Urteil des VG Minden vom 14.05.2002

VG Minden: universität, vorschlag, erlass, fakultät, hochschule, wirtschaftswissenschaft, ernennen, ausnahme, ermessen, professur

Verwaltungsgericht Minden, 4 L 600/01
Datum:
14.05.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 600/01
Tenor:
1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
aufgegeben, bis zum Abschluss eines unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu durchzuführenden
Auswahlverfahrens den Beigeladenen nicht zum Universitätsprofessor
(Besoldungsgruppe C 4) für das Fach "Wirtschaftswissenschaft und ihre
Didaktik" an der Universität zu L. zu ernennen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und der
Beigeladene als Gesamtschuldner; die außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen trägt dieser selbst.
3. Der Streitwert wird auf 2000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, bis zum
Abschluss eines unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu
durchzuführenden Auswahlverfahrens den Beigeladenen nicht zum
Universitätsprofessor (Besoldungsgruppe C 4) für das Fach "Wirtschaftswissenschaft
und ihre Didaktik" an der Universität zu L. zu ernennen,
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ist zulässig und begründet.
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Nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO kann eine einstweilige
Anordnung ergehen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Anspruch auf
eine bestimmte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dieser Anspruch gefährdet
ist und durch vorläufige Maßnahmen gesichert werden muss (Anordnungsgrund).
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Ein Anordnungsgrund besteht im Hinblick auf die bereits getroffene Auswahl unter den
Bewerbern und die damit bevorstehende Ernennung des Beigeladenen, nach der der
Antragsteller seine behaupteten Rechte nicht mehr geltend machen könnte.
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Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn nach
der allein möglichen summarischen Überprüfung ist es überwiegend wahrscheinlich,
dass die Entscheidung des Antragsgegners zur Besetzung der hier betroffenen Stelle
fehlerhaft ist.
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Gem. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Hochschulgesetzes (HG) beruft das Ministerium die
Professorinnen und Professoren auf Vorschlag der Hochschule, es kann eine
Professorin oder einen Professor abweichend von der Reihenfolge des Vorschlages der
Hochschule berufen oder einen neuen Vorschlag anfordern. Ersteres soll hier - durch
die Berufung des Beigeladenen - geschehen. Die Universität zu L. hatte dem
Ministerium gem. § 48 Abs. 2 und 3 HG unter dem 07.02.2001 durch den Rektor den
Vorschlag der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät übermittelt. Dieser Vorschlag mit
drei Einzelvorschlägen in bestimmter Reihenfolge nennt an erster Stelle den
Beigeladenen und an zweiter Stelle den Antragsteller. Im vorliegenden Fall beabsichtigt
das Ministerium, dem Vorschlag der Universität zu L. und der dort festgelegten
Reihenfolge zu folgen und die Professorenstelle, um die es hier geht, mit dem
Beigeladenen besetzen. Dies begegnet jedoch schon bei summarischer Überprüfung
erheblichen rechtlichen Bedenken. Es spricht vieles dafür, dass der Antragsgegner bei
seiner Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Beigeladene über die
in § 46 Abs. 4 HG vorgeschriebene dreijährige Schulpraxis verfügt bzw. Tätigkeiten
aufweisen kann, die eine derartige Schulpraxis adäquat ersetzen. Nach dieser Vorschrift
soll auf eine Stelle, deren Aufgabenumschreibung die Wahrnehmung
erziehungswissenschaftlicher oder fachdidaktischer Aufgaben in der Lehrerbildung
vorsieht, nur berufen werden, wer eine dreijährige Schulpraxis nachweist. Um eine
derartige Stelle handelt es sich bei der hier in Frage stehenden Professorenstelle in der
Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu L. : nach dem
Ausschreibungstext soll der Stelleninhaber/ die Stelleninhaberin in allen Studiengängen
(Lehre, Prüfung und Studienorganisation incl. Praktika), d.h. in den Lehramtsstudien
Sozialwissenschaften (Sekundarstufe I) und Gesellschaftslehre (Primarstufe) und im
Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft mitarbeiten. Die Universität zu L. und auch
das Ministerium gehen nach den dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgängen
ebenfalls davon aus, dass es sich bei der hier in Frage stehenden Stelle um eine Stelle
im Sinne des § 46 Abs. 4 HG handelt. Der Beigeladene verfügt nicht über eine
dreijährige Schulpraxis i.S. dieser Vorschrift. Unter " Schulpraxis" i.S. v. § 46 Abs. 4 HG
dürfte allein eine Unterrichtserteilung als Lehrer an einer Schule zu verstehen sein.
Lehr- und Prüfungstätigkeiten z. B. als Hochschullehrer im Rahmen der
Lehrerausbildung an einer Hochschule dürften der durch den Gesetzgeber in Fällen der
vorliegenden Art zur Sicherstellung des notwendigen Praxisbezugs grundsätzlich
vorgegebenen dreijährigen Schulpraxis nicht gleichstehen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.08.1994 - 6 B 1770/94 -, n.v. zu § 49 Abs. 6 Satz 1
UG.
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§ 46 Abs. 4 HG räumt dem Ministerium, wie sich aus dem Wortlaut "..soll nur berufen
werden.." ergibt, jedoch in geringem Umfang bei seiner Entscheidung, ob von dieser
von ihm zu prüfenden gesetzlichen Ernennungsvoraussetzung ausnahmsweise eine
Ausnahme gemacht werden kann, Ermessen ein. Bei der Ausübung dieses Ermessens
hat sich das Ministerium durch seinen Erlass vom 15.12.1995 - II A 1-3800 - gebunden.
Danach können auch Bewerberinnen und Bewerber bei ganz oder teilweise fehlender
Schulpraxis eingestellt werden, wenn sie über mindestens dreijährige praktische
Erfahrungen bei der Anwendung oder Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und
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Methoden für den Schulbereich (z.B. Tätigkeiten in Lehrerausbildungsseminaren, in der
Curriculumsentwicklung) verfügen. Dieser Erlass ist, wie der Antragsgegner der
Kammer auf Anfrage unter dem 29.01.2002 mitgeteilt hat, nach wie vor in Kraft, die
dortigen Regelungen wurden und werden auch in anderen Fällen angewendet. So hat
das Ministerium, wie sich aus seinem Erlass vom 03.06.1998 - II A 4- 3021.6/091 -
anlässlich der Besetzung einer C 4-Professur für das Fach "Biologie und ihre Didaktik"
in der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu L. ergibt, in jenem
Verfahren den Berufungsvorschlag der Universität wegen fehlender Schulpraxis bzw.
vergleichbarer Tätigkeiten zurückgewiesen. Die in diesem Erlass geforderten
Voraussetzungen für die Zulassung einer Ausnahme von dem Erfordernis einer
dreijährigen Schulpraxis erfüllt der Beigeladene bei summarischer Überprüfung nicht:
der Beigeladene war überwiegend in der außerschulischen Jugend- und
Erwachsenenbildung und nicht in Lehrerausbildungsseminaren und/oder in der
Curriculumsentwicklung tätig. Seine Tätigkeit als Dozent an der Wirtschafts- und
Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer C. erfüllt auch schon deshalb nicht die o.a.
Voraussetzungen, weil der Beigeladene dort nicht drei, sondern nur ca. zweieinhalb
Jahre (von Februar 1987 bis September 1989) tätig gewesen ist.
Dem Antrag war deshalb mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 159, 162 Abs. 3
VwGO stattzugeben.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
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