Urteil des VG Mainz vom 25.10.2006

VG Mainz: arzneimittel, fürsorgepflicht, ausschluss, recht auf leben, beihilfe, behandlung, krankenversicherung, körperliche unversehrtheit, behandelnder arzt, medikament

Beamtenrecht, Beihilferecht
Sonstiges
VG
Mainz
25.10.2006
6 K 178/06.MZ
Die Beihilfevorschriften des Bundes finden derzeit (noch) Anwendung, weil die vom
Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. Juni 2004 (BVerwGE 121, 103 ff.) hinsichtlich der
Weitergeltung eingeräumte Übergangszeit noch nicht angelaufen ist.
Der seit 01. Januar 2004 durch die Beihilfevorschriften des Bundes erfolgte generelle Ausschluss der
Beihilfenfähigkeit für Arzneimittel, die u.a. der Behebung einer erektilen Dysfunktion dienen, ist rechtlich
nicht zu beanstanden.
Verwaltungsgericht Mainz
6 K 178/06.MZ
Urteil
wegen Beamtenrechts (Beihilfe)
hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
25. Oktober 2006, an der teilgenommen haben Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Wanwitz
Richterin am Verwaltungsgericht Riebel
Richter am Verwaltungsgericht Ermlich
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Maurer-Zirfas
ehrenamtliche Richterin Hauswirtschaftsmeisterin Schnitzspan für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung
entsprechenden Höhe vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger steht als Oberamtsrat im Dienste der Beklagten und ist bei der Unfallkasse des Bundes
beschäftigt. Er begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Beihilfe für das Medikament „Viagra“ in
Höhe von 70,54 €.
Der Kläger unterzog sich am 15. Februar 2005 einer radikalen Prostatektomie wegen eines Prostata-
Karzinoms. Hierbei entstand postoperativ eine erektile Dysfunktion, zu deren Behebung ihm sein
behandelnder Arzt 12 Filmtabletten des Medikaments „Viagra 100 mg“ verschrieb. Letztlich war diese
Therapie auch erfolgreich, so dass der Kläger inzwischen auf das Medikament verzichten kann.
Mit Antrag vom 12. Juli 2005 beantragte der Kläger u.a. die Gewährung einer Beihilfe für das Medikament
„Viagra“, für das Aufwendungen in Höhe von 144,52 € geltend gemacht wurden.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Beihilfe für das Medikament
„Viagra“ ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BhV nicht
beihilfefähig die Aufwendung für verschreibungspflichtige Arzneimittel seien, die nach den
Arzneimittelrichtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses aufgrund § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V
von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien. Gemäß Nr.
18.2 der Arzneimittelrichtlinien fielen unter den Verordnungsausschluss u.a. Arzneimittel, die überwiegend
zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur
Verbesserung des Haarwuchses dienten. Zu den hiernach ausgeschlossenen Fertigarzneimitteln gehöre
auch das Präparat „Viagra“ (vgl. Anlage 8 der Arzneimittelrichtlinie).
Mit seinem am 01. August 2005 erhobenen Widerspruch trug der Kläger vor: In Folge der bei ihm
vorgenommenen radikalen Prostatektomie sei postoperativ eine erektile Dysfunktion entstanden, die aus
ärztlicher Sicht habe therapiert werden müssen. Damit handele es sich bei den zu therapierenden
Erektionsstörungen um eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Die Behandlung mit Viagra sei somit
medizinisch indiziert. Das Mittel sei medizinisch notwendig und angemessen, denn es diene der
Wiederherstellung einer Körperfunktion und nicht zur Erhöhung der Lebensqualität oder der individuellen
Bedürfnisbefriedigung oder zur Aufwertung des Selbstwertgefühls.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2006
zurück und führte zur Begründung aus, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BhV Aufwendungen für
verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht beihilfefähig seien, die nach den Arzneimittelrichtlinien des
gemeinsamen Bundesausschusses aufgrund § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Verordnung zu
Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien. Die Arzneimittelrichtlinien
konkretisierten in ihrem Abschnitt F unter der Ziffer 18 den in § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V normierten
Ausschluss von Arzneimitteln, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund
stehe. Nach § 34 Abs. 1 Satz 6 SGB V, dessen Wortlaut mit Ziffer 18.2 der Arzneimittelrichtlinien
übereinstimme, fielen unter die Ausschlussregelung u.a. „insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur
Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen“. Die hiernach ausgeschlossenen Fertigarzneimittel seien in
der Anlage 8 der Arzneimittelrichtlinien zusammengestellt, in der sich auch das Präparat Viagra befinde.
Soweit der Kläger der Auffassung sei, dass das Arzneimittel Viagra dann nicht unter die
Ausschlussregelung nach § 34 Abs. 1 Sätze 5 und 6 i.V.m. den Arzneimittelrichtlinien falle, wenn die
behandelte erektile Dysfunktion krankheitsbedingt sei, da in diesem Falle nicht davon ausgegangen
werden könne, dass als Behandlungsziel die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe,
überzeuge nicht. Denn § 34 Abs. 1 Satz 6 SGB V setze nicht das Vorliegen der Voraussetzungen nach
Satz 5 voraus, sondern interpretiere und erläutere Satz 5 durch eine beispielhafte Auflistung
verschiedener Gruppen von Arzneimitteln, die von der Ausschlussregelung erfasst würden. Die
Ausschlussregelung stelle somit weder auf die Ursache einer medikamentös behandelten erektilen
Dysfunktion noch auf deren Ausprägungsgrad noch auf einen möglichen Behandlungserfolg ab.
Entscheidend für den Ausschluss sei allein die Zweckbestimmung eines Präparates,
„überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion zu dienen“. Auch die Fürsorgepflicht des
Dienstherrn gegenüber dem Beamten stehe grundsätzlich dem Ausschluss einzelner Arzneimittel von der
Beihilfefähigkeit nicht entgegen, denn die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebiete weder einen Ausgleich
jeglicher aus Anlass von Krankheitsfällen entstandenen Aufwendungen noch deren Erstattung in jeweils
vollem Umfange. Dementsprechend ergänzten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BhV die Beihilfen lediglich die
Eigenvorsorge des Beamten, die aus den laufenden Bezügen zu bestreiten sei. Ein konkreter Anspruch
auf Beihilfe könne sich nur dann unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn ableiten lassen,
wenn ohne eine Beihilfebewilligung der Kernbereich der verfassungsrechtlich garantierten Fürsorge
verletzt sei, etwa weil eine amtsangemessene Besoldung nicht mehr gewährleistet sei. Dies sei im Falle
des Klägers jedoch nicht erkennbar.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 01. Februar 2006 hat der Kläger am 23. Februar 2006
Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt und unter Vertiefung seines bisherigen
Vorbringens ergänzend vorträgt: Die Medikation mit Viagra habe bei ihm dazu gedient, einen krankhaften
Zustand zu beheben; das Medikament habe also schlicht zu seiner Gesundung führen sollen, so dass ihm
wieder ein Leben wie vor seiner Operation möglich sei. Es sei nicht etwa um altersbedingte Beschwerden,
sondern ausschließlich um die Folgen der operativen Behandlung gegangen. Auch die Tatsache, dass
sich sein
Gesundheitszustand inzwischen so verbessert habe, dass er das Medikament wieder habe absetzen
können, zeige, dass die Behandlung mit Viagra nötig gewesen und das Produkt hier keinesfalls als so
genannte „Lifestyle-Droge“ verwendet worden sei. Seine Situation falle also nicht in den
Anwendungsbereich der Ziffer 18.2 der Arzneimittelrichtlinien. Es könne ihm auch nicht vorgehalten
werden, dass das Arzneimittel Viagra häufigem Missbrauch unterliege und gemeinhin des Öfteren als so
genannte „Lifestyle-Droge“ empfunden und zudem fleißig kommuniziert werde. Die Entwicklung und
Markteinführung dieses Medikamentes habe einen ernsten und rein medizinischen Hintergrund gehabt,
denn es handele sich bei ihm um das erste Mittel, mit dessen Hilfe die erektile Dysfunktion mit wenigen
Ausnahmen geheilt werden könne. Betroffene würden die Einstufung ihres Leidens als reine Steigerung
der Lebensqualität mit Sicherheit als unadäquat beurteilen. Denn häufig führe dieses Krankheitsbild in der
Folge zu psychischen Krankheitszuständen, deren Behandlung wiederum auch von den gesetzlichen
Krankenkassen
übernommen werde.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Beihilfebescheids vom 15. Juli 2005 und unter Aufhebung des
Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2006 zu verpflichten, ihm eine weitere Beihilfe von 70,54 € für
das Medikament „Viagra“ zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Ergänzend werde noch auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. Mai 2005 – B 1 KR 25/03 R –
hingewiesen, wonach für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt worden sei, dass
ab 01. Januar 2004 sämtliche Arzneimittel, die der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienten, von der
Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien. Seit 01. August
2004 seien die Arzneimittelregelungen für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung auch im
Beihilferecht anzuwenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in
den Gerichtsakten verwiesen.
Die Verwaltungs- und Widerspruchsvorgänge der Beklagten liegen der Kammer vor und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer
Beihilfe für das Medikament „Viagra“ (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Grundlage der rechtlichen Beurteilung ist die zu § 79 des Bundesbeamtengesetzes – BBG – erlassene
allgemeine Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheit-, Pflege- und Geburtsfällen
(Beihilfenvorschriften – BhV –) in der Neufassung vom 01. November 2001 (GMBl. Seite 918), zuletzt
geändert durch allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 30. Januar 2004 (GMBl. Seite 379). Diese Fassung
galt im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendung, der für die rechtliche Beurteilung ihrer
Beihilfenfähigkeit maßgeblich ist. Die Kammer hält die Beihilfenvorschriften vorliegend auch in Ansehung
des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2004 – 2 C 50.02 – (BVerwGE 121, 103 ff.) noch
für anwendbar. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der vorgenannten Entscheidung zwar ausgeführt,
dass die Beihilfenvorschriften des Bundes nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen
Gesetzesvorbehalts genügen, da es sich bei ihnen lediglich um administrative Bestimmungen handelt, die
nicht die Eigenschaft von Rechtsnormen haben; es hat jedoch zugleich ausgeführt, dass für eine
Übergangszeit von der Weitergeltung der Beihilfenvorschriften auszugehen ist, um dem Gesetzgeber
einen überschaubaren Zeitraum zur Erfüllung seiner Normierungspflicht einzuräumen. In Anbetracht der
Komplexität des Beihilfenrechts ist die Kammer der Auffassung, dass diese Übergangszeit (noch) nicht
abgelaufen ist mit der Folge, dass jedenfalls derzeit die Beihilfenvorschriften noch Anwendung finden.
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BhV sind aus Anlass einer Krankheit u. a. beihilfenfähig die Aufwendungen
für die vom Arzt, Zahnarzt oder Heilpraktiker bei Leistungen nach Nummer 1 verbrauchten oder nach Art
und Umfang schriftlich verordneten Arzneimittel. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BhV schränkt die grundsätzliche
Beihilfenfähigkeit von Arzneimitteln im Sinne von Satz 1 ein; so sind z. B. nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2
Buchst. a BhV nicht beihilfenfähig verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nach den
Arzneimittelrichtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses aufgrund § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V
von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. So liegt es
hier. Die auf der Grundlage von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V beschlossenen Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung („Arzneimittelrichtlinien/AMR“) im Zeitpunkt des Entstehens der
Aufwendung konkretisieren in ihrer Ziffer 18 den in § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V normierten Ausschluss von
Arzneimitteln zur Erhöhung der Lebensqualität. So sind nach Ziffer 18.1 Satz 1 AMR Arzneimittel von der
Verordnung ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund
steht. Nach Ziffer 18.2 sind insbesondere Arzneimittel, die
überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion oder der Anreizung sowie Steigerung der
sexuellen Potenz dienen, ausgeschlossen. Hierunter fällt das Präparat „Viagra“, denn es ist in der
aufgrund Ziffer 18.3 AMR erstellten Übersicht 8 aufgeführt, in der die nach Ziffer 18.2 AMR
ausgeschlossenen Fertigarzneimittel zusammengestellt sind.
Die vorgenannte Regelung ist vor dem Hintergrund des Wortlautes in Ziffer 18 und 18.1 Satz 1 AMR nicht
so zu verstehen, dass der Ausschluss von Arzneimitteln, die der Behebung der erektilen Dysfunktion
dienen, nur diejenigen Fälle umfassen soll, in denen nicht die Behebung eines krankheitsbedingten
Zustandes, sondern (allein) die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, die Präparate mithin
als so genannte „Lifestyle-Mittel“ Verwendung finden. Zwar haben das Verwaltungsgericht Düsseldorf (vgl.
Urteil vom 02. September 2005 – 26 K 371/05 – Juris) und das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (vgl.
Urteil vom 05. Mai 2006
– 3 K 1846/05 –, Juris) zu der mit der hier maßgeblichen Regelung im Wesentlichen identischen
Regelung des nordrhein-westfälischen Beihilfenrechts entschieden, dass sich aus der in § 34 Abs. 1
Sätze 7 und 8 SGB V getroffenen Regelung – auf die die Beihilfenverordnung Nordrhein-Westfalen
verweist, und die im Wesentlichen den Regelungen in Ziffern 18.1 und 18.2 AMR entspricht – ergibt, dass
§ 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V einen Rahmen dahingehend setzt, dass ein Ausschluss der Beihilfenfähigkeit
für Arzneimittel zur Behebung der erektilen Dysfunktion nur dann in Betracht kommt, wenn es um eine
bloße Erhöhung der Lebensqualität geht. Dies bedeutet nach Auffassung der Verwaltungsgerichte
Düsseldorf und Gelsenkirchen, dass § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V den für die Rechtsanwendung bzw. –
auslegung maßgeblichen Grundsatz enthält, während § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V diesen lediglich
konkretisiert bzw. ausfüllt und damit den durch Satz 7 des § 34 Abs. 1 SGB V vorgegebenen Rahmen nicht
verlässt. Diese für das nordrhein-westfälische Beihilfenrecht vertretene Auffassung lässt sich jedoch auf
den vorliegenden Fall nicht übertragen. So ist bereits zweifelhaft, ob die mit § 34 Abs. 1 Sätze 7 und 8
SGB V inhaltsgleiche Regelung in Ziffern 18.1 Satz 1 und 18.2 AMR in dem vorgenannten Sinne
auszulegen ist. Denn im Gegensatz zu der in § 34 Abs. 1 Sätze 7 und 8 SGB V getroffenen Regelung wird
der in Ziffer 18.1 Satz 1 AMR enthaltene Begriff eines Arzneimittels, bei dessen Anwendung eine
Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, durch Ziffer 18.1 Satz 2 AMR näher definiert. Hiernach
fallen unter den Begriff des Arzneimittels im Sinne von Ziffer 18.1 Satz 1 AMR u. a. solche Präparate, die
aufgrund ihrer Zweckbestimmung nicht oder nicht ausschließlich zur Behandlung von Krankheiten dienen,
bzw. die zur individuellen Bedürfnisbefriedigung oder zur Aufwertung des Selbstwertgefühls dienen; eine
derartige Funktion kann man dem Präparat „Viagra“ nicht absprechen. Darüber hinaus darf bei der
Auslegung der in Ziffern 18.1 und 18.2 AMR enthaltenen Regelung nicht der Wille des Vorschriftengebers
übersehen werden. Wie sich aus der Ausgestaltung dieser Regelungen nämlich ergibt, hat sich der
gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (für den Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung) davon leiten lassen, dass Arzneimittel u. a. zur Behebung der erektilen Dysfunktion
stets als Arzneimittel angesehen werden, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im
Vordergrund steht, und zwar unabhängig davon, ob sie als Mittel zur Behebung eines
krankheitsbedingten Zustandes oder als so genanntes „Lifestyle-Mittel“ verwendet werden. Ziel des
Vorschriftengebers war es mithin, die finanziellen Folgen der Verschreibung derartiger Arzneimittel
Vorschriftengebers war es mithin, die finanziellen Folgen der Verschreibung derartiger Arzneimittel
zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherungen ausschließlich in den persönlichen
Verantwortungsbereich des Versicherten zu verlagern. Angesichts der in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a
BhV erfolgten Verweisung auf die Arzneimittelrichtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses kann
somit für den Bereich des Beihilfenrechts des Bundes nichts anderes gelten.
Auch die Einwendungen des Klägers vermögen zu keinem anderen Ergebnis zu führen.
Soweit der Kläger eine Beihilfenfähigkeit für das Arzneimittel „Viagra“ unter Hinweis auf das Urteil des
Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. Februar 2005
– 2 K 2236/04.KO – als gegeben ansieht (vgl. insoweit Seite 2 der Widerspruchsbegründung vom
23. August 2005, Blatt 15 der Widerspruchsakten), vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen.
Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Koblenz eine andere
Rechtslage zugrunde lag. Denn im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen in dem
vom Verwaltungsgericht Koblenz entschiedenen Fall gab es eine dem § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a
BhV vergleichbare Regelung noch nicht; dort erfolgte der Ausschluss eines „Viagra“ vergleichbaren
Präparates lediglich aufgrund eines Hinweises des Bundesministeriums des Inneren, der jedoch nicht
geeignet war, den durch die Beihilfenvorschriften – die aus sich heraus in gleicher Weise wie
Rechtsvorschriften auszulegen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1985 – 2 C 48.84 –,
BVerwGE 72, 119, 121 ff. m. w. N.) – gewährten Rechtsanspruch des Beamten auszuschließen, der sich
aus seiner Beihilfenberechtigung selbst ergibt (vgl. Seiten 5, 6 des Umdrucks). Seit 01. Januar 2004 ist
hingegen der Ausschluss der Beihilfenfähigkeit bestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel
unmittelbar in den Beihilfenvorschriften selbst geregelt.
Der Ausschluss der Beihilfenfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimitteln, die überwiegend zur
Behandlung der erektilen Dysfunktion und der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz dienen,
verstößt entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht gegen die seinem Dienstherrn obliegende
Fürsorgepflicht (§ 79 BBG).
Die Gewährung von Beihilfen findet ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 13. November 1990 – 2 BvF 3/88 –, BVerfGE 83, 89, 99). Dieser muss Vorkehrungen
treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller
Belastungen durch Krankheits-, Pflege-, Geburts- oder Todesfälle nicht gefährdet wird. Ob er diese Pflicht
über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst
geeigneter Weise erfüllt, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen. Entscheidet sich
der Dienstherr in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Beamten für die Gewährung von
Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen, konkretisieren die Beihilfenvorschriften in
diesen Fällen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht. Die danach gewährte Beihilfe ist ihrem Wesen nach
eine Hilfeleistung, die zu der zumutbaren Eigenvorsorge des Beamten in angemessenem Umfang hinzu
tritt, um ihm seine wirtschaftliche Lage in einer der Fürsorgepflicht entsprechenden Weise durch
Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erleichtern. Dabei ergänzt die Beihilfe nach der ihr zugrunde
liegenden Konzeption die Alimentation des Beamten. Von Verfassungs wegen erfordert die
Fürsorgepflicht nicht den Ausgleich jeglicher aus Anlass von Krankheits-, Pflege-, Geburts- und
Todesfällen entstandener Aufwendungen und auch nicht deren Erstattung in jeweils vollem Umfang. Die
Beihilfe muss allerdings sicherstellen, dass der Beamte in den genannten Fällen nicht mit erheblichen
Aufwendungen belastet bleibt, die für ihn unabwendbar sind und denen er sich nicht entziehen kann (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 13. November 1990, a. a. O. Seite 100). Die allgemeine Fürsorgepflicht des
Dienstherrn, die auch unmittelbare und selbstständige Rechtsgrundlage für Ansprüche des Beamten sein
kann, geht dabei grundsätzlich nicht über das hinaus, was dem Beamten durch spezialgesetzliche
Regelungen abschließend eingeräumt ist. Im Hinblick auf die Krankheitsvorsorge des Beamten ist sie
grundsätzlich abschließend durch die Beihilfenvorschrift konkretisiert; ein Rückgriff auf die Generalklausel
der Fürsorgepflicht, um die durch Spezialvorschriften im Einzelnen nach Art und Umfang begrenzten
Ansprüche zu erweitern, ist daher regelmäßig ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Dezember
2000 – 2 C 39.99 –, BVerwGE 112, 308, 310 m. w. N.). Etwas anderes kann nur gelten, wenn der
Ausschluss einer Beihilfe die allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstherren in ihrem Wesenskern verletzt;
in diesem Fall kann im Einzelfall ein Durchgriff auf den verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsatz der
Fürsorge (Artikel 33 Abs. 5 GG) ausnahmsweise in Betracht kommen. Diese Frage würde sich allerdings
nur dann stellen, wenn der Betroffene erhebliche Aufwendungen für medizinisch notwendige und
unabdingbare Behandlungen aufgrund des Beihilfenausschlusses für diese Behandlungen selber tragen
müsste und dadurch wirtschaftlich so belastet würde, dass er dadurch an einer amtsgemessenen
Lebensführung gehindert wäre. Hiervon kann vorliegend aber schon deshalb nicht ausgegangen werden,
weil der beihilfenfähige Anteil der Aufwendungen für das Arzneimittel „Viagra 100 mg, 12 Filmtabletten“
ausweislich der eigenen Angaben des Klägers insgesamt nur 70,54 € beträgt (vgl. Seite 4 der Klageschrift
vom 21. Februar 2006, Blatt 4 der Gerichtsakten), so dass nichts dafür spricht, dass der Kläger – der als
Oberamtsrat nach A 13 besoldet wird – wegen des Ausschlusses der Gewährung von Beihilfen für das
Präparat wirtschaftlich so belastet würde, dass er dadurch an einer amtsangemessenen Lebensführung
gehindert wäre.
Soweit demgegenüber die Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Gelsenkirchen
(a. a. O.) eine Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht des Dienstherren in den Fällen annehmen,
in denen der Beihilfenausschluss Mittel betrifft, die existenzielle Bedeutung haben oder notwendig sind,
um wesentliche Verrichtungen des täglichen Lebens erledigen zu können, vermag sich die Kammer dem
nicht anzuschließen. Denn soweit diese Auffassung damit begründet wird, dass die gelebte und
praktizierte Sexualität zum Kernbestand des Menschseins gehöre und der Verlust der Fähigkeit zur
Ausübung sexueller Handlungen keinesfalls dem unter Fürsorgegesichtspunkten irrelevanten Bereich
bloßer Vergnüglichkeiten im weiteren Sinne angehöre (a. a. O.), würde dies die vom
Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht zum unmittelbaren Rückgriff auf die
Fürsorgepflicht entwickelten Grundsätze in einer Art und Weise aufweichen, die mit ihrer Funktion als
Rückgriffsmöglichkeit allein in Fällen extremer, die amtsangemessene Lebensführung des Beamten nicht
nur unwesentlich beeinträchtigender finanzieller Belastungen nicht mehr vereinbar wäre.
Schließlich werden durch den Ausschluss der Beihilfenfähigkeit für Arzneimittel, die u.a. zur Behebung der
erektilen Dysfunktion dienen, auch keine grundrechtlich geschützten Positionen des Klägers verletzt;
insbesondere verstößt der Ausschluss nicht gegen Art. 2 Abs. 1 und 2 GG. Das Bundessozialgericht (vgl.
Urteil vom 10. Mai 2005 – 1 KR 25/03 R –, juris) hat hierzu für den Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung ausgeführt:
„Aus diesen Bestimmungen des GG folgt zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf
Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl
BVerfGE 85, 191
, 212; 88, 203, 251; 90, 145, 195;
Schulze-Fielitz in: Dreier, GG-Kommentar, 2. Aufl 2004, Art 2 II, RdNr 76). Darüber hinaus ist
verfassungsrechtlich jedoch nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereitzuhalten
(vgl Schulze-Fielitz, a.a.O., RdNr 96). Dabei hat der Gesetzgeber aber einen so weiten
Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus
Art 2 Abs 2 Satz 1 GG
regelmäßig
nicht ableiten lassen (vgl Murswiek in: Sachs, GG, 3. Aufl 2003, Art 2 RdNr 225). Aus dem
Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl
BVerfGE 89, 120
, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher
Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter
Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl
BVerfG NJW 1998, 1775
; vgl
BVerfG NJW
1997, 3085
; zur Grundrechtsrelevanz eines möglichen Systemversagens vgl
BVerfG
Beschluss vom 19. März 2004 - 1 BvR 131/04, NZS 2004, 527
RdNr 8 ff; Urteil des Senats vom 19.
Oktober 2004 -
B 1 KR 3/03 R
-: Brustvergrößerung, zur Veröffentlichung vorgesehen, Juris-Dokument
KSRE 099191518 RdNr 20). Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum auch im Hinblick auf
das Sozialstaatsgebot nicht, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der
gesetzlichen Krankenversicherung Leistungen aus dem Leistungskatalog herausnimmt, die - wie hier - in
erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt
umso mehr, wenn es sich um Bereiche handelt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht
krankhaften Zuständen maßgeblich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen.“
Dem schließt sich die Kammer für den Bereich des Beihilfenrechts an.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf §§ 167
Abs. 2, 169 VwGO.
Die Berufung wird aus den Gründen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.
Beschluss
6. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 25. Oktober 2006
Der Streitwert wird auf 70,54 € festgesetzt (§ 92 Abs. 3 GKG).