Urteil des VG Minden vom 16.12.2010

VG Minden (öffentliche sicherheit, feuerwehr, kommentar, brandschutz, interesse, rauch, auflage, feuer, gebäude, erlass)

Verwaltungsgericht Minden, 9 K 1694/09
Datum:
16.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 1694/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor einer
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin wendet sich gegen besondere Brandschutzanforderungen des Beklagten
in der ihr erteilten Baugenehmigung für einen Lebensmittelmarkt mit einer
Dachkonstruktion aus Nagelplattenbindern.
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Die Klägerin hat auf dem Grundstück F. , Gemarkung B. , Flur 5, Flurstücke 611, 779,
809, 810 (C.------straße 54) einen Lebensmittelmarkt (Q. -Markt) mit Stehcafé errichtet,
der inzwischen fertiggestellt und eröffnet worden ist. Der Lebensmittelmarkt hat eine
Verkaufsfläche von 796,75 m², das benachbarte Stehcafé ist 34,93 m² groß. Das
ebenerdige Gebäude weist eine Dachkonstruktion mit Nagelplattenbindern auf.
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Für das Bauvorhaben stellte die Klägerin am 04.03.2009 einen Bauantrag und legte
unter dem 06.03.2009 ein Brandschutzkonzept vor. Das Vorhaben genehmigte der
Beklagte mit Bescheid vom 10.06.2009. Die Baugenehmigung enthält
Nebenbestimmungen u.a. zum Brandschutz. So lauten die Nebenbestimmungen BSM 1
und BSM 2:
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"BSM 1: Der (als Anlage beiliegende) Erlass des Bauministeriums zum Thema
"Dachkonstruktion aus Nagelplattenbinder ohne Brandschutzanforderungen nach der
BauO NRW" vom 28.08.2008 ist für den statischen Nachweis sowie für die Errichtung
der Dachkonstruktion aus Nagelplattenbindern zu berücksichtigen bzw. entsprechend
umzusetzen. Hierfür ist entweder der statische Nachweis entsprechend zu erbringen
oder es sind ausreichend Lüftungsziegel bzw. Wärmeabzugsflächen herzustellen (§ 54
Abs. 2 BauO NRW).
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BSM 2: Da es nicht Aufgabe der Feuerwehr ist, brandschutztechnische
Unzulänglichkeiten zu kompensieren (Inbetriebnahme von Überdrucklüftern zur
Ermöglichung der Entrauchung, damit wirksame Löscharbeiten durchgeführt werden
können / § 17 Abs. 1 BauO NRW), ist für den Verkaufsraum eine ausreichende
Rauchabzugsmöglichkeit baulich zu schaffen (§ 48 Abs. 2 BauO NRW / ... dass die
Räume ausreichend ... belüftet werden können ... sowie § 54 Abs. 2 Nr. 9 BauO NRW /
... können zur Verwirklichung der allgemeinen Anforderungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1
(BauO NRW) besondere Anforderungen gestellt werden ... ... insbesondere ... ... die
Lüftung ..."
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Hier kommen außer den in dem Brandschutzkonzept theoretisch genannten
Rauchabzugsvarianten (Gem. DIN 18232 T.2) auch zwei weitere weitaus
kostengünstiger(e) und schon oft praktizierte Möglichkeiten in Betracht:
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a) z.B. analog der IndBauR Nr. 5.6.1 (auch gem. der IndBauR dienen die
Rauchabzugsanlagen primär der Ermöglichung der wirksamen Löscharbeiten durch die
Feuerwehr, um einen Brandherd lokalisieren zu können) werden mind. 2 % Wand-
und/oder Deckenöffnungen, bezogen auf die jeweilige Grundfläche, geschaffen, die
eine Rauchableitung ins Freie ermöglichen.
8
b) z.B. Installation eines oder mehrerer Brandgasventilatoren, ausgelegt für einen mind.
10-fachen Luftwechsel in dem Verkaufsraum, Stromerzeugung z.B. mind. über eine
Parallelabnahme an der Hauptverteilung mit eigener Absicherung (FI), Ansteuerung
mind. über einen Rauchabzugstaster im Ladenhaupteingangsbereich (Auslösung des
Ventilatoren sowie Zuluftsicherung durch Türenaufstellung durch die Feuerwehr, besser
automatische Auslösung der Rauchgasventilatoren sowie automatische Öffnung der
Zuluftflächen (Türen) mittels zu installierender Rauchmelder, Kabeltrasse im
Ladenbereich als E-30 Verkabelung, oberhalb der Decke (F 0) nur das Kabel selbst
(nicht die Befestigung) als E-30."
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Gegen diese Brandschutzbestimmungen in der Baugenehmigung erhob die Klägerin
am 09.07.2009 zunächst Anfechtungsklage und hat zur Begründung vorgetragen: Der
Beklagte stelle zu Unrecht weitere Brandschutzanforderungen an das Bauvorhaben, die
über das Brandschutzkonzept hinausgingen. Gutachterlich sei belegt worden, dass die
bauordnungsrechtlichen Anforderungen an die Nagelplattenbinderkonstruktion erfüllt
worden seien. Ein daneben bestehendes Brandschutzziel lasse sich mit einer sicheren
und schnellen Räumung des Gebäudes sowie einer frühzeitigen Branderkennung und
Alarmierung der Gebäudenutzer (und somit auch der Feuerwehr) gewährleisten. Wenn
das Schutzziel Menschenrettung erreicht sei, sei ein Innenangriff der Feuerwehr nicht
mehr erforderlich und das Gebäude könne kontrolliert abbrennen. Da der Schutz des
Gebäudes nicht im Vordergrund stehe, dürften auch keine besonderen Anforderungen
an die Standsicherheit gestellt werden. Die Forderung einer Rauchabzugsanlage, die
nur mit einem hohen konstruktiven und technischen Aufwand zu verwirklichen sei, stehe
in keinem angemessenen Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen der Anlage. Durch die
kurzen Rettungswege und die vorgesehene flächendeckende Überwachung des
Dachraums sei die Selbstrettung der sich in dem Verkaufsraum aufhaltenden Personen
bei einem Brand im Dachhohlraum sichergestellt. Weitergehende
Brandschutzanforderungen seien möglicherweise aus der Sicht des Beklagten sinnvoll,
hätten aber keine Rechtsgrundlage in der BauO NRW.
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Anlässlich einer Besichtigung der abschließenden Fertigstellung des Marktes am
07.12.2009 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin die Brandschutzforderungen
BSM 1 und BSM 2 umgesetzt hat und diesbezüglich keine weiteren Forderungen
bestehen.
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Hierzu trägt die Klägerin ergänzend vor, die Nebenbestimmungen hätten sich mit ihrer
Erfüllung erledigt. Sie habe ein rechtliches Interesse an der Feststellung der
Rechtswidrigkeit der Brandschutzanforderungen für einen Schadensersatzanspruch
gegen den Beklagten. Außerdem plane die Klägerin vergleichbare Bauvorhaben mit
Nagelplattenbindern in Nordrhein-Westfalen und müsse auch dort mit entsprechenden
Auflagen rechnen. Eine isolierte Anfechtung der Nebenbestimmungen sei nicht möglich,
da es sich um sogenannte modifizierende Auflagen handele.
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Die Klägerin beantragt nunmehr,
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festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet war, ihr die beantragte Baugenehmigung
ohne die Nebenbestimmungen - Brandschutz - BSM 1, BSM 2 - eingeschlossen die
Buchstaben a) und b) - zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er macht geltend, die Fortsetzungsfeststellungsklage sei mangels
Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. In der Sache sei es zulässig, über die
Festlegungen in den Bauvorlagen und in dem Brandschutzkonzept hinausgehende
Anforderungen zu stellen, um die Schutzziele des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 BauO
NRW zu erfüllen. Die Klägerin habe die Forderungen des § 17 Abs. 1 BauO NRW nur
im Hinblick auf die Vorbeugung der Entstehung eines Brandes und die Rettung von
Menschen nachgewiesen und den Bereich der ebenfalls erforderlichen Ermöglichung
der wirksamen Löscharbeiten sowie der Vorbeugung der Ausbreitung von Feuer und
Rauch nicht behandelt. Diesen Schutzzielen laufe das vorgelegte Brandschutzkonzept
mit seiner Festlegung zuwider, dass die Feuerwehr im Brandfall die Verkaufshalle des
Discounters kontrolliert abbrennen lassen solle. Der Erlass des Bauministeriums
beschreibe mehrere Möglichkeiten, Nagelplattenbinderkonstruktionen auch ohne
nachgewiesenen Feuerwiderstand genehmigen und ausführen zu können. Zur
Verhinderung des vorzeitigen Totaleinsturzes, einer kinematischen Kette, sei das
statische System durch zusätzliche Maßnahmen sicherzustellen, so dass das Gebäude
während der Entstehungsphase eines Brandes für einen Innenangriff noch betreten
werden könne. Ein Innenangriff erfordere zudem, dass das Gebäude zu entrauchen sei,
damit der Brandherd lokalisiert werden könne.
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Mit Schreiben vom 22.11.2010 hat der Beklagte die Nebenbestimmung BSM 1
konkretisiert. Nach der Regelung BSM 1 Satz 2 ist demnach entweder der statische
Nachweis entsprechend zu erbringen oder es sind ausreichend Lüftungsziegel bzw.
Wärmeabzugsflächen herzustellen (§ 54 Abs. 2 BauO NRW), wobei die Öffnungen
bezogen auf die Grundfläche, hier Deckenfläche, mindestens 1 % betragen müssen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
19
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage hat keinen Erfolg.
21
Mit dem zuletzt in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag,
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festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet war, der Klägerin die beantragte
Baugenehmigung ohne die Nebenbestimmungen - Brandschutz - BSM 1, BSM 2 -
eingeschlossen die Buchstaben a) und b) - zu erteilen,
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handelt es sich bei dem Begehren der Klägerin um eine Fortsetzungsfeststellungsklage.
Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht für den Fall, dass sich der
angegriffene Verwaltungsakt erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der
Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an
dieser Feststellung hat. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im Falle der Erledigung eines
Verpflichtungsbegehrens in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO
statthaft.
24
Vgl. BVerwG, Urteile vom 24.01.1992 - 7 C 24.91 -, BVerwGE 89, 354 und vom
29.04.1992 - 4 C 29.90 -, DVBl 1992, 1230.
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Danach ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, wenn die ursprüngliche
Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein
klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und ein Feststellungsinteresse vorliegt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14/96 -, BVerwGE 106, 295.
27
Bei den Brandschutzbestimmungen BSM 1 und BSM 2 handelt es sich nicht um
Auflagen im Sinne von § 36 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW - VwVfG NRW -,
die isoliert angefochten und aufgehoben werden können, sondern um Regelungen des
Inhalts der Baugenehmigung vom 10.06.2009. Sie sind notwendige
Brandschutzbestimmungen und damit integraler Bestandteil der Baugenehmigung
gewesen, ohne die nach Auffassung des Beklagten die Baufreigabe für den
Lebensmittelmarkt nicht hätte erteilt werden können. In diesem Fall kann die Klage in
zulässiger Weise nur auf die Verpflichtung zur Erteilung einer anderen Genehmigung -
vorliegend einer Baugenehmigung ohne die besonderen Brandschutzanforderungen
BSM 1 und BSM 2 - gerichtet werden.
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Vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 18.09.2002 - 1 LB 2855/01 -, BRS 65 Nr. 138;
Eyermann, VwGO, Kommentar 13. Auflage 2010, § 42, Rdnr. 42.
29
Anders als die zunächst erklärte Umstellung der Anfechtungsklage in eine
Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist die dann in der
Annahme eines erledigten Verpflichtungsbegehrens erfolgte Änderung in eine
Verpflichtungsfortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog
als Klageänderung anzusehen. Gemäß § 91 Abs. 1 VwGO ist eine Änderung der Klage
zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für
sachdienlich hält. Der Beklagte hat der Klageänderung zwar nicht zugestimmt. Sie ist
jedoch wegen Sachdienlichkeit zuzulassen. Die Klageänderung trägt dem Umstand
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Rechnung, dass die Brandschutzbestimmungen BSM 1 und BSM 2 als modifizierende
Auflagen aus rechtlichen Gründen nicht isoliert angefochten werden können. Durch die
Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage in der Situation der
Verpflichtungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) ändert sich der Klagegrund und
die eigentliche Beurteilungsgrundlage für die Frage der Rechtmäßigkeit der
Brandschutzanforderungen an das Vorhaben der Klägerin nicht wesentlich und die
Klageänderung fördert die endgültige Beilegung des Streites.
Vgl. zur Sachdienlichkeit BVerwG, Urteil vom 24.01.1992 - 7 C 24.91 -, BVerwGE 89,
354; Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar 16. Auflage 2009, § 91, Rdnr. 19.
31
Das frühere Klagebegehren - so zu verstehen als die Verpflichtung des Beklagten auf
Erteilung der Baugenehmigung für den Lebensmittelmarkt ohne die
Brandschutzauflagen BSM 1 und BSM 2 - hat sich zwischenzeitlich erledigt. In der
Verpflichtungssituation tritt die Erledigung dann ein, wenn die erstrebte Verpflichtung
durch das Gericht wegen veränderter Umstände oder einer veränderten Rechtslage
nicht mehr möglich oder sinnvoll ist und die Klage daher wegen fehlenden
Rechtsschutzinteresses als unzulässig abgewiesen werden müsste.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.04.1994 - 11 C 60/92 -, DVBl 1994,1192; Eyermann, VwGO,
Kommentar 13. Auflage 2010, § 113, Rdnr. 100.
33
Die Klägerin ist inzwischen bei der Errichtung des Lebensmittelmarktes den
Brandschutzforderungen des Beklagten unter dem Druck einer termingerechten
Vertragserfüllung nachgekommen. Weder hat sie nach Fertigstellung des Marktes ein
Interesse an einer Baugenehmigung ohne die Auflagen noch will bzw. kann sie den
Vollzug der Brandschutzforderungen des Beklagten rückgängig machen.
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Das weiterhin erforderliche Feststellungsinteresse kann sich hier aus der Möglichkeit
der Wiederholungsgefahr oder aufgrund eines Schadensersatzanspruchs gegen den
Beklagten ergeben. Das berechtigte Interesse wegen Wiederholungsgefahr setzt
voraus, dass auch in Zukunft unter im Wesentlichen unveränderten Umständen die
hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt
ergehen wird.
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Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar 16. Auflage 2010, § 113, Rdnr. 141.
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Das kann hier nicht festgestellt werden. Die Klägerin hat zwar dargelegt, dass sie auch
in Zukunft aufgrund standardisierter Baupläne vergleichbare bzw. gleiche
Lebensmittelmärkte in Nordrhein-Westfalen bauen wird. Dies bedeutet aber noch nicht
hinreichend konkret, dass der Bau eines weiteren Lebensmittelmarktes gerade im
Zuständigkeitsbereich des Beklagten in absehbarer Zeit bevorsteht. Auch werden
andere Bauaufsichtsbehörden durch die vorliegende Entscheidung des Beklagten zum
Brandschutz in ihrer Genehmigungspraxis nicht gebunden.
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Hinsichtlich einer Fortsetzungsfeststellungsklage, mit der die Feststellung der
Rechtswidrigkeit einer Amtshandlung im Hinblick auf einen in Aussicht genommenen
Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess begehrt wird, fehlt das berechtigte
Interesse, wenn der Prozess offensichtlich aussichtslos ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1972 - 4 C 18.71 -; Urteil vom 14.01.1980 - 7 C 92.79 -;
39
Urteil vom 09.10.1984 - 1 C 22.83 -; Urteil vom 15.11.1984 - 2 C 56.81 -; Urteil vom
17.10.1985 - 2 C 42.83 -; Urteil vom 18.10.1985 - 4 C 21.80 -; OVG NRW, Beschluss
vom 23.01.2003 - 13 A 4859/00 -, NVwZ-RR 2003, 696.
Die Klägerin hat schon nicht substantiiert geltend gemacht, dass ihr durch die
Brandschutzanforderung BSM 1 ein Schaden im Sinne eines (finanziellen)
Mehraufwandes entstanden ist. Der von ihr vorgelegte Prüfbericht der KLW Ingenieure
GmbH vom 30.11.2009 kommt zu dem Ergebnis, dass die in ihrem Brandschutzkonzept
vom 06.03.2009 beschriebenen konstruktiven Randbedingungen bereits den Vorgaben
des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen zu
Dachkonstruktionen aus Nagelplattenbindern ohne Brandschutzanforderungen nach der
Landesbauordnung NRW entsprachen. Aufgrund dieses Prüfberichts kommt der
Beklagte mit Schreiben vom 11.01.2010 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die
konstruktiven Anforderungen an die Dachkonstruktion aus Nagelplattenbindern von der
Klägerin berücksichtigt worden sind (vgl. Bl. 74 der Gerichtsakte). Demnach hat der
Beklagte mit seiner Forderung BSM 1 offenbar keine solchen zusätzlichen
Brandschutzanforderungen an die Dachkonstruktion des Lebensmittelmarktes gestellt,
die nicht schon nach dem eigenen, zur Genehmigung gestellten Brandschutzkonzept
der Klägerin verwirklicht werden sollten.
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Das Bestehen eines Feststellungsinteresses bedarf aber keiner weiteren Vertiefung,
weil die Fortsetzungsfeststellungsklage jedenfalls unbegründet ist. Dass der Beklagte
mit den Nebenbestimmungen BSM 1 und BSM 2 besondere Brandschutzanforderungen
an das Bauvorhaben der Klägerin gestellt hat, war rechtmäßig und verletzte die Klägerin
nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog. Die Klägerin hatte keinen
Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Lebensmittelmarkt ohne die
Nebenbestimmungen BSM 1 und BSM 2, da dem beantragten Vorhaben ansonsten
öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegengestanden hätten.
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Gemäß § 75 Abs. 1 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen - BauO NRW -
die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften
nicht entgegenstehen. Nach § 3 Abs. 1 BauO NRW sind bauliche Anlagen sowie
andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW so
anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen
Lebensgrundlagen nicht gefährdet wird. Insoweit bestimmt § 17 Abs. 1 BauO NRW,
dass bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs.
1 Satz 2 unter Berücksichtigung insbesondere der Brennbarkeit der Baustoffe, der
Feuerwiderstandsdauer der Bauteile, ausgedrückt in Feuerwiderstandsklassen, der
Dichtheit der Verschlüsse von Öffnungen, der Anordnung von Rettungswegen so
beschaffen sind, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer
und Rauch vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren
sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.
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Die brandschutzrechtlichen Anforderungen werden dabei in den §§ 29 ff. BauO NRW
konkretisiert. Mangels eines entsprechenden Regelungsgegenstandes sind diese hier
nicht die Rechtsgrundlage für den vom Beklagten geforderten Brandschutz.
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Die Brandschutzbestimmungen BSM 1 und BSM 2 können jedoch auf § 54 Abs. 1 Satz
1 BauO NRW gestützt werden. Danach können für bauliche Anlagen und Räume
besonderer Art oder Nutzung (Sonderbauten) im Einzelfall zur Verwirklichung der
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allgemeinen Anforderungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 besondere Anforderungen gestellt
werden. Die Anforderungen nach § 54 Abs. 1 BauO NRW können sich insbesondere auf
Brandschutzeinrichtungen und Brandschutzvorkehrungen erstrecken, § 54 Abs. 2 Nr. 5
BauO NRW. Dabei kann es sich um Feuermelder, Feuerlöscher, Hydranten,
Sprinkleranlagen, Rauchmeldeanlagen, Sicherung einer "rauchfreien Schicht" über
einen bestimmten Zeitraum o. Ä. handeln.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.01.2008 - 10 A 1277/07 -, BRS 73 Nr. 190;
Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Kommentar, Loseblatt Stand 01.08.2010, §
54, Rdnr. 46.
45
Bei dem beantragten Lebensmittelmarkt handelt es sich um eine bauliche Anlage
besonderer Art (Sonderbau). Gemäß § 54 Abs. 3 BauO NRW gelten die Vorschriften der
Absätze 1 und 2 insbesondere für die in § 68 Abs. 1 Satz 3 aufgeführten Vorhaben. Das
sind u.a. gemäß § 68 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 BauO NRW Verkaufsstätten mit mehr als 700
m² Verkaufsfläche. Mit knapp 800 m² überschreitet der Markt der Klägerin diese Grenze.
46
§ 54 Abs. 1 BauO NRW eröffnet der Bauaufsicht einen gerichtlich nur beschränkt
kontrollierbaren Ermessenspielraum für den Erlass besonderer Anforderungen an
bauliche Anlagen. Bei der Ausübung ihres Ermessens kann der Beklagte hier allerdings
nicht unmittelbar die Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau -
IndBauR - als technisches Regelwerk zugrundelegen. Die Industriebaurichtlinie ist dem
Wortlaut nach nicht anwendbar, da sie nach Ziffer 2 für Industriebauten gilt.
Industriebauten sind nach Ziffer 3 der IndBauR Gebäude oder Gebäudeteile im Bereich
der Industrie und des Gewerbes, die der Produktion (Herstellung, Behandlung,
Verwertung, Verteilung) oder Lagerung von Produkten oder Gütern dienen. Hierunter
fällt die Verkaufsstätte der Klägerin nicht. Für diese ist auch nicht die Verordnung über
Bau und Betrieb von Sonderbauten - Sonderbauverordnung - SBauVO - vom
17.11.2009 einschlägig. Gemäß § 59 SBauVO gelten ihre Vorschriften für
Verkaufsstätten, deren Verkaufsräume und Ladenstraßen einschließlich ihrer Bauteile
eine Fläche von insgesamt mehr als 2.000 m² haben. Der Lebensmittelmarkt der
Klägerin erreicht diese Größe nicht.
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Mangels einer einschlägigen Vorschrift in der Bauordnung NRW oder in einer
Sonderbauverordnung ermächtigt letztlich § 54 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW die
Bauaufsichtsbehörden, an baulichen Anlagen besonderer Art oder Nutzung im Einzelfall
besondere Anforderungen zu stellen, um in Verwirklichung der allgemeinen
Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW und unter Berücksichtigung der
allgemeinen materiellen Anforderungen der Bauordnung NRW Gefahren für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verhindern.
48
Vgl. Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, Kommentar, 11. Auflage 2008, § 54,
Rdnr. 15.
49
Mit dem Erlass der Brandschutzanforderung BSM 1 in der Baugenehmigung vom
10.06.2009 hat der Beklagte das ihm gemäß § 54 Abs. 1 Satz1 BauO NRW eingeräumte
Ermessen zur Gefahrenabwehr nicht fehlerhaft ausgeübt.
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An die Dachkonstruktionen von Verkaufsstätten werden nach der Bauordnung NRW
keine Anforderungen hinsichtlich der Feuerwiderstandsfähigkeit gestellt. Typisch für
Discountmärkte wie den der Klägerin ist ein flach geneigtes Dach mit harter Bedachung,
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das ohne weitere Stützen auf den Außenwänden lagert. Die Dachkonstruktion besteht
aus sägerauem Bauholz, das mit Nagelplatten miteinander verbunden wird. Der Dach-
und der Verkaufsraum ist mit einer abgehängten Zwischendecke abgetrennt. Die
gesamte Dachkonstruktion mit der Zwischendecke und den Deckendurchbrüchen für die
Technik weist keinen Brandwiderstand auf (Brandklasse F0). Eine solche
Dachkonstruktion mit Nagelplattenbindern weist ein problematisches Brandverhalten
auf. Bei einer statischen Auslastung der Nagelplatten und der Holzbauteile mit mehr als
90 % ist bei einem Versagen eines Nagelplattenbinders keine Lastumlagerung möglich.
Brennt der Dachraum, stauen sich die heißen Brandgase wegen fehlender Rauch- und
Wärmeabzüge und heizen die Bauteile auf, so dass deren Tragevermögen und
Standfestigkeit vermindert werden. Aufgrund der geringen Bauteildicke der Nagelplatten
und der hohen Wärmeleitfähigkeit von Stahl unterliegen die außenliegenden
Stahlbleche schon kurz nach der Entstehung des Brandes einem hohen
Temperaturanstieg, der zu einer Verkohlung des Holzes an den Kontaktstellen führen
kann. Ist die statische Auslastung zu hoch, stürzt die gesamte Dachkonstruktion
vorzeitig und schlagartig ein, sobald nur ein einziger Nagelplattenbinder versagt (sog.
kinematische Kette).
Die Gefahr der kinematischen Kette ist nach der im Erlass des Ministeriums für Bauen
und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen "Dachkonstruktionen aus
Nagelplattenbindern ohne Brandschutzanforderungen nach der Landesbauordnung
NRW" vom 28.08.2008 genannten DIN 1055-100:2001-03 "Grundlagen der
Tragwerksplanung, Sicherheitskonzept und Bemessungsregeln" durch einen
entsprechenden Nachweis der Tragwerksicherheit auszuschließen. Dort ist in Abschnitt
4.1 Abs. 3 ausgeführt, dass die mögliche Schädigung (des Tragwerks) durch die
angemessene Wahl einer oder mehrerer der folgenden Maßnahmen begrenzt oder
vermieden werden muss: - Verhinderung, Ausschaltung oder Minderung der
Gefährdung, denen das Tragwerk ausgesetzt ist, - Wahl eines Tragsystems, das eine
geringere Anfälligkeit gegen die hier betrachteten Gefährdungen aufweist, - Wahl eines
Systems oder einer baulichen Durchbildung derart, dass der zufällige Ausfall eines
einzelnen Bauteils oder eines begrenzten Teils des Tragwerks bzw. das Auftreten
hinnehmbarer örtlicher Schädigungen nicht zum Versagen des Gesamttragwerks führt, -
Anwendung von Tragsystemen, die mit Vorankündigung versagen, - Herstellung
tragfähiger Verbindungen der Bauteile untereinander.
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Welche der zusätzlichen vorbeugenden Maßnahmen, wie z.B. Maßnahmen zur
Erhöhung des Feuerwiderstandes oder Maßnahmen zur Schaffung von Reserven in der
Konstruktion, in der Praxis gewählt werden, liegt in der Verantwortung des
Tragwerksplaners. Jedenfalls gilt mit der DIN 1055-100:2001-03 als Grundsatz für alle
Bauarten, dass der Ausfall eines einzelnen Dachbinders im Brandfall nicht zum
Totaleinsturz des gesamten Daches führen darf. Dieser Grundsatz ist mit der
bauaufsichtlichen Einführung der DIN 1055-100:2001-03 "Grundlagen der
Tragwerksplanung, Sicherheitskonzept und Bemessungsregeln" bereits als allgemein
anerkannte Regel der Technik zu beachten, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW.
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Hiervon kann mit dem Brandschutzkonzept der Klägerin vom 06.03.2009 nicht
abgewichen werden. Das Brandschutzkonzept geht zwar davon aus, dass die
Vermeidung einer kinematischen Kette nicht dem vorbeugenden, sondern dem
konstruktiven Brandschutz zuzuordnen ist. Es wird jedoch auch in der Anlage 2, Kapitel
3.3 ausdrücklich darauf hingewiesen, "dass für alle baulichen Anlagen Nachweise für
die Standsicherheit einschließlich der Feuerwiderstandsdauer tragender Bauteile (bzw.
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des Nachweises, dass das Versagen eines Dachbinders durch Brandeinwirkung in der
Phase der Brandentwicklung nicht zum Totaleinsturz eines Daches bereits deutlich vor
der Phase des Vollbrandes führt) von hierzu berechtigten Personen aufzustellen oder
nach Prüfung auf Einhaltung der bauaufsichtlichen Anforderungen durch
Sachverständige (Prüfingenieure) zu bescheinigen sind" (vgl. S. 99 der Beiakte Nr. 2).
Ein Mehr gegenüber diesen Ausführungen im Brandschutzkonzept der Klägerin im
Hinblick auf die Problematik einer kinematischen Kette hat der Beklagte mit seiner
Nebenbestimmung BSM 1 Satz 2 1. Alternative, einen Nachweis der Tragwerksicherheit
in den Bauvorlagen und bei der Errichtung der Dachkonstruktion zu erbringen, auch
nicht gefordert.
Soweit der Beklagte in der Nebenbestimmung BSM 1 Satz 2 alternativ bestimmt hat,
dass ausreichend Lüftungsziegel bzw. Wärmeabzugsflächen herzustellen sind (§ 54
Abs. 2 BauO NRW), wobei die Öffnungen bezogen auf die Grundfläche, hier
Deckenfläche, mindestens 1 % betragen müssen, betrifft dies überhaupt nur den Fall,
dass die Tragwerksicherheit in den Bauvorlagen nach der DIN 1055-100:2001-03 nicht
ausreichend nachgewiesen worden ist.
55
So auch der Erlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-
Westfalen "Dachkonstruktionen aus Nagelplattenbindern ohne
Brandschutzanforderungen nach der Landesbauordnung NRW vom 28.08.2008, S. 2.
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Für diesen Fall ist die Nebenbestimmung BSM 1 Satz 2 2. Alternative als besondere
Brandschutzanforderung an die Dachkonstruktion aus Nagelplattenbindern gemäß § 54
Abs. 1 BauO NRW zulässig. Die mit dem Einbau von Lüftungsziegeln bzw.
Wärmeabzugsflächen verbundene Wärme- und Druckentlastung ist ein geeignetes
Mittel, um ein Versagen des Gesamtdachtragwerks über einen gewissen Zeitraum zu
verhindern. Anderenfalls bilden sich bei einem Brand im Dachraum des
Lebensmittelmarktes unverbrannte Pyrolyseprodukte, die sich mangels einer Abführung
nach außen explosionsartig entzünden können (sog. Flash-over) oder die mit dem damit
verbundenen Temperaturanstieg im Dachraum zu einer Verformung der Nagelplatten
und zu einer Gefährdung der Tragwerkskonstruktion führen. Durch eine angemessene
Dauer der Standsicherheit im Brandfall (vgl. § 15 BauO NRW) wird den Nutzern die
Möglichkeit gegeben, sich aus dem Gebäude zu entfernen, und die mit der Löschung
und Personenrettung befasste Feuerwehr geschützt. Wirksame Löscharbeiten im Sinne
von § 17 Abs. 1 BauO NRW werden so durch die hinreichende Standsicherheit der
Dachkonstruktion im Brandfall erst ermöglicht.
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Die Voraussetzungen für die in BSM 2 geforderte Brandschutzvorkehrung, eine
ausreichende Rauchabzugsmöglichkeit für den Verkaufsraum zu schaffen, sind
ebenfalls gegeben. Danach kommt für eine Entrauchung des Verkaufsraums neben
einer Rauchabzugsanlage nach der DIN 18232, Teil 2, auch die Schaffung von
mindestens 2 % Wand- und/oder Deckenöffnungen, die eine Rauchableitung ins Freie
ermöglichen (BSM 2 a), oder auch die Installation eines oder mehrerer
Brandgasventilatoren, ausgelegt für einen mindestens 10-fachen Luftwechsel in dem
Verkaufsraum (BSM 2 b), in Betracht. Diese besondere brandschutzrechtliche
Anforderung hat sich an den Brandschutzzielen des § 17 Abs. 1 BauO NRW zu
orientieren, wonach der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und
Rauch vorgebeugt werden muss und bei einem Brand die Rettung von Menschen und
Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sein müssen. Diese Schutzziele müssen
verwirklicht werden, um von einer ausreichenden Sicherheit im Brandfalle für die Nutzer
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baulicher Anlagen ausgehen zu können.
Vgl. Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, Kommentar, 11. Auflage 2008, § 17,
Rdnr. 2.
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Der Klägerin ist mit ihrem Brandschutzkonzept darin zu folgen, dass eine Entrauchung
des Verkaufsraums für die Rettung von Menschen, die in dem Lebensmittelmarkt
einkaufen oder arbeiten, regelmäßig nicht erforderlich ist. Das Schutzziel
Menschenrettung wird bereits dadurch erreicht, dass durch die Ausbildung von kurzen
Rettungswegen - hier von maximal 25 m - in Verbindung mit einer flächendeckenden
Überwachung des Dachraums durch automatische Rauchmelder die Selbstrettung der
im Verkaufsraum befindlichen Menschen sichergestellt ist, so dass es in aller Regel
nicht der Mitwirkung der Feuerwehr bedarf.
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Vgl. hierzu auch die Grundsätze zur Auslegung des § 14 MBO der Fachkommission
Bauaufsicht der Bauministerkonferenz (ARGEBAU) abgestimmt mit dem AK
Grundsatzfragen und dem AK VB/G der AGBF vom 16./17.10.2008; Helm, Beitrag und
weitere Stellungnahmen zum Brennpunkt "Wie sicher sind Dächer aus
Nagelplattenbindern?, Feuertrutz Magazin, 3.2009.
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Die geforderte Rauchabzugsmöglichkeit im Verkaufsraum verlängert auch nicht die
Standzeit von Gebäudekonstruktionsteilen, hier des Daches aus einer
Nagelplattenbinderkonstruktion. Denn anders als die auf dem Dach des
Lebensmittelmarktes eingebauten Lüftungsziegel oder Wärmeabzüge führt eine
Rauchabzugsanlage im Verkaufsraum nicht zu einer Wärme- und Druckentlastung im
Dachraum. Durch sie wird auch keine raucharme Schicht nach der DIN 18232, Teil 2,
erreicht.
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Die vom Beklagten für den Verkaufsraum geforderte Rauchabzugsmöglichkeit führt aber
zu einer Verbesserung der Sichtbedingungen für die Feuerwehr bei den Löscharbeiten.
Durch die Verdünnung der Rauchgase wird die Feuerwehr in die Lage versetzt, den
Entstehungsort eines Brandes im Verkaufsraum lokalisieren und diesen zumindest in
der Entstehungsphase noch mit einem Innenangriff bekämpfen zu können. Diese
Forderung ist in der Zusammenschau mit der Brandschutzanforderung BSM 1 des
Beklagten schlüssig. Dadurch, dass der Gefahr des vorzeitigen Totaleinsturzes des
Daches begegnet wird und dass durch die Rauchabzugsmöglichkeit im Verkaufsraum
ein Entstehungsbrand lokalisiert werden kann, wird ein Innenangriff für die Feuerwehr
erst kalkulierbar. Nimmt die Feuerwehr noch in der Entstehungsphase einen
Innenangriff vor, so kann der Brandherd im Verkaufsraum noch eingedämmt und
gelöscht werden. Der Innenangriff wird hingegen zum Schutz der Feuerwehrleute
unterbleiben, wenn der Brand aufgrund mangelnder Sichtverhältnisse im Verkaufsraum
nicht lokalisiert und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Dach bereits
Feuer gefangen hat und ein Vollbrand des Gebäudes vorliegt. Wenn aber mit § 17 Abs.
1 BauO NRW die Ausbreitung von Feuer und Rauch verhindert sowie wirksame
Löscharbeiten ermöglicht werden sollen, kann bei der Eindämmung eines Brandes nur
von seinem Entstehungsort ausgegangen und gelöscht werden. Allein der Außenangriff
der Feuerwehr ist dann keine wirksame Löscharbeit, weil so - auch im Falle eines noch
begrenzten Brandes - das Abbrennen der gesamten Verkaufsstätte billigend in Kauf
genommen wird. Das kontrollierte Abbrennenlassen des Lebensmittelmarktes wird aber
weder dem Umstand gerecht, dass ein Brand in der Entstehungsphase im Falle
ausreichender Sichtverhältnissen mit einem Innenangriff ohne weiteres noch gelöscht
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werden kann, noch verhindert es die Ausbreitung von Feuer und Rauch. Während die
frühzeitige Löschung eines Brandes durch Minimierung des Löschmitteleinsatzes und
der Löschschäden zu einer Verminderung der Umweltschäden durch den Brandfall
führt, ist mit der ungehinderten - letztlich gewollten - Entwicklung eines
Entstehungsbrandes zum Vollbrand eines Gebäudes immer auch die Gefährdung
anderer Personen oder Sachwerte verbunden. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit
kann der vermeidbare Vollbrand eines Gebäudes nicht hingenommen werden, auch
wenn wirtschaftliche Interessen des Betreibers hierfür sprechen.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis
beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
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