Urteil des VG Mainz vom 23.06.2010

VG Mainz: künftige nutzung, balkon, grundstück, treppe, einfamilienhaus, grenzabstand, austritt, eng, androhung, anbau

VG
Mainz
23.06.2010
3 K 835/09.MZ
Baurecht
Verwaltungsgericht
Mainz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte
gegen
- Beklagter -
beigeladen:
Prozessbevollmächtigte
wegen Baugenehmigung
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni
2010, an der teilgenommen haben
Richterin am Oberverwaltungsgericht Lang
Richter am Verwaltungsgericht Ermlich
Richter am Verwaltungsgericht Hildner
ehrenamtlicher Richter kaufm. Angestellter Kippert
ehrenamtliche Richterin kaufm. Angestellte Rast
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen zu 2) bis 4) zu tragen. Die Beigeladene zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die
Vollstreckung der Beigeladenen zu 2) bis 4) gegen Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung
entsprechenden Höhe abzuwenden, wenn nicht die Beigeladenen zu 2) bis 4) vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
T a t b e s t a n d
Die Kläger begehren vom Beklagten unter Aufhebung einer Beseitigungsanordnung die Erteilung einer
Baugenehmigung für einen bereits errichtenen Balkon mit Treppe.
Sie sind Eigentümer des im unbeplanten Innenbereich von K.-W. gelegenen Grundstücks „Im Q. XX“,
Gemarkung K.-W. Flur X Nr. XXX, welches mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. An das Grundstück der
Kläger grenzen östlich das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück der Beigeladenen zu 2) und 3)
(Im Q. XX, Parzelle XXX) und westlich das Grundstück der Beigeladenen zu 4) (Im Q. XX, Parzelle XXX)
an, welches ebenfalls mit einem Einfamilienhaus bebaut ist.
Die nähere Umgebung der vorgenannten Wohngrundstücke ist dadurch gekennzeichnet, dass die
Grundstücke südlich der Straße „Im Q.“ mit Doppelhäusern bebaut sind, die – bis auf die Häuser der
Kläger und der Beigeladenen zu 2) und 3) – eine einheitliche rückwärtige Bauflucht von etwa 6 bis 7 m zur
Grundstücksgrenze aufweisen. Südlich an die Grundstücke grenzt die im Eigentum der DB Netz AG
stehende Parzelle XXX an, auf der die Bahnlinie A.-M. verläuft. Auf dem an das Grundstück der Kläger
angrenzenden Teil der Parzelle XXX erlaubte die DB Netz AG durch Gestattungsvertrag vom 21. Februar
2008 den Klägern die Mitbenutzung zum Überbau eines Treppenaufgangs.
Am 27. Oktober 2005 beantragten die Kläger beim Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung zum
Anbau eines Wintergartens, der ausweislich der Baupläne bis in etwa der Tiefe des Anwesens der
Beigeladenen zu 2) und 3) geführt werden sollte und von dem im Obergesschoss parallel zum Baukörper
ein 1 m breiter Austritt mit einer in Richtung des Grundstücks der Beigeladenen zu 4) abgehenden Treppe
geplant war. Diesem Bauvorhaben stimmten die Beigeladenen zu 2) und 3) mit ihrer Unterschrift auf den
Bauplänen zu. Mit Bauschein vom 21. Dezember 2005 erteilte der Beklagte den Klägern die beantragte
Baugenehmigung.
Nachdem der Beklagte am 25. Juli 2007 anlässlich einer Ortsbesichtigung festgestellt hatte, dass auf dem
Grundstück der Kläger im Anschluss an den Wintergarten planabweichend ein etwa 2,90 m hoher
terrassenförmiger Balkon mit Treppenabgang errichtet worden war, forderte der Beklagte die Kläger unter
Androhung eines Zwangsgeldes mit Bescheid vom 15. November 2007 auf, binnen vier Wochen nach
Bestandskraft des Bescheides einen Nachtragsbauantrag für den errichteten rückwärtigen Balkon mit
Außentreppe zu stellen.
Am 6. Dezember 2007 beantragten die Kläger unter Erteilung einer Abweichung von § 8 Abs. 5 LBauO die
Erteilung einer Nachtragsgenehmigung für den abweichend von der Baugenehmigung ausgeführten
rückwärtigen Balkon mit Außentreppe.
Nachdem sich zunächst die Beigeladenen zu 2) und 3) gegen das Vorhaben der Kläger ausgesprochen
hatten und die Beigeladene zu 1) ihr Einvernehmen versagt hatte, lehnte der Beklagte den Bauantrag der
Kläger mit Bescheiden vom 7. Oktober 2008 ab und forderte diese unter Androhung eines Zwangsgeldes
i.H. von 500,00 € auf, den rückwärtigen Balkon mit Außentreppe innerhalb von sechs Wochen nach
Bestandskraft des Bescheides abzubrechen. Des Weiteren setzte er gesamtschuldnerisch eine Gebühr
i.H. von 100,00 € fest. Zur Begründung führte der Beklagte aus, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich
unzulässig, da es sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Da es auch nicht genehmigt
sei, lägen die Voraussetzungen für den Erlass einer Beseitigungsanordnung vor. Diese sei auch
ermessensgerecht und insbesondere geeignet, um baurechtmäßige Zustände auf dem Baugrundstück
herzustellen. Auch das angedrohte Zwangsgeld sei in seiner Höhe angemessen.
Nach Zustellung der Bescheide am 11. Oktober 2008 erhoben die Kläger am 16. Oktober 2008
Widerspruch. Sie trugen vor: Ihr Vorhaben füge sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Weder
durch den rückwärtigen Balkon mit Außentreppe selbst noch infolge einer etwa von ihm ausgehenden
Vorbildwirkung würden bodenrechtliche Spannungen begründet oder verstärkt. Das Vorhaben halte in
Bezug auf die Beigeladenen zu 2) und 3) einen Abstand von 2,36 m ein. Sie seien bereit, durch die
Anlegung von Grünbewuchs die Erkennbarkeit des Balkons zu minimieren.
Der Widerspruch der Kläger wurde vom Kreisrechtsausschuss bei dem Beklagten durch
Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der
Kreisrechtsausschuss über die Gründe der angefochtenen Bescheide hinaus aus, dass die Bebauung
südlich der Straße „Im Q.“ durch einen rückwärtigen Grenzabstand der Häuser von 7 m geprägt sei.
Lediglich das Doppelhaus „Im Q. XX/XX“ weise eine rückwärtige Erweiterung des Baukörpers auf,
weshalb sich dort der Grenzabstand auf 3 m verkürze. Ein darüber hinausgehende Bebauung bestehe bei
keinem der Häuser. Dies gelte auch für das von den Klägern angesprochene Haus auf dem Grundstück
„Im Q. XX“, bei dem lediglich das Dachgeschoss um einen Meter erhöht worden sei. Das Vorhaben der
Kläger sei in der näheren Umgebung beispiellos und füge sich bezüglich der überbaubaren
Grundstücksfläche nicht ein. Das Vorhaben könne auch nicht nach § 34 Abs. 3 a BauGB zugelassen
werden, weil es bereits am Erfordernis eines Einzelfalles scheitere, da erkennbar sei, dass eine
vergleichbare Befreiungslage wiederholt auftreten könne. Darüber hinaus sei das Vorhaben auch unter
Würdigung der nachbarlichen Interessen nicht vereinbar. Da der Balkon 2,90 m über der Erde liege und
damit höher als die östlich angrenzende Mauer sei, sei ein Einblick in die Nachbargrundstücke möglich,
der auch nicht durch Bewuchs völlig auszuschließen sei. Mangels Genehmigungsfähigkeit sei es
ermessensgerecht, den Abbruch der Anlage anzuordnen, zumal kein geeigneteres Mittel ersichtlich sei,
um rechtmäßige Zustände wiederherzustellen. Zwangsgeldandrohung und Gebührenfestsetzung seien
nicht zu beanstanden.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheides am 11. August 2009 haben die Kläger am 9. September
2009 Klage erhoben.
Sie tragen unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens ergänzend vor: Der Beklagte habe die
maßgebliche Umgebung zu eng gezogen. Der Umstand, dass man von ihrem Grundstück in die
Nachbargrundstücke einsehen könne, sei für die Frage, ob sich ein Vorhaben i.S. von § 34 Abs. 1 BauGB
einfüge, ohne Bedeutung. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Beigeladenen zu 2) und 3) der der
Baugenehmigung vom 21. Dezember 2005 zugrundeliegenden, nicht verwirklichten Planung zugestimmt
hätten, die einen Austritt im Obergeschoss vorgesehen habe. Es sei nicht ersichtlich, dass der
verwirklichte Balkon die Belange der Nachbarn stärker beeinträchtige als der genehmigte Austritt.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 7. Oktober 2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2009 zu verpflichten, ihnen die beantragte
Nachtragsbaugenehmigung zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich im Wesentlichen auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor,
dass die zu berücksichtigende nähere Umgebung zu Recht auf die südlich der Straße „Im Q.“ gelegenen
Grundstücke beschränkt worden sei. Selbst wenn man die Grundstücke auf der gegenüberliegenden
Straßenseite mitberücksichtige, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch dort finde sich keine
bis zu rückwärtigen Grundstücksgrenze reichende Bebauung.
Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag. Sie trägt vor, dass sich das Vorhaben der Kläger nicht in die
durch einen rückwärtigen Grenzabstand von 7 m geprägte nähere Umgebung einfüge und überdies
rücksichtslos sei.
Die Beigeladenen zu 2) bis 4) beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie treten der Klage entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in
den Gerichtsakten verwiesen. Die Bau- und Widerspruchsakten des Beklagten liegen der Kammer vor und
waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der
beantragten Nachtragsbaugenehmigung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Des Weiteren sind die in den
Bescheiden vom 7. Oktober 2008 enthaltenen Beseitigungsanordnungen mit Zwangsgeldandrohung
sowie die Gebührenfestsetzung rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1
Satz 1 VwGO).
(1) Anspruchsgrundlage für die begehrte Baugenehmigung ist § 70 Abs. 1 Satz 1 der Landesbauordnung
– LBauO –. Danach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder
sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend
nicht erfüllt, denn dem Vorhaben der Kläger stehen Vorschriften des Bauplanungsrechts entgegen. Der
bereits verwirklichte Balkon mit Treppe verstößt nämlich gegen § 34 Abs. 1 BauGB, weil er sich nach der
Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die nähere Umgebung einfügt. Von dem Erfordernis
des Einfügens kann auch nicht gemäß § 34 Abs. 3 a Satz 1 BauGB abgewichen werden.
Der bereits verwirklichte Balkon mit Außentreppe ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB unzulässig, weil er
sich nicht in die nähere Umgebung einfügt.
a) Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile
zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der
Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein
Vorhaben fügt sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es, bezogen auf die in der
Vorschrift genannten Kriterien, den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet und geeignet
ist, bodenrechtlich beachtliche bewältigungsbedürftige Spannungen zu begründen oder zu erhöhen. Ein
solcher Fall ist gegeben, wenn das Vorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich
relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet. Stiftet es in diesem Sinne Unruhe, so lassen sich die
Voraussetzungen für seine Zulassung nur unter dem Einsatz der Mittel der Bauleitplanung schaffen. Ein
Planungsbedürfnis besteht, wenn durch das Vorhaben schutzwürdige Belange Dritter mehr als nur
geringfügig beeinträchtigt werden. Eine nur im Wege der Planung auffangbare Beeinträchtigung kommt
auch in Betracht, wenn bei einer Hinterlandbebauung eine vorhandene Ruhelage gestört wird. Wann
insoweit die bauplanungsrechtliche Relevanzschwelle im Einzelnen erreicht ist, lässt sich nicht anhand
von verallgemeinerungsfähigen Maßstäben feststellen, sondern hängt von den jeweiligen konkreten
Gegebenheiten ab (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999 – 4 B 15.99 –, BRS 52 Nr. 101 m.w.N.).
Bei der Ermittlung der Eigenart der näheren Umgebung, in die sich das Bauvorhaben einzufügen hat,
handelt es sich um einen wertenden Vorgang, bei dem der das Baugrundstück prägende Charakter der
Umgebungsbebauung zu bestimmen ist. Berücksichtigt werden muss die Umgebung zum einen insoweit,
als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zum anderen insoweit, als die
Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst.
Dabei muss die Betrachtung auf die wesentliche, konkret vorhandene Bebauung zurückgeführt werden,
wobei das außer Acht zu lassen ist, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als
Fremdkörper erscheint. (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – 4 C 9.77 –, BVerwGE 55, 369, 380).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte zur Beurteilung der maßgeblichen näheren
Umgebung zutreffend auf die südlich der Straße „Im Q.“ vorhandene bandförmige Bebauung abgestellt,
die durch Doppelhaushälften geprägt ist, welche bis auf die Häuser der Kläger und der Beigeladenen zu
2) und 3) zur rückwärtigen Grundstücksgrenze jeweils einen Abstand von zwischen 6 und 7 m einhalten.
Soweit demgegenüber die Kläger der Auffassung sind, der Beklagte habe die nähere Umgebung zu eng
gefasst, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Insbesondere musste die nördlich der Straße
„Im Q.“ befindliche Bebauung nicht in den Umgebungsrahmen einbezogen werden, da insoweit die Straße
selbst eine Zäsur darstellt. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, denn auch in Bezug auf die dort
vorhandene Bebauung fügt sich das Vorhaben der Kläger hinsichtlich der überbauten Grundstücksfläche
nicht ein.
b) Ein Vorhaben fügt sich nicht in die Eigenart der festgestellten näheren Umgebung ein, wenn es
Konflikte im Hinblick auf die künftige Nutzung benachbarter Grundstücke auslöst, es also die Gefahr
heraufbeschwört, dass der gegebene Zustand in negativer Richtung in Bewegung gebracht wird. Davon
ist regelmäßig auszugehen, wenn der von der Bebauung bisher eingehaltene Rahmen überschritten wird,
ohne dass dies durch irgendeine Besonderheit begründet wäre, durch die sich das Baugrundstück von
den Nachbargrundstücken unterscheidet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999, a.a.O). Da es bei
dem Gebot des Einfügens weniger um „Einheitlichkeit“ als um „Harmonie“ geht, folgt aus dem Umstand,
dass ein Vorhaben in seiner Umgebung - überhaupt oder doch in dieser oder jener Beziehung - ohne ein
Vorbild ist, noch nicht, daß es ihm an der ("harmonischen") Einfügung fehlt. Das Erfordernis des Einfügens
schließt nicht schlechthin aus, etwas zu verwirklichen, was es in der Umgebung bisher nicht gibt (vgl.
BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978, a.a.O. S. 386). Ein Vorhaben, das den durch die nähere Umgebung
vorgegebenen Rahmen überschreitet, ist aber jedenfalls dann unzulässig, wenn es im Verhältnis zu
seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen begründet oder erhöht. Dies ist der Fall, wenn die
Baulichkeit eine „Unruhe" stiftet, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich zieht. Soll es zugelassen
werden, kann dies sachgerecht nur unter Einsatz der – jene Unruhe gewissermaßen wieder auffangenden
– Mittel der Bauleitplanung geschehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978, a.a.O. S. 387).
Die bodenrechtlichen Spannungen, die ein Vorhaben im Verhältnis zu seiner Umgebung begründet oder
erhöht, müssen sich auf die konkreten Wirkungen des Vorhabens in der Umgebung beziehen, in der es
verwirklicht werden soll. Allein die abstrakte und entfernt gegebene Möglichkeit, dass ein Vorhaben
Konflikte im Hinblick auf die künftige Nutzung benachbarter Grundstücke auslöst, schließt die Zulässigkeit
des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999, a.a.O.;
Urteil vom 18. Februar 1983 – 4 C 18.81 –, BVerwGE 67, 23, 30, 31). Allerdings können sich
bewältigungsbedürftige Spannungen daraus ergeben, dass ein Vorhaben, auch wenn es für sich allein
genommen zu keiner Verschlechterung der gegenwärtigen Situation führt, aufgrund seiner Vorbildwirkung
in nahe liegender Zukunft eine solche Verschlechterung mit sich führen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.
Mai 1978, a.a.O. S. 386).
Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass das Vorhaben der Kläger hinsichtlich der Grundstücksfläche,
die überbaut werden soll, eine negative Vorbildwirkung entfaltet. Dies ergibt sich daraus, dass mit ihm
erstmals in der hier maßgeblichen näheren Umgebung eine Bebauung bis an die rückwärtige
Grundstücksgrenze und damit in den Freibereich der Grundstücke hinein geführt wird. Im Hinblick darauf,
dass es in der näheren Umgebung sämtliche Grundstücke eine vergleichbare bauliche Situation
aufweisen, würde mit der Zulassung des Vorhabens der Klägerin eine „Erodierung“ der durch einen
rückwärtigen Ruhebereich gekennzeichneten Bebauung im Bereich der Straße „Im Q.“ in Gang gesetzt.
Eine solche Ausdehnung der Bebauung über das bisher Vorhandene hinaus begründet das Erfordernis
einer Bauleitplanung. Dem vermögen die Kläger auch nicht mit dem Einwand entgegen zu treten, der
Abschluss eines zur Nutzung der Parzelle XXX notwendigen Gestattungsvertrages mit der Bahn sei derart
kompliziert, dass mit vergleichbaren Nutzungsabsichten der Nachbarn nur ausnahmsweise zu rechnen
sei. Abgesehen davon, dass sie insoweit lediglich hypothetische Erwägungen anstellen, übersehen sie,
dass der Abschluss des Gestattungsvertrages mit der DB Netz AG in ihrem Fall deshalb notwendig war,
weil die in Rede stehende bauliche Balkonanlage mit Außentreppe sogar über die rückwärtige
Grundstücksgrenze hinaus auf das Bahngrundstück ragt. Hingegen bedürfte es bei einer Bebauung,
welche die Grundstücksgrenze nicht überschreitet, keiner Gestattung durch den Eigentümer des
Bahngrundstücks.
Fügt sich mithin das Vorhaben der Kläger bereits aus städtebaulichen Gründen nicht in die Eigenart der
näheren Umgebung ein, so kommt es nicht mehr entscheidend auf die aus Sicht der Beigeladenen zu 2)
bis 4) bedeutsame Frage an, ob sich ihr Vorhaben auch deshalb nicht einfügt, weil es zu
bewältigungsbedürftigen Spannungen in Bezug auf das nachbarliche Austauschverhältnis führt. Insoweit
sei indes angemerkt, dass auch nach Überzeugung der Kammer von einer Beeinträchtigung des Freizeit-
und Ruhebereichs der Nachbargrundstücke durch den 2,90 m hohen und ca. 9 m² großen Balkon
auszugehen ist. Die Beein-trächtigungen beschränken sich nicht auf die Möglichkeit zur Einsichtnahme in
die angrenzenden Grundstücke, sondern ergeben sich auch aus dem Umstand einer im Freien
stattfindenden Freizeitnutzung von einem erhöhten Standort herab.
c) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näherem Umgebung nach
§ 34 Abs. 1 Satz1 BauGB kann mit Blick auf das Vorhaben der Kläger auch nicht nach § 34 Abs. 3 a Satz 1
BauGB abgewichen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind nicht erfüllt.
Zwar ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift erfüllt, denn bei dem Anbau eines Balkons oder einer
Terrasse an ein Wohnzwecken dienendes Gebäude handelt es sich um die Erweiterung einer
(zulässigerweise errichteten) baulichen Anlage zu Wohnzwecken i.S. von § 34 Abs. 3 a Satz 1 Nr. 2 Alt. 2
BauGB. Die Zulassung des Vorhabens der Klägerin würde jedoch dem Einzelfallkriterium des § 34 Abs. 3
a Satz 1 BauGB widersprechen. Danach kann ein Vorhaben unter Abweichung vom Erfordernis des
Einfügens nur im „Einzelfall“ zugelassen werden. Dabei kann dahinstehen, wie dieses Merkmal im
Zusammenhang mit Wohnzweckenden dienenden Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 3 a Satz 1 Nr. 1, 2.
Alt. BauGB im Einzelnen auszulegen ist, ob eine Abweichung also auch dann noch zulässig sein kann,
wenn sie für mehrere gleichgelagerte Grundstückssituationen in Betracht kommt. Denn jedenfalls scheidet
die Annahme eines Einzelfalles dann aus, wenn – wie im vorliegenden Fall – auf sämtlichen
Grundstücken in der näheren Umgebung eine dem unter Zulassung einer Abweichung von dem
Einfügenserfordernis vergleichbare bauliche Nutzung absehbar möglich wäre (vgl. OVG Rheinland-Pfalz,
Urteil vom 11. März 2010 – 8 A 11432/09.OVG –). Damit kann zugleich offenbleiben ob die Zulassung des
Vorhabens nach § 34 Abs. 3 a Satz 1 BauGB (auch) deshalb scheitert, weil es unter Würdigung
nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar ist (§ 34 Abs. 3 a Satz 1 Nr. 3
BauGB).
(2) Auch die in Ziffer 2 der angefochtenen Bescheide vom 7. Oktober 2008 enthaltenen
Beseitigungsanordnungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in § 81
Satz 1 LBauO.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Das Vorhaben der Kläger ist formell
und materiell baurechtswidrig, denn es ist nicht bauaufsichtlich genehmigt und – wie die Ausführungen
unter (1) zeigen – auch nicht genehmigungsfähig. Der Beklagte hat auch das ihm eröffnete Ermessen
ordnungsgemäß ausgeübt. Insoweit kann zur Begründung und zur Vermeidung von Wiederholungen auf
die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zutreffenden Ausführungen und Feststellungen in dem
Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 22. Juli 2009 Bezug genommen werden (§ 117
Abs. 5 VwGO), denen die Kläger nicht entgegen getreten sind.
(3) Ferner begegnet auch die auf §§ 61 ff. des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes – LVwVG –
gestützte Zwangsgeldandrohung keinen rechtlich Bedenken. Sie genügt insbesondere in
verfahrensrechtlicher Hinsicht den Anforderungen des § 66 LVwVG und ist auch hinsichtlich ihrer Höhe in
Anbetracht des § 64 Abs. 2 Satz 2 LVwVG nicht zu beanstanden.
(4) Die in Ziffer 4 der angefochtenen Bescheide
enthaltene Gebührenfestsetzung ist ebenfalls
rechtmäßig. Sie hat ihre Rechtsgrundlage in den
§§ 2 ff. des Landesgebührengesetzes – LGebG –
i.V. mit Ziffer 2.8 der Anlage zur
Landesverordnung über die Gebühren für
Amtshandlungen der Bauaufsichtsbehörden und
über die Vergütung der Leistungen der
Prüfingenieurinnen und Prüfingenieure für
Baustatik (Besonderes Gebührenverzeichnis) vom
9. Januar 2007 und ist auch hinsichtlich der Höhe
nicht zu beanstanden, da insoweit für beide
Kläger jeweils die Mindestgebühr von 50,00 €
festgesetzt wurde, für die die Kläger
gesamtschuldnerisch haften.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1
und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene zu 1)
– anders als die Beigeladenen zu 2) bis 4) –
keinen Antrag gestellt hat und somit auch kein
Kostenrisiko eingegangen ist, bestand vorliegend
aus Billigkeitsgründen auch keine Veranlassung,
die Kläger mit den außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen zu 1) zu belegen.
Der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der
Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff.
ZPO.
B e s c h l u s s
der3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz
vom 23. Juni 2010
Der Streitwert wird auf 10.000,00 € (2 x 5.000,00 €) festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).