Urteil des VG Minden vom 15.09.2010

VG Minden (stadt, verhältnis zwischen, der rat, winterdienst, höhe, allgemeininteresse, kläger, satzung, reinigung, durchgangsverkehr)

Verwaltungsgericht Minden, 3 K 315/09
Datum:
15.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 315/09
Tenor:
Der Bescheid über Grundbesitzabgaben und andere Abgaben des
Beklagten vom 12.01.2009 wird aufgehoben, soweit darin
Straßenreinigungsgebühren für "Winterwartung Stufe 1" festgesetzt
werden. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist
wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor in derselben Höhe
Sicherheit leisten.
Tatbestand:
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Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks F. Straße 305 in I. . Durch Bescheid über
Grundbesitzabgaben und andere Abgaben vom 12.01.2009 wurden sie für das Jahr
2009 u.a. zu Straßenreinigungsgebühren, Winterwartung Stufe 1, i.H.v. 137,16 EUR
herangezogen.
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Dagegen haben die Kläger am 09.02.2009 Klage erhoben. Sie tragen vor, sie hätten mit
ihrer Klage im Verfahren 9 K 219/08, entschieden durch Urteil vom 15.12.2008, bezogen
auf den entsprechenden Streitgegenstand für 2007 Erfolg gehabt. Die der städtischen
Satzung zu Grunde liegende Gebührenkalkulation "Winterdienst 2009" basiere auf dem
Sachstand aus dem September 2008; die Grundsätze des Urteils vom 15.12.2008 seien
nicht beachtet worden. Der in die Kalkulation eingeflossene Anteil der
Verwaltungsfixkosten der Stadt sei ohne Anrechnung eines Öffentlichkeitsanteils auf die
Gebührenzahler umgelegt worden; zudem sei dabei mathematisch unzulässig
aufgerundet worden. Die Wertansätze insbesondere für Personalausgaben und
Verwaltungskosten müssten betriebswirtschaftlich analysiert und kontrolliert werden,
zumal die betriebswirtschaftliche Gesamtleistung von der SWK GmbH erbracht werde.
Bei der Gebührenkalkulation für 2009 sei auch eine in 2007 gebildete Rücklage nicht
aufgelöst worden. Der von der Kostenrechnung der SWK abgezogene Allgemeinanteil
für den Winterdienst von 15 % sei nicht ausreichend.
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Dies gelte gerade in Anbetracht ihres Grundstücks, das an einer stark befahrenen
Landstraße mit überwiegendem Durchgangsverkehr liege.
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Die Kläger beantragen,
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den Bescheid vom 10.01.2009 aufzuheben, soweit darin Winterdienstgebühren
festgesetzt werden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat dem Gericht insbesondere die Vorlagen an den Bau- und Umweltausschuss vom
13.10.2008 und an den Rat der Stadt vom 24.11.2008 zur 28. Satzung zur Änderung der
Straßenreinigungs- und Gebührensatzung mit Anlagen vorgelegt; dazu gehört auch eine
Gebührenkalkulation "Winterdienst 2009". Er trägt vor, für den Winterdienst habe die
Stadt einen Öffentlichkeitsanteil i.H.v. 15 % der Winterdienstfixkosten und der
Winterdiensteinsatzpauschalen berücksichtigt. Es kämen noch verschiedene andere
Kosten hinzu, sodass sich der Öffentlichkeitsanteil schließlich auf 29,71 % der
prognostizierten Gesamtausgaben des Gebührenhaushaltes belaufe. Der
Öffentlichkeitsanteil für Winterdienste sei mit 15 % angesetzt worden, da bei der
Abwägung des Allgemeininteresses und des Individualinteresses des erschlossenen
Grundstückseigentümers zu berücksichtigen sei, dass das erschlossene Grundstück
einen erheblichen Vorteil davon habe, wenn es nahezu jederzeit während des Winters
erreicht werden könne. Die Verschmutzung durch den Durchgangsverkehr werde mit
einem weitaus höheren städtischen Öffentlichkeitsanteil im Fegedienst berücksichtigt.
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Im Jahre 2007 habe sich ein Überschuss von 238.556,52 EUR ergeben. Davon seien
nach Abzug der Unterdeckung aus 2006 206.923,25 EUR in den Gebührenhaushalt
2008 übertragen worden. In Folge der Beitragssenkung, die für 2009 gegenüber 2008
vorgenommen worden sei, werde der erforderliche Ausgleich voraussichtlich erreicht
werden. In der am selben Tage verhandelten Sache 3 K 341/09 ist für den Beklagten
weiter erklärt worden, bei der Gebührenfestsetzung sei durchaus eine Gewichtung des
Allgemeininteresses nach den Winterdienstreinigungsklassen vorgenommen worden;
man sei insofern für die Winterdienststufe 2 von einem Allgemeininteresse von 10 %
ausgegangen und für die Winterdienststufe 1 von einem Anteil von 17,5 %. Außerdem
seien 2009 Winterdienstleistungen im Wert von ca. 55.000,00 EUR für die Reinigung
von Bereichen aufgewendet worden, für die keine Gebühren erhoben werden könnten.
In einem Schriftsatz vom 03.12.2009 im Verfahren 3 K 355/09 ist vorgetragen worden,
bei der Bestimmung des Allgemeinanteils seien Anliegereigenschaft und
Verkehrsrelevanz der betroffenen Straßen im Hinblick auf die Intensität des
Durchgangsverkehrs, die Lage der Ortsteile innerhalb des Stadtgebietes sowie
regionale Standortfaktoren von I. und nicht zuletzt begründete Kostenaspekte
berücksichtigt worden. Mit 15 % stehe der Kostenanteil für die Allgemeinheit nicht im
Widerspruch zu der Verkehrsrelevanz der betroffenen Straßen. Von der Möglichkeit, die
Straßen im Stadtgebiet abhängig von der Intensität des Durchgangsverkehrs in
verschiedene Kategorien einzuteilen und entsprechend eine differenzierte Höhe des
Allgemeinanteils festzusetzen, sei berechtigt kein Gebrauch gemacht worden. Die
pauschal festgesetzte Höhe des Allgemeinanteils sei nicht zu beanstanden, denn
insofern seien Sätze zwischen 10 % und 25 % üblich. Hierzu verweist der Beklagte auf
ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 10.09.2008 - 16 K 4529/07 - zu
einem Fall aus Düsseldorf.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
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Gerichtsakten 3 K 315/09, 3 K 355/09 und 3 K 341/09 sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die angefochtene Gebührenfestsetzung
i.H.v. 137,16 EUR für 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Zur
Klarstellung weist das Gericht darauf hin, dass das Datum des Bescheides im Tenor
richtig angegeben ist. Das abweichende Datum im Antrag geht auf den entsprechenden
Fehler in der Klageschrift zurück.
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Für die Festsetzung der in Rede stehenden Gebühr fehlt es an einer wirksamen
Rechtsgrundlage. § 6 Abs. 4 Ziffer 3 der Satzung über die Straßenreinigung und die
Erhebung von Straßenreinigungsgebühren in der Stadt I. in der Fassung vom
12.12.2008 ist bezogen auf die Gebührenregelung unwirksam. Die für die
Winterwartung festgelegten Gebührensätze verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes und sind deshalb unwirksam.
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In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass es gegen den
Gleichheitssatz verstößt, wenn Kosten der Reinigung von Straßen mit innerörtlichem
und überörtlichem Durchgangsverkehr den Anliegern auferlegt werden, soweit die
Reinigung auch im Interesse der übrigen Straßenbenutzer und damit im
Allgemeininteresse durchgeführt wird.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 07.04.1989 - 8 C 90.87 -, BVerwGE 81, 371; OVG NRW, Urteil
vom 01.06.2007 - 9 A 956/03 -, NWVBl. 2008, 30 bis 31 und EST NW 2008, 120 bis 122.
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Die Festlegung der Höhe des auf das Allgemeininteresse entfallenden Kostenanteils
liegt im Ermessen des Ortsgesetzgebers. Insoweit steht ihm eine weitgehende
Einschätzungsfreiheit zu. Er hat sich bei seiner Entscheidung an den örtlichen
Verhältnissen zu orientieren und insbesondere das Verhältnis zwischen den Straßen
mit ihren je unterschiedlichen Anlieger- bzw. Allgemeininteressen zu berücksichtigen.
Dabei hat er, ohne den Gleichheitssatz zu verletzen, die Wahl: Er kann den von der
gemeindlichen Straßenreinigungseinrichtung im Allgemeininteresse aufgewendeten
Kostenanteil bei der Ermittlung der durch Gebühren zu deckenden Kosten entweder
insgesamt (vorweg) absetzen oder in der Satzung unterschiedliche, je nach
Verkehrsbedeutung (z.B. Anliegerstraßen, innerörtliche Straßen, überörtliche Straßen)
abgestufte Gebührensätze vorsehen.
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So: OVG NRW, a.a.O., RdNr. 24 der bei juris veröffentlichten Fassung.
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Die Stadt I. hat sich ebenso wie der Satzungsgeber in dem vom OVG entschiedenen
Fall für die erste Möglichkeit entschieden. Auch in diesem Fall erfordert Art. 3 Abs. 1 GG,
dass der auf die Interessen der Allgemeinheit entfallende Kostenanteil ermittelt und von
den Gesamtkosten der Straßenreinigung abgesetzt wird (vgl. OVG NRW, a.a.O.,
Rdnr.29). Welche Anforderungen insoweit zu stellen sind, ergibt sich ebenfalls aus dem
Urteil des OVG, dort Rdnr. 31.
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Das Gericht kann jedoch nicht feststellen, dass sie den Anteil des Allgemeininteresses
an der Winterwartung mit 15 % der von der SWK in Rechnung gestellten Kosten
ermessensfehlerfrei ermittelt hat. Dabei geht das Gericht davon aus, dass der
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Ortsgesetzgeber die entsprechende Ermessensentscheidung bei seiner
Beschlussfassung über die Satzungsregelung zu treffen hat. Die Ausübung des
Ermessens ist also grundsätzlich den Verwaltungsvorlagen und ggf. dem Ratsprotokoll
zu der entsprechenden Beschlussfassung zu entnehmen. Wenn es im o.g. Urteil des
OVG NRW vom 01.06.2007 heißt, die Gemeinde habe im gerichtlichen Verfahren die
Höhe des von ihr berücksichtigten Anteils für das Allgemeininteresse plausibel zu
machen, kann es dabei wohl nur noch um eine Erläuterung und Vertiefung der
Argumente und Erwägungen gehen, die beim Ratsbeschluss nachweisbar eine Rolle
gespielt haben. In der Ratsvorlage nebst Anlagen werden in der Gebührenkalkulation
15 % Allgemeinanteil von den Winterdienstfixkosten und der
Winterdiensteinsatzpauschale - nicht aber von den in die Kalkulation einbezogenen
Fixkosten der Stadt I. - abgezogen. In der Vorlage an den Bau- und Umweltausschuss
heißt es dazu, entsprechend einer richterlichen Vorgabe werde erstmalig für beide
Reinigungsarten jeweils ein Allgemeinanteil ausgewiesen, der insgesamt 100.000,00
EUR (nach der Gebührenkalkulation sind es 119.985,93 EUR) betrage und den
allgemeinen Haushalt zusätzlich belaste. Aus diesen Feststellungen kann das Gericht
nicht entnehmen, dass der Rat der Stadt I. eine Abwägung zu der Frage vorgenommen
hat, wie - insbesondere unter Berücksichtigung der in § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 der
Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt vorgenommenen
Aufgabenverteilung - das Allgemeininteresse und das Anliegerinteresse an der
Winterwartung der Straßen der Stadt zu gewichten sind.
Der in der mündlichen Verhandlung erfolgte Hinweis des Beklagten auf
verwaltungsinterne Berechnungen vor der Festlegung des Prozentsatzes von 15 %,
nämlich die Bewertung des Allgemeininteresses für die Straßengruppe der
Winterdienststufe 2 mit 10 % und der Winterdienststufe 1 mit 17,5 %, rechtfertigt keine
andere Beurteilung. Die Ableitung der beiden genannten Zahlen ist nicht
nachvollziehbar dargelegt. Eine Orientierung insbesondere an den
Verkehrsverhältnissen auf den in Rede stehenden Straßen und der Organisation der
Winterwartung in der Stadt ist nicht erkennbar.
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Zur Problematik der Ermittlung des Allgemeinanteils vgl. Wichmann, Straßenreinigung
und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 6. Auflage 2009, RdNr. 353 f., Seite 517;
Brüning in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand Januar 2010, RdNr.
486 a (Kalkulationsmuster Straßenreinigungsgebühren).
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Als Beispiel für eine Ermessensentscheidung, die einer gerichtlichen Überprüfung -
soweit ersichtlich - Stand gehalten hat, kann auch auf das vom Beklagten in das
Verfahren eingeführte Urteil des VG Düsseldorf vom 10.09.2008 - 16 K 4529/07 -, juris,
hingewiesen werden. Dieses Urteil - dort RdNr. 37 - lässt erkennen, dass schon die
Kalkulation so angelegt war, dass sich aus ihr eine an sachgerechten Kriterien
orientierte und hinreichend differenzierte Entscheidung ergab. Bemerkenswert erscheint
es dem Gericht, dass danach jedenfalls damals offenbar in Düsseldorf die Kosten des
Winterdienstes zu 100 % aus den Mitteln des Allgemeinen Haushaltes getragen
wurden.
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Das OVG NRW weist in dem genannten Urteil vom 01.06.2007 wiederholt ausdrücklich
darauf hin, dass es dem Ortsgesetzgeber - mit Hinweis auf den Gleichheitssatz des Art.
3 Abs. 1 GG - ausdrücklich auferlegt worden ist, eigenständige, an den örtlichen
Verhältnissen ausgerichtete Ermittlungen wegen des Abzugsanteils zu treffen (a.a.O.
RdNrn. 35 ff.). Es ist offen, zu welchem Ergebnis solche Feststellungen führen würden.
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U.a. wegen der Funktion der Stadt als Mittelzentrum und des offenbar bisher bereits
übernommenen höheren Allgemeinanteils für den Fegedienst sind gute Argumente für
einen höheren Allgemeinanteil auch beim Winterdienst vorstellbar. Hiervon ausgehend
kann das Gericht auch nicht feststellen, dass hier nur eine geringfügige, im Rahmen der
sogenannten Ergebnisrechtsprechung noch hinnehmbare Überschreitung der
Gebührenbelastung der hier betroffenen Gebührenschuldner vorliegt.
Gegenstand dieser Entscheidung sind die vor Beginn des Jahres 2009 aufgrund einer
Prognoseentscheidung getroffene Gebührenfestlegung in der Satzung und die darauf
beruhende Gebührenfestsetzung. Der tatsächlichen Entwicklung der für den
Winterdienst aufzuwendenden Kosten im Jahre 2009 kam dabei keine Bedeutung zu.
Der Satzungsgeber kann prüfen und entscheiden, ob und wie er diese Umstände bei
den Gebührensätzen für 2011 und 2012, unter Umständen auch noch bei einer
Neufassung für 2009, eventuell auch 2010, berücksichtigen kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20.01.2010 - 9 A 1469/08 - und vom 30.10.2001 - 9 A
3331/01 -.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidungen über die
vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruhen auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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