Urteil des VG Minden vom 28.11.2002

VG Minden: tierschutzgesetz, vorrang des gesetzes, landwirtschaft, drucksache, avv, begriff, empfehlung, tierhaltung, genehmigung, viehzucht

Verwaltungsgericht Minden, 2 K 2695/01
Datum:
28.11.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 2695/01
Tenor:
Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. November 2000 und der
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Detmold vom 11. Oktober
2001 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Hinzuziehung eines
Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, falls nicht die Klägerin
zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin betreibt in C. seit 1993 eine Pelztierzucht, für die der Beklagte am 23. März
1999 eine Baugenehmigung erteilte. In deren Nebenbestimmung Ni 7 stellte der
Beklagte tierschutzrechtliche Anforderungen an das Vorhaben, so etwa zur
Raumtemperatur, Kotentfernung, Belüftung, Beseitigung der Tierkörper, zum
Veterinärraum und einer Meldeanlage. Mit Schreiben vom 8. Juli 1999 forderte der
Beklagte die Klägerin auf, einen Antrag auf Erlaubnis dieser Nerzhaltung zu stellen. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dass mit der Neufassung des Tierschutzgesetzes vom
29. Mai 1998 der Erlaubnisvorbehalt im Zusammenhang mit der Zucht und Haltung von
Tieren erweitert worden sei. Danach bedürfe die gewerbsmäßige Zucht und Haltung
von Wirbeltieren außer landwirtschaftlichen Nutztieren gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 a
Tierschutzgesetz einer Erlaubnis. Bei den Nerzen handele es sich nicht um
landwirtschaftliche Nutztiere, was aus einem Entwurf der Allgemeinen
Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes (AVV) folge/. Nach
12.2/.1.5/.1 AVV seien landwirtschaftliche Nutztiere Wiederkäuer, Schweine, Kaninchen
und Geflügel, soweit sie domestiziert sind und zur Gewinnung tierischer Produkte
gezüchtet oder gehalten werden, domestizierte Einhufer sowie zur Schlachtung oder
zum Besatz bestimmte Fische. Diese Regelung sei abschließend und erfasse keine
Nerze.
2
Unter dem 25. Oktober 1999 wandte sich die Klägerin gegen diese Aufforderung und
führte zur Begründung aus: Nerze seien sehr wohl landwirtschaftliche Nutztiere, was
aus Art. 2 Nr. 1 der EG-Richtlinie 98/58/EG hervorgehe. Danach sei ein Tier, d.h. ein
landwirtschaftliches Nutztier im Sinne der Richtlinie " jedes Tier, das zur Erzeugung von
Häuten und Fellen oder zu anderen landwirtschaftlichen Zwecken gezüchtet oder
gehalten wird". Damit stehe fest, dass der europäische Gesetzgeber die Pelztierhaltung
als landwirtschaftlichen Produktionszweig anerkannt habe. Dementsprechend sei auch
beabsichtigt, auf der Grundlage von Empfehlungen des Europarates vom 24. April 1998
eine Richtlinie für die Pelztierhaltung zu erlassen. Die europarechtlich geprägte
Definition sei vorrangig. Ferner gehe aus dem Gesetz zu dem europäischen
Übereinkommen vom 10. März 1976 zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen
Tierhaltungen vom 25. Januar 1978 ebenfalls hervor, dass in Farmen gehaltene
Pelztiere landwirtschaftlichen Zwecken dienten. Dem hielt der Beklagte unter dem 9.
Juni 2000 entgegen, dass die inzwischen in Kraft getretene AVV mit europäischem
Recht vereinbar sei, weil dieses dem nationalen Gesetzgeber Raum für strengere
Regelungen lasse. Folglich könne aus den vom Kläger zitierten Begriffsbestimmungen
nicht zwingend abgeleitet werden, dass Pelztiere auch landwirtschaftliche Nutztiere im
Sinne des nationalen Tierschutzrechts sein müssten. Dies sei etwa bezüglich
Straußenvögel als einer ebenfalls landwirtschaftlich genutzten Tierart von der
Rechtsprechung bestätigt worden. Die Klägerin müsse daher mit einer Untersagung der
erlaubnispflichtigen Tierhaltung rechnen. Demgegenüber erwiderten die
Prozessbevollmächtigten der Klägerin, dass gemäß § 11 Abs. 1 Ziffer 3, Abs. 3
Tierschutzgesetz eine Erlaubnis ohnehin nur für zukünftige Vorhaben verlangt werden
könne, nicht aber für die seit langem betriebene Pelztierfarm. Außerdem folge aus den
bereits benannten europäischen Vorgaben eindeutig, dass es sich um eine
landwirtschaftliche Tierhaltung handele; so heiße es z.B. in Art. 6 der Empfehlung des
ständigen Ausschusses des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Tieren in
landwirtschaftlichen Tierhaltungen:"Pelztiere, die zu landwirtschaftlichen Zwecken
gehalten werden, dürfen nicht für andere Zwecke verwendet werden." Da es sich hier
um Legaldefinitionen handele, seien die Mitgliedsstaaten daran gebunden. Außerdem
sei eine Umsetzung der Richtlinie Sache des Gesetzgebers, nicht aber Aufgabe der
Verwaltung. Die AVV verstoße insoweit gegen höherrangiges Recht.
3
Mit Ordnungsverfügung vom 13. November 2000 untersagte der Beklagte der Klägerin
schließlich das Züchten und Halten von Nerzen auf dem C. Betriebsgelände, da die
erforderliche Erlaubnis fehle. Ein Sonderfall liege nicht vor.
4
Am 5. Dezember 2000 legte die Klägerin Widerspruch ein und führte ergänzend aus,
dass die am 23. Februar 1999 erteilte Baugenehmigung auch die tierschutzrechtliche
Genehmigung umfasse. Als Altbetrieb unterliege sein Unternehmen ohnehin nicht der
Genehmigungspflicht; eine Übergangsvorschrift sei für das gewerbsmäßige Züchten
und Halten nicht erforderlich gewesen, weil zur Vermeidung etwaiger
Entschädigungsansprüche davon ausgegangen worden sei, dass Erlaubnisfreiheit
bestehe. Schließlich folge auch aus dem Entwurf der Nutztierhaltungsverordnung vom
15. November 2000, dass Nerze unzweifelhaft landwirtschaftliche Nutztiere seien.
5
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2001 wies die Bezirksregierung E. den
Widerspruch mit der Begründung zurück, dass gemäß der die deutschen
Tierschutzbehörden bindenden AVV Pelztiere keine landwirtschaftlichen Nutztiere
seien. Der Leitgedanke dieser Bestimmung sei dem Entwurf der Tierschutz-
6
Nutztierverordnung entnommen worden. Aus den Begriffsbestimmungen europäischer
Normen folge nichts Gegenteiliges. Die Ordnungsverfügung sei auch
ermessensfehlerfrei ergangen, weil die Soll-Bestimmung ohne Vorliegen besonderer
Umstände zum Einschreiten verpflichte.
Am 30. Oktober 2001 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie
ergänzend vor: Das Verbot sei schon deshalb rechtswidrig, weil in der
Baugenehmigung spezielle tierschutzrechtliche Auflagen erteilt worden seien, an
welche sie, die Klägerin, sich halte. Die Verwaltungsvorschrift verstoße gegen die EG-
Richtlinie des Rates, die Empfehlungen des ständigen Ausschusses und gegen das
Transformationsgesetz zur Umsetzung der Empfehlungen in deutsches Recht. Im
Übrigen folge aus dem Wortlaut in § 11 Abs. 1 und 3 Tierschutzgesetz mit dem Begriff
"will", dass nur neue Vorhaben betroffen sein sollen.
7
Die Klägerin beantragt,
8
die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 13. November 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E. vom 11. Oktober 2001 aufzuheben.
9
Der Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Ergänzend trägt er vor, dass sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf die Baugenehmigung
berufen könne, weil zu diesem Zeitpunkt noch keine gesonderte tierschutzrechtliche
Genehmigung erforderlich gewesen sei. Seinerzeit sei die Auslegung des Begriffs
"landwirtschaftliche Nutztiere" nämlich strittig gewesen. Nach der Richtlinie 98/58/EG
hätten in Farmen gehaltene Pelztiere als Nutztiere gegolten. Infolge u.a. eines
Erlassentwurfs des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz NRW vom 26. März 1999 sei man zu einer anderen Auslegung
gelangt, die nunmehr auf Grund der AVV für die Behörden verbindlich sei. Das jetzt
geltende Erlaubniserfordernis belaste bereits bestehende Betriebe nicht übermäßig.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des
beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten, des Widerspruchsvorgangs und
der Gerichtsakte 9 L 939/00 (9 L 447/99) Bezug genommen.
13
Entscheidungsgründe:
14
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet.
15
Die angefochtene Verfügung des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides der
Bezirksregierung E. ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten
(vgl. § 113 Abs. 1 VwGO).
16
Die Untersagungsverfügung ist rechtswidrig, weil das gewerbsmäßige Züchten und
Halten von Nerzen zum Zweck der Pelzgewinnung nicht erlaubnispflichtig gemäß § 11
Abs. 1 Nr. 3 a) Tierschutzgesetz ist. Es handelt sich nämlich bei den Nerzen um
landwirtschaftliche Nutztiere im Sinne dieser Vorschrift, für deren Züchtung und Haltung
keine tierschutzrechtliche Erlaubnis erforderlich ist. Die Erfassung von Nerzen durch
den Begriff "landwirtschaftliche Nutztiere" ergibt sich eindeutig aus Interpretation der o.
17
a. Vorschrift anhand der Entstehungsgeschichte des Tierschutzgesetzes, seinem Sinn
und Zweck und systematischer Erwägungen.
Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Nutztier" dürfte unstreitig sein, dass es sich bei
den hier interessierenden in Farmen gehaltenen Nerzen (Minks) wegen der seit
Jahrzehnten erfolgen Domestikation und Züchtung nicht (mehr) um wild lebende Tiere,
sondern um "Nutztiere" handelt.
18
Vgl. insoweit § 2 Nr. 1 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 25. Oktober
2001; Informationen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft Nr. 19 vom 10. Mai 2002; zur Annahme eines wenn auch "geringeren"
Grades der Domestikation: Bundesratsentschließung vom 9. November 2001 - BR-
Drucksache 766/01- .
19
Hinsichtlich des zwischen den Beteiligten streitigen Bedeutungsgehalts des Merkmals
"landwirtschaftlich" ist eine Auslegung schon allein anhand der Wortbedeutung nicht
eindeutig. Der allgemeine Sprachgebrauch ist vielmehr offen für verschiedene
Interpretationen. Danach ist Landwirtschaft die Urproduktion pflanzlicher und tierischer
Produkte mittels Ackerbau und Viehzucht. Daran gemessen scheiden Pelztiere
jedenfalls nicht von vornherein aus, da Felle bzw. Pelze seit jeher als tierische Produkte
gewonnen werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass "Viehzucht" ausschließlich die
traditionell im hiesigen Kulturraum gehaltenen Tiere wie z.B. Schweine oder Kühe
umfasst.
20
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25. März 1988 - 5 S 2611/87 -, RdL 1988, 180;
Söfker in: Ernst-Zinkahn-Bielenberg; Kommentar zum BauGB, April 2000, § 35 Rdnr. 24.
21
Soweit der Begriff in der Rechtssprache vom Bundesgesetzgeber benutzt wird, lässt
sich kein für alle Regelungsbereiche identischer und damit allgemein verbindlicher
Bedeutungsinhalt feststellen. So zielt etwa das Bauplanungsrecht mit seiner
Legaldefinition des Begriffs "Landwirtschaft" in § 201 BauGB maßgeblich auf die
unmittelbare Nutzung des Bodenertrags. Aus diesem Grund ist jegliche Intensiv- oder
Massentierhaltung ohne überwiegenden Futterertrag aus dem Grundstück unabhängig
von der Tierart keine Landwirtschaft im Sinne des Bauplanungsrechts. Das
Tierschutzrecht geht demgegenüber von einem anderen Landwirtschaftsbegriff aus.
Gerade das Bedürfnis nach umfassender tierschutzrechtlicher Normierung der
modernen Intensiv- und Massentierhaltung führte ausweislich der
Entstehungsgeschichte des Tierschutzgesetzes im Zusammenspiel mit der
europäischen Rechtsentwicklung zu einer Erfassung aller auf diese Weise gehaltenen
Nutztiere. Schon bei der grundlegenden Novellierung des Tierschutzrechts 1971 ging
der Gesetzgeber nämlich davon aus, dass die Problematik der Mechanisierung und
Rationalisierung durch Intensivtierhaltung mit Tausenden von Nutztieren in
neuzeitlichen Haltungssystemen dringend regelungsbedürftig sei.
22
Vgl. Eberle, Das neue Tierschutzgesetz, NJW 1973, 1405 f.
23
Dabei wollte man die Massentierhaltung aus ökonomischen Gründen zwar beibehalten,
aber bis zum Wirksamwerden angestrebter supranationaler Regelungen auf
europäischer Ebene tierschutzrechtliche Mindeststandards finden.
24
Vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Juli 1999 - 2 BvF 3/90 -, BVerfGE Band 101 Nr. 1, S.4 f, 34 f.
25
Schon zu diesem Zeitpunkt war die Züchtung und Haltung von Pelztieren (Nerzen) in
Farmen als Problem erkannt worden. Dies führte u.a. zur Einrichtung von
Pelztiergesundheitsdiensten, so etwa 1968 bei der hiesigen Landwirtschaftskammer X. -
M. . Man erwartete seinerzeit, dass die sich aus der Massentierhaltung ergebenden
tierschutzrechtlichen Fragen durch staatenübergreifende Regelungen zeitnah bewältigt
werden würden. So verabschiedeten die Mitglieder des Europarates 1976 das
Europäische Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen
Tierhaltungen (ETÜ), welches durch Art. 1 des Bundesgesetzes vom 25. Januar 1978
(BGBl II S. 113) Teil des nationalen Rechts wurde. Gemäß der Präambel des
Übereinkommens und der Gesetzesüberschrift dienen das Ratifikationsgesetz und das
ETÜ dem Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen. Nach Art. 1 ETÜ -
über Art 1 des Ratifikationsgesetzes geltendes Bundesrecht - sind Tiere im Sinne des
Übereinkommens solche Tiere, die u.a. auch zur Erzeugung von Fellen oder zu anderen
landwirtschaftlichen Zwecken gezüchtet oder gehalten werden. Danach kann nicht
ernsthaft zweifelhaft sein, dass Farmnerze tierschutzrechtlich dem Bereich der
Landwirtschaft zugeordnet wurden. Schon nach dem unmissverständlichen Wortlaut
dieser speziellen tierschutzrechtlichen Regelungen handelt es sich bei der
farmmäßigen Pelztierhaltung um einen Unterfall der landwirtschaftlichen Tierhaltung.
26
Vgl. zur Bedeutung des Wortlauts des Ratifikationsgesetzes BVerfG, a/.a/.P/./., S.34.
27
Soweit in den jeweiligen Fassungen des Tierschutzgesetzes der Begriff des
landwirtschaftlichen Nutztieres benutzt wird (so in § 11 Abs. 1 TierschutzG 1972; § 11
Abs. 3 TierschutzG 1986, 1993 und 1998) spricht alles dafür, dass der Gesetzgeber bei
der Verwendung desselben Begriffes innerhalb derselben Regelungsmaterie auch
inhaltlich dasselbe meint. Die Kammer hat jedenfalls keinen Anhaltspunkt dafür, dass
der Bundesgesetzgeber von der in dem Ratifikationsgesetz übernommenen Definition
der Tiere in landwirtschaftlichen Haltungssystemen im Tierschutzgesetz hätte
abweichen oder diesen gar hätte enger fassen wollen. Das Gegenteil ist vielmehr der
Fall. Aus Sicht des Gesetzgebers und der mit dem Vollzug befassten Behörden war
nicht zweifelhaft, dass Pelztiere dem landwirtschaftlichen Bereich angehören. Wer z.B..
als Tierwirtschaftsmeister im Teilbereich Pelztierhaltung eine Meisterprüfung ablegen
wollte, musste ebenso wie in den anderen Teilbereichen (z.B. der Rinder- oder
Schweinehaltung) Prüfungsanforderungen hinsichtlich der Prüfungsgebiete "Tierhaltung
im landwirtschaftlichen Betrieb", "Grundkenntnisse der Agrarpolitik" und "Bedeutung der
Landwirtschaft" erfüllen (vgl. §§ 1, 3, 5 Abs. 2 der Verordnung über die Anforderungen in
der Meisterprüfung für den Beruf Tierwirt vom 4. Februar 1980, BGBl I 1980, 126 ff.)/. Vor
diesem Hintergrund ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass Pelztiere nicht als
landwirtschaftsfremd betrachtet wurden und dass die Pelztierzucht in der
Verwaltungspraxis originär beim landwirtschaftlichen Bereich ressortierte.
28
Vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 29/. Oktober 1987 - VIII S. 272/83 -, BFHE Band 151,
408.
29
An dieser Ausgangslage hat sich bis heute nichts geändert. Während bei den jeweiligen
Änderungen des § 11 Tierschutzgesetz nach dem Handel schließlich auch das
gewerbsmäßige Halten und Züchten erlaubnispflichtig wurden, blieben die Ausnahmen
für landwirtschaftliche Nutztiere jeweils unverändert bestehen. Die Rechtsauffassung
des Beklagten, die Neufassung des Tierschutzgesetzes vom 25. Mai 1998 habe zur
Folge gehabt, dass Pelztiere als "landwirtschaftsfremd" nunmehr einer
30
Genehmigungspflicht unterliegen, findet im Gesetz keine Stütze. Die in den AVV
erkennbare Auffassung, das Tierschutzgesetz gehe bei landwirtschaftlichen Nutztieren
nur noch von den in unserem Kulturraum herkömmlich verwendeten Tieren aus, hat
keinen Eingang in § 11 Tierschutzgesetz gefunden. Angesichts der durch das ETÜ und
das Ratifizierungsgesetz klar vorgegebenen Festlegung, was zum landwirtschaftlichen
Bereich gehört, hätte es aber einer eindeutigen Änderung des Wortlauts in § 11
Tierschutzgesetz bedurft. Dies gilt vor allen Dingen auch deshalb, weil parallel zum
Gesetzgebungsverfahren die Richtlinie 98/58/EG des Rates über den Schutz
landwirtschaftlicher Nutztiere kurz vor der Veröffentlichung stand. Gemäß Art. 1, 2 der
Richtlinie ist dort ebenso unmissverständlich wie im ETÜ geregelt, dass Pelztiere zum
Kreis der landwirtschaftlichen Nutztiere gehören.
Vgl. Lorz/Metzger, Kommentar zum Tierschutzgesetz, 5. Auflage, München 1999, § 2
Rdnr. 49.
31
Es kann im Übrigen auch keine Rede davon sein, dass der Gesetzgeber auf andere
Weise zum Ausdruck gebracht habe, er habe eine Neudefinition im Rahmen der
Genehmigungspflichtigkeit vornehmen wollen. Dies gilt insbesondere für die
Auffassung, der Gesetzgeber habe erkennbar auf Grund der Änderung des § 9 Abs. 2
Satz 3 Nr. 7 Satz 1 Tierschutzgesetz durch die Auflistung von Pferden, Rindern,
Schweinen, Schafen, Ziegen, Hühnern, Puten, Enten und Gänsen eine (abschließende)
Katalogisierung der landwirtschaftlichen Nutztiere vorgenommen, die auch bei § 11
Tierschutzgesetz zu berücksichtigen sei.
32
Vgl. Lorz/Metzger, a/.a/.P/., § 11 Rdnr. 15.
33
Dieser Auffassung kann aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. Schon der
Wortlaut der geänderten Vorschrift, welche sich mit Tierversuchen befasst, lässt nicht
erkennen, dass überhaupt eine Legaldefinition des Begriffs "landwirtschaftliches
Nutztier" beabsichtigt ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, bliebe dann unklar, ob
damit andere Tierarten ausgeschlossen werden sollten. Der Hinweis auf die Motive des
Gesetzgebers führt hier nicht weiter. Die in der Begründung des Gesetzentwurfes der
Bundesregierung (BT-Drucksache 13/7015, S. 20) zu § 9 Abs. 2 Nr. 7 enthaltene
Formulierung, diese Regelung führe bei landwirtschaftlichen Nutztieren sowie bei
Tauben und Fischen zu unnötigem Aufwand, lässt nicht erkennen, dass nunmehr für
das Tierschutzgesetz eine abschließende Legaldefinition eingeführt werden sollte. Dies
ist insbesondere auch deshalb zweifelhaft, weil im Gesetzgebungsverfahren an anderer
Stelle gegenläufige Äußerungen dokumentiert sind. So verweist der Bundesrat in seiner
Stellungnahme zu § 13a Tierschutzgesetz hinsichtlich Stalleinrichtungen zum Halten
von Nutztieren ausdrücklich auf die Definition "Nutztiere" in Art. 1 Abs. 1 des ETÜ (BT-
Drucksache 13/7015, S.35). Dieser Bezugnahme ist die Bundesregierung in ihrer
Gegenäußerung unwidersprochen gefolgt, indem sie in ihrer Erwiderung zu diesem
Punkt ebenfalls von der "tierschutzgerechten Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere"
(BT-Drucksache 13/7015) ausgeht, ohne deutlich zu machen, dass sie von der
Bezugnahme auf das ETÜ abweicht. Abgesehen davon findet sich in den Materialien zu
§ 11 Tierschutzgesetz keinerlei Hinweis darauf, die Genehmigungsfrage bezüglich
Pelztiere anders als in der Vergangenheit regeln zu wollen. Dies wäre hier aber geboten
gewesen, selbst wenn man - wie der Beklagte - davon ausginge, dass die Frage der
Genehmigungsbedürftigkeit zuvor "streitig" gewesen sei. Dies gilt vor allem auch
deshalb, weil wegen der als problematisch angesehenen Haltungsbedingungen in
Pelztierfarmen aus der Mitte des Bundesrates schon 1992 eine Genehmigungspflicht für
34
Pelztiere verlangt wurde (BR-Drucksache 22/92; vgl. auch Protokoll der
Bundesratssitzung vom 14. Februar 1992, S. 47). Auch im Rahmen dieser
Bestrebungen ist die Einordnung der Pelztiere als landwirtschaftliche Nutztiere über das
europäische Regelwerk allerdings nicht in Frage gestellt worden. Die Kritik entzündete
sich vielmehr daran, dass das Europäische Übereinkommen bezüglich Pelztiere nicht
über spezielle Empfehlungen umgesetzt und deshalb die Notwendigkeit gesehen
wurde, selbst durch eine nationale Verordnung tätig werden zu müssen (vgl. BR-
Drucksache 22/92, Anlage "Entschließung des Bundesrates zum Schutz von
Pelztieren"), der aber die Bundesregierung nicht gefolgt ist. Sie hatte auf die
Bemühungen im europäischen Rahmen verwiesen, die letztlich zur Annahme der
Empfehlung des Ständigen Ausschusses in Bezug auf Pelztiere vom 22. Juni 1999
führte. Diese Empfehlung ist ausdrücklich in dem "Bewusstsein, dass zur
Pelzproduktion gehaltene Tiere Arten angehören, die - im Gegensatz zu Tieren, die seit
Tausenden von Generationen in landwirtschaftlichen Tierhaltungen gehalten werden -
erst in jüngerer Zeit wirtschaftlich gehalten werden" (vgl. Präambel der Empfehlung),
angenommen worden. Auch sie ist eindeutig bezogen auf Tiere in landwirtschaftlichen
Tierhaltungen und durch die Erste Bekanntmachung der deutschen Übersetzung im
Bundesanzeiger vom 7. Februar 2000 zu beachten.
Vgl. insoweit auch Bericht der Landesregierung Schleswig-Holstein zur Pelztierhaltung
in Schleswig-Holstein - LT-Drucksache 15/1207, S. 5.
35
Der Einwand des Beklagten, das europäische Recht setze lediglich Mindeststandards
und lasse Raum für nationale strengere Maßstäbe, geht ins Leere. Bereits aus Artikel 10
Abs. 2 der Richtlinie 98/58 EG und der Präambel folgt, dass die Mitgliedsstaaten
strengere Vorschriften zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere beibehalten oder
anwenden können.
36
Vgl. zur Legehennenhaltung auch EuGH, Urteil vom 19. Oktober 1995 - Rs.C-128/94 -,
NJW 1996, 113.
37
Daraus geht eindeutig hervor, dass nicht etwa der Geltungsbereich der Norm zur
Disposition gestellt wird. Vielmehr bleibt die zur Bestimmung des Geltungsbereichs
gehörende Definition des landwirtschaftlichen Nutztieres weiterhin verbindlich. Der
weitere Einwand, eine engere Fassung des Begriffs der "landwirtschaftlichen Nutztiere"
sei teleologisch geboten, weil es in unserem Kulturkreis keine hinreichend gefestigten
Vorstellungen über neuartige Nutztiere gebe,
38
- vgl. Lorz/Metzger, a.a.O., § 11 Rdnr. 15 -
39
trifft ersichtlich nicht für die hier interessierenden Farmnerze zu, weil ihre Haltung seit
Jahrzehnten im Bundesgebiet Verbreitung gefunden hat und Gegenstand der
Forschung war.
40
Vgl. Gutachten zur tierschutzgerechten Haltung und Tötung von Pelztieren in Farmen
vom 26. September 1986; weitere statistische Angaben in der Anlage zur BR-
Drucksache 22/92.
41
Die Bezugnahme des Beklagten auf die Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg
(Urteil vom 1. April 1999 - 5 S 335/99 -, RdL 1999, S. 159) geht am Kern der
Auseinandersetzung vorbei, weil sich die zitierte Entscheidung mit der Genehmigung
42
eines Straußengeheges aus naturschutzrechtlicher Sicht befasst.
Nach alledem lässt sich aus dem Gesetz keine Genehmigungspflichtigkeit ableiten.
Daran vermag weder die Allgemeine Verwaltungsvorschrift noch die abweichende
Definition in § 2 Nr. 1 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung etwas zu ändern, weil
der Vorrang des Gesetzes zu respektieren ist. Für die Annahme, die Haltung von
Pelztieren sei nicht als landwirtschaftlicher Betriebszweig anerkannt,
43
so der Tierschutzbericht des (damaligen) Bundesministeriums für Landwirtschaft,
Ernährung und Forsten 1999, Ziffer 2.8
44
ist demnach kein Raum.
45
Die Ordnungsverfügung ist darüber hinaus auch aus einem anderen Grund rechtswidrig.
Sie ist ermessensfehlerhaft (vgl. § 114 VwGO), weil sowohl die Ausgangs- als auch die
Widerspruchsbehörde die Bedeutung des Baugenehmigungsverfahrens außer Acht
gelassen und damit besondere Umstände des Einzelfalls zu Unrecht verneint haben.
Die gesetzliche Ermächtigung in § 11 Abs. 3 Satz 2 Tierschutzgesetz sieht vor, dass
demjenigen die Ausübung der Tätigkeit untersagt werden soll, der die Erlaubnis nicht
hat. Gemäß Satz 1 darf eine genehmigungspflichtige Tätigkeit erst nach
Erlaubniserteilung begonnen werden. Der Beklagte ist zwar zutreffend davon
ausgegangen, dass eine gesetzliche "Sollvorschrift" ohne Hinzutreten besonderer
Umstände regelmäßig eine Betriebsstilllegung rechtfertigt. Hier lagen aber offenkundig
besondere Einzelfallumstände vor, die der Beklagte bei seiner Entscheidungsfindung
hätte berücksichtigen müssen. Der Regelfall einer sog. formellen Illegalität, d.h. eines
Handelns ohne erforderliche Erlaubnis, ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass die
Behörde mangels Überprüfungsmöglichkeit und genaue Kenntnis des Vorhabens
dessen Übereinstimmung mit dem materiellen Recht nicht feststellen kann. Zur
Vermeidung etwaiger materiell-rechtlicher Verstöße und auch zur Sicherung des
Genehmigungsverfahrens kann daher ein Nutzungsverbot ausgesprochen werden.
46
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. April 1998 - 7 A 3818/96 -, BRS Band 60, Nr. 165,
m/.w/.N/.
47
Ein solcher Fall lag hier indes nicht vor, weil der Beklagte nicht nur selbst
Baugenehmigungsbehörde war, sondern auch als Tierschutzbehörde an dem
Baugenehmigungsverfahren beteiligt war und damit Gelegenheit hatte, die
Betriebsabläufe detailliert zu prüfen und schließlich durch Nebenbestimmungen im
Rahmen der erteilten Baugenehmigung tierschutzrechtliche Regelungen zu treffen. Die
dadurch gewonnene Kenntnis des Betriebs und die Verankerung vollstreckungsfähiger
tierschutzrechtlicher Anforderungen in der Baugenehmigung hätten den Beklagten zur
Prüfung veranlassen müssen, was mit einem eigenständigen Erlaubnisverfahren denn
noch hätte geprüft werden müssen. Zumindest aber hätte es sich geradezu aufdrängen
müssen, im Rahmen der Ermessensbetätigung die Angemessenheit der
Betriebsstilllegung zu prüfen. Dies alles ist unterblieben, weil es bezüglich der Prüfung
von Einzelfallbesonderheiten zu einem völligen Ermessensausfall kam. Es kann daher
letztlich offen bleiben, ob die Nebenbestimmungen für sich betrachtet bereits als
tierschutzrechtliche Erlaubnis gewertet werden können. Allerdings würde dies entgegen
der Auffassung der Klägerin nicht bereits daraus folgen, dass eine Baugenehmigung nur
dann erteilt werden darf, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften dem Vorhaben nicht
entgegenstehen (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW)/. Für nordrhein- westfälisches
48
Bauordnungsrecht ist nämlich anerkannt, dass die Baugenehmigung nicht
"Schlusspunkt" der Prüfung aller öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist mit der Folge,
dass die Baugenehmigung nicht die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit dem
gesamten öffentlichen Recht feststellt. Namentlich kommt ihr nicht die Wirkung zu,
andere erforderliche Genehmigungen ersetzen zu können.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. September 2002 - 7 A 620/00 -, NVwZ-RR 2002, S.564
ff.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO; die
Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis folgen
aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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