Urteil des VG Mainz vom 23.03.2006

VG Mainz: anrechenbares vermögen, tante, objektive unmöglichkeit, allgemeine lebenserfahrung, unbewegliche sache, härte, miteigentumsanteil, verwertung, belastung, ausbildung

Ausbildungsförderung
Sonstiges
VG
Mainz
23.03.2006
1 K 564/05.MZ
1. Zum Vermögensbegriff des § 27 Abs. 1 BAföG. Es verstößt gegen den Sinngehalt und die
Rechtsprechung des BVerwG anzunehmen, dass § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG nur gesetzliche oder
behördliche Veräußerungsverbote erfasse und nicht auch rechtsgeschäftliche.
2. § 29 Abs. 3 BAföG dient zur Vermeidung unbilliger Härten. Eine solche liegt vor, wenn der
Auszubildende auf ein anrechenbares Vermögen verwiesen wird, das seinem Verwertungszugriff nicht
unterliegt. Daher können grundsätzlich auch rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen eine
unbillige Härte begründen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Verfügung über ein übertragenes
Grundeigentum von einer Zustimmung abhängig ist, die nicht erteilt wird und für den Fall eines Verstoßes
ein dinglich gesicherter Rückübertragungsanspruch besteht.
Verwaltungsgericht Mainz
1 K 564/05.MZ
Urteil
wegen Ausbildungsförderung
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. März
2006, an der teilgenommen haben Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Eckert
Richter am Verwaltungsgericht Dr. Burandt
Richter am Verwaltungsgericht Dr. Reuscher
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Frank
ehrenamtlicher Richter EDV-Berater Geertsen für Recht erkannt:
Der Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
08. September 2005 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf
Ausbildungsförderung vom 17. September 2004 ohne Anrechnung der ihr zur Hälfte übertragenen
Wohnung ihrer Tante in Hamburg als Vermögen zu entscheiden.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die
Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung entsprechenden
Höhe abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Ausbildungsförderung durch die Beklagte wegen
Anrechnung von Vermögen.
Sie studiert seit dem Wintersemester 2004/05 an der Katholischen Fachhochschule A-Stadt
Pflegepädagogik/Diplom. Aufgrund ihres Antrags auf Ausbildungsförderung vom 17. September 2004
erließ die Beklagte unter dem 28. Februar 2005 für den Bewilligungszeitraum von Oktober 2004 bis
August 2005 einen sogenannten Nullbescheid, weil das anzurechnende Vermögen der Klägerin ihren
Gesamtbedarf übersteige. Dem liegt zugrunde, dass die Klägerin von ihrer Tante durch notariellen Vertrag
vom 25. September 1998 zur Hälfte Wohnungseigentum in Hamburg im Wege einer Schenkung erhielt;
die andere Hälfte erhielt ihre Schwester. Die Übertragung erfolgte lastenfrei mit der Maßgabe, die
Wohnung zu Lebzeiten der Tante ohne deren Zustimmung weder zu veräußern noch zu belasten. Für den
Fall des Verstoßes gegen diese Verpflichtung oder für den Fall der Belastung aufgrund von Maßnahmen
Dritter verpflichteten sich die Erwerber, die Wohnung an die Tante zurück zu übertragen. Zur Sicherung
dieses bedingten Anspruchs ist eine Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Tante im Range nach dem
Nießbrauchsrecht im Wohnungsgrundbuch eingetragen. Der Verkehrswert der Wohnung wurde mit
150.000,00 DM angegeben, der Jahreswert des Nießbrauchsrechts mit 12.000,00 DM. Daneben verfügt
die Klägerin über Guthaben auf einem Girokonto in Höhe von 967,52 € und einem Bausparvertrag von
4.685,83 €.
Gegen den Bescheid der Beklagten erhob die Klägerin Widerspruch mit im Wesentlichen folgender
Begründung: Aus der anteiligen Überlassung der Eigentumswohnung in Hamburg sei für sie kein
Unterhalt zu realisieren, weil der Vertrag eine Beleihung ausschließe. Bei einer Zuwiderhandlung falle der
Anteil nämlich an die ehemalige Eigentümerin zurück. Sie habe einem Kreditinstitut den Übergabevertrag
vorgelegt und eine Beleihung von 11.000,00 € beantragt, was abgelehnt worden sei. Zudem befinde sich
ihre Tante seit dem 08. August 2002 in vollstationärer Pflege, welche monatlich 2.953,79 € koste.
Abzüglich der Pflegestufe 2, der kleinen eigenen Rente der Tante und der Witwenrente bleibe ein nicht
unerheblicher Betrag, der aus Ersparnissen finanziert werden müsse. Es sei nicht bekannt, wie lange dies
noch aus den Ersparnissen möglich sei. Die Sozialbehörde Hamburg habe in diesem Zusammenhang
bestätigt, dass sie die Übernahme nicht gedeckter Kosten nach § 2 SGB XII i.V.m. § 528 BGB ablehnen
werde. Dass beim Ableben ihrer Tante andere Voraussetzungen vorliegen würden, sei ihr bekannt. Bis zu
diesem Zeitpunkt sei sie jedoch auf Ausbildungsförderung angewiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08. September 2005 wies die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier
den Widerspruch mit im Wesentlichen folgender Begründung zurück: Die hier maßgeblichen Vorschriften
der §§ 26 ff BAföG konkretisierten den Grundsatz der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BAföG gelten als Vermögen alle beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie
Forderungen und sonstige Rechte. Neben dem Guthaben auf ihrem Giro- und Bausparkonto habe die
Klägerin auch Vermögen in Form von Wohnungseigentum, welches eine unbewegliche Sache darstellt.
Zwar gelten Gegenstände nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht als Vermögen, soweit der Auszubildende
sie aus rechtlichen Gründen nicht verwerten könne. Vorliegend handele es sich aber nur um eine
rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkung. Rechtlich gehindert an der Verwertung der Wohnung wäre
die Klägerin nur bei einem gesetzlichen oder behördlichen Veräußerungsverbot (§§ 134 bis 136 BGB),
das aber vorliegend nicht bestehe. Ein rechtsgeschäftlich begründetes Veräußerungsverbot (§ 137 BGB)
reiche im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht aus. Dies ergebe sich auch aus dem maßgeblichen
– und wörtlich wieder gegebenen – Runderlass des Bundesministers für Bildung und Forschung vom
28. Februar 2002.
Auch sei eine unbillige Härte im Sinne des § 29 Abs. 3 BAföG, die der Anrechnung entgegenstehen
könnte, nicht gegeben. Danach stehe die Vereinbarung über ein Verfügungsverbot der Annahme einer
unbilligen Härte gemäß § 29 Abs. 3 BAföG nicht entgegen, solange ein Auszubildender zum Zeitpunkt
dieser Vereinbarung noch minderjährig gewesen und die Ausbildung noch nicht betrieben worden sei; die
Klägerin sei bei Abschluss des Überlassungsvertrages jedoch volljährig gewesen.
Am 22. September 2005 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie ihr Vorbringen aus
dem Vorverfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend legt sie eine Stellungnahme des Notars S***.. vom
26. September 2005 vor, in der dieser seine Rechtsauffassung zu dem von ihm beurkundeten
Überlassungsvertrag vom 25. September 1998 darlegt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Februar 2005 und des Widerspruchsbescheides
vom 08. September 2005 zu verpflichten, ihren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung vom 17.
September 2004 erneut zu bescheiden, wobei die ihr von ihrer Tante übertragene Eigentumswohnung in
Hamburg nicht als Vermögenswert zu berücksichtigen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht sich im Wesentlichen die Gründe des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2005 zu
eigen und weist ergänzend nochmals darauf hin, die Klägerin sei durch das Nießbrauchsrecht der Tante
nicht gehindert, ihren Miteigentumsanteil zum Zwecke der Studienfinanzierung gegebenenfalls zu
veräußern oder zu beleihen, denn ihr Miteigentumsanteil sei kein Gegenstand, den sie aus rechtlichen
Gründen nicht verwerten könne (§ 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG).
Darüber hinaus berichtigte die Beklagte zwei Berechnungsfehler im Ablehnungsbescheid vom
28. Februar 2005 und merkte hierzu an, auch nach der Korrektur verbleibe es bei der ergangenen
Ablehnung; die Bescheidfehler hätten keine Auswirkungen auf das vorliegende Klageverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakte der Beklagten und die Widerspruchsakte der
Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die der Klägerin von ihrer Tante zu hälftigem Eigentum
übertragene Wohnung in Hamburg bei der Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von
Ausbildungsförderung nicht als Vermögen anzurechnen. Die Klägerin hat einen dahingehenden
Anspruch. Die in ihrem Miteigentum stehende Wohnung ist kein anrechenbares Vermögen im Sinne der
§§ 26 bis 30 BAföG.
Es spricht bereits Gewichtiges für die Annahme, dass die ihr zur Hälfte gehörende Wohnung nicht dem
Vermögensbegriff des § 27 BAföG unterfällt. Ausgenommen von diesem sind nach § 27 Abs. 1 Satz 2
BAföG Gegenstände, soweit der Auszubildende sie aus rechtlichen Gründen nicht verwerten kann.
Die im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 08. September 2005 vertretene Auffassung, § 27 Abs.
1 Satz 2 BAföG erfasse nur gesetzliche oder behördliche Veräußerungsverbote (§§ 134 bis 136 BGB),
nicht hingegen auch ein rechtsgeschäftlich begründetes Veräußerungsverbot (§ 137 BGB), steht vom
Ansatz her nicht in Einklang mit dem Sinngehalt der Vorschrift. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu
rechtsgrundsätzlich wie folgt entschieden:
„In seinem Urteil vom 17. Januar 1991 – BVerwG 5 C 71.86 – (BVerwGE 87, 284 <288>) hat der Senat
klargestellt, dass im Rahmen des § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG entscheidend nur sein kann, ob und inwieweit
bestimmtes Vermögen überhaupt dem ausbildungsbedingten Verwertungszugriff des Auszubildenden
oder der zu seiner Vertretung berechtigten Person offenliegt, und dass es nur, soweit ein solcher Zugriff
aus rechtlichen Gründen ganz oder teilweise ausscheidet, gerechtfertigt ist, die betreffenden Gegenstände
aus dem anzurechnenden Vermögen auszuklammern. Hierbei hat der Senat sich u.a. auch mit der
rechtlichen Bedeutung eines
– rechtsgeschäftlichen – Sperrvermerks auf einem Sparkonto aus der Sicht des § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG
befasst und dazu entschieden, dass die Annahme, ein solcher Sperrvermerk stehe der rechtlichen
Verwertung des Sparguthabens für den Lebensunterhalts- und Ausbildungsbedarf nicht entgegen, aus
der Sicht des Bundesrechts keinen Bedenken begegnet. Darin ist zugleich die Aussage enthalten, dass
rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen abhängig von Art und Inhalt sowie von dem jeweiligen
Verwertungszweck als rechtliche Verwertungshindernisse im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG
Berücksichtigung finden können (vgl. demgegenüber Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 3. Aufl. 1991, § 27 Rn.
5, wonach durch „vertragliche Regelungen“ ein rechtliches Verwertungshindernis nicht begründet werden
kann; ebenso Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand: März 1998, § 27 Rn. 10, wonach ein
rechtsgeschäftliches Veräußerungsverbot hierzu nicht ausreicht). Ob und inwieweit einer
rechtsgeschäftlichen Verfügungsbeschränkung unterliegende Vermögensgegenstände von dem
Vermögensbegriff des Ausbildungsförderungsrechts ausgenommen sind, hängt folglich, ausgehend von
jener Entscheidung des Senats, allein davon ab, ob ein ausbildungsbedingter Verwertungszugriff rechtlich
und tatsächlich – ganz oder teilweise – objektiv möglich ist oder nicht. Vertragliche Bindungen und
Beschränkungen, die eine objektive Zugriffsmöglichkeit unberührt lassen, können somit angesichts des
Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung, wonach individuelle
Ausbildungsförderung nur dann beansprucht werden kann, „wenn dem Auszubildenden die für seinen
Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen“ (§ 1
Halbsatz 2 BAföG; vgl. auch BVerwG, a.a.O., S. 286), die Herausnahme aus der Vermögensanrechnung
nicht rechtfertigen.“
(BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2000 – BVerwG 5 B 182/99 -, zitiert nach JURIS Rdnr. 3; ebenso
jetzt auch Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, 5. Aufl., 2004, Rdnr. 10 zu § 27 unter
Aufgabe der früher (Stand: 1998) vertretenen und im angefochtenen Widerspruchsbescheid noch
angeführten Auffassung).
Nach Maßgabe dieser rechtlichen Vorgaben wird man davon auszugehen haben, dass die Wohnung in
Hamburg vom Vermögensbegriff ausgenommen ist. Die Klägerin hat keinen Verwertungszugriff auf sie.
Die vertraglichen Folgen einer Belastung oder Veräußerung des Wohnungseigentums ohne Zustimmung
der Tante ist so geregelt, dass dieser bei einer Belastung entgegen oder ohne ihre Zustimmung ein
Rückübereignungsanspruch zusteht, der durch Vormerkung gesichert ist (vgl. § 2 Abs. 2 des Notariellen
Vertrages vom 25. September 1998 - Blatt 37 der Verwaltungsakte - sowie Stellungnahme des
beurkundenden Notars vom 26. September 2005, Blatt 20 der Gerichtsakte). Nach den von der Mutter der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und durchaus nachvollziehbaren Erklärungen
muss die Klägerin davon ausgehen, dass die niesbrauchsberechtigte Tante im Falle einer Verfügung über
die Wohnung ihre Zustimmung nicht erteilt und von ihrem Rückübertragungsrecht Gebrauch macht. Damit
steht der hälftige Miteigentumsanteil an der Wohnung der Klägerin effektiv nicht zur Bestreitung ihres
Lebensunterhaltes zur Verfügung.
Wertet man hingegen den Zustimmungsvorbehalt und die Rückübertragungsvormerkung nicht als
objektive Unmöglichkeit der Verwertung im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung, ändert sich das
Ergebnis rechtlich nicht. In diesem Falle hat der Miteigentumsanteil nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG
zwar als Vermögen der Klägerin zu gelten. Die Klägerin hat aber entgegen der im Widerspruchsbescheid
vertretenen Ansicht einen Anspruch auf Anrechnungsfreiheit nach der Billigkeitsregelung von § 29 Abs. 3
BAföG, die wie folgt lautet: „Zur Vermeidung unbilliger Härten kann ein weiterer Teil des Vermögens
anrechnungsfrei bleiben.“ Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13. Juni 1991 – BVerwG
5 C 33.87 -, BVerwGE 88, 303 <307> = NJW 1991, 3047 = DÖV 1991, 1019 = FamRZ 1992, 237)
rechtsgrundsätzlich entschieden:
„Nach Zweck und Stellung des § 29 Abs. 3 BAföG im System der Vorschriften über die
Vermögensanrechnung dient die Norm dazu, Härten abzufedern, die sich aus den der
Vermögensanrechnung zugrunde liegenden Pauschalierungen und Typisierungen ergeben können. Zu
diesen Typisierungen gehört – worauf der Senat in seinem Urteil vom 11. Oktober 1984 bereits
hingewiesen hat (vgl. a.a.O. S. 14); ebenso BVerwGE 87, 284) – auch diejenige, dass der Gesetzgeber für
den Regelfall davon ausgeht, dass das nach den §§ 26 bis 29 Abs. 1 BAföG anrechenbare Vermögen für
den Ausbildungsbedarf auch wirklich einsetzbar ist. Trifft dies ausnahmsweise nicht zu, so könnte der
Ausbildungsbedarf aus dem gleichwohl angerechneten Vermögen nicht gedeckt werden. Die
Vermögensanrechnung wäre dann eine unbillige Härte, weil sie den Auszubildenden auf Vermögen
verweist, das einem Verwertungszugriff gar nicht zugänglich ist. § 29 Abs. 3 BAföG dient, so gesehen,
unter anderem auch der Abwehr von Gefahren für die Durchführung der Ausbildung, die daraus
entstehen, dass der Auszubildende trotz vorhandener, die Freibeträge übersteigender Vermögenswerte
seinen Ausbildungsbedarf aus dem angerechneten Vermögen nicht decken kann. Bei dieser
Schutzrichtung der Norm ist es nicht gerechtfertigt, wirtschaftlichen Verwertungshindernissen
grundsätzlich die tatbestandliche Relevanz für den Begriff der unbilligen Härte abzusprechen.“
Ein derartiges wirtschaftliches Verwertungshindernis liegt bei dem Miteigentumsanteil an der Wohnung
vor, da die Klägerin ihn – wie zuvor dargestellt – nicht zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts realisieren
kann. Es stellt daher eine Härte im Sinne einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Folge dar, wenn die
Klägerin gleichwohl darauf verwiesen würde, ihren Bedarf aus diesem, für sie nicht verwertbaren
Vermögensgegenstand zu decken.
Unbillig ist die Härte, weil die Klägerin sie nicht erkennbar hätte abwenden können. Anhaltspunkte dafür,
dass es ihr möglich gewesen wäre, den Überlassungsvertrag auch ohne die in § 2 Abs. 2 formulierten
Bedingungen abzuschließen, sind im Widerspruchsbescheid weder aufgezeigt, noch sonst ersichtlich. Die
allgemeine Lebenserfahrung sowie die Gesamtumstände (Lebenssituation der Tante; Erklärungen der
Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung; ergänzende Stellungnahme des beurkundenden
Notars vom 26. September 2005) sprechen vielmehr für das Gegenteil, dass nämlich die Alternative für die
Klägerin nur darin bestanden hat, den Vertrag entweder unter den genannten Bedingungen
abzuschließen oder überhaupt nicht.
Einen konkret nutzbaren geldwerten Vorteil erlangt die Klägerin mithin erst bei Wegfall der Bedingungen,
nach Lage der Dinge also beim Ableben der Tante. Die hinter der rechtlichen Konstruktion stehende
Überlegung war nach den Angaben der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, im Erbfall die
Erbschaftssteuer zu vermeiden. Dieser Fall kann daher nicht gleichgesetzt werden mit einer Konstellation,
in der ein Auszubildender die Verwertbarkeit eines ihm gehörenden oder ihm zustehenden
Vermögensgegenstandes vertraglich beschränkt, um dadurch im Sinne der förderungsrechtlichen
Vorschriften „vermögenslos“ und damit „förderungsfähig“ zu werden. Von einer solchen Fallgestaltung ist
offenbar aber die Widerspruchsbehörde ausgegangen, wenn sie ausführt, die Klägerin sei bei Abschluss
des notariellen Überlassungsvertrages volljährig gewesen und müsse sich „daher die vertraglich
vereinbarten Verfügungsbeschränkungen auch förderungsrechtlich entgegen halten lassen.“ Dabei
verkennt sie, dass der Fall einer Vermögensübertragung im Wege der vorweggenommenen
Erbauseinandersetzung mit dinglich gesicherten Rückübertragungsverpflichtungen eher vergleichbar ist
der Situation eines zukünftigen Erben, so lange der Erblasser noch am Leben ist. Auch dessen Vermögen
würde einem erbberechtigten Auszubildenden nicht angerechnet werden (vgl. zu einem ähnlich
gelagerten Fall VG Darmstadt, Urteil vom 29. Januar 2003, NJW 2003, 2625, insbesondere Seite 2627
linke Spalte oben).
Eine abschließende Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von
Ausbildungsförderung ist derzeit nicht möglich, da die Beklagte die übrigen Förderungsvoraussetzungen
noch nicht abschließend überprüft hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2
VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.