Urteil des VG Minden vom 20.09.2002

VG Minden: aufschiebende wirkung, verfügung, gefahr, sicherheit, einverständnis, wohnung, erheblichkeit, interessenabwägung, polizei, vollziehung

Verwaltungsgericht Minden, 11 L 1105/02
Datum:
20.09.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 L 1105/02
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.000,- ( festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der durch den Schriftsatz vom 20.9.2002 modifizierte, nunmehr ausschließliche Antrag
nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des
Antragstellers gegen die am 15.9.2002 vom Antragsgegner mündlich verfügte
Wohnungsverweisung mit zehntägigem Rückkehrverbot (§ 34 a Abs. 1, Abs. 5 Satz 1
PolG NRW) in der Fassung der schriftlichen Bestätigung vom 19.9.2002 anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
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Die Kammer geht von der Zulässigkeit des Antrags aus.
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Die Zulässigkeit scheitert nicht an einer fehlenden sofortigen Vollziehbarkeit der
streitigen Verfügung mit der Folge, dass der Widerspruch schon kraft Gesetzes (§ 80
Abs. 1 Satz 1 VwGO) aufschiebende Wirkung hätte. Es erscheint der Kammer zwar sehr
fraglich, ob es sich bei Wohnungsverweisungen mit Rückkehrverbot nach § 34 a PolG
NRW ausnahmslos um unaufschiebbare Maßnahmen i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
VwGO handelt, die kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind; bezeichnenderweise
verwendet die Polizeiverwaltung, wie der Kammer aus früheren Verfahren bekannt ist,
auch Formularbescheide zu § 34 a PolG NRW, in denen die sofortige Vollziehung
besonders angeordnet wird (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Unter Berücksichtigung
der konkreten Umstände des vorliegenden Falles - festgehalten im sehr ausführlichen
polizeilichen Vermerk vom 15.9.2002 (Beiblatt zur Strafanzeige), dessen Feststellungen
der teilweise verharmlosenden Darstellung des Antragstellers mehrfach deutlich
widersprechen -, handelte es sich jedenfalls bei der hier streitigen mündlichen
Verfügung vom 15.9.2002 um eine unaufschiebbare Maßnahme eines
Polizeivollzugsbeamten, die keiner gesonderten Anordnung der sofortigen
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Vollziehbarkeit bedurfte.
Die Kammer unterstellt zu Gunsten des Antragstellers dessen Rechtsschutzinteresse an
der begehrten Entscheidung, obwohl er sich nach dem Aktenvermerk des
Antragsgegners vom 19.9.2002 damit einverstanden erklärt haben soll, dass die
Wirkungen der vorübergehenden Wohnungsverweisung und des Rückkehrverbots auf
das Erdgeschoss des Wohngebäudes beschränkt werden; Ähnliches klingt auch schon
in den eidesstattlichen Versicherungen der Eheleute vom 17.9.2002 an.
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Der Aussetzungsantrag ist zumindest unbegründet. Das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehbarkeit der streitigen Verfügung in ihrer jetzigen geänderten
schriftlichen Gestalt überwiegt das entgegenstehende Aufschubinteresse des
Antragstellers.
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Auf Grund des Verhaltens des Antragstellers am 15.9.2002, insbesondere seiner
massiven Ausfälle gegenüber der Polizei und seiner vermerkten Äußerungen - u.a.:
"Seine Frau sei nicht zu Tode gekommen; als Arzt könne er schon einschätzen, wie
stark er zuschlagen kann, damit niemand stirbt" -, der erheblichen, eine sofortige
Notfallbehandlung erfordernden Verletzungen seiner Ehefrau (für einen vom
Antragsteller nachträglich als mögliche Verletzungsursache behaupteten Motorradunfall
gibt es objektiv nicht den geringsten Anhaltspunkt) sowie des damals sehr hohen
Blutalkoholgehalts beim Antragsteller (2,21 ‰ noch mehrere Stunden nach dem von
ihm behaupteten Zeitpunkt seines Alkoholkonsums) sieht die Kammer ebenso wie der
Antragsgegner deutliche Anzeichen für eine ernsthafte Alkoholerkrankung des
Antragstellers. Dies sowie die im vorliegenden Verfahren erkennbar gewordene
Einstellung des Antragstellers zu den Geschehnissen am 15.9.2002 spricht gegen die
Annahme, dass eine fortdauernde Gefahr i.S.d. § 34 a Abs. 1 PolG NRW bereits jetzt mit
Sicherheit auszuschließen ist. Nur bei offensichtlichem Fehlen einer solchen Gefahr
könnte jedoch ein Anspruch des Antragstellers darauf bestehen, dass die
Geltungsdauer von Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot entgegen der Regel des
§ 34 a Abs. 5 Satz 1 PolG NRW auf unter zehn Tage verkürzt wird. Allein das
Einverständnis der Ehefrau mit seiner vorzeitigen Rückkehr ist insoweit nicht
ausschlaggebend.
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Im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung kommt hinzu, dass die angefochtene
Verfügung in ihrer streitigen, schriftlich modifizierten Fassung dem Antragsteller eine
vorläufige Rückkehr lediglich in die Erdgeschossräume, nicht aber in die Wohnung im
Obergeschoss des Hauses verbietet. Die Verbotswirkung besteht überdies nur noch für
gut fünf Tage. Beides zusammengenommen relativiert zum jetzigen Zeitpunkt sehr
deutlich die Erheblichkeit des Eingriffs der streitigen Maßnahmen in die Rechte des
Antragstellers. Unter Beachtung des mit diesen Maßnahmen verfolgten Zwecks
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- vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 15.2.2002 - 5 B 278/02 -, NJW 2002, 2195
(nachfolgend BVerfG, Beschluss vom 22.2.2002 - 1 BvR 300/02 -, NJW 2002, 2225) -
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ist nach alledem dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers wesentlich weniger
Gewicht beizumessen als dem öffentlichen Interesse am Fortbestand der sofortigen
Vollziehbarkeit des streitigen Bescheides.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus
den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.
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