Urteil des VG Mainz vom 21.02.2006

VG Mainz: zeugnisverweigerungsrecht, fahrzeughalter, fahrzeugführer, polizei, geschwindigkeitsüberschreitung, datum, verfügung, auflage, rechtsgrundlage, sicherheit

Sonstiges
Straßenverkehrsrecht
VG
Mainz
21.02.2006
3 K 545/05.MZ
Verweigert der Halter eines Fahrzeuges, mit dem ein wesentlicher Verkehrsverstoß begangen wurde,
unter Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 StPO (Zeugnisverweigerungsrecht
aus persönlichen Gründen), Angaben zum Führer des Fahrzeuges, rechtfertigt dies regelmäßig - ohne
weitere Ermittlungen -, die Auflage zum Führen eines Fahrtenbuches (ebenso VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 06.11.1998 - 10 S 2625/98 - in DAR 1999, 90).
Verwaltungsgericht Mainz
3 K 545/05.MZ
Urteil
Tatbestand
Die Klägerin ist Halterin des auf sie zugelassenen Kraftfahrzeugs (PKW) mit dem amtlichen Kennzeichen
*** – MT 16.
Mit Datum vom 11. Januar 2005 übersandte das Polizeipräsidium Mainz, Bußgeldstelle Worms, der
Klägerin einen Zeugenfragebogen, ausweislich dessen dem Führer des vorgenannten PKW vorgeworfen
wurde, am 25. November 2004 in Mainz – Hechtsheim (Baustelle A60) die zulässige
Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h überschritten zu haben. Dem
Schreiben waren Kopien von Radarfotos beigefügt, die eine männliche Person am Steuer des PKW
zeigen.
Die Klägerin ließ den Fragebogen unbeantwortet, weshalb die Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Mainz
die Polizeiwache Wörrstadt um die Ermittlung des Fahrzeugführers ersuchte.
Ausweislich eines Vermerks des ermittelnden Polizeibeamten vom 15. Februar 2005 seien die
Ermittlungen bei der Klägerin ohne Erfolg geblieben. Sie habe nach Belehrung von ihrem
Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Ermittlungen hinsichtlich des Fahrzeugführers bei
Familienangehörigen hätten nicht zum Erfolg geführt. Es hätten sich bezüglich des verantwortlichen
Fahrzeugführers keinerlei Erkenntnisse bzw. Ermittlungsansätze ergeben.
Mit Schreiben vom 25. Februar 2005 teilte die Bußgeldstelle der Klägerin mit, dass das
Ordnungswidrigkeitsverfahren eingestellt worden sei und dass die zuständige Straßenverkehrsbehörde
jedoch hiervon unterrichtet worden sei.
Im Rahmen der erfolgten Anhörung wegen der Absicht der Auferlegung eines Fahrtenbuchs gab die
Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 11. März 2005 an: Sie habe gegenüber der
Polizei von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, so dass darauf hätte geschlossen
werden können, dass sich der Fahrer aus dem näheren Familienkreis rekrutiere. Die Polizei habe jedoch
nicht alles mit verhältnismäßigem Aufwand Mögliche getan, um den Fahrer zu ermitteln. Es hätten weitere
Angehörige oder Nachbarn der Halterin befragt werden müssen.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2005 legte der Beklagte der Klägerin die Führung eines Fahrtenbuchs für die
Zeit von zwölf Monaten auf, wobei die Verfügung auch für ein neuzugelassenes Kraftfahrzeug Geltung
beanspruchte.
Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 03. August 2005 zurückgewiesen. Zur
Begründung ist im Wesentlichen angegeben: Rechtsgrundlage der angegriffenen Verfügung sei § 31 a
Abs. 1 StVZO. Es liege ein erheblicher Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften vor. Die in Frage stehende
Geschwindigkeitsüberschreitung führe neben einem Bußgeld auch zu der Eintragung im
Kraftfahrzentralregister mit drei Punkten. Die nach Sachlage nötigen und möglichen Nachforschungen
seien angestellt worden und ergebnislos geblieben. Es bestehe kein Anlass an der Aussage des
ermittelnden Polizeibeamten, wonach auch Ermittlungen bei Familienangehörigen nicht zum Erfolg
geführt hätten, zu zweifeln. Der Widerspruchsbescheid wurde am 10. August 2005 zugestellt.
Die Klägerin hat mit am 12. September 2005, einem Montag, eingegangen Schriftsatz Klage erhoben.
Sie trägt vor: Entgegen dem Inhalt des Vermerks des ermittelnden Polizeibeamten seien keinerlei
Ermittlungen hinsichtlich des Fahrzeugführers bei Familienangehörigen durchgeführt worden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 18. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. August 2005
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und
Widerspruchsakten, sowie der Ordnungswidrigkeitsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113
Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrtenbuches ist § 31 a StVZO. Danach kann die
Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder
künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung
eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese
Voraussetzungen liegen hier vor. Mit dem auf die Klägerin zugelassenen PKW wurde ein nicht
unerheblicher Verkehrsverstoß begangen – eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h –, der unter
dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches als rechtlich
unbedenklich erscheinen lässt. Nach Ansicht der Kammer rechtfertigt bereits eine erstmalige
unaufgeklärte Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h auch ohne zusätzliche Umstände
die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches (so auch VG Berlin in NVZ 1999, 104). Die Feststellung
des Fahrzeugführers zur Tatzeit war dem Beklagten nicht möglich, weil die Klägerin Angaben zum
Fahrzeugführer verweigert hat, wobei sie sich hierzu auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat (§ 52
Abs. 1 StPO). Der Umstand, dass die Klägerin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht
hat steht der Anwendbarkeit des § 31 a StVZO nicht entgegen. Der Halter eines Kraftfahrzeuges, mit dem
ein Verkehrsverstoß begangen wurde, ist rechtlich nicht gehindert, von einem etwaigen Aussage- oder
Zeugnisverweigerungsrecht im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren Gebrauch zu machen; er muss
dann aber gemäß § 31 a StVZO die Auflage in Kauf nehmen, ein Fahrtenbuch zu führen, wenn die
Voraussetzungen dafür gegeben sind. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, setzt als Maßnahme
der vorbeugenden Gefahrenabwehr nicht die Besorgnis voraus, dass künftig gerade der Fahrzeughalter
als Fahrer seines Kraftfahrzeuges Verkehrszuwiderhandlungen begehen könnte. Sie soll vielmehr auf die
dem Fahrzeughalter mögliche und zumutbare Mitwirkung bei der Feststellung des Führers des
Kraftfahrzeuges hinwirken, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen wurde, und den Fahrzeughalter zur
Erfüllung seiner Aufsichtspflichten anhalten, wenn er geltend macht, den Fahrzeugführer nicht zu kennen.
Ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die
Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers
auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben besteht nicht. Ein solches „Recht“ widerspräche
dem Zweck des § 31 a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen (vgl.
BVerfG in NJW 1982, 586; BVerwG in DAR 1995, 459 m.w.N.).
Soweit die Klägerin der Auffassung ist, die behördlichen Aufklärungsbemühungen seien vorliegend
unzureichend gewesen, vermag ihr die Kammer nicht zu folgen. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen,
dass keine begründeten Zweifel am Inhalt des als dienstliche Erklärung zu wertenden Vermerkes des
ermittelnden Polizeibeamten vom 15. Februar 2005 bestehen, wonach Ermittlungen hinsichtlich des
Fahrzeugführers bei Familienangehörigen nicht zum Erfolg geführt hätten. Die Klägerin bestreitet die
Richtigkeit dieser Angaben, ohne allerdings insoweit ihre Behauptungen substantiiert zu begründen. Aus
dem Umstand allein, dass sich über die Einzelheiten der weiteren Ermittlungen keine Hinweise in den
Verwaltungsakten entnehmen lassen, kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schon darauf
geschlossen werden, dass solche Ermittlungen nicht tatsächlich stattgefunden haben. Eine
diesbezügliche weitere Sachaufklärung durch Vernehmung des ermittelnden Polizeibeamten, wie sie die
Klägerin begehrt, ist aber bereits aus Rechtsgründen entbehrlich. Im Hinblick darauf nämlich, dass die
Klägerin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, waren nämlich weitere
Ermittlungen nach dem Fahrzeugführer nicht geboten. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts können sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer
nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, nämlich an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten.
Lehnt diese erkennbar – wie hier die Klägerin unter Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht – die
Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Polizei regelmäßig nicht zuzumuten,
wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. Insbesondere braucht
dann, wenn der Fahrzeughalter den Fahrzeugführer, obwohl er ihn kennt, nicht nennt, nicht damit
gerechnet zu werden, dass Ermittlungen bezüglich der engeren Familie des Halters, der das gleiche
Recht (Zeugnisverweigerungsrecht) zusteht, zur namentlichen Feststellung des Fahrers führen werden, es
sei denn, es sind besondere Anhaltspunkte gegeben (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 in
Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 12, VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06. November 1998 in
DAR 1999, 90). Insbesondere war es auch nicht geboten, in der Nachbarschaft der Klägerin weitere
Ermittlungen unter Vorlage des Radarfotos anzustellen. Es sind nämlich grundsätzlich solche staatlichen
Maßnahmen nicht geboten, die die Belange des Betroffenen oder Dritter stärker beeinträchtigen, als die
Sanktion, auf die sie abzielen. Gerade solche müssten aber vielfach ergriffen werden, wenn der Halter
selbst nicht Willens ist, das ihm Mögliche zur Aufklärung der Ordnungswidrigkeit beizutragen. Behördliche
Aufklärungsbemühungen berühren dann nämlich zumindest das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung des Betroffenen, wenn Dritte notgedrungen Kenntnis von der Verkehrsstraftat oder der
Verkehrsordnungswidrigkeit erlangen, Rückschlüsse auf das Aussageverhalten des Halters ziehen
können oder aufgrund der Vorlage eines aussagekräftigen Täterfotos (etwa in der Nachbarschaft) den
Täter sogar erkennen würden (vgl. Hentschel, Kommentar zur StVZO § 31 a/5 unter Hinweis auf VG
Oldenburg in ZfS 98, 357).
Da auch ansonsten keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen,
ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.
Beschluss
Der Einzelrichter der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 21. Februar 2006
Der Streitwert wird auf 4.800,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit).