Urteil des VG Minden vom 27.02.2002

VG Minden: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, öffentliche sicherheit, körperliche unversehrtheit, demonstration, veranstalter, verfügung, gefährdung

Verwaltungsgericht Minden, 11 L 185/02
Datum:
27.02.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 L 185/02
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs des Antragstellers gegen das vom Antragsgegner am 18.2.2002
verfügte Verbot der vom Antragsteller für den 2.3.2002 in C. angemeldeten
Versammlung unter dem Thema "Die Soldaten der Wehrmacht waren Helden, keine
Verbrecher!" ist unbegründet. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des streitigen
Bescheides überwiegt das entgegenstehende Aufschubinteresse des Antragstellers.
2
Das folgt allerdings nicht schon aus der Beurteilung der Erfolgsaussichten des
Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung. Denn diese Verfügung ist nicht
offensichtlich rechtmäßig; sie ist allerdings auch nicht offensichtlich rechtswidrig.
3
Ungeachtet der summarisch nicht eindeutig möglichen rechtlichen Beurteilung der
Verbotsverfügung überwiegt im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung das
öffentliche Interesse am Sofortvollzug dieser Verfügung. Dabei steht außer Frage, dass
die Ausübung der durch Art. 8 GG verfassungsrechtlich geschützten
Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter
strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden darf.
4
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 223, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 (348 f.)
["Brokdorf-Beschluss"].
5
Die Kammer sähe die Durchführung der vom Antragsteller unter seiner Leitung
geplanten Versammlung jedoch als mit einer hinreichend wahrscheinlichen
unmittelbaren Gefährdung ebenfalls grundrechtlich geschützter, zumindest
gleichermaßen bedeutsamer anderer Rechtsgüter - insbesondere körperliche
Unversehrtheit und Eigentum (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 1 GG) -
6
zur Bedeutsamkeit dieser Rechtsgüter vgl. BVerfG, z.B. Beschluss vom 18.8.2000 - 1
BvQ 23/00 -, NJW 2000, 3053 (3055 a.E.)
7
und damit als mit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verbunden an (vgl. § 15
Abs. 1 VersG), weil sie den Antragsteller als nicht ausreichend zuverlässig für die
verantwortliche Leitung einer solchen Versammlung (§ 14 Abs. 2 VersG) erachtet. Im
Ergebnis teilt sie damit die Auffassung des Antragsgegners, macht sich dessen
(Ermessens-)Begründung im streitigen Bescheid aber nicht vollinhaltlich zu Eigen.
8
Die Kammer weist ausdrücklich darauf hin, dass sie ein dem Antragsteller vom
Antragsgegner in besonderem Maße angelastetes angebliches Fehlverhalten anlässlich
der Versammlung vom 2.2.2002, das zu seinem Ausschluss von jener Versammlung
führte, nicht in ihre Überlegungen einbezieht. Der insoweit gegen den Antragsteller
erhobene Vorwurf, den dieser mittlerweile zum Gegenstand eines eigenständigen
Klageverfahrens (11 K 474/02) gemacht hat, lässt sich durch die der Kammer bislang
vorgelegten Unterlagen (Aussagen von Polizeibeamten, detaillierte Auswertung von
Videoaufzeichnungen) schwerlich belegen, ganz abgesehen davon, dass der
Antragsteller jenen Vorwurf massiv bestreitet und hierzu seinerseits etliche Unterlagen
vorgelegt hat.
9
Weil es für die Entscheidung der Kammer im vorliegenden Verfahren nicht auf die
Geschehnisse am 2.2.2002 ankommt, die der Antragsgegner dem Antragsteller anlastet,
erübrigt sich ein Eingehen auf die umfangreichen Ausführungen und verschiedenen
Anträge des Antragstellers im Zusammenhang mit jenem Vorwurf.
10
Die Zuverlässigkeitsbedenken der Kammer gegen den Antragsteller beruhen vielmehr
zunächst auf seiner mangelnden Bereitschaft zur Kooperation mit dem Antragsgegner
im Vorfeld der geplanten Versammlung.
11
Zur friedlichen Durchführung größerer Versammlungen kann insbesondere beitragen,
dass eine rechtzeitige Kontaktaufnahme erfolgt, bei der beide Seiten u.a. Informationen
austauschen und möglicherweise zu einer vertrauensvollen Kooperation finden, welche
die Bewältigung auch unvorhergesehener Konfliktsituationen erleichtert.
12
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985, a.a.O., S. 355.
13
Verwaltungspraxis und Rechtsprechung sind verfassungsrechtlich gehalten, eine
entsprechende Bereitschaft zu begünstigen: Je mehr die Veranstalter anlässlich der
Anmeldung einer Großdemonstration zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen
oder sogar zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher
rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung.
14
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985, a.a.O., S. 357.
15
In umgekehrter Richtung wirkt sich die Verweigerung der Kooperation aus.
16
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.1.2001 - 1 BvQ 8/01 -, NJW 2001, 1407 (1408) = DVBl.
2001, 721 (722).
17
Ein Scheitern der Kooperation oder deren Unmöglichkeit aus Gründen, welche der
Veranstalter zu vertreten hat, kann demgemäß zur Rechtfertigung eines Verbots der
gesamten Demonstration als ultima ratio beitragen.
18
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985, a.a.O., S. 357.
19
Der Antragsteller muss sich mangelnde Kooperationsbereitschaft im vorgenannten
Sinne vorhalten lassen. Er hat seine Teilnahme an einem Kooperationsgespräch mit
dem Antragsgegner davon abhängig gemacht, das Gespräch auf Tonband
dokumentieren zu können oder die Besprechung "im öffentlichen Raum, beispielsweise
auf dem Gehweg vor Ihrem Hause" stattfinden zu lassen, wobei er im letzteren Falle
"vielleicht ein paar Journalisten dazu einladen" würde. Diese Vorgehensweise des
Antragstellers durfte der Antragsgegner mit Recht als Provokation und als Ausdruck
mangelnder Bereitschaft zu vertrauensvoller Zusammenarbeit auffassen. Die Gründe,
die der Antragsteller dem entgegenbringt, zuletzt noch in seinem Schriftsatz vom
gestrigen Tage, vermögen die vorstehende Einschätzung nicht zu entkräften.
20
Die fehlende Zuverlässigkeit des Antragstellers als Versammlungsleiter folgt für die
Kammer weiterhin aus den als solchen unstreitigen Vorfällen anlässlich einer
Demonstration in Leipzig am 1.9.2001, auch wenn es - nach einer dem Antragsgegner
bekannt gewordenen Auskunft eines Landeskriminalamtes - bei den vom Antragsteller
in den vergangenen Jahren verantworteten Veranstaltungen ansonsten zu keinen
Störungen oder Straftaten gekommen sein mag. Bei der Versammlung in M. hatte der
verantwortliche Polizeibeamte, nachdem aus einer Gruppe um den Antragsteller herum
der Spruch "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" skandiert worden war, das weitere Rufen
dieses Spruchs als strafbar untersagt. Daraufhin erklärte der Antragsteller über
Lautsprecher, diese Rechtsauffassung sei falsch, und forderte die Gruppe auf, den
Spruch erneut zu rufen, was diese auch tat, nachdem der Antragsteller selbst über
Lautsprecher damit begonnen hatte (Vermerk des Antragsgegners vom 11.2.2002 über
Erkenntnisse im Verfahren AG M. 84 Ds 302 Js 59610/01). Ungeachtet der Frage nach
der Berechtigung der damaligen Polizeimaßnahme hat der Antragsteller mit jenem
Verhalten erst in jüngster Zeit zum Ausdruck gebracht, dass er im Zweifel seine eigene
Einschätzung der Rechtslage über diejenige der die Versammlung begleitenden Polizei
stellt und nicht ausreichend gewillt ist, eine sofort vollziehbare (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
VwGO) unaufschiebbare Maßnahme von Polizeivollzugsbeamten zu befolgen.
21
Schließlich folgen erhebliche Zuverlässigkeitsbedenken gegen den Antragsteller aus
den Umständen, die bislang zu strafrechtlichen Maßnahmen gegen ihn geführt haben.
So musste er nicht nur Anfang der 80-er Jahre drei Jahre und Mitte der 80-er Jahre
weitere acht Monate in Haft verbringen, sondern wurde - abgesehen von weiteren Straf-
und Ermittlungsverfahren - im Oktober 1994 vom LG Frankfurt a.M. zu einer zweijährigen
Freiheitsstrafe verurteilt, die er zu zwei Dritteln verbüßen musste. Zwar ersetzt ein
Hinweis auf länger zurückliegende Straftaten des Antragstellers und auf seine
Zugehörigkeit zum rechtsextremen Spektrum keine Anhaltspunkte über die Ausrichtung
und die sonstigen Begleitumstände der geplanten Versammlung.
22
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.4.2001 - 1 BvQ 19/01 -, NJW 2001, 2075 = DVBl. 2001,
1056 = NWVBl. 2001, 254.
23
Für die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers ist jener
Hinweis jedoch zulässig und bedeutsam.
24
Allein schon die fehlende ausreichende Zuverlässigkeit des Antragstellers als
Versammlungsleiter rechtfertigt ein überwiegendes öffentliches Interesse am
Sofortvollzug des Versammlungsverbots, auch wenn ein solches Verbot die schärfste
versammlungsrechtliche Sanktion bedeutet. Denn für eine Versammlung gerade im
Umfang und mit der Brisanz, die der vom Antragsteller geplanten Versammlung zukäme
- angeblich bis zu 2.000 Demonstranten, denen nach den Erfahrungen vom 2.2.2002
voraussichtlich noch erheblich mehr Gegendemonstranten aus anderen zeitgleich
geplanten Versammlungen in C. gegenüberstünden -, ist in besonderem Maße ein
verantwortungsvoller Versammlungsleiter zu verlangen, der voraussichtlich ohne jeden
Zweifel den an seine Funktion gestellten gesetzlichen Anforderungen (§ 18 Abs. 1 i.V.m.
§ 8 VersG) genügen würde. Der Versammlungsleiter hat nämlich nicht nur das Recht,
den Versammlungsablauf zu bestimmen, die Versammlung jederzeit zu unterbrechen
oder zu schließen und zu bestimmen, wann eine unterbrochene Versammlung
fortgesetzt wird (§ 8 Sätze 1, 3 und 4 VersG). Daneben - und von besonderer Wichtigkeit
im vorliegenden Zusammenhang - hat er auch die ihn verpflichtende Aufgabe, während
der Versammlung für Ordnung zu sorgen (§ 8 Satz 2 VersG). Das bedeutet im Einzelnen
u.a., dass der Versammlungsleiter auf die Beachtung der "Spielregeln" hinzuwirken hat,
die bei Versammlungen Übung und Brauch sind, und als Wahrer der Sicherheit die
Öffentlichkeit gegen Gefahren durch die Versammlung und deren Teilnehmer zu
schützen hat, d.h. keine Handlungen oder Aufforderungen geschehen lässt, die gegen
Strafgesetze i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4 VersG verstoßen würden.
25
Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl. 2000, §
8 VersG Rdnr. 15; ferner Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht,
4. Aufl. 2001, § 8 VersG Rdnr. 2.
26
Dieser Aufgabe würde der Antragsteller aus den oben genannten Gründen
voraussichtlich nicht mit hinreichender Sicherheit zu entsprechen vermögen.
27
Um die daraus für die öffentliche Sicherheit erwachsenden unmittelbaren Gefahren -
insbesondere Verletzung von Gesundheit und Eigentum Unbeteiligter im Verlaufe des
Demonstrationszuges durch nicht hinreichend vom Versammlungsleiter zur Ordnung
angehaltene Versammlungsteilnehmer, ferner Verletzung von Strafrechtsnormen i.S.d. §
13 Abs. 1 Nr. 4 VersG -, die sich nach Pressemitteilungen zuletzt auch während der
vergleichbaren Versammlung der NPD in C. am 2.2.2002 trotz umfangreicher
Sicherheitsvorkehrungen teilweise verwirklicht haben, zu verhindern, ist die Annahme
eines überwiegenden öffentlichen Interesses am Überwiegen des Sofortvollzugs des
Versammlungsverbots unumgänglich. Ein milderes Mittel zur Gefahrenabwehr steht der
Kammer im Zuge der Interessenabwägung nicht zur Verfügung. Insbesondere könnte
die Kammer nicht von Amts wegen gem. § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO die
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers
gegen das Versammlungsverbot von der Auflage abhängig machen, einen anderen
Versammlungsleiter zu bestellen. Denn die Bestellung und damit die Auswahl des
Versammlungsleiters ist ein ausschließlich dem Veranstalter der Versammlung
zustehendes Recht (vgl. § 7 Abs. 2 und 3 VersG). In dieses Recht darf das Gericht nicht
von sich aus eingreifen.
28
In die Interessenabwägung der Kammer fließt letztlich noch die Überlegung ein, dass
nach eigener Darstellung des Antragstellers (Schreiben vom 14.2.2002 an den
Antragsgegner) die für den 2.3.2002 erwarteten Versammlungsteilnehmer "zumindest
29
teilweise die gleichen sein werden wie am 2.2.", jedenfalls dieser Teilnehmerkreis also
bereits am 2.2.2002 die Gelegenheit gehabt und auch wahrgenommen hat, ein inhaltlich
gleich gelagertes Versammlungsanliegen zum Ausdruck zu bringen. Zwar ist ein
mehrfaches Versammeln zu ein und demselben Zweck selbstverständlich zulässig.
Indem der vorgenannte Personenkreis jedoch durch die bereits am 2.2.2002 erfolgte
Versammlungsteilnahme das Grundrecht des Art. 8 GG hat wahrnehmen können, trifft
ihn das jetzige Versammlungsverbot weniger schwer als Personen, die erstmals
Gelegenheit hätten, ihr Demonstrationsanliegen zum Ausdruck zu bringen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG, wobei die Kammer berücksichtigt, dass die
vorliegende Entscheidung faktisch die Entscheidung zur Hauptsache vorwegnimmt.
30
Vgl. OVG NRW, zuletzt Beschlüsse vom 4.1.2002 - 5 B 12/02 - und vom 1.2.2002 - 5 B
196/02 -.
31