Urteil des VG Minden vom 14.11.2002

VG Minden: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, verfügung, inverkehrbringen, tabak, akte, form, ausnahme, lebensmittel, kompetenz, rechtsschutz

Verwaltungsgericht Minden, 4 L 1145/02
Datum:
14.11.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 1145/02
Tenor:
Das Verfahren wird ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des
Europäischen Gerichtshofes gem. Art. 234 EGV zu folgender Frage
eingeholt: Ist die Vorschrift des Art. 8 der Richtlinie 2001/73/EG, durch
die zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf
von Tabakerzeugnissen das Inverkehrbringen von Tabak zum oralen
Gebrauch unbeschadet des Art. 151 der Akte über den Beitritt
Österreichs, Finnlands und Schwedens verboten wird, mit
höherrangigem Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar?
Gründe:
1
Die Antragstellerin, die ihren Sitz in Deutschland hat, vertreibt neben Zigarren und
Pfeifentabak auch rauchlose Tabakprodukte, u.a. verschiedene Erzeugnisse mit den
Produktbezeichnungen "T. ". Bei diesen Erzeugnissen handelt es sich um fein
gemahlene oder geschnittene Mundtabake, die zum Konsum zwischen das Zahnfleisch
und die Oberlippe geschoben werden.
2
Durch Bescheid vom 12.9.2002 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin das
gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit den Bezeichnungen "S.
M. -T. ", "M1. F. -T. " und "H. T. " des Importeurs T1. N. ; zugleich verpflichtete er die
Antragstellerin zu einer internen Rückrufaktion einschließlich Dokumentation, drohte für
den Fall von Zuwiderhandlungen Zwangsgeld an und ordnete die sofortige Vollziehung
seiner Verfügung an.
3
Hiergegen legte die Antragstellerin am 27.9.2002 Widerspruch ein.
4
Am 30.9.2002 hat die Antragstellerin beim beschließenden Gericht die
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die
Verfügung des Antragsgegners vom 12.9.2002 beantragt.
5
Rechtsgrundlage der Verfügung des Antragsgegners vom 12.9.2002 ist im
Wesentlichen die Vorschrift des § 5 a der Verordnung über Tabakerzeugnisse
(Tabakverordnung), nach der es verboten ist, Tabakerzeugnisse, die zum anderweitigen
6
oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind, gewerbsmäßig in den Verkehr
zu bringen. Durch die genannte Regelung ist der auf Grund der Richtlinie 92/41/EWG
vom 15.5.1992 in die Richtlinie 89/622/EWG vom 13.11.1989 eingefügte Art. 8 a in
deutsches Recht umgesetzt worden. Jener Artikel lautet: "Die Mitgliedstaaten
untersagen den Verkauf von Tabaken zum oralen Gebrauch im Sinne von Artikel 2 Nr.
4." Im letztgenannten Artikel sind als Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch alle zum
oralen Gebrauch bestimmten Erzeugnisse definiert worden, die ganz oder teilweise aus
Tabak bestehen, sei es in Form eines Pulvers oder eines feinkörnigen Granulats oder
einer Kombination dieser Formen, insbesondere in Portionsbeuteln bzw. porösen
Beuteln, oder in einer Form, die an ein Lebensmittel erinnert, mit Ausnahme von
Erzeugnissen, die zum Rauchen oder Kauen bestimmt sind.
An die Stelle des Art. 8 a der Richtlinie 92/41/EWG trat mit Wirkung vom 18.7.2001 Art. 8
der Richtlinie 2001/37/EG vom 5.6.2001, der folgenden Wortlaut hat: "Die
Mitgliedstaaten verbieten das Inverkehrbringen von Tabak zum oralen Gebrauch
unbeschadet des Artikels 151 der Akte über den Beitritt Österreichs, Finnlands und
Schwedens."
7
Das Gericht hat allerdings Zweifel, ob die letztgenannte Vorschrift, auf der § 5 a
Tabakverordnung beruht, mit höherrangigem Recht der Europäischen Gemeinschaften
vereinbar ist.
8
So ist zunächst beachtlich, dass das Europäische Parlament und der Rat die Vorschrift
des Art. 8 der Richtlinie 2001/37/EG auf Grund der in Art. 95 Abs. 1 EGV eingeräumten
Kompetenz erlassen haben. Es erscheint jedoch fraglich, ob Maßnahmen zur
Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten so
ausgestaltet sein dürfen, dass sie bezüglich einer bestimmten Gruppe von Erzeugnissen
ein vollständiges Verbot des Inverkehrbringens festlegen.
9
Ein derartiges Verbot ist nach Ansicht der Kammer auch unter dem Gesichtspunkt des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit problematisch; insbesondere stellt sich die Frage,
ob der mit Art. 8 der Richtlinie 2001/37/EG verfolgte Zweck nicht durch weniger
einschneidende Maßnahmen erreichbar wäre, etwa durch die Anbringung
angemessener Warnhinweise, wie sie beispielsweise für andere Tabakprodukte
vorgeschrieben sind.
10
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Verhängung eines Verkehrsverbotes für die
von Art. 8 der Richtlinie 2001/37/EG erfassten Produkte gegenüber anderen
Tabakprodukten eine erhebliche Ungleichbehandlung darstellt. Es ist zweifelhaft, ob für
eine solche Ungleichbehandlung - auch unter Beachtung von Aspekten des
Gesundheitsschutzes - ausreichende sachliche Gründe anzunehmen sind.
11
Im Übrigen bestehen Bedenken an der Gültigkeit des Art. 8 der Richtlinie 2001/37/EG
insbesondere im Hinblick auf das in Art. 28 EGV verankerte Verbot mengenmäßiger
Einfuhrbeschränkungen und anderer Maßnahmen gleicher Wirkung.
12
Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2001/37/EG und des
auf ihm basierenden § 5 a Tabakverordnung für den Erlass der angefochtenen
Verfügung des Antragsgegners vom 12.9.2001 erfüllt sind und die Antragstellerin
nachvollziehbar geltend machen kann, durch die Verfügung in erheblichem Maße in
ihren Rechten betroffen zu sein, hängt der Ausgang des vorliegenden
13
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens davon ab, ob die genannten Vorschriften gültig und
somit im vorliegenden Fall anwendbar sind. Sollte das der Fall sein, wäre die
streitgegenständliche Verfügung rechtmäßig und die beschließende Kammer würde den
von der Antragstellerin gestellten Aussetzungsantrag ablehnen, andernfalls würde die
Kammer die Verfügung als rechtswidrig einstufen und der Antragstellerin vorläufigen
Rechtsschutz gewähren.