Urteil des VG Minden vom 20.01.2009
VG Minden: fahrzeug, grobe fahrlässigkeit, unfall, angepasste geschwindigkeit, wirtschaftliches interesse, taxi, aufrechnung, bremse, kollision, stillstand
Verwaltungsgericht Minden, 10 K 1722/08
Datum:
20.01.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 1722/08
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 03. März 2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 07. April 2008 wird
aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der am 26. Mai 1983 geborene Kläger ist Soldat auf Zeit, derzeit im Range eines
Stabsunteroffiziers. Seine Dienstzeit endet voraussichtlich am 03. April 2009.
2
Am 28. November 2007 sollte er den Obergefreiten H. B. mit einem der BW-Fuhrpark-
Service-GmbH (BW-Fuhrpark) gehörenden Fahrzeug des Typs Mercedes-Benz Sprinter
- amtliches Kennzeichen Y-470 305 - zum Truppenarzt fahren. Hierbei kam es gegen
9.20 Uhr auf dem Gebiet der Stadt I. zu einem Unfall: Der Kläger befuhr die
Bundesstraße 64 in Richtung H1. und näherte sich einer Wechsellichtzeichenanlage,
die für ihn zu dem betreffenden Zeitpunkt Grün zeigte, als vor ihm der Fahrer eines LKW
mit dem amtlichen Kennzeichen I1- U1 ..(Betonmischer der P. -U. -C. -GmbH & Co KG -
P3. - mit Sitz in I. ) verkehrsbedingt stark bremsen und sein Fahrzeug zum Stehen
bringen musste. Der Kläger bremste gleichfalls das von ihm geführte Fahrzeug, fuhr
aber dennoch auf den LKW I1. -U1. .. auf, wodurch beide Fahrzeuge beschädigt wurden.
An dem Fahrzeug der BW-Fuhrpark entstand ein Schaden in Höhe von 18.254,77 EUR,
an jenem der P2. ein Schaden in Höhe von 539,49 EUR (jeweilige Reparaturkosten
ohne Mehrwertsteuer).
3
Das Feldjägerdienstkommando B1. stellte daraufhin Ermittlungen zum Unfallhergang an
und fertigte einen Bericht, der die - vom Kläger mit seiner Unterschrift bestätigte -
Angabe enthält, dass die Geschwindigkeit des von ihm geführten Fahrzeugs 50 km/h
und der Abstand vom vorderen Fahrzeug 10 m betragen habe.
4
In Rahmen einer am 29. November 2007 durchgeführten Vernehmung des Klägers gab
dieser an:
5
"Ich fuhr von der Kaserne in I. stadtauswärts in Richtung H1. als ca. 50 Meter vor der zu
diesem Zeitpunkt grünen Ampelanlage der direkt vor mir fahrende LKW der Firma P1.
plötzlich sehr stark bremste. Daraufhin betätigte ich ebenfalls die Bremse, konnte aber
unser Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig zum Stehen bringen und fuhr auf den LKW auf."
6
Eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Schilderung des Unfallhergangs gab der Kläger
auch gegenüber der BW-Fuhrpark ab.
7
Mit Schreiben vom 08. Februar 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie
bebsichtige, ihn gemäß § 24 Soldatengesetz (SG) in Höhe eines Betrages von 4.863,51
EUR in Anspruch zu nehmen, da er den Unfall vom 28. November und die hierdurch
entstandenen Sachschäden 2008 grob fahrlässig verursacht habe. Er habe nämlich den
bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h und der gegebenen hohen Verkehrsdichte
erforderlichen Sicherheitsabstand von 28 m krass unterschritten, indem er lediglich
einen Abstand von 10 m gegenüber dem vorausfahrenden Fahrzeug gewahrt habe.
Sodann sei er - trotz angeblichen Bremsens - mit erheblicher Restgeschwindigkeit auf
den vor ihm fahrenden LKW aufgefahren. Durch sein Verhalten habe er seine Pflicht zu
sorgsamem Umgang mit den ihm dienstlich anvertrauten Gegenständen in besonders
hohem Maße verletzt und hafte daher für die entstandenen Schäden. Auf
entsprechenden Antrag hin könne ihm - dem Kläger - eingeräumt werden, den Betrag
von 4.863,51 EUR in monatlichen Raten von mindestens 250,00 EUR zu begleichen.
Ihm werde die Möglichkeit gegeben, zu der beabsichtigten Inanspruchnahme Stellung
zu nehmen.
8
Der Kläger erwiderte hierauf Folgendes: Zwar werde nicht in Abrede gestellt, dass er
den Unfall vom 28. November 2008 fahrlässig verursacht habe. Der Vorwurf der groben
Fahrlässigkeit und die daran anknüpfende Forderung der Beklagten, einen Betrag von
4.863,51 EUR zu zahlen, seien jedoch nicht gerechtfertigt. Es sei keineswegs erwiesen,
dass er lediglich einen Abstand von 10 m zu dem vorausfahrenden Fahrzeug gewahrt
habe. Er habe keine entsprechende Aussage gegenüber Feldjägern oder Polizei
gemacht und es gebe auch im Übrigen keine Erkenntnisse, die einen derart niedrigen
Sicherheitsabstand belegen könnten. Tatsächlich sei es so gewesen, dass er mit einem
Abstand von rund 30 m hinter dem Betonmischer hergefahren sei und angesichts der
Grün zeigenden Verkehrsampel auch keinerlei Anhaltspunkt dafür gehabt habe, dass
das Fahrzeug bremsen werde. Als der LKW-Fahrer dann doch plötzlich abgebremst
habe, habe er schlichtweg zu spät reagiert und sei deshalb auf den Unterfahrschutz des
Betonmischers aufgefahren. Dies sei aber keineswegs völlig ungebremst geschehen,
was ein deutliches Indiz dafür sei, dass der notwendige Sicherheitsabstand nicht - wie
die Beklagte meine - krass unterschritten worden sei.
9
Mit Leistungs- und Aufrechnungsbescheid vom 03. März 2008, zugestellt am 06. März
2008, forderte die Beklagte vom Kläger die Zahlung von 4.863,51 EUR und erklärte
hinsichtlich dieses Betrages die Aufrechnung gegen dessen Ansprüche auf
Dienstbezüge und Übergangsbeihilfen. Zur Begründung wiederholte sie die bereits in
ihrem Schreiben vom 08. Februar 2008 angestellten Erwägungen und führte ergänzend
hierzu aus, dass der Kläger - anders als von ihm dargestellt - den notwendigen
Sicherheitsabstand unmittelbar vor dem Unfallereignis vom 28. November 2008
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unterschritten habe. Anders ließen sich die erheblichen Schäden an dem von ihm
geführten Fahrzeug nicht erklären. Ferner habe er selbst durch seine Unterschrift
bestätigt, nur einen Abstand von 10 m zu dem vor ihm fahrenden LKW eingehalten zu
haben. Doch selbst wenn der Abstand zwischen dem vom Kläger geführten Fahrzeug
und dem vorausfahrenden Betonmischer rund 30 m betragen hätte, sei von einer grob
fahrlässigen Pflichtverletzung auszugehen, weil der Kläger in diesem Fall in
ungewöhnlich hohem Maße gegen seine Pflicht verstoßen hätte, den Verkehr bei
Annäherung an eine Ampelanlage ständig und konzentriert zu beobachten. Insoweit sei
anzumerken, dass sich der Aufprall auf den LKW bei einem Abstand von 30 m vor dem
Unfall nur durch eine mehrere Sekunden dauernde Unaufmerksamkeit erklären lasse.
Hiergegen erhob der Kläger am 17. März 2008 Beschwerde, zu deren Begründung er
angab, sich beim besten Willen nicht daran erinnern zu können, die Angabe gemacht zu
haben, nur einen Abstand von 10 m gegenüber dem vorausfahrenden Fahrzeug
eingehalten zu haben. Doch selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, habe es sich
insoweit um einen Irrtum gehandelt. Tatsächlich sei der Abstand größer gewesen, was
sich auch an den konkreten Umständen zeige. So habe der Fahrer des Betonmischers
angegeben, dass sein Fahrzeug bereits gestanden habe, als er - der Kläger -
aufgefahren sei. Auch zeige sich an den vom Unfallort gefertigten Fotos, insbesondere
an der hierauf zu erkennenden tiefer als das Heck liegenden Frontpartie des
Bundeswehrfahrzeugs, dass Letzteres vor dem Aufprall abgebremst worden sein
müsse. Diese Umstände seien aber nur erklärbar, wenn der Abstand nicht lediglich 10
m betragen hätte, sondern deutlich größer gewesen wäre. Zudem könne er - der Kläger -
sich daran erinnern, dass er beim Aufleuchten der Bremslichter des LKW angesichts der
Grün zeigenden Ampel zunächst nur von dessen kurzem Abbremsen ausgegangen sei
und deshalb seinerseits nur leicht gebremst habe. Zu diesem Zeitpunkt habe der
Abstand zwischen beiden Fahrzeugen wohl noch etwa 30 m betragen. Erst nach
weiteren rund drei Sekunden habe er realisiert, dass der LKW tatsächlich eine
Vollbremsung eingeleitet habe, so dass auch er selbst nun stärker die Bremse betätigt
habe. Als diese Bremsung zu wirken begonnen habe, sei er jedoch nur noch etwa 10 m
von dem LKW entfernt gewesen, so dass die Kollision nicht mehr habe verhindert
werden können. Er habe mithin zwar die Situation falsch eingeschätzt und somit im
Sinne eines "Momentversagens" fehlerhaft gehandelt. Grobe Fahrlässigkeit könne ihm
jedoch nicht vorgeworfen werden.
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Mit Beschwerdebescheid vom 07. April 2008, zugestellt am 09. April 2008, wies die
Beklagte die Beschwerde des Klägers unter Vertiefung der Erwägungen aus dem
Ausgangsbescheid als unbegründet zurück und kündigte des Weiteren an, aufgrund der
bereits erklärten Aufrechnung ab Juni 2008 monatlich 250,00 EUR von den laufenden
Dienstbezügen des Klägers einzubehalten.
12
Daraufhin hat er Kläger am 06 Mai 2008 Klage erhoben.
13
Unter dem 09. Mai 2008 erstellte Dipl.-Ing. Major N. H2. , amtlich anerkannter
Sachverständiger für den Kraftfahrzeugverkehr, im Auftrag der Beklagten eine
gutachterliche Stellungnahme, in der er angesichts des sich aus verschiedenen
Fotografien ergebenden Schadensbildes von einer Restgeschwindigkeit des vom
Kläger gesteuerten Fahrzeugs bei Aufprall auf den Betonmischer von 25 bis 35 km/h
ausging und auf Basis dieser Annahme zu dem Schluss kam, dass der Abstand
zwischen beiden Fahrzeugen unmittelbar vor der Kollision (Sicherheitsabstand) sehr
gering gewesen sein müsse. Unter dem 06. August 2008 ergänzte der Sachverständige
14
seine Ausführungen dahingehend, dass er auch weiterhin von einer erheblichen
Unterschreitung des notwendigen Sicherheitsabstandes durch den Kläger ausgehe.
Wenn man jedoch die Angabe als wahr unterstelle, dass er beim Stillstand des
Betonmischers noch weit von diesem entfernt gewesen sei, so hätte er - der Kläger -
noch mehrere Sekunden Zeit gehabt, um zu reagieren. Selbst in diesem Fall könne
mithin von einem bloßen "Momentversagen" nicht mehr die Rede sein.
Zur Begründung seiner Klage wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen aus
dem Verwaltungs- und Beschwerdeverfahren. Ergänzend setzt er sich mit den
Stellungnahmen Herrn H3. auseinander, deren Verwertung er widerspricht, weil es sich
um Parteigutachten handele. Inhaltlich seien die Äußerungen ebenfalls nicht
überzeugend. So beruhe die Annahme, dass der Aufprall des vom Kläger gesteuerten
Fahrzeugs auf das vorausfahrende mit einer Restgeschwindigkeit von 25 bis 35 km/h
erfolgt sei, letztlich auf einer bloßen Schätzung, was wissenschaftlich unhaltbar sei.
Auch im Übrigen seien die Überlegungen des Sachverständigen fehlerhaft bzw.
unvollständig.
15
Der Kläger beantragt,
16
den Leistungs- und Aufrechnungsbescheid der Beklagten vom 03. März 2008 in der
Gestalt des Beschwerdebescheides der Beklagten vom 07. April 2008 aufzuheben.
17
Die Beklagte beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19
Sie bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide sowie die gutachterlichen
Äußerungen vom 09. Mai 2008 und vom 06. August 2008.
20
Mit Beschluss vom 29. August 2008 hat die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur
Entscheidung übertragen.
21
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Januar 2008 sind der Kläger, Herr N1.
C1. als Zeuge sowie Herr N. H2. als Sachverständiger zum Hergang des Unfalls vom
28. November 2007 befragt worden. Hinsichtlich der diesbezüglichen Ergebnisse wird
auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogenen Akten (zwei Hefte) Bezug genommen.
23
Entscheidungsgründe:
24
A. Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 VwGO zulässig und
auch begründet. Denn der Leistungs- und Aufrechungsbescheid der Beklagten vom 03.
März 2008 in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom 07. April 2008 ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
25
I. Als Rechtsgrundlage für die von der Beklagten durch Leistungsbescheid geltend
gemachte Schadensersatzforderung kommt ausschließlich § 24 Abs. 1 Satz 1 SG in
Betracht. Danach hat ein Soldat, der die ihm obliegenden Pflichten vorsätzlich oder grob
26
fahrlässig verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgabe er wahrgenommen hat, den
daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger eine Pflichtverletzung
begangen, durch welche ein der BW-Fuhrpark gehörendes Fahrzeug erheblich
beschädigt wurde (nachfolgend 1.). Diese Pflichtverletzung geschah aber nicht grob
fahrlässig (nachfolgend 2.).
27
1. Der Kläger hat durch sein Verhalten im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom
28. November 2007 eine ihm obliegende Dienstpflicht verletzt, nämlich diejenige, der
Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG). Hierzu gehört es, zur Erhaltung
der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr als militärischem Verband beizutragen und alles
zu unterlassen, was ihren durch die Verfassung festgelegten Aufgabenbereich
schwächen könnte. Der Pflicht, den Dienst nach besten Kräften zu erfüllen, laufen
deshalb alle Handlungen zuwider, die im weitesten Sinne das Vermögen des
Dienstherrn schädigen oder gefährden. Eine objektive Verletzung der sich aus § 7 SG
ergebenden Pflicht liegt mithin gerade auch dann vor, wenn ein Soldat durch
rechtswidriges Verhalten einen Eigentums- bzw. Vermögensschaden des Dienstherrn
herbeiführt.
28
Vgl. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 1999 - 2 C 15/98 -, ZBR
1999, 278 = NJW 1999, 3727.
29
Zu Recht hat die Beklagte dem Kläger im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom
28. November 2007 ein solches rechtswidriges Verhalten vorgeworfen. Zwar hat er im
Vorfeld des Auffahrunfalls nicht - wie von der Beklagten angenommen - den nach § 4
Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) einzuhaltenden Sicherheitsabstand
unterschritten. Jedoch hat er den Unfall durch Unachtsamkeit verursacht und hierdurch
gegen die jeden Verkehrsteilnehmer treffende Pflicht verstoßen, sich so zu verhalten,
dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen
unvermeidbar, behindert oder belästigt wird (vgl. § 1 Abs. 2 StVO).
30
Vgl. dazu etwa das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. September 2005 -
I-10 U 203/04, 10 U 203/04 -, NJW-RR 2006, 319 = NZV 2006, 200, m.w.N.
31
Dabei geht das erkennende Gericht von der Beschreibung des Unfallhergangs aus, die
der Zeuge C1. bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar
2009 abgegeben hat. Dieser hat im Einzelnen Folgendes bekundet:
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"Ich war auf dem Weg von I. -Innenstadt zum Ortsausgang. Da ist eine Ampel. Diese
schaltet manchmal sehr schnell auf Rot und dann wieder auf Grün. Das schätzte
offenbar ein auswärtiges Fahrzeug, es handelte sich um einen metallicblauen Audi A6,
falsch ein und bremste vollständig ab. Das dahinter fahrende silberfarbene Taxi -
Mercedes Benz - bremste ebenfalls vollständig. Das Taxi war beim Bremsen sehr dicht
hinter dem Audi. Ich war meinerseits sehr weit hinter dem Taxi, weil ich diese Ampel
schon kenne. Beim Stillstand meines Fahrzeugs war ich noch ungefähr fünf bis sechs
Meter von dem Taxi entfernt. Ich brachte mein Fahrzeug mit einem einzigen
Bremsvorgang zum Stehen. Es ging also kein kurzes Abbremsen voraus und darauf
folgte eine stärkere Bremsung, sondern es war ein einziger Vorgang. Ich musste auch
nicht so übertrieben stark bremsen, weil ich ja einen relativ großen Abstand zu dem Taxi
hatte. Nachdem ich mein Fahrzeug zum Stillstand gebracht hatte, sah ich in den
33
Rückspiegel. Dort erkannte ich hinter mir einen weißen Mercedes Sprinter, der zu
diesem Zeitpunkt wohl noch vier meiner Fahrzeuglängen, also ungefähr 4 x 9 Meter von
mir entfernt war. Ich hatte den Eindruck, dass das Fahrzeug eine normale
Geschwindigkeit hatte, also wohl so etwa 50 km/h schnell war. Das hinter mir fahrende
Fahrzeug blieb dabei die ganze Zeit gerade auf der Straße. Ich habe eigentlich keine
Besonderheiten bemerkt. Dann hörte ich die blockierenden Räder. Danach kam der
Aufprall. Ich war, als ich vorher in den Rückspiegel geschaut hatte, eigentlich davon
ausgegangen, dass der Sprinter schon rechtzeitig zum Stehen kommen wird. Zu diesem
Zeitpunkt hatte ich also noch kein Problem gesehen."
Diese Aussage des Zeugen C1. erscheint glaubhaft. Dies ergibt sich einerseits aus der
Lebendigkeit und dem Detailreichtum seiner Schilderung in der mündlichen
Verhandlung, andererseits aber auch daraus, dass die vorstehend zitierten
Bekundungen ohne weiteres zu den übrigen Ermittlungsergebnissen passen. So hat der
Sachverständige H2. , der ebenfalls in der mündlichen Verhandlung befragt wurde,
angegeben, dass seine Berechnungen sowohl die Möglichkeit zuließen, dass der
Kläger den notwendigen Sicherheitsabstand unterschritten habe, als auch diejenige,
dass er unaufmerksam gewesen sei und schlichtweg zu spät auf das Bremsen des vor
ihm fahrenden Lkw reagiert habe. Ferner sei es plausibel, dass der Zeuge vor dem
Aufprall ein Blockieren der Räder des auffahrenden Bundeswehrfahrzeugs gehört habe.
Zwar sei dieses mit einer Antiblockiervorrichtung ausgestattet gewesen. Es dauere
jedoch immer einige Zeit bis das System eingreifen könne, so dass es durchaus zu
einem Blockiergeräusch der vom Zeugen bekundeten Art kommen könne.
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Weiterhin ist nicht erkennbar, dass der Zeuge ein eigenes - z. B. wirtschaftliches
Interesse - am Ausgang des vorliegenden Verfahrens hat. Auch sieht das Gericht
keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger oder ein Dritter Einfluss auf den Zeugen
und sein Aussageverhalten ausgeübt hätte. Das Gericht folgt daher der vom Zeugen C1.
abgegebenen Darstellung des Unfallhergangs.
35
Durchgreifende Zweifel daran, dass der Auffahrunfall nicht auf eine Unterschreitung des
einzuhaltenden Sicherheitsabstandes zurückgeht, sondern auf Unachtsamkeit sowie
verzögertem Reagieren des Klägers auf die gegebene Verkehrssituation beruht,
ergeben sich im Übrigen auch nicht daraus, dass in dem vom zuständigen
Feldjägerkommando aufgenommenen Ermittlungsbericht davon die Rede ist, der Kläger
habe angegeben, den Sicherheitsabstand unterschritten zu haben. Der Kläger hat den
sich hieraus ergebenden vermeintlichen Widerspruch zu seiner eigenen (späteren)
Aussage, wonach der Sicherheitsabstand eingehalten worden sei, im Termin zur
mündlichen Verhandlung durchaus nachvollziehbar damit erklärt, er habe den
Feldjägern gegenüber angegeben, dass der Abstand zu dem vor ihm fahrenden Lkw in
dem Moment, in dem er eine Vollbremsung eingeleitet habe, nicht mehr ausgereicht
habe, um das von ihm geführte Bundeswehrfahrzeug noch zum Stehen zu bringen. Eine
Unterschreitung des Sicherheitsabstandes durch den Kläger wäre ferner auch nicht mit
den glaubhaften Bekundungen des Zeugen C1. in Einklang zu bringen.
36
Ist danach davon auszugehen, dass nicht eine Unterschreitung des notwendigen
Sicherheitsabstandes, sondern ein zu spätes Reagieren des Klägers den Unfall vom 28.
November 2007 verursacht hat, so lässt dies nur den Schluss zu, dass der Kläger -
entgegen seiner sich aus § 1 Abs. 2 StVO ergebenden Pflichten - den Verkehr nicht in
der erforderlichen Weise konzentriert beobachtet hat, um der Verkehrssituation
angemessen Rechnung tragen zu können, und es deshalb zu dem Auffahrunfall
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gekommen ist. Zwar kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger regelrecht
abgelenkt gewesen wäre. So hat er in der mündlichen Verhandlung bekundet, dass es
zu der betreffenden Zeit im Fahrzeuginnenraum keine besonderen Vorkommnisse
gegeben habe. Das Radio sei in Betrieb gewesen, sein Beifahrer habe einige
Unterlagen durchgesehen. Es sei kein Gegenstand heruntergefallen, nach dem er sich
gebückt habe, auch im Übrigen sei nichts geschehen, was ihn abgelenkt habe. Diese
Aussagen sind dem Kläger nicht zu widerlegen, zumal auch der Beifahrer B. in
Vernehmungen durch den Dienstherrn bekundet hat, dass er selbst in Unterlagen
geblättert und auf die Gefahrensituation erst durch die vom Kläger eingeleitete
Vollbremsung aufmerksam geworden sei. Die äußeren Umstände lassen mithin nur den
Schluss zu, dass der Kläger unaufmerksam gewesen ist, hierdurch die gegebene
Verkehrssituation falsch eingeschätzt und sodann erst deutlich zu spät durch Einleitung
einer Vollbremsung reagiert hat. Es wird letztlich auch von ihm selbst nicht in Abrede
gestellt, in dieser Weise eine Pflichtverletzung begangen zu haben. Diese stellt sich
nach Auffassung des Gerichts durchaus als gravierend dar. Zu Recht verweist die
Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 11. Juni 2008 darauf, es sei nur dem an dem
betroffenen Lkw angebrachten Unterfahrschutz zu verdanken, dass es nicht zu
schweren Personenschäden gekommen sei. Sowohl die - zum Teil erhebliche -
Beschädigung der am Unfall beteiligten Fahrzeuge als auch die Gefährdung der
Fahrzeuginsassen wären vermieden worden, wenn der Kläger seine Pflichten aus § 1
Abs. 2 StVO erfüllt und aufmerksam gefahren wäre sowie situationsangemessen
reagiert hätte. Da er dies versäumt hat, liegt objektiv ein Verstoß gegen § 7 SG und
mithin eine Dienstpflichtverletzung im Sinne von § 24 Abs. 1 SG vor.
2. Das Gericht kann jedoch nicht feststellen, dass diese Pflichtverletzung als grob
fahrlässig einzustufen ist.
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Grob fahrlässig handelt nach allgemeinen - auch die Anwendung des § 24 Abs. 1 SG
bestimmenden - Grundsätzen, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt. Ein solcher Fall ist anzunehmen, wenn der Handelnde nicht
beachtet, was im gegebenen Fall jedem - nicht erst nachträglich, sondern schon im
Augenblick der Sorgfaltspflichtverletzung hätte einleuchten müssen, wenn er nur die
einfachsten und naheliegendsten Überlegungen angestellt hätte.
39
Vgl. etwa den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 2006 - 2 B
47/06 - sowie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 24. Mai 2006 - 1 A 5105/04 -, beide abrufbar über juris, jeweils m.w.N.
40
Anders als das Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung ist die Frage, ob ein
Verschulden besonders schwer wiegt, einem Anscheinsbeweis nicht zugänglich.
41
Vgl. Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 29. September 2005 - I-10 U 203/04, 10 U
203/04 -, a.a.O.
42
Legt man den vom Zeugen C1. bekundeten Geschehensablauf zugrunde, so muss der
Kläger rund sieben Sekunden - beginnend mit der Einleitung der Bremsung durch den
vor ihm fahrenden Zeugen - Zeit gehabt haben, um sein Fahrzeug noch rechtzeitig vor
einem drohenden Aufprall auf den vorausfahrenden Lkw zum Stehen zu bringen und auf
diese Weise den Unfall zu vermeiden. Dies ergibt sich aus den Berechnungen des
Sachverständigen H2. , an dessen Sachkunde sowie Unparteilichkeit das Gericht
keinerlei Zweifel hat und dessen Ausführungen ebenso nachvollziehbar wie
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widerspruchsfrei sind. Danach betrug der Bremsweg des vom Zeugen C1. geführten
Lkw 21,48 m. Dieser Weg wurde in einem Zeitraum von 3,09 Sekunden zurückgelegt.
Geht man weiter - im Einklang mit der gutachterlichen Stellungnahme des
Sachverständigen H2. vom 09. Mai 2008 - davon aus, dass das vom Kläger geführte
Fahrzeug mit einer Restgeschwindigkeit von 25 bis 35 km/h auf den Lkw aufgefahren ist
und mithin die Bremszeit des Bundeswehrfahrzeugs bei einer
Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h zwischen 2,20 und 2,67 Sekunden betragen
haben muss, was einem Bremsweg von 10,90 bis 16,03 m entspricht, ist bei einem
Abstand beider Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Stillstandes des Lkw von - nach Angaben
des Zeugen C1. - rund 36 m (vier Fahrzeuglängen zu je 9 m) von einer Gesamtdauer
des Unfallgeschehens vom Beginn des durch den Zeugen eingeleiteten Bremsvorgangs
bis zur Kollision beider Fahrzeuge von etwa 7,10 Sekunden bis 7,20 Sekunden
auszugehen:
(a.) Annahme einer Restgeschwindigkeit von 25 km/h - Abstand (36 m) - Bremsweg des
Bundeswehrfahrzeugs (16,03 m) = 19,97 m - Zeit für das Zurücklegen von 19,97 m bei
einer Geschwindigkeit von 50 km/h = 1,44 Sekunden (13,88 m je Sekunde) -
Bremsdauer des Lkw (3,09 Sekunden) + Zurücklegen von 19,97 m (1,44 Sekunden) +
Bremsdauer des Bundeswehrfahrzeugs (2,67 Sekunden) = 7,20 Sekunden
44
(b.) Annahme einer Restgeschwindigkeit von 35 km/h - Abstand (36 m) - Bremsweg des
Bundeswehrfahrzeugs (10,90 m) = 25,10 m - Zeit für das Zurücklegen von 25,10 m bei
einer Geschwindigkeit von 50 km/h = 1,81 Sekunden - Bremsdauer des Lkw (3,09
Sekunden) + Zurücklegen von 25,10 m (1,81 Sekunden) + Bremsdauer des
Bundeswehrfahrzeugs (2,20 Sekunden) = 7,10 Sekunden
45
Stellt man weiter in Rechnung, dass dem Kläger nach dem Erkennen der Gefahrenlage
und vor der Bremsung seines Fahrzeugs eine Reaktionszeit zuzubilligen ist, die im
Regelfall etwa eine Sekunde beträgt
46
- vgl. etwa Ferner/Kramer, Kommentar zur StVO, Stand: Januar 2009, § 1 Rdnr. 21 -,
47
so ergibt sich, dass der Kläger letztlich nur 3,53 bis 3,90 Sekunden (3,09 + 1,81 - 1,00
Sekunden bzw. 3,09 + 2,20 - 1,00 Sekunden) unachtsam gewesen sein kann und es
deshalb versäumt hat, rechtzeitig auf die gegebene Verkehrsituation zu reagieren. Das
Gericht verkennt dabei einerseits nicht, dass eine Unachtsamkeit von drei bis vier
Sekunden Dauer im Straßenverkehr bereits ein erhebliches Risiko dafür in sich birgt,
dass ein Kraftfahrer nicht mehr angemessen auf eine Gefahrenlage reagieren kann.
Andererseits reicht eine Unachtsamkeit der hier in Rede stehenden Dauer nicht aus, um
bereits für sich genommen den Schluss auf das Vorliegen grober Fahrlässigkeit zu
rechtfertigen. Dies wäre zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nur dann der Fall,
wenn über die bloße, wenige Sekunden dauernde Unachtsamkeit des betreffenden
Kraftfahrers hinaus weitere Umstände hinzukämen, die sein Verhalten als besonders
schwerwiegende Sorgfaltspflichtverletzung erscheinen ließen.
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Vgl. dazu etwa die Urteile des Oberlandesgerichts Rostock vom 26. September 2008 - 5
U 115/08 - juris (fehlerhafte Einschätzung der Geschwindigkeit eines zu überholenden
Lkw auf einer Bundesautobahn über einen Zeitraum von einer Minute), des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. September 2005 - I-10 U 203/04, 10 U 203/04 -,
a.a.O. (überhöhte Geschwindigkeit bei schlechten Sichtverhältnissen), des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. Oktober 2002 - 10 U 184/01 -, NZV 2003, 289 =
49
MDR 2003, 330 (Auffahren bei Geschwindigkeit von 170 km/h und Dunkelheit), des
Oberlandesgerichts Nürnberg vom 06. Oktober 1993 - 4 U 1994/93 -, VersR 1995, 684
(fehlerhafte Einschätzung des Abstands bei beabsichtigtem Überholen über Zeitraum
von 20 Sekunden bis zum Aufprall) und des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11.
Oktober 2001 - 3 K 1659/99 -, juris (Aufheben einer heruntergefallenen Keksdose).
Dass entsprechende Umstände hier vorliegen, ist jedoch gerade nicht feststellbar.
50
Zwar hat der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf
aufmerksam gemacht, dass die vom Kläger vor Erkennen der Gefahrenlage gefahrenen
50 km/h in dem Bereich, der einspurig an der sich etwa 300 bis 400 m vor der
Unfallstelle befindlichen Baustelle vorbeigeführt hat, keine angepasste Geschwindigkeit
mehr dargestellt habe. Es ist aber letztlich nicht nachweisbar, dass der Kläger sich bei
Eintritt der Gefahrensituation, also bei Beginn der Bremsung des vor ihm fahrenden Lkw,
überhaupt noch in dem Baustellenbereich mit einspuriger Verkehrsführung befunden
hat.
51
Eine grob fahrlässig begangene Pflichtverletzung ergäbe sich ferner auch dann nicht,
wenn man davon ausginge, dass der Kläger - wie er erstmals im Beschwerdeverfahren
vorgetragen hat - tatsächlich bereits unmittelbar nach Aufleuchten der Bremslichter des
vor ihm fahrenden Lkw einmal kurz die Bremse des von ihm geführten
Bundeswehrfahrzeugs betätigt hätte. Denn es ist nicht feststellbar, dass sich hierdurch
die dem Kläger zum Anhalten des Fahrzeugs zur Verfügung stehende Zeitdauer in einer
Weise verändert haben würde, dass hieraus bereits für sich genommen ein grob
fahrlässiges Fehlverhalten abgeleitet werden könnte.
52
Im Ergebnis hat der Kläger durch eine als Verstoß gegen § 1 StVO zu wertende
Unachtsamkeit im Straßenverkehr seine ihm nach § 7 SG obliegenden Dienstpflichten
verletzt und hierdurch erhebliche Schäden verursacht. Auch dürfte sein Verhalten -
entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers - nicht mehr nur als
leicht fahrlässig zu qualifizieren, sondern in den Bereich der mittleren Fahrlässigkeit
53
- vgl. hierzu etwa das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24. November 1987 - 8 AZR
524/82 -, BAGE 57, 55 = NJW 1988, 2816 -
54
einzuordnen sein. Eine grobe Fahrlässigkeit kann indessen aus den genannten
Gründen nicht festgestellt werden.
55
II. Besteht danach keine Schadensersatzforderung der Beklagten gegen den Kläger aus
§ 24 SG, so ist es ihr auch versagt eine solche Forderung im Wege der Aufrechnung
(vgl. dazu § 30 Abs. 3 SG i.V.m. § 84 Abs. 2 Bundesbeamtengesetz - BBG -)
durchzusetzen.
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B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
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