Urteil des VG Minden vom 08.01.2008

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Verwaltungsgericht Minden, 1 K 619/05
Datum:
08.01.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 619/05
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 02.12.2004 und der
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Detmold vom 24.02.2005
werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom
19.07.2004 zur Erteilung der bauaufsichtlichen Genehmigung zur
Errichtung einer Windenergieanlage vom Typ REpower MB 77 mit 1,5
MW Nennleistung, 100 m Nabenhöhe (Gesamthöhe 138,5 m) und 77 m
Rotordurchmesser auf dem Grundstück Gemarkung T. , Flur 15,
Flurstück 107 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, falls nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Unter dem 28.07.2003 erteilte der Beklagte der Klägerin die bauaufsichtliche
Genehmigung zur Errichtung einer Windenergieanlage vom Typ Südwind-S 77 mit 1,5
MW Nennleistung, 61,5 m Nabenhöhe und 77 m Rotordurchmesser auf dem Grundstück
Gemarkung T. , Flur 15, Flurstück 107. Das Grundstück liegt nach den Darstellungen
des Flächennutzungsplanes der Beigeladenen in einer
Windenergiekonzentrationszone. Die Baugenehmigung zur Errichtung der
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Windenergieanlage hat die Klägerin bislang nicht ausgenutzt.
Unter dem 19.07.2004 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Errichtung einer
Windenergieanlage vom Typ REpower MD 77 mit 1,5 MW Nennleistung, 100 m
Nabenhöhe (Gesamthöhe 138,5 m) und 77 m Rotordurchmesser auf dem o.g.
Grundstück.
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Hierzu verweigerte die Beigeladene das gemeindliche Einvernehmen gemäß § 36 Abs.
1 BauGB mit der Begründung, das Vorhaben widerspreche den Regelungen der 22.
Änderung des Flächennutzungsplanes, nach der die Höhe der Windenergieanlagen
(oberste Rotorspitze) in den ausgewiesenen Konzentrationszonen maximal 100 m,
gemessen über natürlichem Gelände, betragen dürfe. Zu berücksichtigen sei auch, dass
bereits eine Windenergieanlage im Bereich der BAB errichtet worden sei. In diesem Fall
sei die festgelegte Höhenbegrenzung akzeptiert und den Planungen zugrunde gelegt
worden.
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Wegen des erforderlichen, jedoch nicht erteilten Einvernehmens lehnte der Beklagte mit
Bescheid vom 02.12.2004 den Bauantrag der Klägerin als unbegründet ab.
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Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, die genehmigte Anlage
des gleichen Typs mit einer Gesamthöhe von 99 m könne aus wirtschaftlichen Gründen
nicht gebaut werden. Bei den Anlagen des Herstellers REpower handele es sich bereits
um die günstigsten dieser Leistungsklasse, die überhaupt erhältlich seien und dennoch
werde das Projekt mit der genehmigten Nabenhöhe unwirtschaftlich. Es sei unmöglich,
in dieser Sonderbaufläche eine Windkraftanlage mit der vorgesehenen
Höhenbegrenzung zu errichten, ohne dabei Verluste zu machen. Dies bedeute aber
gleichzeitig, dass keine Bank sich bereitfinde, das Projekt zu finanzieren. Daher
begehre sie die Errichtung einer Windenergieanlage mit einer größeren Höhe. Das
Gesetz über den Vorrang der Nutzung erneuerbarer Energien (EEG) sehe eine
Degression vor. Nach § 10 Abs. 5 EEG sinken die Mindestvergütungen nach Abs. 1
beginnend mit dem 01.01.2005 jährlich jeweils für nach diesem Zeitpunkt noch in
Betrieb genommene Anlagen um jeweils 2 %. Eine heute in Betrieb genommene
Windkraftanlage erhalte aufgrund der Degression bereits annähernd 15 % weniger pro
geleistete Kilowattstunde als zum Zeitpunkt der Flächennutzungsplanaufstellung der
Beigeladenen. Dennoch habe sich auch im Jahre 2000 offensichtlich kein Planer
gefunden, der an dem bekanntermaßen windschwachen Standort Windkraftanlagen
errichten wollte. Die Beigeladene müsse sich fragen, warum trotz der Ausweisung von 3
Sonderbauflächen im Gemeindegebiet bisher nur eine Windkraftanlage errichtet worden
sei. Dies beruhe einzig und allein auf der Höhenbeschränkung. Diese führe dazu, dass
die Sonderbauflächen der Gemeinde tatsächlich nicht verwertbar seien und die
Flächennutzungsplanung, jedenfalls was die Höhenbeschränkung angehe, demzufolge
eine Verhinderungsplanung sei. Solche Planungen, die im Tatsächlichen der
Windenergienutzung keinen substanziellen Raum böten, seien nicht dazu geeignet, die
Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu bewirken. Es handele sich
dabei um Alibiplanungen i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Die
vorgesehene Flächennutzungsplanung sei, was die Höhenbeschränkung auf 100 m
Gesamthöhe angehe, erkennbar abwägungsfehlerhaft i.S.d. §§ 1 Abs. 7, 214 Abs. 3
BauGB und dementsprechend unwirksam. An eine erkennbar unwirksame Planung sei
die Genehmigungsbehörde nicht gebunden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2005 wies die Bezirksregierung Detmold den
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Widerspruch der Klägerin unter Hinweis auf das fehlende gemeindliche Einvernehmen
der Beigeladenen gemäß § 36 Abs. 1 BauGB als unbegründet zurück.
Am 21.03.2005 hat die Klägerin unter Hinweis auf ihre Widerspruchsbegründung Klage
erhoben.
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Sie beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 02.12.2004 und den Widerspruchsbescheid der
Bezirksregierung Detmold vom 24.02.2005 aufzuheben und den Beklagten zu
verpflichten, der Klägerin auf ihren Antrag vom 19.07.2004 die bauaufsichtliche
Genehmigung zur Errichtung einer Windenergieanlage vom Typ REpower MD 77 mit
1,5 MW Nennleistung, 100 m Nabenhöhe (Gesamthöhe 138,5 m) und 77 m
Rotordurchmesser auf dem Grundstück Gemarkung T. , Flur 15, Flurstück 107 zu
erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der
Planaufstellungsunterlagen der Beigeladenen verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts. Zwar ist der Behörde bei ihrer Entscheidung über
die Erteilung einer bauaufsichtlichen Genehmigung kein Ermessen eingeräumt. Dies
hat zur Folge, dass für das Gericht grundsätzlich die Pflicht besteht, die Sache
umfassend spruchreif zu machen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dies ist aber
ausnahmsweise dann anders zu beurteilen, wenn die Genehmigungsbehörde die
Genehmigung des Vorhabens, ohne seine Vereinbarkeit mit baurechtlichen oder
sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften umfassend zu prüfen, wegen eines
bestimmten Rechtsverstoßes - etwa mangelnde Konformität mit einzelnen
bauplanungsrechtlichen Anforderungen - ablehnt. In einem solchen Fall eines
"steckengebliebenen" Genehmigungsverfahrens entfällt die Verpflichtung des Gerichts
zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht
behandelte Fragen - etwa des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts - erstmals im
gerichtlichen Verfahren geprüft werden müssten.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19.06.2007 - 8 A 2677/06 -, NWVBl 2008, 26 und bei juris.
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Dies zugrunde gelegt war die gewählte Tenorierung angezeigt. Der Beklagte und die
Widerspruchsbehörde haben ihren Ablehnungsbescheid allein auf die Versagung des
gemeindlichen Einvernehmens der Beigeladenen wegen Verstoßes gegen
Festsetzungen der 22. Änderung des Flächennutzungsplanes gestützt, ohne in eine
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vertiefte Prüfung der weiteren Genehmigungsvoraussetzungen einzutreten und deren
tatsächliche Voraussetzungen vollständig zu ermitteln und zu werten.
Die Klage ist auch unter den übrigen Gesichtspunkten zulässig. Insbesondere ist der
Beklagte nach wie vor der richtige Klagegegner und es spricht nichts dafür, dass die
Erteilung einer Baugenehmigung statt einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
nicht mehr möglich wäre.
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Vor dem 01.07.2005 rechtshängige Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung - die
vorliegende Klage ist am 21.03.2005 bei Gericht eingegangen - dürfen gemäß § 67 Abs.
9 Satz 3 BImSchG nach altem Genehmigungsverfahrensrecht abgeschlossen werden,
obwohl Windenergieanlagen, die eine Gesamthöhe von - wie hier - mehr als 50 m
aufweisen, nach Nr. 1.6 des Anhangs der 4. Bundesimmissionsschutzverordnung
(BImSchV) in der seit dem 01.07.2005 geltenden Fassung (Verordnung zur Änderung
der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und Änderung der Anlage 1 des
Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20.06.2005 - BGBl I, 1687 - einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen. Das bedeutet, dass auch für über
50 m hohe Windenergieanlagen aufgrund der Übergangsregelung in § 67 Abs. 9 Satz 3
BImSchG weiterhin die Erteilung einer Baugenehmigung in Betracht kommt, für die sich
die Klägerin entschieden hat. Sie hat nämlich ihre Klage ausdrücklich nicht in eine
Klage auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung umgestellt.
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Vgl. zu diesem Problemkreis: OVG NRW, Beschluss vom 15.09.2005 - 8 B 1074/05 -,
NVwZ-RR 2006, 173 ff.; Jarass, BImSchG, Kommentar, 7. Auflage 2007, § 67 Rd 45.
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Die Klage ist auch im Wesentlichen begründet.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts. Dieser Anspruch setzt nach der hier nach dem
Obengesagten gegebenen Fallgestaltung eines "steckengebliebenen"
Genehmigungsverfahren voraus, dass der von der Behörde herangezogene
Versagungsgrund der Ablehnung des Antrags nicht trägt und die Genehmigung nach
dem bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisstand nicht
schon aus anderen Gründen offensichtlich zu versagen ist. Diese Voraussetzungen sind
hier erfüllt.
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Die Genehmigung der streitigen Windkraftanlage scheitert nicht an der mit einer ihr
entgegen stehenden Flächennutzungsplanung verbundenen Ausschlusswirkung. Die
im Flächennutzungsplan der Beigeladenen dem Vorhaben der Klägerin entgegen
stehende Höhenbegrenzung von 100 m ist unwirksam. Dem Vorhaben steht auch kein
anderes bereits jetzt absehbares Genehmigungshindernis entgegen.
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Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen schließt das Vorhaben der Klägerin
bauplanungsrechtlich nicht aus. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des im
Außenbereich geplanten Vorhabens richtet sich nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. Danach
darf ein Vorhaben, das wie die geplante Windkraftanlage der Nutzung der Windenergie
dient und deshalb an sich privilegiert zulässig ist, u.a. dann nicht zugelassen werden,
wenn ihm öffentliche Belange entgegen stehen. Für Windenergieanlagen und andere
Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB bestimmt § 35 Abs. 3 BauGB, dass ihm in
der Regel öffentliche Belange entgegen stehen, wenn das Vorhaben den Darstellungen
des Flächennutzungsplanes widerspricht.
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Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen sieht in der 22. Änderung eine
Höhenbegrenzung von Windenergieanlagen auf 100 m Gesamthöhe (Rotorspitze über
Grund) vor. Diese Höhenbegrenzung ist unwirksam und kann dem nach § 35 Abs. 1 Nr.
5 BauGB privilegiert zulässigen Vorhaben der Klägerin als öffentlicher Belang i.S.d. §
35 Abs. 3 BauGB nicht entgegen gehalten werden.
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Ermächtigungsgrundlage für eine Höhenbegrenzung kann § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauGB sein,
wonach im Flächennutzungsplan die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach
dem allgemeinen Maß der baulichen Nutzung dargestellt werden können. Als
allgemeines Maß der baulichen Nutzung kann gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BauNVO die
Höhe baulicher Anlagen angegeben werden. Danach sind grundsätzlich auch
Höhenvorgaben für Windenergieanlagen in - wie hier - Konzentrationszonen möglich.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19.05.2004 - 7 A 3368/02 -, NUR 2004, 690.
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Die entsprechende Änderung des Flächennutzungsplanes muss städtebaulich
erforderlich sein i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB. Diese Vorschrift erkennt die gemeindliche
Planungshoheit an und räumt der Gemeinde ein Planungsermessen ein.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.1990 - 4 NB 8.90 - BRS 50 Nr. 9; OVG NRW, Urteil vom
04.06.2003 - 7 aD 131/02.NE -.
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Allerdings sind nach § 1 Abs. 7 BauGB bei der Aufstellung der Bauleitpläne die
öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht
abzuwägen. Die 22. Änderung des Flächennutzungsplans des Beigeladenen ist nichtig,
weil sie jedenfalls den sich aus § 1 Abs. 7 BauGB ergebenden Anforderungen des
Abwägungsgebotes nicht genügt.
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Das Gebot, die öffentlichen und privaten Belange untereinander und gegeneinander
gerecht abzuwägen, wird zunächst dann verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung
überhaupt nicht stattfindet. Es ist ferner dann verletzt, wenn in die Abwägung an
Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden
muss. Schließlich liegt eine Verletzung auch dann vor, wenn die Bedeutung der
betroffenen Belange oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten
Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit der
einzelnen Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist
dem Abwägungsgebot jedoch genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde
im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit
notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.06.2004 - 7 A 997/03 -, bei juris.
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Diesen Anforderungen hat die Beigeladene nicht in jeder Hinsicht genügt. Der
Flächennutzungsplan hat, soweit die Gemeinde von dem Darlegungsprivileg des § 35
Abs. 3 Satz 3 BauGB Gebrauch macht, unmittelbare Außenwirkung. Er weist die
Merkmale einer Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf,
die den Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu wahren sowie dem
Gleichheitssatz und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu genügen hat. Dieser
Bedeutung des Flächennutzungsplanes entspricht, dass dem Erläuterungsbericht nicht
anders als der einem Bebauungsplan beizufügenden Begründung zu entnehmen sein
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muss, welche städtebauliche Rechtfertigung für die Planung besteht und wie die
Abwägung zu zentralen Punkten der Planung erfolgt ist, auch um eine effektive
Rechtskontrolle der auf dem Flächennutzungsplan gestützten Entwicklungen zu
ermöglichen.
So OVG NRW, Urteil vom 24.06.2004 - 7 A 997/03 - m.w.N.
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Aus dem Erläuterungsbericht zur 22. Änderung des Flächennutzungsplanes der
Beigeladenen und aus den Vorgängen über ihr Zustandekommen ergibt sich keine
hinreichende Zusammenstellung des erforderlichen Abwägungsmaterials, jedenfalls
aber eine Abwägungsfehlgewichtung der maßgebenden Belange.
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Aus dem Erläuterungsbericht geht nicht hervor, dass der Rat sich hinreichend mit der
Frage befasst hat, ob in den dargestellten Konzentrationszonen der Betrieb von
Windenergieanlagen überhaupt nach wirtschaftlichen Kriterien möglich ist. Zu
entsprechenden Erwägungen hatte der Rat Veranlassung. Aus dem Erläuterungsbericht
zur 22. Änderung des Flächennutzungsplanes ergibt sich, dass nach einem vom Kreis
H. in Auftrag gegebenen Gutachten des Deutschen Wetterdienstes die Windhöffigkeit
des Kreisgebietes unterschiedlich ist. Die höchsten Windgeschwindigkeiten im Gebiet
des Kreises H. liegen in 10 m Höhe zwischen 3,9 und 4,9 m/s, höhere Werte treten nicht
auf. In 50 m Höhe ergeben sich danach als Obergrenzen die Größenordnungen um 5,1
bis 5,3 - max. etwa 5,6 m/s. Diese Werte werden großräumig im nördlichen Kreisgebiet
zwischen W. , I. und C. erreicht. Nach Süden hin und damit auch in der Stadt W1.
nehmen die Werte deutlich ab, hier sind weite Gebiete heute kaum für eine
wirtschaftliche Nutzung der Windenergie geeignet.
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Als unterer Wert für eine sinnvolle wirtschaftliche Nutzung werden, wie sich aus dem
Erläuterungsbericht ergibt, zurzeit überwiegend 5 m/s in 50 m Höhe genannt. Auf ca.
18,7 % des Gebietes der Gemeinde W1. liegen die mittleren jährlichen
Windgeschwindigkeiten zwischen 5,1 und 5,4 m/s in 50 m Höhe, Flächen mit
Windgeschwindigkeiten über 5,4 m/s sind nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes
nicht vorhanden. Das bedeutet, dass in der beigeladenen Gemeinde die Windhöffigkeit
als eher gering einzustufen ist.
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Angesichts dieser Vorgaben ist die vom Rat der Beigeladenen gewählte
Höhenbegrenzung nicht zu rechtfertigen. Es ist zwar durch das
Bundesverwaltungsgericht
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vgl. Urteil vom 17.12.2002 - 4 C 15.01 -, UPR 2003, 188 = ZfBR 2003, 370 = NVwZ
2003, 733 = NOR 2003, 365 = DVBl 2003, 797 = BauR 2003, 828,
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geklärt, dass die Gemeinden nicht verpflichtet sind, die Nutzung der Windenergie
optimal zu fördern. Bei hinreichend gewichtigen städtebaulichen Interessen dürfen sie
deren Ausnutzung vielmehr steuernd beschränken. Allerdings hat sich die Planung der
Gemeinde auch an dem Anliegen des Gesetzgebers auszurichten, der
Windenergienutzung "an geeigneten Standorten eine Chance" zu geben, die ihrer
Privilegierung gerecht wird.
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Dem entspricht eine - wie hier - Planung nicht, die ungeachtet bestehender Hinweise
auf eine geringe Windhöffigkeit eine wirtschaftliche Nutzbarkeit der
Konzentrationszonen durch eine Begrenzung auf eine Gesamthöhe von 100 m
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mindestens beeinträchtigt, wenn nicht unmöglich macht. In solchen Fällen liegt der
Verdacht nahe, dass die Gemeinde den Flächennutzungsplan als Mittel zu benutzen
versucht, um unter dem Deckmantel der Steuerung Windkraftanlagen in Wahrheit zu
verhindern. Eine solche Planung ist unzulässig.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19.05.2004 - 7 A 3368/02 -, NuR 2004, 890 und bei juris.
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Dem Rat der Beigeladenen war bekannt, dass angesichts der geringen Windhöffigkeit
im Gemeindegebiet eine wirtschaftliche Nutzung der Windenergie nur begrenzt möglich
war. Gleichwohl hat er sich dafür entscheiden, zum Schutz der Kulturlandschaft die
zulässige Höhe von Windkraftanlagen auf 100 m zu begrenzen. Darin liegt ein
Abwägungsdefizit. Es wird der Bedeutung der Windenergienutzung nicht gerecht, wenn
ungeachtet bestehender Hinweise auf eine geringe Windhöffigkeit eine Prüfung
wirtschaftlicher Nutzbarkeit der Konzentrationszonen nicht vorgenommen wird und ohne
Prüfung der Rentabilität die Höhe der Windenergieanlagen auf 100 m begrenzt wird,
obwohl Hinweise dafür vorliegen, dass nur größere Anlagen in diesen Gebieten
wirtschaftlich betrieben werden können.
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Die Abwägung des Rates der Beigeladenen ist darüber hinaus auch deshalb
unzureichend gewesen, weil offensichtlich dem Wunsch, keine höheren
Windenergieanlagen zuzulassen, keine ausreichenden städtebaulichen Gründe
entgegen standen. Denn der Rat hat die Konzentrationszonen gerade dorthin verlagert,
wo offensichtlich städtebauliche Gründe und der Schutz der Landschaft dem Bau von
Windkraftanlagen nicht entgegen stehen. Unter Nr. 4.1 des Erläuterungsberichts zur 22.
Änderung des Flächennutzungsplanes ist für den ausgewiesenen
Konzentrationsbereich I im Norden des Gemeindegebietes ausdrücklich festgehalten,
dass sich dieses Gebiet angesichts der gravierenden Vorbelastungen bzgl.
Landschaftsbild und Lärm geradezu für eine Windkraftnutzung anbietet. Der Standort
weise sehr hohe Lärmimmissionen durch die starke Frequentierung der A 2 als Ost-
West-Verbindung auf, darüber hinaus dominierten zwei Hochspannungsleitungen mit
ca. 30 m hohen Masten das Landschaftsbild. Auch der Bereich II nördlich der Ortslage
W1. ist durch Hochspannungsleitungen, insbesondere eine 110 kV-Leitung weiter
nördlich landschaftlich beeinträchtigt, das Gleiche trifft auf den Bereich III östlich der
Ortslage W1. , in dem die streitbefangene Anlage errichtet werden soll, zu. Auch für
diesen Bereich wird im Erläuterungsbereich dargestellt, dass das Landschaftsbild in
diesem Bereich bereits durch eine 110 kV-Leitungstrasse mit ca. 25 bis 30 m hohen
Gittermasten beeinträchtigt wird. Warum angesichts solcher Vorbelastungen gleichwohl
eine Höhenbegrenzung auf 100 m erforderlich ist in Kenntnis der Tatsache, dass solche
Anlagen möglicherweise oder wahrscheinlich unwirtschaftlich arbeiten, lässt sich dem
Erläuterungsbericht nicht entnehmen. Die 100-m-Begrenzung ist daher unwirksam.
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Der Beklagte hat daher unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die 100-m-
Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan der beigeladenen Gemeinde unwirksam ist,
erneut über den Antrag der Klägerin zu entscheiden. Da die Kammer sich nicht in der
Lage sah, zu entscheiden, ob andere, bisher vom Beklagten nicht geprüfte
Gesichtspunkte - insbesondere Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege
i.S.v. § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB - gegen die Erteilung der Baugenehmigung sprechen,
musste sie im Übrigen die Klage abweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer hat dem Beklagten
die gesamten Kosten des Verfahrens auferlegt, da zum einen nicht erkennbar ist,
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welche Gesichtspunkte überhaupt gegen die Erteilung einer Baugenehmigung
sprechen könnten. Die beigeladene Gemeinde war nicht an den Kosten des Verfahrens
zu beteiligen, da sie sich nicht durch Stellung eines Antrags am Kostenrisiko des
Verfahrens beteiligt hat.