Urteil des VG Minden vom 20.11.2007

VG Minden: verfügung, posten, vorverfahren, vollstreckung, ausnahme, dienstleistung, versetzung, leistungsklage, verwaltungsakt, öffentlich

Verwaltungsgericht Minden, 10 K 1223/07
Datum:
20.11.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 1223/07
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 2007
und des Widerspruchsbescheides vom 08. Mai 2007 verurteilt, den
Kläger amtsangemessen zu beschäftigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für
notwendig erklärt.
Tatbestand:
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Der 19...geborene Kläger, U. G. (A... + ..) im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, ist der E.
U1. AG zur Dienstleistung zugewiesen. Mit Verfügung vom 28. Oktober 2003, der eine
Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, versetzte diese ihn mit Wirkung vom 01.
November 2003 von der U2. O. P. zu der Personalserviceagentur Vivento. Von dort aus
kam der Kläger zeitweise bei Nachfolgeunternehmen der E. C. zum Einsatz. Außerdem
unterzog er sich mehreren Qualifizierungsmaßnahmen. Auf einen dauerhaften
Arbeitsplatz wurde er nicht vermittelt.
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In einem Vergleich vom 08. November 2006, der im Rahmen eines von dem Kläger am
11. Januar 2006 eingeleiteten Klageverfahrens geschlossen wurde, verpflichtete sich
die E...... U1. AG u.a., über einen Antrag von ihm auf amtsangemessene Beschäftigung
zu entscheiden (VG Minden 10 K 75/06).
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Mit Bescheid vom 20. März 2007 lehnte sie den Antrag ab: Sein Anspruch auf
amtsangemessene Beschäftigung werde nicht in Abrede gestellt. Man habe den Antrag
umfassend geprüft. Derzeit sei weder bei Vivento noch beim Mutterkonzern ein
geeigneter freier amtsgemäßer Arbeitsposten verfügbar.
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Am 10. April 2007 erhob der Kläger Widerspruch: Stehe ein geeigneter freier
amtsangemessener Arbeitsposten nicht zur Verfügung, so sei ein solcher zu schaffen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 08. Mai 2007, zugestellt am 11. Mai 2007, wies der
Vorstand der E. U1. AG den Widerspruch zurück: Zwar habe ein Beamter grundsätzlich
Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung, d.h. entsprechend seinem Amt im
statusrechtlichen und abstrakt-funktionellen Sinne beschäftigt zu werden. Dieser
bestehe allerdings nicht uneingeschränkt; vielmehr eröffneten dienstrechtliche
Vorschriften dem Dienstherrn unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen
Beamten vorübergehend auf einem Arbeitsposten von geringerer Bewertung unter
Belassung seiner Amtsbezeichnung und seiner Dienstbezüge zu verwenden, wenn
betriebliche Gründe es erforderten. Das solle es dem Dienstherrn ermöglichen, flexibel
auf dienstliche Bedürfnisse zu reagieren. Dieser Gedanke habe seinen Niederschlag
auch in der speziellen Vorschrift des § 6 PostPersRG gefunden.
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Der Kläger hat am 08. Juni 2007 Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft früheres
Vorbringen und beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 20. März 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08. Mai 2007 zu verpflichten, ihn amtsangemessen zu
beschäftigen, sowie die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren für
notwendig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Dem Kläger seit seiner Versetzung zu Vivento angebotene Posten - etwa einen Einsatz
bei der C1. g.. B. - habe er ausgeschlagen. Am 25. Oktober 2005 sei ihm ein
Stellenangebot unterbreitet worden, bei dem es um einen Dauerarbeitsplatz bei der Q.
in P1. gegangen sei. Der Kläger habe es abgelehnt, sich hierauf zu bewerben. Die
Suche nach einem geeigneten Dauerarbeitsplatz für ihn sei zusätzlich erschwert
worden durch bei ihm gegebene gesundheitliche Einschränkungen und
krankheitsbedingte Ausfalltage. Da derzeit wesentlich weniger freie Posten zur
Verfügung stünden, als Bewerber vorhanden seien, würden die Posten aufgrund von
Bewerbungsverfahren vergeben. Ob es zu einem Einsatz auf einem dauerhaften
Arbeitsplatz komme, hänge in keinem Fall von der Vivento, sondern in allen Fällen von
der Entscheidung der ausschreibenden/aufnehmenden Stelle ab. Einen
Rechtsanspruch eines Beamten, für ihn einen eigenen Posten einzurichten, gebe es
nicht. Dies liege in der Organisationshoheit des Dienstherrn. Im Übrigen sei der Kläger
unmittelbarer Bundesbeamter. Seine Ansprüche gegenüber dem Dienstherrn richteten
sich gegen den Bund. Der wäre ggf. verpflichtet, unter Berücksichtigung der gesamten
Bundesverwaltung eine zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeit zu schaffen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte,
die Verfahrensakten 10 K 75/06 sowie 10 K 1222/07 und einen von der Beklagten
vorgelegten Verwaltungsvorgang (1 Heft) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Vorsitzende entscheidet anstelle der Kammer allein. Die Beteiligten haben sich
hiermit wirksam einverstanden erklärt (§ 87a Abs. 2, 3 VwGO).
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Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Dem Kläger geht es um einen
Realakt der Beklagten. Dass diese ggf., um ihm die amtsangemessene Beschäftigung
zu verschaffen, eine Versetzungsverfügung erlassen müsste, ist für die Beurteilung der
Klageart unerheblich, weil die als solche letztlich erstrebte Leistung kein Verwaltungsakt
ist.
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Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat den geltend gemachten Anspruch auf
amtsangemessene Beschäftigung. Dieser folgt aus Art. 33 Abs. 5 GG
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- vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2006 - 2 C 26/05 - -.
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Ihm müssen also ein abstrakt-funktionelles Amt sowie ein amtsangemessenes konkret-
funktionelles Amt, d.h. ein entsprechender Dienstposten, übertragen werden. Dieser
Anspruch wird für den Bereich der Q1. weder durch höherrangiges noch durch
einfaches Bundesrecht verdrängt oder verändert. Das öffentlich-rechtliche Dienst- und
Treueverhältnis des Art. 33 GG setzt voraus, dass der Beamte zur Dienstleistung
herangezogen und ihm ein funktionelles Amt übertragen wird, das den Einsatz seiner
Arbeitskraft überhaupt erfordert. Dem widerspricht es, ihm auf unbestimmte Zeit kein
Funktionsamt zu übertragen und ihn dadurch in den Zustand der
Beschäftigungslosigkeit zu versetzen oder ihn, vergleichbar einem Leiharbeiter, über
einen längeren Zeitraum in Dienststellen anderer Dienstherrn zu beschäftigen.
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Mit der Versetzung zu Vivento hat der Kläger seine bisherigen Funktionsämter nicht nur
vorübergehend verloren, ohne dass ihm andere amtsgemäße Funktionsämter auf Dauer
übertragen worden sind. Bei Vivento besteht die Aufgabe des Klägers gemäß Ziff. 5
Abs. 2 der Regelungen zum Rationalisierungsschutz für Beamte zwar darin, sich aktiv
an der Suche nach einem Dienstposten zu beteiligen, an Qualifizierungsmaßnahmen
teilzunehmen und sich für vorübergehende Tätigkeiten bereitzuhalten. Dies entspricht
jedoch keinem Aufgabenbereich innerhalb des Unternehmens im Sinne eines abstrakt-
und konkret-funktionellen Amtes. Der Kläger ist in keiner Weise in die Organisation und
die Abläufe des Unternehmens Vivento eingebunden und nimmt keine
Verwaltungstätigkeiten wahr
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- vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2006 - 2 C 26/05 - -.
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Weil darin keine amtsangemessene Beschäftigung zu sehen ist, ist die Klage
begründet.
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Was die E1. U1. AG demgegenüber vorträgt, rechtfertigt keine andere Wertung:
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Zwar ist es gemäß § 6 PostPersRG zulässig, einen Beamten vorübergehend auf einem
anderen Arbeitsposten von geringerer Bewertung unter Belassung seiner
Amtsbezeichnung und seiner Dienstbezüge zu verwenden, wenn betriebliche Gründe
es erfordern. Im vorliegenden Fall geht es indessen nicht um eine zeitlich beschränkte
unterwertige Beschäftigung, sondern um Nichtbeschäftigung.
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Hat der Kläger kraft Verfassung den von ihm geltend gemachten Anspruch, so ist es
Sache des Dienstherrn, diesen von sich aus zu erfüllen. Dienstposten nachzuweisen,
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auf die der Beamte sich mit mehr oder weniger Aussicht auf Erfolg bewerben kann, ist
insoweit unzureichend.
Ob zur Zeit ein für den Kläger geeigneter Dienstposten zur Verfügung steht, ist
unerheblich.
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Schließlich muss er sich auch nicht die Bestandskraft der Versetzungsverfügung vom
28. Oktober 2003 entgegenhalten lassen. Damit hat er zwar die Zuordnung zu Vivento
ab 01. November 2003 hingenommen, den Anspruch auf Übertragung eines abstrakten
sowie eines konkreten Funktionsamtes aber behalten
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- vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2006 - 2 C 26/05 - -.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die übrigen
Nebenentscheidungen folgen aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO
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- vgl. zur Anwendung der Bestimmungen im Falle einer allgemeinen Leistungsklage
Heckmann, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 2006, § 167 Rdnr.
21 -.
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Der auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO zielende Antrag, die Zuziehung eines
Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist begründet. Dabei
bedarf keiner abschließenden Klärung, wann eine Notwendigkeit i.S. der Vorschrift
anzunehmen ist
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- Übersicht bei Neumann, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 162 Rdnr. 101 - .
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Denn im vorliegenden Fall hat der Kläger mit seinem Antrag auch dann Erfolg, wenn
man den - für die Beklagte günstigeren - Standpunkt des Bundesverwaltungsamtes
zugrundelegt, wonach die Notwendigkeit einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt
schon im Vorverfahren nicht die Regel, sondern die Ausnahme sein soll. Hier wäre eine
Ausnahme in diesem Sinn anzunehmen. Maßgeblich für die Wertung ist neben der
Bedeutung, die die Sache objektiv für den Kläger besaß, der Schwierigkeitsgrad, den
die zu klärenden Rechtsfragen aufweisen.
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