Urteil des VG Minden vom 24.10.2008

VG Minden: bedürftige partei, verwaltungsverfahren, vergütung, innenverhältnis, anwaltskosten, vertretung, gleichbehandlung, entstehung, datum, erfolgshonorar

Verwaltungsgericht Minden, 8 K 3230/06.A
Datum:
24.10.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 K 3230/06.A
Tenor:
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe:
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Die gemäß §§ 165, 151 VwGO zulässige Erinnerung ist unbegründet.
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Zutreffend hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bei der Festsetzung der aus der
Staatskasse zu zahlenden Vergütung nach § 55 Abs. 1 RVG eine Anrechnung einer
Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die im gerichtlichen Verfahren
entstandene Verfahrensgebühr vorgenommen, weil der Kläger bereits im
vorausgegangenen Verwaltungsverfahren von seinem Prozessbevollmächtigten
vertreten wurde. Diese Vorgehensweise findet ihre Stütze in Abs. 4 Satz 1 der
Vorbemerkung Nr. 3 VVRVG, wonach die Geschäftsgebühr zur Hälfte, jedoch höchstens
mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen
Verfahrens angerechnet wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine
Geschäftsgebühr entstanden ist. Die Anwendung dieser Bestimmungen hat zur Folge,
dass die aus der Prozesskostenhilfe von der Staatskasse an den
Prozessbevollmächtigten des Klägers zu zahlende Vergütung um eine anteilige
Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatz von 0,75 zu vermindern ist.
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Die vorgesehene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr beruht auf
der Erwägung, dass der Anwalt, der für seinen Mandanten im Verwaltungsverfahren
schon tätig war und hierfür eine Geschäftsgebühr erhält, bereits in die Materie
eingearbeitet ist, wenn sich bei gleichem Gegenstand ein gerichtliches Verfahren
anschließt. In diesen Fällen erhält der Anwalt von seinem Mandanten die
Geschäftsgebühr sowie die um die anteilige Geschäftsgebühr verminderte
Verfahrensgebühr. Die Regelung soll den Mandanten vor zu hohem
Rechtsanwaltshonorar und insbesondere davor schützen, dass der Rechtsanwalt allein
im Hinblick auf seinen Vergütungsanspruch ein rechtliches Verfahren einleitet.
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Vgl. Bayersicher VGH, Beschluss vom 10.07.2006 - 4 C 06.1129 -, NJW 2007 170;
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.03.2008 - 10 OA 143/07
-. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in seinem Schriftsatz vom
10.09.2008 selbst zu Recht hingewiesen. Aus der Gesetzesbegründung zum
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber mit Blick
auf einen erfahrungsgemäß geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand des
schon vorprozessual mit der Sache befassten und hierfür vergüteten
Prozessbevollmächtigten dessen gerichtliche Verfahrensgebühr bereits in ihrer
Entstehung um den in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VVRVG beschriebenen Teil der
vorprozessual verdienten Gebühren kürzen wollte. Es besteht kein Anlass, insofern von
einem korrekturbedürftigen Redaktionsversehen des Gesetzgebers bei Abfassung der
genannten Anrechnungsbestimmung auszugehen.
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So BGH, Beschluss vom 22.01.2008 - VIII ZB 57/07 -, aufgerufen in juris.
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Vielmehr sollte eine vormals bestehende nicht zu rechtfertigende Gleichbehandlung des
Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhält, mit dem Rechtsanwalt, der
bereits außergerichtlich tätig gewesen ist und deshalb mit der Angelegenheit vertraut ist,
beseitigt werden. Eine Kostenfestsetzung ohne anteilige Anrechnung der
Geschäftsgebühr hätte nämlich zur Folge, dass der im Kostenpunkt unterlegene
Beteiligte entweder dem im Verwaltungsverfahren vorbefassten Rechtsanwalt mit dem
überschießenden Betrag ein vom Gesetz nicht vorgesehenes Erfolgshonorar verschafft
oder entgegen der gesetzlichen Regelung die vom obsiegenden Beteiligten allein zu
tragende Geschäftsgebühr anteilig erstattet.
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So Niedersächsisches OVG, a.a.O. und Beschluss vom 17.04.2008 - 7 OA 51/08 -,
aufgerufen in juris.
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Gründe dafür, dass die von diesem Zweck getragene Anrechnungsregelung im
Prozesskostenhilfeverfahren keine Anwendung finden soll, sind nicht zu erkennen.
Selbst wenn man die Auffassung teilt, dass die Regelung nur das Innenverhältnis
zwischen Mandant und Anwalt betrifft, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.04.2006 - 7 E
410/06 - in: NJW 2006, S. 1991,
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so ist dies gerade berührt, denn die Staatskasse tritt mit der Gewährung der
Prozesskostenhilfevergütung an die Stelle des Bedürftigen, gegenüber dem
beauftragten Anwalt zahlungspflichtigen Mandanten (vgl. § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Eine
andere Betrachtungsweise würde auch zu dem kaum gewollten Ergebnis führen, dass
der im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die volle
Geschäftsgebühr auch dann von der Landeskasse beanspruchen könnte, wenn die
bedürftige Partei ihm die Geschäftsgebühr bereits in voller Höhe bezahlt hat. Er könnte
sich dann finanziell besser stehen, als wenn er eine nicht bedürftige Partei vertreten
hätte. Dieses Ergebnis lässt sich nur dadurch vermeiden, dass die
Anrechnungsregelung Vorbemerkung 3 Abs. 4 VVRVG auch im Rahmen der
Prozesskostenhilfevergütung Anwendung findet.
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So Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 02.11.2007 - 13 Ta 181/07 -.
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Auch das Niedersächsische OVG vertritt die Auffassung, die die Kammer teilt, dass
auch im Prozesskostenhilfeverfahren die beschriebene Anrechnungsregelung zur
Anwendung kommen muss. Andernfalls wäre von der Staatskasse an den Rechtsanwalt
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unvermindert eine Verfahrensgebühr zu zahlen und die (nur im Innenverhältnis von
Anwalt und Mandant zur Anwendung gelangende) Anrechnung könnte sich nur noch
dergestalt auswirken, dass der Anwalt seinem prozesskostenhilfeberechtigten
Mandanten die für die außergerichtliche Vertretung angefallene Geschäftsgebühr
anteilig - nämlich in Höhe des Anrechnungsbetrages - erstattet. Im Ergebnis würden
dem Mandanten dann über die Prozesskostenhilfe außergerichtliche Anwaltskosten
erstattet. Dem diene die Prozesskostenhilfe jedoch ersichtlich nicht. Außerdem käme es
im Falle der Gewährung von Beratungshilfe für die außergerichtliche Tätigkeit des
Anwalts zu einer weiteren Widersprüchlichkeit. Der Mandant hätte nämlich
grundsätzlich lediglich die Beratungshilfegebühr nach Nrn. 2500 VV zu tragen, während
der Anwalt die Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV aus der Staatskasse erhalte. Würde
man in dieser Situation gleichwohl eine Anrechung nur im Verhältnis zwischen Anwalt
und Mandant verwirklichen wollen, hätte dies zur Folge, dass eine anteilige
Geschäftsgebühr an den Mandanten zu erstatten wäre, die dieser gar nicht entrichtet
habe, sondern von der Staatskasse im Wege der Beratungshilfe an den Anwalt gezahlt
worden sei. Die anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr könne mithin bei der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein anschließendes gerichtliches Verfahren nur
über eine entsprechende Kürzung der Vergütung aus der Staatskasse sinnvoll
verwirklicht werden.
So Niedersächisches OVG, Beschluss vom 25.04.2008 - 13 OA 63/08 -, aufgerufen in
juris.
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Ob der Anwalt vorprozessual in einem förmlichen Verwaltungsverfahren tätig geworden
ist, oder ob ein solches Verwaltungsverfahren förmlich nicht vorgeschrieben ist, er aber
gleichwohl vorprozessual außergerichtlich tätig geworden ist, ist in diesem
Zusammenhang unerheblich. Denn in beiden Fällen wird eine Geschäftsgebühr fällig,
die auf die Verfahrensgebühr anteilig anzurechnen ist. Darauf, ob der
Prozessbevollmächtigte diese Geschäftsgebühr bereits vom Kläger tatsächlich erhalten
hat, kommt es schon nach dem Wortlaut der Anrechnungsregelung nicht an. Hierfür ist
es auch ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage
vom Prozessgegner zu erstatten oder ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder
bereits beglichen ist.
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So BGH, Beschluss vom 22.01.2008, a.a.O.
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Nach alledem hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zu Recht eine
Geschäftsgebühr in Höhe des Gebührensatzes von 0,75 angerechnet. Nach seinen
Angaben ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht im Wege der Beratungshilfe
tätig geworden. Zur Gebührenhöhe der Geschäftsgebühr hat der trotz der ihm insoweit
eingeräumten Gelegenheit zur Äußerung keine Angaben gemacht. Deshalb ist die
Zugrundelegung des höchstmöglichen Anrechnungswertes nach Vorbemerkung 3 Abs.
4 Satz 1 VV vorliegend nicht zu beanstanden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 66
Abs. 8 GKG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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