Urteil des VG Minden vom 25.02.2005

VG Minden: stand der technik, luft, bekanntmachung, wissenschaft, anpassung, ergänzung, bundesrat, anhörung, rückgriff, verordnung

Verwaltungsgericht Minden, 11 K 2744/02
Datum:
25.02.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 K 2744/02
Tenor:
1. Das von den Beteiligten übereinstimmend in der Hauptsache für
erledigt erklärte Verfahren wird in entsprechender Anwendung des § 92
Abs. 3 VwGO eingestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Diese Kostenregelung entspricht billigem Ermessen i.S.d. § 161 Abs. 2
VwGO.
Das Gericht hätte die Klage ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses
voraussichtlich abgewiesen. Es geht davon aus, dass die
streitgegenständliche Anordnung unter Nr. 4 der Ordnungsverfügung
des Staatlichen Umweltamts C1. vom 19.4.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung E. vom 2.8.2002 schon
bei Erlass des Widerspruchsbescheids dem Stand der Technik
entsprach, auch wenn die als normkonkretisierende
Verwaltungsvorschrift auch im gerichtlichen Verfahren beachtliche (vgl.
BVerwG, Urteil vom 21.6.2001 - 7 C 21.00 -, NVwZ 2001, 1165;
BVerwGE 110, 216 (218) = NVwZ 2000, 440; NVwZ 1995, 994) TA Luft
in der Fassung vom 24.7.2002 (GMBL. 511) - TA Luft 2002 - erst zwei
Monate später förmlich in Kraft gesetzt worden ist. Denn eine inhaltlich
vergleichbare Regelung enthielt bereits die TA Luft vom 27.2.1986
(GMBl. 95, ber. 202) in Nr. 3.1.5.4 und 3.1.5.5 für krebserzeugende Stoffe
nach Nr. 2.3 Klasse III. Auch wenn Holzstaub nicht ausdrücklich unter
den krebserzeugenden Stoffen nach Nr. 2.3 Klasse III aufgeführt war,
war Buchenholzstaub zumindest seit 1999 als krebserzeugend
anzusehen. Nach § 35 Abs. 4 der Gefahrstoffverordnung in der Fassung
der Bekanntmachung vom 15.11.1999 (BGBl. I 2233) waren diese
Stäube krebserzeugende Gefahrstoffe. Sie waren zudem seit 1999 in der
MAK- und BAT- Werte-Liste der DFG-Grenzwertkommission in
Kategorie 1 enthalten, zu der krebserzeugende Stoffe zählen, bei denen
davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum
Krebsrisiko leisten. Die krebserzeugende Wirkung sonstiger Holzstäube
konnte seinerzeit noch nicht endgültig beurteilt werden, obwohl auch sie
wegen möglicher krebserzeugender Wirkung beim Menschen Anlass zur
Besorgnis gaben (vgl. Van Kampen/Marczynski, Neue MAK- und BAT-
Werte-Liste 1999 unter besonderer Berücksichtigung von
krebserzeugenden Arbeitsstoffen, http://www.bgfa-ruhr-uni-
bochum.de/publik/info0399/mak.php; LUA Brandenburg (Hrsg.),
Humantoxikologisches Potential von Holzstäuben, 2001,
http://www.mlur.brandenburg.de/cms/media.php/2320/lua_bd34.pdf).
Das Gericht weist darauf hin, dass auch nach Aufhebung der
GefahrstoffV 1999 durch die Verordnung zur Anpassung der
Gefahrstoffverordnung an die EG-Richtlinie 98/24/EG und andere EG-
Richtlinien vom 23.12.2004 - GefahrstoffV 2004 - (BGBl. I, 3758) kein
Zweifel an der krebserzeugenden Wirkung von Hartholzstäuben besteht.
§ 16 Abs. 1 GefahrstoffV 2004 sieht für den Umgang mit Hartholzstaub,
der in Anhang V Nr. 1 als Gefahrstoff bezeichnet ist,
Vorsorgeuntersuchungen vor. Die krebserzeugende Wirkung von
Hartholzstäuben ergibt sich auch aus den Anhängen I (Nr. 5) und III der
Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen
Gefährdungen durch Karzinome oder Mutagene bei der Arbeit -
kodifizierte Fassung der Richtlinie 90/394/EG, zuletzt geändert durch die
Richtlinie 99/38/EG, die bis 29.4.2003 in nationales Recht umzusetzen
war, vgl. Art. 20 der Richtlinie 2004/37/EG i.V.m. Anhang IV, Teil B.
Danach ist abzusehen, dass Hartholzstäube demnächst auch gemäß § 3
Abs. 2 Nr. 3 GefahrstoffV 2004 in einer Bekanntmachung des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit nach § 21 Abs. 4
GefahrstoffV 2004 als krebserregend bezeichnet werden.
Die krebserzeugende Wirkung von Buchenholzstaub hatte nicht nur
Bedeutung für das Arbeitsschutzrecht, was vor allem daran deutlich wird,
dass die TA Luft 2002 in Nr. 5.2.7.1 die krebserzeugende Wirkung
ebenso wie das Arbeitsschutzrecht nach dem "Verzeichnis
krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender
Stoffe" (TRGS 905) (siehe www.baua.de) und der GefahrstoffV bestimmt.
Diese spätestens seit 1999 vorliegenden Erkenntnisse sind in die TA
Luft zwar erst in der Fassung von 2002 eingearbeitet und berücksichtigt
worden. In ihnen liegen nach Ansicht des Gerichts jedoch gesicherte
Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik, die die Regelungen
der alten TA Luft ergänzungsbedürftig werden ließen und zum Zeitpunkt
der Widerspruchsentscheidung zu berücksichtigen waren (vgl. BVerwG,
Urteil vom 21.6.2001, a.a.O.).
Es erscheint dem Gericht naheliegend, dass die schon vor dem
förmlichen Inkrafttreten der TA Luft 2002 notwendige Ergänzung unter
Rückgriff auf deren nicht mit einer gesonderten Übergangsvorschrift
versehenen Nr. 5.4.6.3 oder die Nr. 5.2.3.5.1, 5.2.3.5.2, 5.2.3.6 i.V.m. Nr.
5.2.7.1, 5.2.7.1.1 Abs. 3 und Nr. 6 zu erfolgen hat, die sich inhaltlich an
die genannten Regelungen der TA Luft 1986 für krebserzeugende Stoffe
anlehnen und diese für das Entladen von potentiell staubenden
Industrieresthölzern in Span- und Faserplattenwerken der Sache nach
übernehmen. Hierzu sieht sich die Kammer berechtigt, weil im
maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung der endgültige
Wortlaut der TA Luft 2002 schon veröffentlicht war und
dementsprechend die zur Ermittlung des Standes der Technik
wesentliche Anhörung der beteiligten Kreise gemäß § 48 BImSchG
schon stattgefunden und der Bundesrat zugestimmt hatte.
3. Der Streitwert wird im Hinblick auf die nach Darstellung der Klägerin
in der mündlichen Verhandlung mit der Befolgung der angefochtenen
Anordnung verbundenen erheblichen Investitionen auf 50.000,- EUR
festgesetzt (§ 13 Abs. 1 GKG a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG und ggf. mit § 73
Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.).
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