Urteil des VG Mainz vom 09.04.2008

VG Mainz: vorläufiger rechtsschutz, vergleich, verfügung, beförderung, wiederholung, gefahr, rückgriff, quelle, nummer, garantie

Beamtenrecht
Sonstiges
VG
Mainz
09.04.2008
7 L 77/08.MZ
1. Der Umstand allein, dass ei
Verwaltungsgericht Mainz
7 L 77/08.MZ
Beschluss
wegen Beförderung, hier: Antrag nach § 123 VwGO hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz
aufgrund der Beratung vom 9. April 2008, an der teilgenommen haben Vorsitzende Richterin am
Verwaltungsgericht Faber-Kleinknecht
Richterin am Verwaltungsgericht Radtke
Richterin am Verwaltungsgericht Zehgruber-Merz
beschlossen:
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die für eine Beförderung zur Verfügung stehende Planstelle der
Besoldungsgruppe A 10 nicht mit dem Beigeladenen zu 1) zu besetzen, bis über die Bewerbung des
Antragstellers rechtskräftig entschieden ist.
Der Antragsgegner und der Beigeladene zu 1) tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2), die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.502,58 € festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag des Antragstellers, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123
Abs. 1 VwGO aufzugeben, die zur Verfügung stehende Planstelle der Besoldungsgruppe A 10 bis zur
rechtskräftigen Entscheidung über seine Bewerbung nicht mit einem Konkurrenten zu besetzen, hat
Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche
Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei ist grundsätzlich eine
Vorwegnahme der Hauptsache unzulässig. Im Hinblick auf die in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes
gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes ist dies nur dann möglich, wenn der geltend gemachte
Anspruch hinreichend wahrscheinlich (Anordnungsanspruch) und es dem Betroffenen schlechthin
unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Diese
Voraussetzungen sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen, (st. Rspr.
des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, vgl. Beschluss vom 31. Januar 1995 -12 B 10316/95.OVG-;
sowie Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 123 Rdnr. 24; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz
im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rdnr. 142 ff.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen
summarischen Prüfung die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen.
Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft
gemacht.
Denn er hat glaubhaft gemacht, dass die Auswahlentscheidung des Antragsgegners dahin, die zur
Verfügung stehende Beförderungsstelle der Besoldungsgruppe A 10 mit dem Beigeladenen zu 1) zu
besetzen, rechtswidrig ist und dass seiner eigenen Bewerbung bei ordnungsgemäßer Wiederholung des
Auswahlverfahrens nicht von vornherein jede Erfolgsaussicht abgesprochen werden kann.
Die getroffene Auswahlentscheidung verletzt den Antragsteller in seinem Anspruch auf fehlerfreie
Ausübung des Auswahlermessens, welches sich am Leistungsgrundsatz zu orientieren hat.
Ausgangspunkt der rechtlichen Überprüfung ist § 10 Abs. 1 Landesbeamtengesetz – LBG –. Danach darf
die Vergabe eines öffentlichen Amts nur nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung erfolgen. Der
Leistungsgrundsatz gibt hier dem Dienstherrn nicht nur die materiellen Auswahlmaßstäbe vor, an denen
sich das Ergebnis der Entscheidung messen lassen muss, sondern er gebietet zugleich, dass schon das
Auswahlverfahren als solches auf die Anforderungen des Leistungsgrundsatzes bestmöglich ausgerichtet
und zugeschnitten ist. Diesem verfahrensspezifischen Optimierungsgebot genügt ein Auswahlverfahren
regelmäßig nicht, wenn darin in Bezug auf den Bewerber nicht alle wesentlichen
leistungsindizierenden Tatsachen in objektivierbarer Weise zusammengetragen und zudem
nachvollziehbar ausgewertet worden sind. Der Gefahr, bei einem leistungsgesteuerten Auswahlverfahren
ein nicht hinreichend objektivierbares, unvollständiges oder gar unzutreffendes Leistungsbild der
Bewerber zugrunde zu legen, unterliegt der Dienstherr nach ständiger verwaltungsgerichtlicher
Rechtsprechung am wenigsten, wenn er seine Qualifikationsfeststellungen anhand von aktuellen und
hinreichend vergleichbaren dienstlichen Beurteilungen trifft.
Gemessen daran ist die Auswahlentscheidung des Antraggegners zu Gunsten des Beigeladenen zu 1)
unter Zugrundelegung der dienstlichen Beurteilungen für das Beförderungsgeschehen 2007 fehlerhaft
erfolgt.
Zwar weist der Antragsteller gegenüber dem Beigeladenen zu 1) bei im Übrigen gleicher
Leistungsbeurteilung (Gesamturteil: B; Leistungshauptmerkmale: 1 x A,
2 x B; Leistungssubmerkmale: 4 x A, 7 x B) keinen Leistungsvorsprung deshalb auf, weil er im Gegensatz
zum Beigeladenen zu 1) Führungsaufgaben als stellvertretender Dienstgruppenleiter wahrgenommen hat
und auch hinsichtlich des Leistungsmerkmals „kooperative Mitarbeiterführung“ (mit der Einstufung C)
beurteilt worden ist. Hieraus ist ein Qualifikationsvorsprung für den Antragsteller vor dem Beigeladenen zu
1) nicht herzuleiten. Dass der Antragsgegner der Beurteilung des Antragstellers insoweit keine
ausschlaggebende positive Bedeutung beigemessen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die
Entscheidung des Dienstherrn, den Einzelfeststellungen im Rahmen des Qualifikationsvergleichs keine -
im vorliegenden Zusammenhang positive- Bedeutung beizumessen, hält sich im Rahmen des dem
Dienstherrn zustehenden weiten Beurteilungsspielraums. Denn soweit eine Beurteilung in einem
Hauptmerkmal nicht erfolgt ist, ist ein qualitativer Vergleich zwischen den Bewerbern bezüglich dieses
Merkmals nicht möglich (OVG Nordrhein-Westfalen in st. Rspr., vgl. etwa Beschluss vom 08. September
2004 – 6 B 1586/04 –, juris).
Der Antragsteller weist des Weiteren auch nicht allein deshalb einen Leistungsvorsprung auf, weil er
bereits Führungsaufgaben wahrgenommen hat, wohingegen der Beigeladene zu 1) damit noch nicht
betraut war. Denn dem Kriterium der Mitarbeiterführung kommt für das infrage stehende Beförderungsamt
der Besoldungsgruppe A 10, das die bisher ausgeübten Funktionen unberührt lässt und auch noch nicht
typischerweise mit Vorgesetztenaufgaben verbunden ist, keine solche Bedeutung zu, dass es zwingend
bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen wäre (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
27. September 2005 – 6 B 1163/05 – juris; vgl. auch VG Koblenz, Beschluss vom 22. Mai 1998 –
6 L 1526/98.KO).
Ein Auswahlfehler ist jedoch darin zu sehen, dass der Antragsgegner die dem Antragsteller hinsichtlich
des Leistungsmerkmals „kooperative Mitarbeiterführung“ erteilte Einstufung mit C zu dessen Nachteil in
den Leistungsvergleich mit dem Beigeladenen zu 1) einbezogen hat. Insoweit erfolgte zu Lasten des
Antragstellers ein Verstoß gegen allgemeine Bewertungsmaßstäbe, da ein zusätzliches
Leistungsmerkmal in den Leistungsvergleich miteinbezogen wurde, das bei dem Beigeladenen zu 1) nicht
vorhanden ist. Dies stellt vorliegend eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1
GG dar, da die erfolgte Ungleichbehandlung unter den gegebenen Umständen nicht sachlich
gerechtfertigt ist.
Denn es ist nicht konkret vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die Aufgaben des Antragstellers, anders
als in dem vom VG Koblenz entschiedenen Fall, wo die Führungsaufgaben 50% der Tätigkeit in Anspruch
nahmen, (Beschluss vom 22. Mai 1998 – 6 L 1526/98.KO –), im Vergleich zu seinen übrigen Tätigkeiten
einen solchen Umfang und ein solches Gewicht hatten, dass die Mitarbeiterführung einen Schwerpunkt
seiner dienstlichen Tätigkeiten ausgemacht hat. Die Nichtberücksichtigung des Leistungsmerkmals der
Mitarbeiterführung hat damit also nicht zur Folge, dass, anders als beim Beigeladenen zu 1), dessen
gesamte Leistungen in den Vergleich eingegangen sind, im Hinblick auf den Antragsteller nur ein stark
verkürztes Leistungsbild ohne Berücksichtigung eines wesentlichen Teils seiner Leistungen in den
Leistungsvergleich einfließen würde. Nur unter diesen – hier aber gerade nicht gegebenen – Umständen
wäre eine Differenzierung und Ungleichbehandlung durch die Einbeziehung der Leistungsbewertung im
Bereich „kooperative Mitarbeiterführung“ möglicherweise sachlich gerechtfertigt.
Nach alledem ist eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und damit allgemeiner
Bewertungsmaßstäbe durch eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Antragstellers im
Vergleich mit dem Beigeladenen zu 1) und demzufolge ein Auswahlfehler festzustellen (vgl. hierzu auch
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29. Juni 1998 – 2 B 11335/98.OVG –, wo diese Frage ausdrücklich
offensichtlich offen gelassen wird).
Damit durfte der Antragsteller gegenüber dem Beigeladenen zu 1) im Rahmen des Leistungsvergleichs
auf der Grundlage der aktuellen Beurteilungen nicht als schlechter qualifiziert angesehen werden. Da, wie
ausgeführt, die Wahrnehmung der Vorgesetztenfunktion für den Antragsteller andererseits auch keinen
Qualifikationsvorsprung bedeutet, sind beide Bewerber als im Wesentlichen gleich beurteilt anzusehen.
Im Falle einer rechtsfehlerfreien Wiederholung des Auswahlverfahrens kann der Bewerbung des
Antragstellers auch nicht jede Erfolgsaussicht abgesprochen werden, weshalb die einstweilige
Anordnung zu erlassen ist.
Insoweit hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 10. März 2008 im gerichtlichen Eilverfahren erstmals
vorgetragen, dass der Beigeladene zu 1) dem Antragsteller auch bei einem Rückgriff auf die vorletzten
Beurteilungen im Rahmen des Leistungsvergleichs vorzuziehen wäre.
Unabhängig von der Frage, ob hierin nicht bereits ein im gerichtlichen Eilverfahren unzulässiges
Nachschieben neuer Auswahlaspekte und damit eine inhaltliche Änderung der Auswahlentscheidung zu
sehen wäre (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 09. Juli 2007 – 2 BvR 206/07, NVwZ 2007, S. 1178), wäre
auch bei Heranziehung der vorletzten Beurteilungen des Antragstellers sowie des Beigeladenen zu 1) als
weiteres Erkenntnismittel im Rahmen des Leistungsvergleichs die Bewerbung des Antragstellers
jedenfalls nicht als chancenlos anzusehen. Zwar ist es zutreffend, dass die vorletzte Beurteilung des
Beigeladenen zu 1) vom 15. April 2002 (Beurteilungszeitraum 01. Dezember 1997 bis 01. Dezember
2001) insofern als besser anzusehen ist, als bei ansonsten gleichen Einstufungen beider Bewerber
(Gesamtbewertung A, Leistungshauptmerkmale 2 x A, 1 x B) dem Beigeladenen zu 1) auf der Ebene der
Leistungssubmerkmale achtmal die Besteinstufung A zuerkannt wurde, der Antragsteller in seiner
Vorbeurteilung vom 02. Mai 2001 (Beurteilungszeitraum 01. Dezember 1997 bis 01. Dezember 2000)
jedoch nur sechsmal die Einstufung A erhielt. Auch erfolgten beide Beurteilungen aus dem Statusamt A 9
(mittlerer Dienst).
Bereits hieraus einen Qualifikationsvorsprung des Beigeladenen zu 1) abzuleiten, würde jedoch zu kurz
greifen, denn es erscheint fraglich, ob die Beurteilungen hinreichend vergleichbar sind, was neben einem
vergleichbaren Beurteilungszeitraum auch die Anlegung eines gleichen Beurteilungsmaßstabs
voraussetzt. Insoweit ist zu sehen, dass sich der Beigeladene zu 1) zum Zeitpunkt der Beurteilung aus
dem Jahre 2002 in einer anderen Vergleichsgruppe befand als der Antragsteller im Jahre 2001. Die
Anlassbeurteilung für den prüfungsfreien Aufstieg in den gehobenen Dienst vom 15. April 2002 war für
den Beigeladenen zu 1) nur erstellt worden, weil dieser zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgestiegen war,
der Antragsteller den Aufstieg in den gehobenen Dienst jedoch schon zu Mai 2001 auf der Grundlage
seiner Beurteilung vom 02. Mai 2001 mit einer Gesamtbewertung „A“ erreicht hatte. Der Beigeladene zu 1)
hingegen hatte in seiner zeitgleich erstellten Anlassbeurteilung vom 30. April 2001, und damit in
derselben Vergleichsgruppe wie der Antragsteller, nur die Gesamtbewertung „B“ erreicht und war im
Hinblick darauf im Gegensatz zum Antragsteller nicht befördert worden.
Vor diesem Hintergrund der Leistungsentwicklung der beiden Konkurrenten um das infrage stehende
Beförderungsamt sieht es die Kammer als zweifelhaft an, ob ein Qualifikationsvorsprung des
Beigeladenen zu 1) rechtsfehlerfrei allein aus einem Vergleich der jeweiligen Vorbeurteilungen
hergeleitet werden kann, weshalb der Bewerbung des Antragstellers im Rahmen eines neu
durchzuführenden Auswahlverfahrens nicht jede Erfolgsaussicht abgesprochen werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1,
Satz 2 GKG unter Einbeziehung der allgemeinen Stellenzulage nach Nummer 27 Abs. 1 b) der
Vorbemerkungen zur Bundesbesoldungsordnung (Anlage I zum Bundesbesoldungsgesetz). Dabei wurde
im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ¼ des 13-fachen Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe
A 10 Bundesbesoldungsgesetz unter entsprechender Einbeziehung der allgemeinen Stellenzulage
zugrunde gelegt.