Urteil des VG Minden vom 08.04.2010

VG Minden (erstinstanzliches gericht, kläger, klageverfahren, verwaltungsgericht, annahme, www, zufall, anlass, verhältnis, geschwister)

Verwaltungsgericht Minden, 6 K 3485/08
Datum:
08.04.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 K 3485/08
Tenor:
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle wird unter Änderung seiner
Vergütungsfestsetzung vom 25.1.2010 angewiesen, in jedem der drei
Klageverfahren eine gesonderte Einzelvergütung des
Prozessbevollmächtigten der Kläger jeweils auf der Grundlage eines
Streitwerts von 5.000 EUR festzusetzen.
Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe:
1
Die gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG, § 165 i.V.m. § 151 VwGO zulässige Erinnerung des
Prozessbevollmächtigten der Kläger gegen die auf § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG beruhende
Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 25.1.2010, über
die gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG der
Einzelrichter des erstinstanzlichen Gerichts durch Beschluss zu entscheiden hat, ist
begründet. Der Urkundsbeamte hat mit der angegriffenen Vergütungsfestsetzung die
dem Prozessbevollmächtigten der Kläger aus der Staatskasse zu gewährende
Vergütung zu niedrig festgesetzt, indem er zu Unrecht von einem
Gesamtvergleich/Mehrvergleich in den drei Klageverfahren ausgegangen ist und
demgemäß anhand der auf 15.000 EUR addierten Einzelstreitwerte eine verringerte
Gesamtvergütung für die drei Einzelverfahren errechnet hat, von der er jedem
Einzelverfahren ein Drittel zugeordnet hat, anstatt in jedem Klageverfahren für sich eine
von den anderen Verfahren unabhängige, jeweils nach dem gerichtlich festgesetzten
Streitwert von 5.000 EUR ermittelte Einzelvergütung des Prozessbevollmächtigten der
Kläger namentlich hinsichtlich der Einigungs- und dementsprechend auch der
Terminsgebühren festzusetzen.
2
Zwar führt eine mehrere Rechtsstreitigkeiten betreffende, auf mehrere Gegenstände
bezogene einheitliche Einigung (sog. Gesamt- oder Mehrvergleich) der Beteiligten auch
ohne förmliche Verbindung der betroffenen Verfahren zu einer gemeinsamen, nach der
Addition der einzelnen Gegenstandswerte ermittelten Einigungsgebühr (VV 1000 zum
RVG). In jenem Fall bringen die Parteien durch die Einbeziehung mehrerer
Gegenstände in ihre Einigung zum Ausdruck, dass sie hinsichtlich der Einigungsgebühr
alles als eine gemeinsame Angelegenheit behandeln wollen.
3
Vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Komm., 18. Aufl. 2008, VV 1000 Rdnr. 351,
VV 1003, 1004 Rdnr. 66, m.w.N.; von Eicken, in: Gerold u.a., RVG, Komm., 16. Aufl.
2004, VV 1000 Rdnr. 45.
4
Das hat dann zur Folge, dass die durch die Einigungstätigkeit hervorgerufenen
Gebühren lediglich in dem Verfahren entstehen, in dem die Bemühungen erfolgen, nicht
jedoch bei Einbeziehung anderweitig anhängiger Ansprüche in dem/den Verfahren, in
dem/denen der mit einbezogene Anspruch/die mit einbezogenen Ansprüche anhängig
ist/sind. Auch die Kostenfestsetzung erfolgt dementsprechend nur in demjenigen
Verfahren, in dem die Einigungsgebühr entstanden ist.
5
Vgl. Müller-Rabe, a.a.O., VV 1003, 1004 Rdnr. 68, m.w.N.
6
Sind aber mehrere Parteien mit verschiedenen Gegenständen an derselben Einigung
beteiligt, so errechnet sich der für die Einigungsgebühr zu Grunde zu legende
Gegenstandswert für den (jeweiligen) Rechtsanwalt jeweils nach dem Gegenstand bzw.
den Gegenständen, von dem bzw. denen der jeweilige Mandant individuell betroffen ist;
die Einigungsgebühren sind somit für jedes Verfahren getrennt zu berechnen.
7
Vgl. Müller-Rabe, a.a.O., VV 1000 Rdnr. 352; von Eicken, a.a.O., VV 1000 Rdnr. 47.
8
Vorliegend handelt es sich um drei Klageverfahren mit - rechtlich gesehen -
verschiedenen, voneinander unabhängigen Streitgegenständen. Die Verfahren stehen
nämlich aus rechtlicher Sicht in keinem unmittelbaren oder auch nur mittelbaren
Zusammenhang. Selbst wenn es sich bei den Klägern um Geschwister handelt und alle
drei Verfahren faktisch parallel geführt worden sind, ist es ein bloßer Zufall, dass alle
drei Klageverfahren auf einem tatsächlich vergleichbaren Hintergrund beruhen und
deshalb aus rechtlich vergleichbaren Erwägungen zu einer inhaltlich identischen
Einigung jedes einzelnen Klägers mit der Beklagten geführt haben. Dass das
Vergleichsangebot der Beklagten in einem alle drei Verfahren nennenden
gemeinsamen Schriftsatz enthalten ist, hat wiederum rein praktische Gründe und ändert
nichts daran, dass die drei Klageverfahren in keinem rechtlichen Zusammenhang
untereinander stehen. Demgemäß ist die jeweilige Vergleichsannahme durch die
Kläger bezeichnenderweise auch in drei getrennten Schriftsätzen erfolgt.
9
Der fehlende rechtliche Zusammenhang unterscheidet die drei vorliegenden Verfahren
maßgebend von derjenigen Verfahrenskonstellation, über die das OVG NRW mit
seinem Beschluss vom 15.9.2006 - 12 E 1309/05 - (www.nrwe.de), den der
Bezirksrevisor im Schreiben vom 15.1.2010 heranzieht, entschieden hat. Denn in jener
Verfahrenskonstellation hingen die in die Gesamteinigung einbezogenen
Verfahrensgegenstände (Aufnahmebescheid für einen Kläger und Einbeziehung bzw.
Aufführung weiterer Kläger darin) rechtlich unmittelbar zusammen; eine Einbeziehung
bzw. Mit-Aufführung im Aufnahmebescheid war ohne die logisch vorangehende
Erteilung des Aufnahmebescheides selbst undenkbar.
10
Der Fall, über den das OLG Köln mit Beschluss vom 29.11.1972 - 2 W 105/72 - (MDR
1973, 324) zu befinden hatte - auf jenen Beschluss hat das OVG NRW in seinem o.g.
Beschluss wie zuvor das jetzt beschließende Gericht als damals erstinstanzliches
Gericht Bezug genommen -, unterscheidet sich von den jetzt vorliegenden Verfahren
gleichfalls ausschlaggebend dadurch, dass damals "mehrere Rechtsstreitigkeiten mit
11
verschiedenen Parteien in einem der Verfahren durch einen Gesamtvergleich erledigt"
wurden. Demgegenüber ist jedes der drei vorliegenden Verfahren jeweils für sich zur
Erledigung gebracht worden; für einen Gesamtvergleich in (nur) einem der drei
Verfahren hätte es auch gar keinen Anlass gegeben.
Der Annahme eines Gesamt- bzw. Mehrvergleichs in den hier betroffenen drei Verfahren
widerspricht es nach den eingangs genannten Rechtsgrundsätzen schließlich, dass der
Urkundsbeamte in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bezirksrevisors die
Gebühren im Verhältnis der Streitwerte zueinander auf die drei Verfahren verteilt, wegen
identischer Streitwerte also gedrittelt hat. Bei Annahme eines Gesamtvergleichs hätten
sämtliche Gebühren, wie oben dargelegt, jedoch nur in einem der Verfahren insgesamt
festgesetzt werden dürfen.
12
Die Kostenfolgen ergeben sich aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.
13