchungsergebnisse sind zu protokollieren.
29
6. Die Rammkernsondierungen RKS 5, 7 und 8 sind als provisorische
Grundwassermessstellen auszubauen (DN 50 Rammfilter) und höhenmäßig
30
aufeinander einzumessen.
7. An einem Stichtag sind die Ruhewasserspiegel in den drei provisorischen
Grundwassermessstellen (RKS 5, 7 und 8) zu messen; aus diesen Werten ist ein
Grundwassergleichenplan mit eingezeichneter Grundwasserfließrichtung zu erstellen.
31
8. Aus den drei provisorischen Grundwassermessstellen (RKS 5, 7 und 8) ist je eine
qualifizierte Grundwasserprobe zu entnehmen und von einem anerkannten Labor auf
folgende Parameter untersuchen zu lassen:
32
- Vor-Ort-Parameter (Färbung, Trübung, Geruch, pH-Wert, elektrische Leitfähigkeit,
Temperatur),
33
- Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW),
34
- aromatische Kohlenwasserstoffe (BTEX).
35
9. Falls die Untersuchungsergebnisse der Grundwasserproben eine Überschreitung
eines Geringfügigkeitsschwellenwertes der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA
2004) ergeben, ist die Ausdehnung des Grundwasserschadens, ggf. unter Anlegung
weiterer Grundwassermessstellen, zu bestimmen. Die Geringfügigkeitsschwellenwerte
betragen für Benzol 1 µg/l, für aromatische Kohlenwasserstoffe (BTEX) 20 µg/l und für
Mineralölkohlenwasserstoffe 100 µg/l.
36
10. Die gutachterliche Beurteilung nach Nr. 1 ist in Form eines Berichtes
zusammenzufassen und mir vorzulegen. Dem Bericht sind sämtliche erhobenen Daten
beizufügen (wie Lageplan mit eingezeichneter Lage der Rammkernsondierungen,
Probenahmeprotokolle, Analyseergebnisse, organoleptische Auffälligkeiten,
geologische Schichtverzeichnisse nach DIN 4022/23, Vorhandensein von Grund-,
Sicker- oder Schichtwasser).
37
11. Durch den Sachverständigen nach Nr. 1 ist ein Sanierungskonzept fertigen und mir
vorlegen zu lassen.
38
12. Die Anwesenheit von Mitarbeitern des Umweltamtes auf dem o.g. Grundstück ist bei
der Durchführung der Maßnahmen zu dulden. Die Termine der Durchführung der
Maßnahmen nach Nr. 2, 4 und 5 sind mindestens eine Woche vorher dem Umweltamt
anzuzeigen."
39
Für den Fall der Nichtbefolgung von Nr. 1, 10 und 11 der Ordnungsverfügung drohte der
Beklagte dem Kläger jeweils Zwangsgelder in Höhe von 5.000,- Euro, für die
Nichtbefolgung der übrigen Anordnungen jeweils Zwangsgelder in Höhe von 2.000,-
Euro an. Zur Begründung der Ordnungsverfügung führte der Beklagte aus, dass
aufgrund der vorgenannten Untersuchungen aufgrund konkreter Anhaltspunkte der
hinreichende Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast bestehe und
die Anordnungen zur Erkundung der räumlichen Verbreitung der Schadstofffunde und
zur weitergehenden Bewertung nach den Anforderungen des Boden- und
Grundwasserschutzes erforderlich seien. Auf Grund der sehr hohen Bodenbelastungen
bestehe die Gefahr, dass Schadstoffe in das Grundwasser gelangt seien. Zur Erfüllung
der geforderten Maßnahmen werde der Kläger als Eigentümer des Grundstückes in
Anspruch genommen. Die Ordnungsverfügung vom 29.10.2001 werde aufgehoben, da
40
sich nach Angabe der Prozessbevollmächtigten die Verhältnisse auf dem Grundstück
nachhaltig verändert hätten. Es sei deshalb geboten, das Verfahren nach den aktuellen
Verhältnissen vor Ort und der aktuell gültigen Rechtslage neu zu bescheiden.
Diese zunächst mit einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung versehene und dem Kläger
persönlich zugestellte Ordnungsverfügung wurde unter dem 21.04.2009 mit einer
ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung den Prozessbevollmächtigten des Klägers
zugestellt.
41
Der Kläger hat daraufhin am 25.05.2009 Klage erhoben und zur Begründung
ausgeführt: Der Kraftstofftank sei ordnungsgemäß im Jahre 1995 außer Betrieb
genommen, gereinigt und mit Sand verfüllt worden. Seitdem würden die auf dem
Grundstück gelegene Tankstellenanlage und der Waschplatz nicht mehr genutzt. Acht
Jahre nach den am 03.07.2001 durchgeführten Boden- und Bodenluftuntersuchungen
sei es angezeigt, dass die Stadt C2. diese Voruntersuchungen erneut durchführe und
einen entsprechenden Auftrag erteile. Es sei davon auszugehen, dass sich derartige
Bodenverunreinigungen in einem gewissen Zeitraum verflüchtigten. Statt zu überprüfen,
ob der im Jahre 2001 angenommene Anfangsverdacht noch bestehe, habe der Beklagte
dagegen sogar das Untersuchungsprogramm mit der in diesem Verfahren
angefochtenen Ordnungsverfügung ausgeweitet. Hierdurch werde der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit grob verletzt. Der Beklagte berufe sich im Übrigen auch auf eine
unzutreffende Ermächtigungsgrundlage. Der EuGH habe festgestellt, dass durch
Kraftstoffe verunreinigte Böden als Abfälle zu bewerten seien und das
Bodenschutzrecht keine Anwendung finde. Aufgrund des Zeitablaufes habe der Kläger
von einer faktischen Duldung durch den Beklagten ausgehen können. Im Übrigen sei er
zu Unrecht als Grundstückseigentümer in Anspruch genommen worden. Das
Grundstück "S1.--------straße 48" sei 1994 auf die GmbH übertragen worden. Die
Umschreibung im Grundbuch sei zwar unterblieben, es laufe jedoch ein
Grundbuchberichtigungsverfahren.
42
Der Kläger beantragt,
43
die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 21.04.2009 aufzuheben.
44
Der Beklagte beantragt,
45
die Klage abzuweisen.
46
Er trägt zur Begründung des Antrages vor: Es sei unzutreffend, dass sich
wassergefährdende Stoffe mit der Zeit im Untergrund verflüchtigten. Sie seien auch
Jahrzehnte später noch nachweisbar. Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung vom
Dezember 1995 beziehe sich auf einen Dieselkraftstofftank mit 3500 Litern. Daneben
sei aber auch ein 2000-Liter-Tank mit Vergaserkraftstoff betrieben worden. Die
durchgeführten Untersuchungen hätten Verunreinigungen mit MKW und BTEX ergeben,
der Schaden sei also durch Dieselkraftstoff und Vergaserkraftstoff verursacht worden.
Entgegen den Angaben des Klägers sei der Waschplatz auch noch bis November 1997
betrieben worden. Ein für das Nachbargrundstück "S1.--------straße 44" am 26.6.2009
erstelltes Gutachten zeige, dass sich die Verunreinigung auf das Nachbargrundstück
ausgedehnt habe.
47
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
48
auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Beklagten (1 Ordner).
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
49
Bezüglich Nr. 11 der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 21.4.2009 war das
Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, da der
Beklagte diesen Teil der Ordnungsverfügung in der mündlichen Verhandlung
aufgehoben hat und die Beteiligten insoweit das Verfahren übereinstimmend für in der
Hauptsache erledigt erklärt haben.
50
Im Übrigen ist die Klage zulässig, jedoch unbegründet. Die Ordnungsverfügung des
Beklagten vom 21.4.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
51
I. Sie ist hinreichend bestimmt i.S.d. § 37 Abs. 1 VwVfG. Enthält eine
ordnungsbehördliche Verfügung - wie hier - ein auf Vollstreckung im Wege des
Verwaltungszwangs angelegtes Gebot, muss die Regelung so präzise sein, dass sie
vollstreckt werden kann, damit objektiv die Feststellung möglich ist, ob eine bestimmte
Maßnahme die zu vollstreckende Anordnung erfüllt oder nicht. Das verlangt bei einer
Ordnungsverfügung zur Abwehr der von einer Bodenverunreinigung ausgehenden
Gefahren im Allgemeinen die Angabe sowohl des zu ergreifenden Mittels als auch des
zu erreichenden Zieles.
52
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.6.1992 - 20 A 2485/89 -, NVwZ 1993, 1000 = NWVBl.
1993, 154 und Beschlüsse vom 24.4.2008 - 10 B 360/08 -, BauR 2008, 1873 und
2.4.1998 - 20 A 5217/96 -; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Auflage, 2001, § 37 Rdnr.
23 ff. m.w.N.
53
Von dem Betroffenen kann hierbei nicht verlangt werden, dass er unter Hinzuziehung
eines Dritten erforscht, was im Einzelnen von ihm verlangt wird. Deshalb kann die
Behörde diese Feststellung nicht einem Sachverständigen oder dem Adressaten selbst
überlassen.
54
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.6.1992 - 20 A 2485/89 -, a.a.O. und Beschluss vom
16.6.2006 - 20 A 1788/06 -.
55
Maßgebend ist hierfür der objektive Erklärungswert, wie er nach Treu und Glauben unter
verständiger Auslegung des Entscheidungssatzes und den sonstigen Begleitumständen
aufgefasst werden darf und muss.
56
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 19.10.1995 - 20 A 709/91 -, und vom 11.6.1992, a.a.O.
57
Gemessen an diesen Anforderungen ist die angefochtene Ordnungsverfügung
hinreichend bestimmt. Umfang und Inhalt der vom Kläger durchzuführenden
Untersuchungen (Nr. 2 bis 9) werden in der Ordnungsverfügung konkret benannt. Die
Lage der zusätzlich niederzubringenden RKS 5 bis 9 ist in dem der Ordnungsverfügung
als Anlage 1 beigefügten Lageplan (VV Bl. 301) gekennzeichnet.
58
II. Die Ordnungsverfügung des Beklagten ist auch in materieller Hinsicht nicht zu
beanstanden.
59
Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH,
60
vgl. Urteil vom 7.9.2004 - C 1/03 -, NVwZ 2004, 1341,
61
meint, eine auf das BBodSchG gestützte Anordnung habe nicht ergehen können, weil
es sich bei dem verseuchten Erdreich um Abfall i.S.d. KrW-/AbfG handele und dies die
Anwendung des BBodSchG ausschließe, trifft dies nicht zu. Ob und inwieweit die
Anwendung des BBodSchG ausgeschlossen ist, wenn es sich bei verseuchtem Boden
um Abfall i.S.d. KrW-/AbfG handeln sollte (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BBodSchG), kann
dahingestellt bleiben. Denn verseuchter Boden unterfällt nicht dem Abfallbegriff des § 3
Abs. 1 KrW-/AbfG, weil dieser auf bewegliche Sachen beschränkt ist.
62
Dieser bundesrechtliche Abfallbegriff steht mit europarechtlichen Vorgaben in Einklang.
Zwar ging der EuGH in der o.g. Entscheidung davon aus, dass kontaminiertes Erdreich
auch vor seiner Auskofferung bereits Abfall i.S.d. Richtlinie 75/442 des Rates über
Abfälle vom 15.7.1975 (im Folgenden: AbfRRL) darstelle, weil die Anwendbarkeit der
Richtlinie sich auf alle "Stoffe und Gegenstände" erstrecke (vgl. Art.1 lit a AbfRRL),
mithin keine Beschränkung auf bewegliche Sachen enthalte.
63
Vgl. EuGH, Urteil vom 7.9.2004 - C 1/03 -, a.a.O.
64
Ob im Wege einer europarechtskonformen Auslegung deswegen eine Erstreckung des
KrW-/AbfG auf unbewegliche Sachen unter gleichzeitigem Ausschluss des BBodSchG
angezeigt war,
65
vgl. zum damaligen Meinungsstand: E2. , Kontaminierter Boden als Abfall -
Konsequenzen des EuGH-Urteils "van de Walle" für das geltende und zukünftige
deutsche Abfall- und Bodenschutzrecht, AbfallR 2005, 171; Leitzke/Schmitt, Das Ende
des Bodenschutzgesetzes ?, UPR 2005, 16,
66
kann dahingestellt bleiben. Die AbfRRL hat durch die Richtlinie 2008/98/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 (ABl. L 312/3 vom
22.11.2008) insoweit eine Klarstellung erfahren, als nach § 2 Abs. 1 lit b der Richtlinie
nunmehr Böden (in situ) einschließlich nicht ausgehobener kontaminierter Böden nicht
in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Damit ist klargestellt, dass der
bundesrechtliche Abfallbegriff des § 3 Abs. 1 KrW-/AbfG mit der AbfRRL in Einklang
steht und keiner erweiternden europarechtskonformen Auslegung mehr bedarf. Damit ist
ebenso geklärt, dass nicht ausgehobenes kontaminiertes Erdreich den Regelungen des
BBodSchG unterfällt.
67
Vgl. Petersen, Die Novelle der Abfallrahmenrichtlinie, AbfallR 2008, 154.
68
Die Ordnungsverfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG.
Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG kann die zuständige Behörde anordnen, dass der
Ordnungspflichtige die "notwendigen Untersuchungen" zur Gefährdungsabschätzung
(auf eigene Kosten) durchzuführen hat, wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte der
hinreichende Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung oder einer Altlast besteht.
Die Vorschrift unterscheidet sich damit von § 9 Abs. 1 BBodSchG, der den
Ordnungspflichtigen (nur) zur Duldung von Untersuchungsmaßnahmen verpflichtet,
wenn (einfache) Anhaltspunkte für eine Altlast oder schädliche Bodenveränderung
69
vorliegen.
§ 9 Abs. 2 BBodSchG stellt danach - im Unterschied zu § 9 Abs. 1 BBodSchG, der nicht
nur die Durchführung der Untersuchungsmaßnahmen, sondern auch deren Kosten der
Behörde auferlegt - in zweifacher Hinsicht qualifizierte Anforderungen an den
bestehenden Gefahrenverdacht. Es müssen sich Anhaltspunkte, die zu behördlichen
Maßnahmen nach § 9 Abs. 1 BBodSchG geführt haben, konkretisiert haben. Sie
müssen weiterhin zu einem hinreichenden Verdacht einer schädlichen
Bodenveränderung oder Altlast geführt haben, was mit dem Begriff einer hinreichenden
Wahrscheinlichkeit gleichzusetzen ist.
70
Vgl. zur Abgrenzung: OVG NRW, Beschluss vom 23.2.2001 - 20 B 1710/00 -; VGH
Mannheim, Urteil vom 18.12.2008 - 10 S 2352/06 -, AbfallR 2008, 147.
71
Nähere Einzelheiten dazu, wann konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht einer
schädlichen Bodenveränderung bestehen, enthält die auf Grund des § 8 Abs. 1
BBodSchG erlassene BBodSchV. Konkrete Anhaltspunkte für eine schädliche
Bodenveränderung liegen nach § 3 Abs. 4 Satz 1 BBodSchV vor, wenn
Untersuchungen eine Überschreitung von Prüfwerten (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 BBodSchG)
ergeben haben oder wenn auf Grund einer Bewertung nach § 4 Abs. 3 BBodSchV eine
Überschreitung von Prüfwerten zu erwarten ist. Besteht ein hinreichender Verdacht nach
§ 3 Abs. 4 Satz 1 BBodSchV oder auf Grund sonstiger Feststellungen, soll eine
Detailuntersuchung durchgeführt werden.
72
Die BBodSchV enthält in ihrem Anhang 2 hinsichtlich des hier allein in Betracht
kommenden Wirkungspfades Boden-Grundwasser (vgl. 3.1 des Anhangs 2) zwar
Prüfwerte für die Parameter MKW, BTEX und Benzol. Sie gelten jedoch für den
Übergangsbereich von der ungesättigten zur wassergesättigten Bodenzone (Nr. 3.2 des
Anhangs 2) und sind im Sickerwasser zu ermitteln (§ 4 Abs. 2 Satz 2 und 3 BBodSchV).
Die vom IfUA durchgeführten Untersuchungen beschränkten sich auf Bodenproben und
Bodenluftuntersuchungen in einer Tiefe von max. 2 m, mithin oberhalb der
wassergesättigten Zone. Hierfür enthält die BBodSchV keine Prüfwerte. Die im
Bundesanzeiger Nr. 161a vom 18.6.1999 veröffentlichten Methoden und Maßstäbe für
die Beurteilung der Prüf- und Maßnahmenwerte, die nach § 4 Abs. 5 BBodSchV zu
berücksichtigen sind, beziehen sich nur auf Prüf- und Maßnahmenwerte nach Anhang 2
Nr. 1 und 2 der BBodSchV, enthalten mithin keine Aussagen für die Beurteilung des hier
allein interessierenden Wirkungspfades Boden-Grundwasser (Anhang 2 Nr. 3 der
BBodSchV).
73
Enthält die BBodSchV keine einschlägigen Werte, kann nach Auffassung des Gerichts,
74
vgl. Urteile vom 2.2.2005 - 11 K 7572/03 - und vom 4.12.2002 - 11 K 91/01 - unter
Bezugnahme auf OVG Lüneburg, Beschluss vom 3.5.2000 - 7 M 550/00 -, NVwZ 2000,
1194; ebenso VG Aachen, Urteil vom 2.2.2005 - 6 K 2235/01 -,
75
weiterhin zur Beurteilung von schädlichen Bodenbelastungen und
Grundwasserschäden auf die bisher anerkannten u nd in der Rechtsprechung auch
angewandten allgemeinen Regelwerke,
76
vgl. u.a. LAWA, Empfehlungen für die Erkundung, Bewertung und Behandlung von
Grundwasserschäden (1994), Tabelle 3 - Orientierungswerte für Bodenbelastungen;
77
LAGA - Länderarbeitsgemeinschaft Abfall, Anforderungen an die stoffliche Verwertung
von mineralischen Reststoffen/Abfällen Technische Regeln, Stand: 5.9.1995; Leitraad
Bodensanering, Staatuitgeverij, s'Gravenhage vom 4.11.1988 - sog. "Hollandliste -;
Fischer/Köchling, Praxisratgeber Altlastensanierung,
zurückgegriffen werden. Hinsichtlich MKW und BTEX unterscheidet das LAWA (Seite
10 der Empfehlungen und Tabelle 3 des Anhangs) zwischen Prüfwerten (300 bis 1000
mg/kg für MKW, 2 bis 10 mg/kg für BTEX) und Maßnahmenschwellenwerten (1000 bis
5000 mg/kg für MKW, 0,5 bis 3 mg/kg für BTEX). Bei Überschreitung der Prüfwerte ist in
der Regel eine weitere Sachverhaltsermittlung geboten, bei Überschreitung der
Maßnahmenschwellenwerte sind weitere Maßnahmen, z.B. eine Sanierung oder
Sicherung, erforderlich (Seite 3 der Empfehlungen). Legt man die Empfehlungen des
LAWA zu Grunde, so erreichen die durch die IfUA im Juni 2001 festgestellten
Bodenverunreinigungen mit MKW von 7.000 mg/kg TS bzw. 2.900 mg/kg TS bei RKS 1
und RKS 2 und mit BTEX von 3,3 mg/kg TS Werte, die weitere Aufklärungsmaßnahmen
zur horizontalen und vertikalen Eingrenzung des Schadens erfordern. Nichts Anderes
gilt, wenn man die vom Leitraad Bodensanering,
78
abgedruckt in: Landesanstalt für Umweltschutz Karlsruhe, Grenzwerte und Richtwerte
für die Umweltmedien Luft, Wasser und Boden, 1989, Seite 41 und 44,
79
vorgeschlagenen Prüfwerte zu Grunde legt. Der nähere Untersuchungen erfordernde
Prüfwert B liegt danach für MKW bei 1000 mg/kg, bei BTEX zwischen 0,5 und 5 mg/kg.
80
Zu Recht hat der Beklagte auch den Kläger zur Durchführung der Detailuntersuchung
herangezogen. Zu einer Gefährdungsabschätzung i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG
können die in § 4 Abs. 3, 5 und 6 BBodSchG genannten Personen verpflichtet werden.
Der Kläger gehört als Eigentümer des kontaminierten Grundstückes zum Personenkreis
des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG und konnte deshalb zur Durchführung der
Maßnahmen in Anspruch genommen werden. Der Eigentumsbegriff des BBodSchG
stimmt mit dem zivilrechtlichen Eigentumsbegriff überein. Deshalb endet bei einer
rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung die Zustandshaftung des bisherigen
Eigentümers erst mit der Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch (vgl. § 873
BGB).
81
Vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 30.4.1996 - 10 S 2163/95 -, NVwZ-RR 1997, 267;
Versteyl/Sondermann, BBodSchG, Kommentar, 2. Auflage, 2005, § 4 Rdn. 19; Dombert
in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Kommentar, Band IV, Loseblattsammlung, Stand: 1
Juli 2009, § 4 BBodSchG Rdn. 24.
82
Ob das Grundstück wirksam durch notarielle Umwandlungserklärung auf die GmbH im
Jahre 1994 übertragen worden ist, kann danach dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls
ist eine Eintragung im Grundbuch zugunsten der GmbH bisher nicht erfolgt. Im hier
maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Ordnungsverfügung ist der Beklagte
deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger als Grundstückseigentümer
i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG in Anspruch genommen werden konnte.
83
Das nach § 4 Abs. 3 BBodSchG bestehende Auswahlermessen hat der Beklagte auch
zu Recht zu Lasten des Klägers ausgeübt. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob die
Reihenfolge der in § 4 Abs. 3 BBodSchG genannten Personen nach dem Willen des
Gesetzgebers auch eine im Rahmen der Ermessensausübung zu prüfende vorrangige
84
bzw. nachrangige Inanspruchnahme von Störern indiziert, m.a.W. der Verursacher einer
schädlichen Bodenverunreinigung vorrangig vor dem Grundstückseigentümer in
Anspruch genommen werden soll. Weder vorgetragen noch für das Gericht ersichtlich
ist, dass eine Inanspruchnahme anderer Personen als der des Klägers in Betracht kam.
Da die Außerbetriebnahme und Verfüllung der Kraftstofftanks bereits vor 1994 erfolgt
sein soll und die festgestellten Verunreinigungen nach dem Gutachten der Geo-Analytik
auf Undichtigkeiten der Tanks bzw. Überfüllungen zurückzuführen sind (hierzu weiter
unten), müssen die Schäden bereits vor der Umwandlung des Unternehmens (Ende
1994) entstanden sein. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger alleiniger Inhaber der Firma
und für diese verantwortlich (§ 17 Abs. 2 HGB), insbesondere für den nicht
wasserrechtlichen Vorschriften entsprechenden Umgang mit wassergefährdenden
Stoffen auf dem Betriebsgrundstück. (vgl. hierzu bereits die Ordnungsverfügung des
Beklagten vom 21.08.1990). Der Kläger war deshalb nicht nur als
Grundstückseigentümer, sondern auch als Verursacher i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1
BBodSchG für die schädlichen Bodenverunreinigungen verantwortlich.
Die grundsätzliche Notwendigkeit der angeordneten Maßnahmen kann der Kläger nicht
mit der Begründung in Zweifel ziehen, nach einem Zeitraum von zehn Jahren sei davon
auszugehen, dass sich die festgestellten Bodenverunreinigungen verflüchtigt hätten,
sodass vor Erlass der Ordnungsverfügung die im Jahre 2001 festgestellten
Verunreinigungen erneut hätten überprüft werden müssen. Es ist gerichtsbekannt und
bedarf keiner weiteren Erörterung, dass abhängig von der Konzentration und der Art der
Schadstoffe die Abbauzeiten (ohne menschliches Eingreifen) von LCKW, BTEX und
MKW bis zu mehrere hundert Jahre, von PAK bis zu mehreren tausend Jahren betragen.
85
Vgl. hierzu insbesondere VG Berlin, Beschluss vom 22.2.2008 - 10 A 194.07 -, juris.
86
Im Übrigen haben die im Grenzbereich zum benachbarten Grundstück "S1.--------straße
44" im Juni 2009 durchgeführten Bodenuntersuchungen MKW-Belastungen mit 10.000
bzw. 13.000 mg/kg TS ergeben, die nach den Feststellungen der Geo-Analytik auf die
auf dem Grundstück des Klägers betriebene Tankanlage zurückzuführen sind
(Gutachten vom 17.8.2009, Bl. 41 ff. d.A). Der Einwand des Klägers, die
Verunreinigungen auf dem benachbarten Grundstück "S1.--------straße 44" seien darauf
zurückzuführen, dass dort über Jahrzehnte Fahrzeuge geparkt und abgestellt worden
seien (Bl. 55 d.A.), greift schon deshalb nicht, weil sich die dort festgestellten
Verunreinigungen in tieferen Bodenschichten - 1,00 m bis 2,50 m (Gutachten vom
17.8.2009, Bl. 47 d.A.) - befinden. Bei Tropfverlusten durch abgestellte Fahrzeuge
hätten dagegen auch oberflächennahe Belastungen festgestellt werden müssen. Im
Übrigen lassen die festgestellten Bodenverunreinigungen mit MKW in einer
Größenordnung von 10.000 bzw. 13.000 mg/kg nach Auffassung der Geo-Analytik den
Schluss zu, dass weniger Handhabungsverluste als vielmehr Überfüllungen oder
Undichtigkeiten der unterirdischen Tanks hierfür ursächlich sind (vgl. Gutachten vom
17.8.2009, Bl. 47).
87
Ebenso wenig kann sich der Kläger gegenüber der Ordnungsverfügung auf
Gesichtspunkte der Verjährung oder Verwirkung berufen. Ordnungsbehördliche
Befugnisse unterliegen nicht den Regeln der zivilrechtlichen Verjährung. Ihre
Geltendmachung kann bei lange zurückliegenden Schadensereignissen, z.B.
Rüstungsaltlasten, allenfalls im Einzelfall gegenüber dem derzeitigen
Grundstückseigentümer unverhältnismäßig sein,
88
vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.5.1996 - 20 A 2640/94 -, NVwZ 1997, 507 zu § 194 BGB,
89
was im vorliegenden Fall jedoch bereits deshalb ausscheidet, weil der Kläger - wie
oben bereits dargelegt - nicht nur als Grundstückseigentümer, sondern auch als
Verursacher der schädlichen Bodenverunreinigung hätte in Anspruch genommen
werden können.
90
Ob eine Verwirkung ordnungsbehördlicher Befugnisse auf dem Gebiet des
Bodenschutzes überhaupt möglich ist,
91
verneinend VGH Mannheim, Urteil vom 1.4.2008 - 10 S 1388/06 -, NVwZ-RR 2008, 696,
92
kann dahingestellt bleiben, weil die Voraussetzungen für eine Verwirkung dieser
Befugnisse nicht vorliegen. Die Verwirkung ordnungsbehördlicher Befugnisse setzt
voraus, dass diese über einen längeren Zeitraum nicht wahrgenommen werden
(Zeitmoment) und der Ordnungspflichtige auf Grund ausdrücklicher Erklärungen oder
eines bestimmten sonstigen Verhaltens der Behörde die berechtigte Erwartung hegen
durfte, von dieser Befugnis werde kein Gebrauch mehr gemacht (Umstandselement).
93
Vgl. hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Auflage, 2008, § 53 Rdn. 45 ff.
m.w.N. auf die Rechtsprechung.
94
An Letzterem fehlt es. Das Untätigbleiben des Beklagten im Zeitraum von Ende 2001
bis Mitte 2009 ist zwar teilweise einem Verhalten des Klägers zuzurechnen, der mit
Schriftsatz vom 22.11.2001 nur fristwahrend Widerspruch gegen die Verfügung vom
29.10.2001 einlegte und ankündigte, Angebote von Fachfirmen einzuholen (BA Bl. 237).
Es vermag allerdings nicht zu erklären, warum der Beklagte bis zum Juli 2008 mit der
Vorlage des Widerspruchsvorganges an die Widerspruchsbehörde gewartet hat (BA Bl.
259 und 265). Der Beklagte hat allerdings während der gesamten Dauer des
Widerspruchsverfahrens zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Kläger erklärt oder durch
sonstiges Verhalten eindeutig zu erkennen gegeben, dass auf die Durchsetzung der
Ordnungsverfügung vom 29.10.2001 verzichtet werden soll. Dieser konnte deshalb nicht
darauf vertrauen, dass - nach Erledigung des Widerspruchsverfahrens durch Aufhebung
der ursprünglichen Verfügung - keine neue Ordnungsverfügung erlassen wird.
95
Die in der Ordnungsverfügung dem Kläger im Einzelnen auferlegten Maßnahmen sind -
soweit über sie noch durch Urteil zu befinden ist - auch zur Erreichung des angestrebten
Ziels notwendig, angemessen und verhältnismäßig.
96
Die mit der hier streitigen Verfügung geforderten zusätzlichen Rammkernsondierungen
RKS 5 bis 9 und Probeentnahmen des Bodens und der Bodenluft (Ziffer 2 bis 5 der
Ordnungsverfügung) sowie der Ausbau der RKS 5, 7 und 8 zu provisorischen
Grundwassermessstellen und die Beprobung des Grundwassers auf MKW und BTEX
(Ziffer 6 bis 9) sind zur Beurteilung der von den festgestellten Bodenverunreinigungen
ausgehenden Gefahren notwendig. Denn die bereits durchgeführten
Rammkernsondierungen (RKS 1 bis 4) reichen für eine laterale und vertikale
Schadenseingrenzung nach Einschätzung der IfUA nicht aus (vgl. Gutachten Juli 2001,
BA Bl. 197), sodass weitere Untersuchungen zur Abklärung der Ausbreitung der
Schadstoffe in Richtung der benachbarten Grundstücke und in tiefere Schichten in
Richtung des Grundwasserstromes erforderlich sind.
97
Die Forderung, einen anerkannten Sachverständigen zur Beurteilung und Bewertung
der Ergebnisse dieser Untersuchungsmaßnahmen hinzuzuziehen (Ziffer 1 und 10 der
Ordnungsverfügung), ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Sinn und Zweck der
Einschaltung eines Sachverständigen in die Gefährdungsabschätzung ist es, dessen
spezifische fachliche Qualifikation zu nutzen. Mit der sich aus dem
Amtsermittlungsprinzip (§ 24 VwVfG) ergebenden Verpflichtung, Art und Umfang der
notwendigen Untersuchungsmaßnahmen selbst hinreichend konkret festzulegen, wäre
eine derartige Hinzuziehung nur dann nicht zu vereinbaren, wenn die wesentlichen
Eckpunkte der geforderten Untersuchungen von der zuständigen Behörde dem
hinzuzuziehenden Sachverständigen überlassen blieben.
98
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.6.2006 - 20 A 1788/06 - unter Bezugnahme auf
Urteil vom 11.6.1992 - 20 A 2485/89 -, ZfW 1993, 175.
99
Diesen Vorgaben wird die Ordnungsverfügung gerecht. Inhalt und Umfang der hier vom
Kläger durchzuführenden Detailuntersuchung sind in den Ziffern 2 ff. der
Ordnungsverfügung genau beschrieben. Die Aufgabe des Sachverständigen beschränkt
sich allein auf die Bewertung der Ergebnisse des vom Beklagten festgelegten
Untersuchungsprogrammes.
100
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
101
Im Hinblick auf den erledigten Teil hat der Beklagte die Kostenübernahme nach Nr.
5111 der Anlage 1 zum GKG erklärt.
102
Bei der Kostenaufteilung hat das Gericht berücksichtigt, dass die Vorlage eines
Sanierungskonzeptes (Nr. 11 der Ordnungsverfügung) im Vergleich zu den übrigen
angeordneten Maßnahmen (Nr. 1 bis 10 der Ordnungsverfügung) einen hohen
Kostenaufwand verursacht hätte.
103
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
104