Urteil des VG Minden vom 19.04.2004

VG Minden: familie, tante, anhörung, sowjetunion, kasachstan, gespräch, nationalität, schweinestall, vollstreckung, eltern

Verwaltungsgericht Minden, 11 K 818/03
Datum:
19.04.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 818/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Landes, die für
erstattungsfähig erklärt werden, je zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
können eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklage
bzw. das beigeladene Land vor einer Vollstreckung Sicherheit in jeweils
gleicher Höhe leisten.
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Der Kläger zu 1. ist am 7.2.1939 in Baku geboren. Seine Eltern waren deutsche
Volkszugehörige. Die Familie wurde im November 1941 nach Warwarowka, Gebiet
Kustanai, in Kasachstan verschleppt, wo sie bis 1955 unter Kommandantur lebte. Der
Vater des Klägers zu 1. diente von Januar 1942 bis Herbst 1946 von der restlichen
Familie getrennt in der Trudarmee und starb eineinhalb Jahre nach seiner Rückkehr
wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen aus der Trudarmee. Der Kläger zu 1. lebte
mit seiner Mutter von November 1941 bis Herbst 1946 bei einer russischen Familie. Als
der Vater zurückkehrte, zog die Familie in einen Raum im Nebeneingang eines
Schweinestalls, wo die Mutter des Klägers zu 1. begann, als Schweinezüchterin zu
arbeiten. Die Klägerin zu 2. ist die russische Ehefrau des Klägers zu 1.
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Am 6.5.1996 beantragten die Kläger ihre Aufnahme nach dem
Bundesvertriebenengesetz. Im Aufnahmeantrag ist bezüglich des Klägers zu 1.
angegeben, er habe die deutsche Sprache von seinen Eltern erlernt und neben der
russischen Sprache als Kind im Elternhaus gesprochen. Jetzt spreche er kein Deutsch
mehr. Weiterhin ist angekreuzt, der Kläger zu 1. verstehe wenig in deutscher Sprache, er
spreche nur einzelne Wörter Deutsch und könne auch nicht Deutsch schreiben.
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Am 7.4.1998 sprach der Kläger zu 1. beim Konsularsprechtagsbüro Kustanai wegen
seiner Sprachkenntnisse vor. Er gab nach dem Protokoll der Anhörung eingangs bei
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Befragung in russischer Sprache an, er habe als Kind kein Deutsch erlernt. Er habe die
deutsche Sprache nur von Nachbarn und aus Gesprächen (Mutter mit Tante) gehört.
Deshalb könne er Deutsch gar nicht sprechen. Der Sprachtester stellte durch
Nachfragen fest, dass der Kläger viel Deutsch verstand, sich aber selbst nicht in
zusammenhängenden Sätzen in deutscher Sprache verständlich machen konnte.
Mit Bescheid vom 24.1.2000 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Antrag der Kläger
ab, weil der Kläger zu 1. sich nicht in deutscher Sprache verständigen könne.
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Im Widerspruchsverfahren trug der Bevollmächtigte der Kläger vor, er empfinde es als
Unrecht, den Klägern die Übersiedlung nach Deutschland zu verweigern, weil der
Kläger zu 1. die deutsche Sprache nur ungenügend beherrsche. Für seine mangelnden
Sprachkenntnisse sei er nicht verantwortlich. Auch wenn er unter politischem Druck eine
Zeit lang gezwungen gewesen sei, Russisch zu sprechen, sei er Deutscher geblieben.
Die Mutter des Klägers zu 1. habe ihren Kindern während der Kommandantur kein
perfektes Deutsch beibringen können. Obwohl die deutsche Sprache verboten gewesen
sei, sei innerhalb der Familie Deutsch gesprochen worden, wann immer das ohne
Gefahr möglich gewesen sei.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 23.4.2001 wies das Bundesverwaltungsamt den
Widerspruch der Kläger zurück. Es führte u.a. aus, die Kläger könnten sich nicht darauf
berufen, sie seien in einem russischen Umfeld aufgewachsen und hätten beim
Gebrauch der deutschen Sprache mit Repressalien zu rechnen gehabt. Zumindest zu
Hause hätte in der Familie Deutsch gesprochen werden können. Eine nachträgliche
Einbeziehung in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers sei nicht möglich.
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Am 23.5.2001 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen ergänzend zu ihrem
bisherigen Vorbringen vor, während der Kommandantur sei die Vermittlung der
deutschen Sprache in der Regel unmöglich bzw. unzumutbar gewesen, es sei denn, es
ergebe sich im Einzelfall etwas anderes. Das sei hier nicht der Fall. Die Mutter des
Klägers zu 1. habe bis zu 15 Stunden täglich arbeiten müssen, um die Familie vor dem
Verhungern zu bewahren. Unter den Anfeindungen und schwierigen Verhältnissen
unter der Kommandantur sei es völlig ausgeschlossen gewesen, dem Kläger zu 1. die
deutsche Sprache mit dem erforderlichen Gewicht so zu vermitteln, dass dieser ein
einfaches Gespräch über Gegenstände des Alltagslebens hätte führen können.
Entscheidend sei, dass die Mutter des Klägers zu 1. wegen der Vermittlung der
deutschen Sprache berechtigterweise subjektiv Nachteile befürchtet habe. Der
fremdsprachliche Deutschunterricht, den der Kläger von der 5. bis zur 10. Klasse einmal
wöchentlich erhalten habe, habe daran nichts geändert, weil er für die familiäre
Vermittlung unerheblich sei. Der Bevollmächtigte der Kläger erklärt weiterhin, die
Aussage des Klägers zu 1. beim Sprachtest, er habe gehört, wie die Mutter mit der Tante
gesprochen habe, könne gar nicht stimmen, weil die Tante damals überhaupt nicht in
Kasachstan gelebt habe.
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Die Kläger beantragen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamts vom
24.1.2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 23.4.2001 zu verpflichten,
dem Kläger zu 1. einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die Klägerin zu 2. in diesen
Bescheid einzubeziehen.
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Die Beklagte und das beigeladene Land beantragen jeweils,
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die Klage abzuweisen.
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Sie sind der Auffassung, dass die Feststellung der familiären Vermittlung der deutschen
Sprache nicht gemäß § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG entfalle, weil der Kläger zu 1. mit seiner
Mutter aufgewachsen sei, die ihm die deutsche Sprache hätte vermitteln können. Das
folge bereits daraus, dass der Kläger zu 1. selbst angegeben habe, viel Deutsch von
den Nachbarn und aus Gesprächen gehört zu haben. Zumindest innerhalb des
häuslichen Bereichs sei der Gebrauch der deutschen Sprache ohne die Befürchtung
von unzumutbaren Diskriminierungen oder Benachteiligungen in der ehemaligen
Sowjetunion jederzeit und überall möglich gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesverwaltungsamtes (drei
Hefter) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die Ablehnung des begehrten Aufnahmebescheides ist rechtmäßig und verletzt die
Kläger nicht in ihren Rechten, weil sie keinen Anspruch auf seine Erteilung haben, §
113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Der Kläger zu 1. hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß
§ 27 Abs. 1 Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 2.6.1993, BGBl. I T.. 829, zuletzt geändert durch das Gesetz zur
Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG) vom
30.8.2001, BGBl. I S. 2266.
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Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit
Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Verlassen dieser Gebiete die
Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler kann nach § 4 Abs. 1
BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist. Da der Kläger zu 1. nach dem
31.12.1923 geboren ist, ist er nach § 6 Abs. 2 BVFG deutscher Volkszugehöriger, wenn
er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen
abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine
entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum
deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen
Nationalität gehört hat (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG). Das Bekenntnis zum deutschen
Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss bestätigt
werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache (§ 6 Abs. 2 Satz 2
BVFG).
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Der Kläger zu 1. erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Er ist nach dem Ergebnis der
Anhörung nicht in der Lage, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen.
Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
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Das Bestätigungsmerkmal der familiären Vermittlung der deutschen Sprache ist im Falle
des Klägers zu 1. nicht entbehrlich. Die Fiktion des § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG greift nicht
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zu seinen Gunsten ein. Nach dieser Regelung gelten die Voraussetzungen des § 6 Abs.
2 Sätze 2 und 3 BVFG als erfüllt, wenn die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache
wegen der Verhältnisse in dem jeweiligen Aussiedlungsgebiet nicht möglich oder nicht
zumutbar war. Diese Voraussetzungen liegen im Falle des im Jahre 1939 geborenen
Klägers zu 1. nicht vor. Es ist in der Rechtsprechung des OVG NRW geklärt, dass eine
Vermittlung der deutschen Sprache in der ehemaligen Sowjetunion grundsätzlich
möglich war. Die deutsche Sprache konnte in der ehemaligen Sowjetunion seit dem 2.
Weltkrieg zumindest in den Familien auch in Bereichen ungehindert gesprochen
werden, in denen sich nur wenige Angehörige der deutschen Volksgruppe aufhielten.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.3.2003 - 2 A 4097/01 -, und vom 29.7.2002 - 2 A
4551/00 - unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 10.12.1997 - 2 A 4244/99 -.
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Soweit der VGH Mannheim davon ausgeht, dass die Vermittlung der deutschen
Sprache unabhängig von der Möglichkeit, die Sprache im familiären Bereich zu
verwenden, schon dann unmöglich oder unzumutbar war, wenn ihr Gebrauch außerhalb
der Familie mit Gefahren oder schwerwiegenden Nachteilen verbunden war,
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VGH Mannheim, Urteil vom 11.4.2001 - 6 T. 1992/99 -, DÖV 2002, 919,
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folgt die Kammer diesem Ansatz nicht. Die genannte entgegenstehende auf
umfangreiche Gutachten und Stellungnahmen gestützte Rechtsprechung des OVG
NRW zur Frage der Möglichkeit der Vermittlung der deutschen Sprache als
Bestätigungsmerkmal im Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion wird nämlich
bestätigt durch die Tatsache, dass zahlreichen Deutschstämmigen in der Familie die
deutsche Sprache ungeachtet von öffentlichen Anfeindungen tatsächlich vermittelt
worden ist. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich nichts
anderes,
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vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.6.2000 - 5 B 136.99 -; Urteil vom 7.12.2000 - 5 C 38.99
(betreffend Urteil des Niedersächsischen OVG vom 18.10.1999 - 13 L 4455/96 -).
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Der Umstand, dass die Familie des Klägers zu 1. zumindest weitgehend ohne Kontakt
zu vielen anderen Deutschen gelebt hat, führt nicht zur Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz
4 BVFG. Denn dies liefe darauf hinaus, dass der vom Gesetzgeber ersichtlich als
Ausnahmefall geschaffene Fiktionsfall im Hauptanwendungsgebiet der ehemaligen
Sowjetunion angesichts der bekannten dort gegenüber den Volksdeutschen erfolgten
Maßnahmen im Rahmen der Deportation der Regelfall wäre. Dies ist aber ersichtlich
nicht der Sinn der Vorschrift.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.3.2003, a.a.O.
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Die Kammer kann auch den konkret vorgetragenen Umständen nicht entnehmen, dass
im Fall des Klägers zu 1. ausnahmsweise etwas anderes gelten müsste. Selbst wenn
angenommen wird, dass dem Kläger zu 1. die deutsche Sprache in der Zeit von seinem
zweiten bis siebten Lebensjahr im Haus der russischen Familie nicht vermittelt werden
konnte, ist nicht ersichtlich, weshalb anschließend eine Vermittlung der deutschen
Sprache durch die deutschsprachige Mutter nicht möglich gewesen sein soll. Auch unter
Berücksichtigung der Unterbringung der Familie in Räumen im Nebeneingang eines
Schweinestalls kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass diese
Räumlichkeiten eine Vermittlung der deutschen Sprache verhindert hätten. Dieser
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Annahme steht vor allem die Aussage des Klägers zu 1. bei seiner Anhörung in
Kustanai entgegen, er habe als Kind viel Deutsch von Nachbarn und aus Gesprächen
(Mutter mit Tante) gehört. Diese Angaben werden nicht substantiiert in Zweifel gezogen,
indem der Bevollmächtigte der Kläger vortragen lässt, das könne schon deshalb nicht
stimmen, weil die Tante, die lediglich beispielhaft erwähnt ist, nicht in Kasachstan gelebt
habe. Mit der protokollierten Aussage machte der Klägers zu 1. deutlich, er habe die
deutsche Sprache von Nachbarn und aus anderen Gesprächen gehört. Diese Aussage,
dass er viel Deutsch gehört hat, ist sogar zweimal protokolliert. Anders ist auch gar nicht
zu erklären, dass der Kläger zu 1., der später mit der deutschen Sprache nicht mehr in
Kontakt gekommen ist, bei seiner Anhörung so viel Deutsch verstand. In der mündlichen
Verhandlung hat der Bevollmächtigte der Kläger die Tatsache, dass der Kläger zu 1. in
seiner Kindheit viel Deutsch gehört hat, nicht weiter in Frage gestellt.
Wenn im Umfeld des Klägers zu 1. so viel Deutsch gesprochen wurde, dass er trotz
jahrelangem Nichtgebrauch der Sprache noch im Jahr 1998 in der Lage war, viel
Deutsch zu verstehen, ist nicht plausibel, weshalb seine Mutter ihm die deutsche
Sprache wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht in solchem Umfang hätte
vermitteln können sollen, dass er ein einfaches Gespräch auf Deutsch hätte führen
können. Die familiäre Sprachvermittlung muss nach der Rechtsprechung des BVerwG
nur so lange angedauert haben und mit solchem Gewicht erfolgt sein, dass der
Aufnahmebewerber durch sie das Sprachniveau erreicht hat, das ihn befähigt, ein
einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Diese Fähigkeit muss im Zeitpunkt der
Aussiedlung noch feststellbar sein. Die Führung eines einfachen Gespräches erfordert
danach nur, dass der Antragsteller in deutscher Sprache über einfache
Lebenssachverhalte aus dem familiären Bereich, über alltägliche Situationen und
Bedürfnisse oder die Ausübung eines Berufs oder einer Beschäftigung sprechen kann
und Äußerungen aus diesem Bereich versteht. In formeller Hinsicht ist die Fähigkeit zu
einem einigermaßen flüssigen, in ganzen Sätzen erfolgenden Austausch in Rede und
Gegenrede erforderlich.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.9.2003 - 5 C 11.03 -, DVBl. 2004, 448.
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Diese sprachlichen Anforderungen sind so gesetzt, dass sie auch dann noch erfüllt
werden können, wenn die Vermittlung der deutschen Sprache im Wesentlichen erst mit
dem siebten Lebensjahr beginnt, selbst wenn berücksichtigt wird, dass der
Spracherwerb in diesem Alter schwerer ist als bei Kleinkindern.
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Nach den Angaben im Aufnahmeantrag haben die Kläger noch selbst angegeben, der
Kläger zu 1. hätte die deutsche Sprache im Elternhaus vermittelt bekommen. Von einer
Unmöglichkeit der Vermittlung war zunächst keine Rede. Wenn der Bevollmächtigte der
Kläger erstmals während des Widerspruchsverfahrens abweichend davon vortrug, der
Gebrauch der deutschen Sprache sei während der Kommandanturzeit bei Strafe
verboten gewesen, so ist das nicht damit vereinbar, dass der Kläger zu 1. in seiner
Kindheit viel Deutsch gehört und ab der 5. Klasse, also noch wahrend der
Kommandanturzeit, Deutsch sogar als Fremdsprache in der Schule gelernt haben will.
Wenn er damit bereits Anfang der fünfziger Jahre in den Genuss eines staatlich
angebotenen fremdsprachlichen Deutschunterrichts kam, während solcher Unterricht in
Kasachstan an sich erst ab 1956 verbreitet angeboten wurde, wie der VGH Mannheim in
seinem Urteil vom 11.4.2001 im einzelnen ausgeführt hat, so spricht das eher dafür,
dass die deutsche Sprache in dem Dorf, in dem der Kläger zu 1. aufgewachsen ist,
schon zu Kommandanturzeiten durchaus toleriert worden ist und erst recht ihre
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Verwendung im familiären Bereich in der Unterkunft im Schweinestall möglich war.
Soweit die Kläger vortragen, die Mutter des Klägers zu 1. habe etwa 15 Stunden täglich
arbeiten müssen und daneben keine Zeit und Gelegenheit gehabt, ihren Kindern die
deutsche Sprache zu vermitteln, ist dies bereits deshalb nicht hinreichend
nachvollziehbar, weil die Mutter in demselben Schweinestall gearbeitet hat, in dem die
Familie untergebracht war. Zudem ist eine Schwester des Klägers, M. X. , im März 1947
geboren worden, so dass auch dies eine durchgehende tägliche Arbeitszeit von 15
Stunden seit dem Jahr 1946 nicht als plausibel erscheinen lässt. Selbst wenn die Mutter
des Klägers zu 1. in erheblichem Umfang beruflich beschäftigt gewesen wäre, schlösse
das in einer Umgebung, in der in nennenswertem Umfang Deutsch gesprochen wurde,
nicht die Vermittlung der deutschen Sprache an ihre Kinder aus, zumal die Familie nach
den Angaben in der Klagebegründung und in der mündlichen Verhandlung
Unterstützung von dem deutschstämmigen Arbeitskollegen der Mutter, Herrn K. T.
erhielt, den sie später auch heiratete. Auch wenn dieser keine familiäre
Vermittlungsperson für den Kläger zu 1. gewesen sein mag, war eine familiäre
Vermittlung der Sprache durchaus auch in der Form denkbar, dass Gespräche zwischen
diesem und der Mutter des Klägers zu 1., bei denen der Kläger zu 1. anwesend war, auf
Deutsch geführt wurden. Im Übrigen gibt es keinen allgemein gültigen Erfahrungssatz
dahingehend, dass bei nur eingeschränktem Kontakt zwischen einem Elternteil und
seinem Kind keine hinreichende Weitergabe der Sprache des Elternteils möglich ist.
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OVG NRW, Beschluss vom 25.10.2001 - 2 A 1345/01 -.
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Darüber hinaus sind keine konkreten Besonderheiten dargelegt worden, aus denen sich
anders als in anderen Landesteilen durch den Gebrauch der deutschen Sprache in der
Familie erhebliche Nachteile oder gar Gefahren für die Familie des Klägers zu 1.
ergeben haben könnten, obwohl die Sprache in seiner Umgebung offensichtlich trotz
einer nur geringen Zahl dort ansässiger deutschsprachiger Familien in nennenswertem
Umfang tatsächlich gesprochen wurde. Dass die Mutter des Klägers zu 1. aus
menschlich nachvollziehbaren Gründen nach der erlittenen Vertreibung einen Gebrauch
der deutschen Sprache in der Familie nicht mehr wünschte, führt nicht dazu, den
prägenden Spracherwerb des Klägers zu 1. rechtlich als wegen der Verhältnisse im
Herkunftsgebiet nicht möglich oder zumutbar anzusehen. Vielmehr bleibt es auch unter
Berücksichtigung dieser Motive eine bewusst in der Familie getroffene Entscheidung,
die sich auch darin manifestiert, dass die Familie nach Aussage des Klägers zu 1. bei
seiner Anhörung in Kustanai nicht nur kein Deutsch gesprochen hat, sondern insgesamt
so gelebt hat wie die nichtdeutschen Nachbarn auch.
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Hat der Kläger zu 1. keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides, kommt
eine Einbeziehung der Klägerin zu 2. in einen solchen gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG
nicht in Betracht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 159 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 100
Abs. 1 ZPO und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern auch die
außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Landes aufzuerlegen. Denn dieses hat
einen Sachantrag gestellt und sich daher einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. §
154 Abs. 3 VwGO).
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Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis
beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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