Urteil des VG Köln vom 07.04.2004
VG Köln: erzeugnis, konkretes rechtsverhältnis, juristische person, probe, produkt, anwendungsbereich, verordnung, inverkehrbringen, wurst, feststellungsklage
Verwaltungsgericht Köln, 9 K 4410/00
Datum:
07.04.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 4410/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin ist ein zugelassener fleischverarbeitender Betrieb (EG - ZulassungsNr. 00
000). Sie stellt u. a. das Erzeugnis „Schinken-Zwiebelmettwurst" her, das aus mit-
telgrob zerkleinertem Schweinefleisch und Speck sowie den weiteren Zutaten jodier- tes
Nitritpökelsalz, Zwiebeln, Gewürze, Zuckerstoffe und Natriumaskorbat gefertigt wird.
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Am 6. September 1999 entnahm das Lebensmittelüberwachungsamt der Stadt I. eine
Probe des Erzeugnisses, die das Staatliche Veterinäruntersuchungsamt Arnsberg mit
Gutachten vom 17. September 1999 als nicht verkehrsfähig beanstan- dete: Die Probe
sei als noch nicht ausreichend gereift zu beurteilen. Neben der Um- rötung sei zwar eine
gerade überwiegende Reifungsflora (Milchsäurebakterien) nachgewiesen. Der Gehalt
an D(-)Milchsäure als Stoffwechselprodukt der Milchsäu- rebakterien und damit Zeichen
der Reifung sei mit 0,005g/100g jedoch deutlich zu gering. Darüber hinaus sei auch der
ermittelte pH-Wert von 5,7 als noch nicht ausrei- chend abgesenkt anzusehen.
Nachdem der Amtsveterinär des Beklagten mit Stel- lungnahme vom 6.10.1999
gleichfalls zu dem Ergebnis kam ,dass insbesondere der D(-)Milchsäurewert als
zuverlässiges Beurteilungskriterium und der über dem oberen Richtwert liegende pH-
Wert einen nichtabgeschlossenen Fermentationsprozess ausweisen und das Erzeugnis
als unter die Vorschriften der HackfleischVO fallend zu beanstanden sei, leitete der
Beklagte gegen den verantwortlichen Betriebsleiter der Klägerin ein Strafverfahren ein
(Az.: 41 Js 585/99 Staatsanwaltschaft C. ). Im fol- genden Schriftwechsel mit dem
Beklagten wandte die Klägerin ein, dass ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 HackfleischVO
nicht vorliege und verwies insbesondere auf eine Stellungnahme von Prof. Dr. C. H.
vom 4. November 1999, in der zu den bean- standeten Kriterien im Wesentlichen
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ausgeführt ist: Die Festlegung des pH-Wertes auf 5,6 sei strittig. In Niedersachsen gebe
es für diese Produktgruppe einen alten Ministerialerlass, in dem ein pH-Wert von 5,6 bis
5,8 gefordert werde. Der pH-Wert unterliege Schwankungen. Es könne vorkommen,
dass die Wurst mit einem pH-Wert von max. 5,6 ausgeliefert und nach einer weiteren
Lagerzeit festgestellt werde, dass der pH-Wert wieder ansteige. Die Forderung nach
einem Mindestgehalt an D(-)- Milchsäure müsse ebenfalls als kritisch angesehen
werden, da nicht alle Laktobazil- len auch D(-)-Milchsäure bildeten. Im übrigen
bestünden die heute eingesetzten Star- terkulturen nicht allein aus Laktobazillen,
sondern aus überwiegend Staphylokokken - und Pediokokkenarten, die nicht in der
Lage seien D(-)-Milchsäure zu bilden. Schließlich sei anzumerken, dass das Erzeugnis
aus einem EU-zugelassenen Be- trieb nicht der HackfleischVO unterliege, sondern es
sich um eine Fleischzubereitung nach den Vorschriften der FleischhygieneVO handele.
Zusammenfassend sei festzu- stellen, dass nach den vom Untersuchungsamt
ermittelten Untersuchungsergebnis- sen eine einwandfreie frische Zwiebelmettwurst
vorliege.
Zur Begründung der am 25. Mai 2000 erhobenen Klage bringt die Klägerin vor: Die
Feststellungsklage sei zulässig, da sie sich wegen des eingeleiteten Strafverfah- rens
auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten beziehe, aufgrund dessen
Streit über die Rechtsfolgen bestehe. Sie sei auch begründet, weil „frische
SchinkenZwiebelmettwurst" als Fleischzubereitung nicht dem Anwendungsbereich der
HackfleischVO unterfalle. Es handele sich um eine Fleischzubereitung aus Hack-
fleisch nach § 2 Ziff. 8 FleischhygieneVO, wofür eine Reihe von Sachverständigen
benannt werden. Fleischzubereitungen unterfielen jedoch nicht der HackfleischVO
sondern allein der FleischhygieneVO. Dies habe der Gesetzgeber zwar nicht aus-
drücklich klargestellt. Es werde aber an der parallelen Problematik im Bereich von
Geflügelfleisch deutlich. § 2 Abs. 2 HackfleischVO enthalte ein Verkehrsverbot von
Hackfleisch aus Geflügelfleisch, was mit § 9 Abs. 1 Satz 4 GeflügelhygieneVO nicht
vereinbar wäre, wonach Fleischzubereitungen aus Geflügelhackfleisch unter be-
stimmten Voraussetzungen verkehrsfähig seien. Die missverständliche Regelung
erkläre sich daraus, dass FleischhygieneVO und GeflügelhygieneVO in Kongruenz mit
der EG-Richtlinie 94/65/EG erlassen worden seien, mit deren Systematik die
HackfleischVO aus dem Jahre 1977 durch die zahlreichen Änderungen nur unvoll-
ständig in Übereinstimmung gebracht worden sei. Deshalb sei § 1 Abs. 4
HackfleischVO so zu verstehen, dass FleischhygieneVO oder HackfleischVO alterna- tiv
gelten. Im Übrigen führe nach Prof. L. die Praxis einer Reifung bei Zimmertem- peratur
eher zum Anstieg der Keimzahlen. Die ALTS-Kriterien könnten auch durch Zugabe
erhöhter Konzentrationen von Starterkulturen und D(-)-Milchsäure erzielt werden. Bei
der Beurteilung sei das von der Klägerin angewandte Sicherheitskon- zept mit
einzubeziehen.
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Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass das streitige Produkt zu Unrecht wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 1
der Hackfleischverordnung beanstandet worden ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt er aus: Auf das streitige Erzeugnis seien die Vorschriften der
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HackfleischVO anwendbar. Nach den anzuwendenden Kriterien der ALTS sei das
Produkt zu beanstanden, wie sich aus dem Verwaltungsvorgang ergebe.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die erhobene Feststellungsklage ist zulässig. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann die
Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt
werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.
Das „Rechtsverhältnis" muss sich hierbei in der Form konkretisiert haben, dass die
Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren
Sachverhalt streitig ist.
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Vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 23. Januar 1992 - 3 C 50.89 -
, DÖV 1992, 790 und Urteil vom 23. Juli 1987 - 3 C 34.86 -, Buchholz 418.711 LMBG Nr.
17.
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Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die Klägerin hat die streitige Probe des Produkts
„Schinken-Zwiebelmettwurst" in Verkehr gebracht, was vom Beklagten als Verstoß
gegen § 2 Abs. 1 HackfleischVO beanstandet wird. Der Beklagte leitet hieraus die
Befugnis zum Einschreiten im Wege eines Ordnungswidrigkeiten- /Strafverfahrens ab.
Damit streiten die Beteiligten über die rechtlichen Auswirkungen der genannten
Vorschrift auf der Grundlage des beschriebenen Sachverhaltes. Auch wenn sich das
Strafverfahren gegen den lebensmittelrechtlich verantwortlichen Angestellten der
Klägerin richtet, ist der durch die Strafandrohung ausgeübte Druck zur Erzwingung der
streitigen verwaltungsrechtlichen Pflichten als zugleich auch gegen die juristische
Person gerichtet anzusehen.
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Vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht (OVG NRW), Urteil vom 27. Juni 1996 - 13 A
4024/94 -; BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1997 - 3 C 45.96 -.
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Da die Klägerin aus Gründen der Fürsorgepflicht ein wesentliches Interesse daran hat,
dass ihr Bediensteter nicht gleichsam für sie die Klärung einer wesentlichen
verwaltungsrechtlichen Streitfrage „auf der Anklagebank" erleben muss, besteht auch
das erforderliche Feststellungsinteresse.
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Die Klage ist indessen nicht begründet.
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Der Beklagte hat die fragliche, am 6. September 1999 gezogene Probe der „Schinken-
Zwiebelmettwurst" zurecht wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 HackfleischVO
beanstandet.
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Zunächst ist die HackfleischVO auf das streitige Erzeugnis anwendbar.
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Die in Rede stehende „Schinken-Zwiebelmettwurst" erfüllt die Voraussetzungen der
Definition des § 1 Abs. 1 HackfleischVO, wonach die Verordnung für das
gewerbsmäßige Herstellen, Behandeln, und Inverkehrbringen nachstehend
bezeichneter Erzeugnisse aus zerkleinertem Fleisch von geschlachteten oder erlegten
warmblütigen Tieren, sofern sich diese Erzeugnisse ganz oder teilweise in rohem
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Zustand befinden, gilt. Einschlägig dürften von den Aufzählungen hierbei die
Erzeugnisse aus zerkleinertem Fleisch wie Fleischklöße, Fleischklopse, Frikadellen,
Bouletten, Fleischfüllungen (Nr. 2) sein. Dies ist, anders als die Frage, ob das Erzeugnis
gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 HackfleischVO aus dem Anwendungsbereich ausscheidet,
zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Anwendung der HackfleischVO steht nicht
entgegen, dass die „Schinken-Zwiebelmettwurst" eine Fleischzubereitung aus
Hackfleisch nach § 2 Nr. 8 FleischhygieneVO darstellen dürfte. Die
Begriffsbestimmungen des § 2 FleischhygieneVO gelten, wie dem Wortlaut des
Eingangssatzes zu entnehmen ist, lediglich für die Anwendung dieser Verordnung,
besagen aber nichts, über die Anwendbarkeit von Bestimmungen der HackfleischVO.
FleischhygieneVO und HackfleischVO sind - entgegen der Ansicht der Klägerin - auf
das Produkt vielmehr nebeneinander und kumulativ anzuwenden. Dies ergibt sich
deutlich aus § 1 Abs. 4 HackfleischVO, wonach die Vorschriften der FleischhygieneVO
und der GeflügelfleischhygieneVO in der jeweils geltenden Fassung unberührt bleiben.
Die Vorschrift wurde hinsichtlich der FleischhygieneVO mit der Änderungsverordnung
vom 24. Juli 1992 (BGBl. I S. 1412) in § 1 eingefügt, um - wie die amtliche Begründung
zeigt - klarzustellen, dass die Umsetzung der EG - Hackfleischrichtlinie durch die
FleischhygieneVO den Anwendungsbereich der HackfleischVO nicht einschränken
sollte.
Vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Band 3, C 232 Rdnr. 2 a.
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1997 wurde die Bezugnahme auf die GeflügelfleischhygieneVO eingefügt.
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Vgl. Zipfel/Rathke, a.a.O., C 232 Rdnr. 2 b und Vorb. Rdnr. 3 c.
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Auf die durch § 1 HackfleischVO erfassten Erzeugnisse sind mithin in vollem Umfang
die Vorschriften des Fleischhygienegesetzes und der FleischhygieneVO anzuwenden.
Dies gilt im Grundsatz auch für Erzeugnisse, die in nach § 11 FleischhygieneVO
zugelassenen Betrieben gewonnen, zubereitet oder behandelt werden. Insoweit sind
lediglich die Temperaturanforderungen (§ 4 Abs. 1 a HacklfleischVO) und die Fristen für
das Inverkehrbringen (§ 5 Abs. 1 a HackfleischVO) nicht maßgeblich.
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Vgl. Zipfel/Rathke a.a.O., C 232 § 1 Rdnr. 54 und 54 a.
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Gerade die Einfügung der §§ 4 Abs. 1 a und 5 Abs. 1 a in die HackfleischVO zeigt, dass
im Übrigen die HackfleischVO auch für die Erzeugnisse aus zugelassenen Betrieben
gilt und nur insofern (d. h. bezüglich Temperaturanforderungen und Fristen für das
Inverkehrbringen) Sonderregelungen gelten. Für Erzeugnisse aus registrierten
Betrieben gelten diese Sonderregelungen dagegen nicht. Sie müssen sämtlichen
Vorschriften der HackfleischVO entsprechen, wie § 10 b Abs. 2 FleischhygieneVO zu
entnehmen ist, wonach die Vorschriften der HackfleischVO für nach § 11 a Abs. 3
FleischhygieneVO registrierte Betriebe unberührt bleiben.
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Vgl. Zipfel/Rathke a.a.O., C 232 § 1 Rdnr. 54 a.
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Das bedeutet zugleich, dass aus dem Umstand, dass eine § 10 b Abs. 2
FleischhygieneVO entsprechende Klausel in der zugelassene Betriebe betreffenden
Vorschrift des § 10 a FleischhygieneVO fehlt, nicht der Schluss gezogen werden kann -
wie die Klägerin es tut -, dass für Erzeugnisse aus zugelassenen Betrieben die
HackfleischVO überhaupt nicht anwendbar wäre. Die Nichtanwendbarkeit wird lediglich
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durch die genannten Ausnahmeregelungen der §§ 4 Abs. 1 a und 5 Abs. 1 a
HackfleischVO umschrieben. Soweit der Verordnungsgeber im Rahmen der 1.
Verordnung zur Änderung fleisch- und lebensmittelhygienerechtlicher Vorschriften vom
3. Dezember 1997 - BGBl. I S. 2786 - eine andere Intention verfolgt haben sollte, wofür
die amtliche Begründung einen gewissen Anhalt geben könnte (abgedruckt bei
Zipfel/Rathke, a.a.O., C 232 Vorb. 3 c), hätte dies im Verordnungstext keinen
Niederschlag gefunden. Auch eine Parallele zum Verhältnis der HackfleischVO und der
GeflügelfleischhygieneVO ergibt nichts anderes, wie die genannten Belegstellen bei
Zipfel/Rathke zeigen.
Somit ist die HackfleischVO auf die fragliche Probe des von der Klägerin hergestellten
und in Verkehr gebrachten Erzeugnisses „Schinken-Zwiebelmettwurst" grundsätzlich
anzuwenden. Es sind auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 HackfleischVO
gegeben. Danach dürfen Erzeugnisse nach § 1, denen Nitritpökelsalz zugesetzt worden
ist, mit Ausnahme von Brühwursthalbfabrikaten nicht in den Verkehr gebracht werden.
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Wie bereits ausgeführt, unterfällt das Erzeugnis der Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 1
HackfleischVO. Ein Brühwursthalbfabrikat liegt offensichtlich nicht vor. Dem Produkt ist
Nitritpökelsalz zugesetzt worden, wie der Zutatenliste zu entnehmen ist, wo als
Konservierungsstoff E 250 (Kaliumnitrit) genannt wird, das nur als Nitritpökelsalz
zugesetzt werden darf (Zusatzstoff- ZulassungsVO Anlage 5, Teil C). Auch ein Fall des
§ 1 Abs. 3 HackfleischVO, wonach in bestimmter Weise behandelte Erzeugnisse als
nicht mehr roh im Sinne der HackfleischVO und damit dieser nicht mehr unterfallend
anzusehen sind, liegt nicht vor. In Betracht kommt lediglich Absatz 3 Nr. 2, also ein
Erzeugnis, das einem abgeschlossenem Pökelungsverfahren mit Umrötung, bei einem
Rohwursterzeugnis wie hier in Verbindung mit Fermentation (Reifung) unterworfen
worden ist. Die erforderliche Umrötung ist bei der fraglichen Probe des Erzeugnisses
vorhanden gewesen; sie wurde nicht beantstandet. Nicht erfüllt war jedoch das weitere
Merkmal der Fermen- tation (Reifung), das zusätzlich erforderlich ist, weil bei
Rohwurstgemengen die Umrötung langsam und nicht schlagartig wie unter
Hitzebehandlung einsetzt.
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Vgl. Zipfel/Rathke, a.a.O., C 232 § 1 Rdnr. 13 und § 2 Rdnr. 4.
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Die 49. Arbeitstagung des Arbeitskreises Lebensmittelhygienischer Tierärztlicher
Sachverständiger (ALTS) in Berlin am 18. und 19. Juni 1996 hat - neben dem
Erfordernis einer stabilen Umrötung - folgende Reifungskriterien beschlossen: „- Geruch,
Geschmack, (Abbindung), rohwurstartig, - Säuerung (pH-Wert < 5,6, D(-)-Milchsäure >
0,2g/100g, - mikrobiologische Beschaffenheit (dominierende Fermentationsflora,
niedrige Keim- zahlen an Gramnegativen; bei Möglichkeit der Impedanzmessung:
typischer Verlauf für gereifte Erzeugnisse (hier: flache Impedanzkurve / Steigung < 4
%)."
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Diese Reifungskriterien sind anerkannt.Vgl. Zipfel/Rathke, a.a.O., C 232 § 1 Rdnr. 13.
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In der Beschlussvorlage des ALTS ist zur Begründung folgendes ausgeführt: „Zur
Pökelung der Produkte wird Nitritpökelsalz eingesetzt. Insofern und in Verbindung mit
ebenfalls verwendeten Pökelungs- und Umrötehilfsmitteln (z. B. Ascorbat, Iso-Ascorbat)
läuft die Umrötung als chemische Reaktion spontan ab. Die Geschwindigkeit ist
abhängig von Temperatur und pH-Wert, d. h. bei gewerbeüblicher Reifung (18 - 24°C)
und Verarbeitung von reifungssteuernden Zusätzen (Kohlenhydrate, Glucono - ? -
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Lakton) liegt in der Regel nach einem Tag - großkalibrige Würste und größere Ab-
packungen benötigen mehr Zeit - eine ausreichende Umrötung vor. Dies ist aber noch
kein Beleg für den Abschluss des Pökelungsverfahrens. Dieser Prozess erfordert einen
zusätzlichen Zeitbedarf, währenddessen biologische bzw. mikrobiologische Vorgänge
ablaufen, die mit den Begriffen Fermentation (synonyme Bezeichnung Reifung)
beschrieben werden können. Erst während dieses Zeitablaufs bilden sich weitere
stabilisierende Faktoren aus, welche die Stickoxid-Myoglobin- Bildung (Pökelfarbe)
ergänzen und eine ausreichende Haltbarkeit gewährleisten (LINKE, 43. ALTS-
Arbeitstagung 1990). Ein Produkt aus zerkleinertem gepökelten Fleisch kann erst dann
als Rohwurst gelten, wenn es durch die Merkmale Umrötung, Aromatisierung und
Bindung sowie der daraus resultierenden Konservierungseffekte den Status „Wurst"
erreicht (GISSEL, Mitteilungsblatt der BAFF Kulmbach 32 (1992) 275). Sind die Hürden
der (abge-schlossenen) Pökelung und Fermentierung nur ungenügend ausgeprägt, liegt
ein mit hohem Risiko behaftetes Rohwurstvorfabrikat vor, das im Falle der Abgabe im
Handel oder an Verbraucher der HFIV unterworfen ist (LINKE, Fleischwirtschaft 61
(1981), 660; ZIPFEL, Kommentar zum Lebensmittelrecht Bd. II C 232, 1994)."
Bei den genannten Reifungskriterien handelt es sich um den durch das einschlägige
Fachgremium vorgeschlagenen und gebilligten Stand der sachverständigen
Einschätzung. Hierbei sind unterschiedliche Fachmeinungen zu einem praktikablen und
von dem Gesamtgremium als tragfähig angesehenem Konzept zusammengeflossen,
das insbesondere auch die erforderliche Lebensmittelsicherheit berücksichtigt. Das
Konzept kann deshalb nicht schon dadurch in Frage gestellt werden, dass einzelne
Sachverständige Zweifel an der Eignung einzelner Kriterien äußern, insbesondere auch
ohne dazu Stellung zu nehmen, wie anders das durch § 1 Abs. 3 Nr. 2 HackfleischVO
festgelegte Fermentationskriterium bestimmt werden soll.
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Von den Reifungskriterien ist gemäß der gutachterlichen Stellungnahme des
Staatlichen Veterinäruntersuchungsamtes Arnsberg vom 17. September 1999 dasjenige
der Säuerung nicht erfüllt gewesen, da der pH-Wert 5,7 statt höchstens 5,6 betragen hat
und an D(-)-Milchsäure statt mindestens 0,2g/100g nur 0,005g/100g vorhanden waren.
Die Abweichung beim Milchsäurewert ist ganz erheblich. Sie fällt umsomehr ins
Gewicht, als nach dem genannten ALTS-Beschluss dieser Parameter als
zuverlässigstes Beurteilungskriterium herangezogen werden kann. Der allgemeine
Einwand von Prof. Dr. C. H. in seiner Stellungnahme vom 4. November 1999, dass
heute Starterkulturen eingesetzt würden, die aus überwiegend nicht zur Bildung von D(-
)-Milchsäure bildenden Staphylokokken - und Pediokokkenarten bestünden und nicht
alle Laktobazillen auch D(-)-Milchsäure bildeteten, kann insofern nicht durchgreifen.
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Die Kosten des Verfahrens hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Klägerin zu tragen, da
sie unterliegt.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708
Nr. 11, 711 ZPO.
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