Urteil des VG Köln vom 29.10.2010

VG Köln (sri lanka, kläger, politische verfolgung, verfolgung, rückkehr, wahrscheinlichkeit, verdacht, richterliche kontrolle, bundesrepublik deutschland, bundesamt für migration)

Verwaltungsgericht Köln, 11 K 4229/05.A
Datum:
29.10.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 4229/05.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen, soweit der Kläger die Anerkennung als
Asylberechtigter beantragt.
Im Übrigen wird die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des
Bescheides des Bundesamtes vom 30.06.2005 (Ziff. 2 - 4) verpflichtet
festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG im
Falle des Klägers vorliegen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben
werden, tragen der Kläger zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4.
T a t b e s t a n d
1
Der am 00.00.0000 in Inuvil/ Sri Lanka geborene Kläger ist srilankischer
Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit. Eigenen Angaben zu Folge reiste
der Kläger am 23.01.2005 mit Hilfe eines Schleppers auf dem Luftweg Richtung Moskau
aus Sri Lanka aus und gelangte von dort aus auf dem Landweg am 13.02.2005 nach
Deutschland.
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Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2005 beantragte der Kläger
die Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung wurde durch den
Prozessbevollmächtigten ausgeführt, der Kläger sei bereits von 1984 bis 1987 in
Deutschland gewesen und habe ein Asylverfahren durchgeführt. Er sei dann nach Sri
Lanka zurückgekehrt und dort unter dem Verdacht der Unterstützung der LTTE längere
Zeit inhaftiert und offenbar schwer misshandelt worden. Die Familie des Klägers werde
seit der Flutwelle am 26.12.2004 vermisst. Der Kläger selbst sei in einem
außerordentlich schlechten psychischen Zustand.
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Am 23.02.2005 trug der Kläger im Rahmen einer ersten Anhörung vor dem Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - zur Begründung seines Asylantrages im
Wesentlichen Folgendes vor: In Sri Lanka habe er Schwierigkeiten mit der LTTE und mit
den singhalesischen Soldaten gehabt. Er habe die LTTE unterstützt, in dem er Karuna
Amman unterstützt habe, der für ihr Gebiet verantwortlich gewesen sei. So habe er für
diesen u.a. Leichen transportiert. Im Jahr 2004 sei er von Soldaten verhaftet,
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festgehalten und misshandelt worden. Er sei mitgenommen worden in das Camp Urelu,
in der Nähe des Ortes Nerveeli und dann in das Camp Nagar Kovil in die Nähe von
Udduthurai verlegt worden. Danach sei er in das Camp Palaly gebracht worden. In
diesem Camp sei er nicht nur geschlagen, sondern auch misshandelt worden. Er
schäme sich, hier im Einzelnen zu schildern, was mit ihm angestellt worden sei. Ihm
seien Verletzungen am After zugefügt worden. Er blute teilweise heute noch. Die ganze
Sache sei sehr schmerzhaft. Die Verletzungen habe er dem Arzt in Deutschland noch
nicht gezeigt. Er habe sich geschämt, das anzuführen. Die letzten Misshandlungen
dieser Art hätten im Jahr 1997 stattgefunden. Der Kläger erklärte weiter: Im Jahr 2004
sei er im Camp Palaly nicht derart schwer gefoltert worden wie im Jahr 1997; er sei
gefesselt und verhört worden. Man habe ihm vorgeworfen, die LTTE zu unterstützen. Er
habe dort gesagt, dass er gezwungenermaßen nur das getan habe, was auch alle
anderen gemacht hätten. Er habe beim Bunkerbau geholfen. Das habe man ihm jedoch
nicht geglaubt. Gegen Zahlung von Bestechungsgeld durch seinen Onkel sei er
freigekommen. Es sei - im Jahr 2004 - zu der großen Auseinandersetzung zwischen
Karuna und der LTTE gekommen. Die LTTE habe im Rahmen dieser
Auseinandersetzung alle Leute, die sich für Karuna eingesetzt hatten, aufgefordert sich
zu stellen. Auch er habe sich gestellt und erklärt, er habe diese Gruppe unterstützt, in
dem er u.a. Essen gebracht habe. Sie hätten unter Schock gestanden; seine Frau habe
befürchtet, dass er getötet werde. Er habe jedoch nach Hause gehen können. An
Weihnachten sei dann die große Katastrophe gekommen. Er sei zu dieser Zeit zu einer
Weihnachtsfeier in dem Ort Mallavi eingeladen gewesen. Genau während der Zeit
seiner Abwesenheit habe sich die Katastrophe ereignet. Es habe ein großes Chaos
geherrscht, alle seien beschäftigt gewesen und hätten Leichen transportiert. Man habe
ihn in einer Schule einquartiert. Seine Familie, seine Frau und seine sechs Kinder, habe
er nicht wieder gefunden. Dann seien bei ihm Störungen aufgetreten. Er sei nachts
wach geworden und herumgegangen, ohne dass er dies bemerkt habe. Mit Hilfe eines
Verwandten sei er dann ausgereist. Der Kläger merkte weiter an, er höre ein lautes
Geräusch in seinem Ohr. Er habe das Gefühl, dass sein Kopf immer dicker werde und
zu platzen drohe. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte - mangels
rechtzeitiger, vorheriger Information über den Termin - an dieser Anhörung nicht
teilnehmen.
Im März 2005 legte der Kläger ergänzend eine schriftliche Stellungnahme vor.
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Am 03.05.2005 trug der Kläger im Rahmen einer zweiten Anhörung vor dem Bundesamt
im Wesentlichen ergänzend vor: Er fürchte sich vor den Soldaten in Sri Lanka. Darüber
hinaus habe er in Sri Lanka niemanden mehr. In Anbetracht der derzeitigen Lage
befürchte er insbesondere, im Falle einer Rückkehr wieder für die LTTE tätig werden zu
müssen. Er habe bereits 1987 bis 1994 bei den Freiheitskämpfern mitgemacht und auch
danach noch einige Male. Er habe für sie Lieder über den Freiheitskampf gesungen. Mit
Waffen habe er aber nichts zu tun gehabt. Als man ihn festgenommen habe, habe man
ihn immer wieder gefragt, ob er für die LTTE tätig sei. Er glaube, dass die Soldaten
vermuteten, dass er für die Organisation gearbeitet habe. 1996 sei er misshandelt und
gefoltert worden, auf eine Weise, die er hier gar nicht näher schildern könne. Nach
seiner Freilassung sei er in einen anderen Ort gezogen. Dort sei er dann noch einige
Male festgenommen, nach kurzer Zeit aber wieder freigelassen worden. In Sri Lanka
habe er - bis auf die Person, die ihn nach Deutschland geschickt habe - niemanden
mehr. Er sei hier in Deutschland verschiedentlich untersucht worden. Seine Probleme
führe man hauptsächlich auf psychische Faktoren zurück. Entgegen der vorherigen
Abstimmung zwischen den Beteiligten wurde dem Prozessbevollmächtigten des
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Klägers auch bei dieser Anhörung die Teilnahme nicht ermöglicht.
Das Bundesamt konnte die frühere Stellung eines Asylantrages bzw. Durchführung
eines Asylverfahrens nicht feststellen und führte das Verfahren als Erstverfahren.
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Mit Bescheid vom 30.06.2005, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt mit Schreiben
vom 04.07.2005, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab. Zugleich stellte
das Bundesamt fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des
Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG nicht vorlägen, forderte den Kläger zur Ausreise aus und drohte ihm die
Abschiebung nach Sri Lanka an.
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Der Kläger hat am 15.07.2005 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erhoben.
Der Prozessbevollmächtigte verweist zunächst darauf, dass es außerordentlich
schwierig sei, mit dem Kläger ein zusammenhängendes Gespräch zu führen. Hierbei
mögen die Folgen eines Alkoholabusus eine Rolle spielen. Auch dränge sich der
Eindruck auf, dass beim Kläger jedenfalls eine schwerwiegende psychische Belastung
bestehe. Er könne sich kaum konzentrieren, schweife oft schon nach wenigen Sätzen
ab. Ergänzend führt der Prozessbevollmächtigte zur Klagebegründung aus, der Kläger
sei auch von 1994 bis 2004 als Unterstützer für die LTTE tätig gewesen. Er habe
Hilfsdienste geleitstet, wie den Transport von Verletzten und Toten, die Ausgabe von
Verpflegung und insbesondere die Organisation und Durchführung von
Kulturveranstaltungen der LTTE. Der Kläger sei ein guter Sänger und in dieser Funktion
bei Veranstaltungen des Öfteren tätig gewesen. Im Rahmen seiner ersten Verhaftung im
Jahr 1997 - wegen einer für die LTTE durchgeführten Sammlung - sei der Kläger mit
Stiefeltritten auf den Brustkorb und mit Faustschlägen misshandelt worden. Zudem sei
er während dieser Haft mehrfach sexuell missbraucht worden. Er sei zum Analverkehr
gezwungen worden. Entsprechende Andeutungen seien bereits im Rahmen der
Anhörung erfolgt. Auch im August 2004 sei der Kläger von Soldaten wegen des
Verdachts der Zugehörigkeit zur LTTE festgenommen worden. Er sei gerade aus dem
Haus gekommen, als eine Patrouille von Soldaten auf Anhänger der LTTE gestoßen
sei, und sofort festgenommen worden. Auch im Rahmen dieser Haft sei er mit
Holzstangen geschlagen worden, oft mit verbundenen Augen, gefesselten Händen und
ohne Vorwarnung. Gegen Geldzahlung sei er unter der Auflage freigekommen, täglich
im Armeelager vorzusprechen. Dies habe er bis zum Tsunami auch getan.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers
ergänzend einen Bericht des Evangelischen Krankenhauses Bethanien in Iserlohn vom
13.06.2005 vorgelegt, dem u.a. die Diagnose "chronischer Alkoholabusus" und die
Feststellung des schlechten Allgemeinzustandes des Klägers zu entnehmen ist.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30.06.2005 zu verpflichten, ihn als
Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60
Abs. 1 AufenthG vorliegen;
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hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides zu verpflichten,
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG vorliegen.
13
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
14
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie die beigezogene
Ausländerakte des Oberbergischen Kreises Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18
Die Klage ist zulässig und zum überwiegenden Teil auch begründet.
19
Die Klage ist im Hinblick auf die begehrte Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die
Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, begründet.
Der insoweit entgegenstehende Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt
den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO. Einer Entscheidung über den
Hilfsantrag (§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) bedarf es daher nicht mehr (1). Hinsichtlich der
begehrten Anerkennung als Asylberechtigter ist die Klage jedoch unbegründet (2).
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(1) Das Begehren des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG ist begründet.
21
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
22
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Dem Kläger ist der begehrte
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren. Dabei kann hier dahin
stehen, ob der Kläger verfolgt aus Sri Lanka ausgereist ist, da er jedenfalls im Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit befürchtet muss, bei einer Rückkehr nach Sri Lanka relevanten
Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt zu sein.
23
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG unterliegt im
Wesentlichen den gleichen Anforderungen, nach denen auch eine Anerkennung als
Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG erfolgt.
24
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.052008 - 10 C 11.07 -, DVBl. 2008, 1251, zur
Vorgängerregelung des § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18.02.1992 - 9 C 59.91 -
, DVBl 1992, 843; zur Deckungsgleichheit von Art. 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1
AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom
26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 (503) und vom 18. 01.1994 - 9 C 48.92 -,
NVwZ 1994, 497 (498 ff.).
25
Der Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG geht aber hierüber insofern hinaus,
als gemäß § 28 Abs. 1 a AsylVfG auch selbst geschaffene Nachfluchtgründe ein
Abschiebungsverbot begründen können. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG stellt zudem klar,
dass eine Verfolgung ausgehen kann von a) dem Staat, b) Parteien oder
Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen,
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oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zu a) und b) genannten Akteure
einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder
nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob
in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es
besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Überdies stellt § 60 Abs. 1 Satz 3
AufenthG klar, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung des Lebens, der
körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft.
Das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG beruht auf dem Zufluchtgedanken
und setzt daher grundsätzlich einen kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung
und Flucht voraus. Hat der Abschiebungsschutz Suchende demgegenüber seinen
Heimatstaat unverfolgt verlassen, so kann sein Begehren nur Erfolg haben, wenn ihm
aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen politische bzw. sonstige
abschiebungsrelevante Verfolgung droht.
27
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1992 - 9 C 59.91 -, DVBl. 1992, 843.
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Eine Verfolgung ist dann im Sinne des Asylgrundrechts bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG
eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische
Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare
Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer
Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 333 ff.
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An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es indes regelmäßig bei Nachteilen, die
jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsstaat zu erleiden hat,
etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen
Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom
05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (204 f.).
32
Die Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG setzt ferner
voraus, dass dem Betroffenen in eigener Person eine abschiebungsschutzrelevante
Verfolgung droht. Diese Gefahr eigener Verfolgung des Schutzsuchenden kann sich
auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen
eines relevanten Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit
ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage
befindet (Gruppenverfolgung).
33
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 (231);
BVerwG, Urteil vom 05.071994 - 9 C 158.94 -, a.a.O. und OVG NRW, Urteil vom
08.07.2009 - 3 A 3295/07.A -, S. 10 ff. zu den Voraussetzungen einer
Gruppenverfolgung. Ein Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60
Abs. 1 AufenthG besteht nur dann, wenn der Schutzsuchende geltend machen kann,
dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - bei
einer Rückkehr in sein Heimatland von Verfolgung bedroht wäre, wenn ihm also zu
diesem Zeitpunkt die Rückkehr in die Heimat nicht zugemutet werden kann. Für die
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danach anzustellende Prognose gelten unterschiedliche Maßstäbe je nach dem, ob der
Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar
drohender Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik
Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall liegt ein Abschiebungsverbot nach §
60 Abs. 1 AufenthG schon dann vor, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr vor
erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (sog. herabgestufter
Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Hat der Ausländer sein Heimatland jedoch unverfolgt
verlassen, so kann sein Begehren nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von
beachtlichen Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit droht.
Zum Asylgrundrecht: BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE
54, 341, 360; Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 344 ff.;
BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391.
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Beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr
sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden
Tatsachen.
36
Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, 169, m.w.N.
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Maßgebend ist in dieser Hinsicht letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die
Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung
anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist,
ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage
des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den
Heimatstaat auch dann sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von
weniger als 50 v.H. für Verfolgungsmaßnahmen gegeben ist.
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Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., 584.
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In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit von
Verfolgungsmaßnahmen nicht aus.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391, 393.
41
Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben aber die
Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird
auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf
sich nehmen.
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Vgl. BVerwG. Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
43
Dabei muss freilich beachtet werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer "beachtlichen" Wahrscheinlichkeit
einer drohenden Verfolgungsmaßnahme höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie
nach dem so genannten herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die
Verneinung einer "hinreichenden Sicherheit" vor politischer Verfolgung erfüllt sein
müssen.
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Vgl. einerseits zum Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit u.a. BVerwG, Urteile
vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, a.a.O., S. 501 m.w.N., und vom 18.10.1994 - 9 C
48.92 -, a.a.O., S. 500, und andererseits zum Maßstab der "hinreichenden Sicherheit"
u.a. BVerwG, Urteile vom 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169, 171.
45
Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere
Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung
einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe
mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der
Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er
in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B.
lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., 584.
47
Es ist Sache des Ausländers, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung im Heimatstaat
schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich
stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass er
bei verständiger Würdigung nach dem jeweils anzuwendenden
Wahrscheinlichkeitsmaßstab Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu
befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden
Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt,
die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der
Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und
Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden.
48
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, a.a.O., vom 26.10.1989 - 9 B
405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39 und vom 03.08.1990 - 9 B 45.90 -, InfAuslR 1990, 344.
49
Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten der Flüchtlinge kann aber schon
allein der eigene Tatsachenvortrag zur Anerkennung bzw. Feststellung des begehrten
Anspruchs führen, sofern das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände von der
Wahrheit des geschilderten Verfolgungsschicksals überzeugt ist.
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Bei Anwendung dieser Grundsätze war im vorliegenden Fall der Prognosemaßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zugrundezulegen. Der Kläger muss nach
derzeitigem Sachstand jedenfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei
einer Rückkehr nach Sri Lanka einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG
ausgesetzt zu sein. Damit kann hier dahin stehen, ob der Kläger als Verfolgter im Sinne
des § 60 Abs. 1 AufenthG aus Sri Lanka ausgereist ist.
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Es spricht zudem aber auch Überwiegendes dafür, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner
Ausreise im Januar 2005 als männlicher Tamile, der aus dem Norden Sri Lankas
stammt, jedenfalls keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt war. Die damalige Situation
erfüllte wohl nicht die Anforderungen, die an eine Gruppenverfolgung - sei es durch den
srilankischen Staat oder durch die LTTE - zu stellen sind. Die erkennende Kammer
nimmt insoweit Bezug auf die Entscheidung des OVG NRW in seinem Urteil vom
21.11.2005 - 21 A 1117/03.A - (nach juris, Rdnr. 208 ff.). Im Ergebnis kann dies hier aber
auch dahin stehen. Offen bleiben kann ferner, ob dieser Auffassung auch hinsichtlich
der letzten aktiven Phase des Bürgerkrieges - von etwa Mitte 2006 bis Mai 2009 - gefolgt
wird. Ob der Kläger bereits im Zeitpunkt seiner Ausreise aus Sri Lanka von einer
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individuellen politischen Verfolgung betroffen oder unmittelbar bedroht war, ist im
Hinblick auf die Kausalität der von ihm dargelegten Verfolgungshandlungen für die
Flucht fraglich, kann aber im Ergebnis hier ebenfalls dahinstehen. Denn der Kläger hat
bei seiner Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung jedenfalls in Form einer individuellen politischen Verfolgung durch die
staatlichen Sicherheitskräfte zu erwarten.
Damit kann die Frage der Gruppenverfolgung zwar auch bezogen auf den
gegenwärtigen Zeitpunkt - und damit insgesamt - hier offen bleiben. Es jedoch spricht
vieles dafür, dass die derzeitige Situation in Sri Lanka - insbesondere die
Sicherheitslage - nicht die Annahme rechtfertigt, dass Tamilen im allgemeinen oder
Untergruppen hiervon, wie etwa zurückkehrende Asylbewerber, männliche Tamilen
jüngeren bzw. mittleren Alters oder Tamilen aus dem Norden und Osten - wie der Kläger
- in Sri Lanka allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit landesweit oder regional einer
staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt sind. Die erkennende Kammer verweist
insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des OVG NRW zur
Frage der Gruppenverfolgung mit Urteil vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A - bezogen auf
den dortigen Entscheidungszeitpunkt.
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Nichts anderes gilt in Ansehung der weiteren Entwicklung der Lage in Sri Lanka:
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Das Auswärtige Amt hat in seinem letzten Lagebericht vom 16.06.2010 Folgendes
ausgeführt:
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"Nachdem der seit 2002 bestehende Waffenstillstand mehrfach verletzt worden war,
entbrannte im Norden und Osten erneut großflächig der bewaffnete Konflikt. Im Juli 2006
begann die von Rajapaksa verstärkte Armee ihre militärische Offensive, die sie bis zum
Sieg im Mai 2009 fortführte. LTTE-Anführer Velupillai Prabhakaran und fast die gesamte
LTTE-Spitze wurden in den letzten Kriegstagen getötet.
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Am 26.01.2010 wurde Präsident Mahinda Rajapaksa bei vorgezogenen
Präsidentschaftswahlen mit deutlicher Mehrheit wieder gewählt. Seit
Hauptherausforderer Sarath Fonseka ist seit dem 08.02.2010 in Haft; gegen ihn wurde
Anklage vor dem Militärgericht erhoben. Dem früheren Oberbefehlshaber der Streitkräfte
(bis Juni 2009) wird der Verstoß gegen Militärgesetze zur Last gelegt.
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Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 09.02.2010 erreichte das
Parteienbündnis des Präsidenten - zwischen der UPFA (United People´s Freedom
Alliance) und der SLFP (Sri Lankan Freedom Party) - 60 % der Stimmen erreichen. Die
Familie des Präsidenten sitzt nach der Regierungsumbildung an wichtigen Schaltstellen
und kontrolliert 75 % des Staatshaushaltes.
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Nach Ende des Bürgerkrieges war zunächst die Diskussion über eine politische Lösung
des ethnischen Konflikts zwischen der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit und der
tamilischen Minderheit wieder in den Vordergrund getreten, sie ist inzwischen aber
verstummt. Das Mandat des dazu 2006 eingesetzten Allparteienkomitees lief im August
2009 aus; der Bericht über die Ergebnisse wurde nicht veröffentlicht. Ankündigungen,
nach dem Gewinn der Wahl eine politische Lösung für den ethnischen Konflikt
umzusetzen, hat Rajapaksa nicht eingehalten. Er hat lediglich am 12.05.2010 eine
formal unabhängige "Aufarbeitungs- und Versöhnungskommission" ernannt, eine
Untersuchung mutmaßlicher Kriegsverbrechen ist von dieser jedoch nicht zu erwarten.
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Von rund 300.000 Zivilpersonen, die in den letzten Monaten des Bürgerkriegs im
kontinuierlich schrumpfenden Kampfgebiet im Nordwesten des Landes eingeschlossen,
allen Schrecken des Kampfes ausgesetzt waren und danach von der Armee in
geschlossenen Lagern untergebracht wurden, sind bisher über 185.000 aus diesen
Lagern offiziell entlassen worden und konnten an ihre Heimatorte zurückkehren bzw. bei
Gastfamilien unterkommen. Die Regierung begründete diese Lagerunterbringung mit
der Notwendigkeit, sich unter den IDPs verbergende ehemalige LTTE-Kämpfer
herauszufiltern, und der Unmöglichkeit, die Betroffenen in noch verminte Heimatorte
zurückkehren zu lassen. Der Zugang von Hilfsorganisationen zu den Lagern ist
inzwischen weitgehend gegeben. Die jetzt noch 60.000 bis 90.000 Insassen haben die
Möglichkeit, die Lager vorübergehend zu verlassen. Die VN-Organisationen gehen
davon aus, dass viele mit der Rückkehr an die Heimatorte noch warten wollen, bis sich
die Versorgungsverhältnisse dort verbessert haben, und dass die Lager noch
mindestens sechs Monate bestehen bleiben.
60
Einem gesonderten Regime unterliegen die geschlossenen sog. "Rehabilitationslager",
in denen noch rund 8.000 ehemalige LTTE-Kämpfer untergebracht sind. Fast 2.000 Ex-
Kombattanten, darunter 570 Kindersoldaten, wurden schon entlassen. Zu diesen Lagern
haben weder das IKRK noch Hilfsorganisationen (mit wenigen Ausnahmen) Zugang.
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Je mehr sich die Niederlage der LTTE nicht nur in der Beendigung der offenen
militärischen Auseinandersetzungen, sondern auch im Ausbleiben terroristischer
Anschläge (letztes Attentat im März 2009) verdeutlichte, desto mehr nahm der Alltag im
Land wieder zivilere Züge an. Die große Mehrheit der Bevölkerung geht davon aus,
dass die Gefahr des LTTE-Terrors gebannt ist. Entsprechend hat sich das
Sicherheitsempfinden im Lande verbessert. Allerdings bleibt der - im August 2005
verhängte - Ausnahmezustand bestehen. Die Antiterrorgesetzte (Prevention of Terrorism
Act) - mit dem Waffenstillstandsabkommen vom Februar 2002 ausgesetzt und im
Dezember 2006 reaktiviert - haben weiter Bestand. Die umfangreichen
Sicherheitsvorkehrungen insbesondere in Colombo, einschließlich der zahlreichen
Kontrollpunkte von Polizei und Militär, werden aufrecht erhalten. Im Osten und Norden
ist die Kontrolldichte größer als in den übrigen Landesteilen, auch wenn dort
(ausgenommen Distrikte Kilinochchi und Mullaittivu) die Zahl der Kontrollstellen im
Vergleich zur Zeit des Bürgerkrieges deutlich verringert wurde.
62
In unterschiedlichen Bereichen kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen, die
Anzeichen für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder
Personengruppen wegen ihrer Rasse, Nationalität, Religion oder politischer
Überzeugung aufweisen. Davon sind nicht nur Tamilen betroffen, sondern auch
regierungskritische Singhalesen. Der Generalverdacht, dass jeder Tamile ein Anhänger,
Unterstützer oder gar Mitglied der LTTE war und ist, wird im singhalesischen Teil der
Gesellschaft von vielen geteilt, insbesondere bei den staatlichen Sicherheitskräften.
63
Offiziellen Statistiken zufolge stellen die Singhalesen mit 75 % die
Bevölkerungsmehrheit dar, gefolgt von 18 % Tamilen. Der Anteil der tamilischen
Bevölkerung ist heute jedoch vermutliche geringer.
64
Für eine systematische Verfolgung von Tamilen allein wegen ihrer ethnischen
Zugehörigkeit gibt es keine Anhaltspunkte; sie müssen aber - durch ihre tamilische
Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte
65
leicht identifizierbar - jederzeit mit staatlichen Repressionen rechnen. Die ständigen
Razzien und Hausdurchsuchungen, schikanöse Behandlungen bei den zahlreichen
Polizeikontrollen im Straßenverkehr und Verhaftungen bei Vorliegen schon geringster
Verdachtsmomente richten sich vor allem gegen Tamilen, wobei aus dem Norden und
Osten stammende Tamilen darunter noch in höherem Maße zu leiden haben. Durch
Anwendung des Prevention of Terrorism Act ist die richterliche Kontrolle solcher
Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wird, muss mit längerer
Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder einer
Anklageerhebung kommen muss. Diese Situation hat sich seit Beendigung der
Kampfhandlungen nicht verbessert.
Mit dem Prevention of Terrorism Act wurde die Strafbarkeit der Mitgliedschaft oder Nähe
zur LTTE ab Dezember 2006 erneut eingeführt. Jeder, der in den Augen der
Sicherheitsorgane der Nähe zur LTTE verdächtig ist, muss auch heute nach Ende des
Bürgerkrieges damit rechnen, verhaftet zu werden. Zu Beginn des Jahres 2009 hat die
Regierung die LTTE formell erneut verboten und damit eine zusätzliche
Verfolgungshandhabe gegen Verdächtige geschaffen. 90 % der Verhafteten im
Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung und Sicherheitsprävention sind Tamilen.
Tamilen sind im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen weit überproportional von
Festnahmen und langen Haftzeiten betroffen. Wer einmal in den Verdacht von LTTE-
Nähe geriet, auch wenn sie seinerzeit nicht nachgewiesen werden konnte, muss damit
rechnen, dass der Verdacht ihm später erneut zur Last gelegt wird.
66
Bei Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Verdacht einer Unterstützung der LTTE
drohen auch bei relativ geringfügigen Delikten drakonische Haftstrafen. Die
Haftbedingungen sind in solchen Fällen nicht anders als bei Fällen gewöhnlicher
Kriminalität. Folter wird als gängige Praxis im Rahmen der Terrorismusbekämpfung
angewendet. Die Todesstrafe existiert weiter, wird aber seit 1977 nicht mehr vollstreckt.
67
Sowohl die LTTE als auch die TMVP übten Repressionen aus. Repressionen seitens
der LTTE sind seit Ende des Bürgerkriegs nicht mehr bekannt geworden. In der
Ostprovinz gibt es weiter repressive Aktivitäten von aggressiven TMVP-Einheiten.
Ähnliche paramilitärische Einheiten sollen inzwischen auch in den
Rücksiedlungsgebieten im Norden entstanden sein. Das weit verzweigte Netzwerk von
LTTE-Kadern und Agenten im ganzen Land dürfte zumindest in Teilen, wenn auch
inaktiv, noch bestehen.
68
Die EU hat die LTTE seit dem 29.05.2006 als Terrororganisation gelistet; diese Listung
auf Grundlage der Verordnung (EG) 2580/2001 sieht neben dem Verbot von
Geldtransfer zugunsten der LTTE auch ein Einfrieren von Vermögen der LTTE vor. Es
ist bekannt, dass die LTTE von Exiltamilen "Spendenbeiträge" eintrieb.
Reorganisationsbestrebungen der tamilischen Diaspora sind im Gange.
69
Die Regierung und die staatlichen Sicherheitskräfte kontrollieren heute das ganze Land
bis auf die von der TMVP kontrollierten Gebiete in der Ostprovinz.
70
Im Zusammenhang mit ethnischen Spannungen ist es vor allem im Osten und im
Norden des Landes zu gezielten extralegalen Tötungen und Verschwindenlassen
gekommen. In den Jahren 2007 und 2008 sind auf diese Weise ca. 1.100 Personen
"verschwunden"; aktuellere Zahlen liegen nicht vor, es ist seither noch zu wenigen
weiteren Fällen gekommen. Es besteht der Verdacht, dass dahinter nicht selten
71
staatliche Sicherheitskräfte bzw. ihnen nahe stehende Kommandos stehen.
Bei der Einreise am Flughafen Colombo werden Einreiseformalitäten mit gültigem sri-
lankischen Reisepass zumeist zügig erledigt. Anders verhält es sich, wenn Rückkehrer
keinen sri-lankischen Reisepass vorlegen können, sondern nur ein von einer sri-
lankischen Auslandsvertretung ausgestelltes Reisedokument zur einmaligen Rückkehr
nach Sri Lanka (Identity Certificate Overseas Mission, ICOM, auch Emergency-Pass
genannt.) Sie werden regelmäßig von der Einreisbehörde und auch der Kriminalpolizei
(CID) einer Personenüberprüfung unterzogen und zu Identität, persönlichen Hintergrund
und Reiseziel befragt.
72
Ein Asylantrag im Ausland, der von vielen in Sri Lanka als legitimer Versuch angesehen
wird, sich einen Aufenthaltsstatus im Ausland zu verschaffen, begründet in aller Regel
noch keinen Verdacht, der LTTE nahe zu stehen. Rückkehrer, die aus nördlichen oder
östlichen Landesteilen stammen und sich nun erstmals in Colombo oder dem Süden
niederlassen wollen, müssen indes einen Anfangsverdacht und entsprechendes
Misstrauen bis zu Schikanen durch die Sicherheitsorgane gewärtigen. Mindestens
ebenso stark steht unter Verdacht, wer bereits früher als Anhänger der LTTE auffällig
geworden war. Das Ende der Kampfhandlungen hat diesbezüglich bisher nicht zu einer
Entspannung geführt.
73
Am 26.05.2010 wurde am Flughafen Colombo bei der Einreise eine in Deutschland
ansässige Srilankerin unter dem Verdacht der LTTE-Unterstützung festgenommen, die
nach Erkenntnissen der srilankischen Sicherheitsbehörden in Deutschland für die LTTE
Gelder eingesammelt und im Frühjahr letzten Jahres Demonstrationen organisiert
haben soll. Seit Juli 2006 sind Fälle bekannt geworden, in denen zurückgeführte
Tamilen von den Behörden in Colombo keine neue Identitätskarte, die Voraussetzung
zum Zugang zu Sozialleistungen ist, erhalten haben. Belastbare Berichten anderer
Botschaften in Colombo zufolge gibt es Einzelfälle, in denen zurückgeführte Tamilen
nach Ankunft in Colombo unter LTTE-Verdacht festgenommen wurden."
74
Desweiteren ist den Pressemeldungen Folgendes zu entnehmen:
75
FAZ vom 25.05.2009 (Keine Unruhen, aber die Tamilen haben Angst): "Unruhen sind in
der Hauptstadt bislang ausgeblieben. Die überall präsente Armee verhält sich
selbstbewusst, aber diszipliniert. Angst haben die Tamilen in Colombo trotzdem. ...
Allein in Colombo soll es etwa 200 Kontrollstellen geben. Dass die Präsenz der Armee
bald deutlich weniger sein wird, ist nicht zu erwarten. "Wir werden unsere Streitkräfte
noch vergrößern", sagte ein Armeesprecher dieser Zeitung, nach Plänen zur
Demobilisierung gefragt. "Nun geht es daran, das Land wieder aufzubauen und
versteckte LTTE-Mitglieder aufzuspüren." Bislang hätten sich 6000 LTTE-Kämpfer als
solche zu erkennen gegeben. Eine größere Zahl vermutet die Regierung untergetaucht
in den Flüchtlingslagern."
76
FAZ vom 28.05.2009 (Heimkehr zunächst ausgeschlossen): "Die Regierung verfüge
über Listen, auf denen die Namen tausender LTTE-Kämpfer verzeichnet seien.
Insgesamt seien bislang 9100 LTTE-Kämpfer von den übrigen Flüchtlingen getrennt
worden. Sie würden derzeit in insgesamt drei gesonderten Rehabilitationszentren im
Osten Sri Lankas festgehalten, bevor sie vor Gericht gestellt würden. Nanayarakka, der
dort offiziell als Ameesprecher fungiert, erklärt, gesucht werde nach dem harten Kern,
den er recht eindeutig definiert: ganz einfach jeder, der auf Seiten der LTTE jemals eine
77
Waffe getragen habe."
NZZ vom 10.06.2009 (Zeugen und Opfer des Krieges in Sri Lanka): "Die Regierung
versucht unter den Insassen der Camps die LTTE-Angehörigen auszusieben, doch
haftet diesem Prozess etwas Willkürliches an."
78
SZ vom 12.06.2009 (Jagd nach dem untoten Tiger): "Die Regierung hat den
Ausnahmezustand um einen weiteren Monat verlängert. Ziel ist, untergetauchte
Tamilentiger zu jagen. Etliche vermutet sie in den Auffanglagern für Flüchtlinge im
Norden. Sie sind wie Internierungszentren angelegt und verletzen laut
Menschenrechtsorganisationen in grober Weise die Würde der Insassen."
79
NZZ vom 12.09.2009 (Die Repression in Sri Lanka nimmt kein Ende) "Die Repression
gegen regierungskritische Stimmen in Sri Lanka hält an, obwohl der Bürgerkrieg seit
vier Monaten vorbei ist. Vor kurzem wurde ein tamilischer Journalist zu zwanzig Jahren
Haft mit Zwangsarbeit verurteilt. Derweil nehmen die Hinweise auf schwere
Menschenrechtsverletzungen durch die Armee in den letzten Kriegstagen zu. Tamilen
werden von der Regierung weiterhin kollektiv als Verbrecher behandelt. Fast 300 000
Flüchtlinge aus dem Norden werden noch immer unter erbärmlichen Bedingungen in
Internierungslagern festgehalten."
80
NZZ vom 16.10.2009 (Nach dem Krieg ist vor dem Krieg in Sri Lanka/ Die Führung in
Colombo vertagt Reformen und erhöht einmal mehr das Militärbudget): "Nach offiziellen
Angaben wurden 10.000 einstige LTTE-Kämpfer in den Camps ausgemacht, die nun
getrennt vom Rest der Flüchtlinge festgehalten werden. Dennoch behandeln die
Behörden auch Zivilisten weiterhin wie Kriminelle. ... Die Führungsriege wurde in der
Endschlacht jedoch komplett ausgelöscht. Bis heute gibt es keine Anzeichen, dass die
LTTE noch in der Lage sind, Angriffe auf Sicherheitskräfte oder Attentate auszuführen."
81
Südasien 1/2010 (Sri Lanka im Überblick/ Jochen Vogel): Unklare Lage im Norden
"Auch wenn sich das öffentliche Leben vor allem in der Stadt Jaffna wieder von den
vorherigen Ausgangssperren erholt, sind die Tamilen insgesamt unzufrieden über die
Entwicklung seit Mai 2009. Noch immer Leben mehr als 100.000 Vertriebene in Lagern
bei Vavuniya und viele internationale Hilfsorganisationen hatten wegen auslaufender
Finanzierungszusagen das Ende der Unterstützung für die Vertriebenen in den Lagern
angekündigt."
82
Die Tageszeitung vom 13.01.2010 (Plötzlich werden Tamilen hofiert/Überraschende
Wende im Präsidentschaftswahlkampf: Da die Singhalesen gespalten sind, könnten auf
einmal tamilische Stimmen den Ausschlag geben): "Bis November hatte es Rajapaksa
mit der Freilassung der bis dahin 300.000 internierten Tamilen nicht eilig gehabt. Sie
waren unter katastrophalen Bedingungen in Lagern eingesperrt, zu denen internationale
Beobachter keinerlei Zugang hatten. Doch andauernde Kritik des Auslands und die
Dynamik des auf den 26. Januar vorgezogenen Wahltermins machte die Freilassung
tamilischer Gefangener für Rajapaksa opportun. ... Die 2,5 Millionen Tamilen machen
12,5 Prozent der Bevölkerung aus."
83
FAZ vom 08.04.2010 (Sri Lanka auf dem Weg zur Familienherrschaft?): "Mit
wachsendem Unbehagen wird aber im Land verfolgt, wie Rajapakse seine Macht
ausdehnt... Zuweilen fällt schon das Wort "Diktatur", die die Demokratie abgelöst habe.
Zahlreiche Regierungskritiker wurden Mundtot gemacht oder auf die Seite Rajapakses
84
gezogen."
FAZ vom 12.04.2010 (Tödliche Motorradgeschwader): "Als die Armee im Mai
vergangenen Jahres die Leiche des LTTE-Führers präsentierte, war der Krieg plötzlich
zu Ende. Unzählige Soldaten und Rebellen wurden dabei getötet, darunter die gesamte
Führung der LTTE. Aber auch 7.000 bis 40.000 Zivilisten haben unabhängigen
Schätzungen zufolge allein in den letzten Kriegswochen ihr Leben verloren. Wer
überlebte, wurde in Internierungslager gesteckt und überprüft. Von den 250.000
tamilischen Flüchtlingen sind etwa 10.000 Personen als LTTE-Mitglieder identifiziert
und in Sondergefängnisse gesteckt worden. Inzwischen hat die Armee die meisten
Flüchtlinge aus den Lagern entlassen. Geschätzte 90.000 Tamilen warten aber noch auf
ihre Rückkehr. Allen Zweifeln westlicher Regierungen zum Trotz scheint die
Gnadenlosigkeit der Armee die gewünschte Wirkung erzielt zu haben: Seit Kriegsende
erlebte Sri Lanka keinen Terroranschlag mehr. .. Mit dem Krieg wurde nicht nur das
Kapitel der LTTE zugeschlagen, sondern auch das des alten Sri Lankas. "Das Land hat
sich auf einen neuen Weg gemacht - von einer pluralistischen Demokratie
südasiatischen Stils zu einem autoritären System südasiatischer Prägung."
85
NZZ vom 23.04.2010 (Große Mehrheit für Rajapakse): "Sri Lankas Regierungspartei hat
bei der ersten Parlamentswahl seit Ende des Bürgerkriegs im Mai letzten Jahres die
angestrebte Zweidrittelmehrheit um sechs Mandate verfehlt. Der Urnengang hatte
bereits am 8. April stattgefunden. Wegen Unregelmäßigkeiten musste er in zwei
Wahlkreisen wiederholt werden. ... In den tamilischen Gebieten im Norden und Osten
lag die Beteiligung wegen systematischer Einschüchterung und Behinderung von
Wählern allerdings deutlich niedriger. Als einzige Repräsentantin der ethnischen
Minderheit wird die Tamil National Alliance, die der LTTE nahegestanden hatte, mit 14
Sitzen im Parlament vertreten sein."
86
Frankfurter Rundschau vom 25.06.2010 (Aufklärung in Sri Lanka gefordert): "Der
Wiederaufbau zerstörter Häuser kommt nicht voran. Im Norden herrscht weiterhin der
Ausnahmezustand. Die Unterdrückung hat kaum nachgelassen."
87
FAZ vom 10.09.2010 (Mehr Macht für Präsident Rajapakse): "Mit einer
Verfassungsänderung hat das Parlament in Sri Lanka den Weg zu einer
Dauerherrschaft der Brüder Rajapakse freigemacht. Das Parlament stimmte für eine
Aufhebung der Amtszeitbegrenzung. Zugleich wurden die Befugnisse des Präsidenten
ausgeweitet, insbesondere bei der Besetzung zentraler Institutionen wie der Justiz, der
Polizei und der Wahlkommission."
88
Damit ist zwar allenfalls eine geringfügige Verbesserung, jedenfalls aber keine
Verschlechterung der Sicherheitslage Sri Lankas feststellbar. Für die Annahme einer
Gruppenverfolgung fehlt es danach zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl an der
erforderlichen Verfolgungsdichte. Ebenso wenig sind hinreichende Anhaltspunkte für
ein staatliches Verfolgungsprogramm in Bezug auf alle Tamilen oder relevante
Untergruppen zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegeben.
89
Die Frage der Gruppenverfolgung kann hier jedoch letztlich dahin stehen. Denn im
Hinblick auf den Kläger sind besondere in seiner Person begründete und in seinem
Einzelfall zu würdigenden Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung durch die srilankischen
Sicherheitskräfte gegeben.
90
Bei der Rückkehr nach Sri Lanka kann sich je nach den Umständen des Einzelfalles die
Gefahr einer staatlichen politischen Verfolgung eines - auch unverfolgt ausgereisten -
Tamilen bis zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichten, wenn in seiner Person
noch weitere individuell ausgeprägte Risikomerkmale hinzutreten, und diese zu
Maßnahmen der srilankischen Sicherheitskräfte führen, die über das durch die die
allgemeine Terrorismusbekämpfung gerechtfertigte Maß hinausgehen. Die Frage, ob
der einzelne Ausländer bei seiner Rückkehr nach Sri Lanka dort mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgungshandlungen zu befürchten hat, kann aber
auch anhand der Risikomerkmale nicht generalisierend und fallübergreifend
beantwortet werden. Im Rahmen der tatrichterlichen Feststellungen muss anhand der
konkreten Umstände des Einzelfalles unter Abwägung der in der Person des jeweiligen
Ausländers konkret verwirklichten Risikomerkmale die individuelle
Gefährdungssituation bewertet werden.
91
Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A -.
92
Der Senat hat in dieser Entscheidung - unter Bezugnahme auf seine Urteile vom
29.04.2009 - 3 A 3013/04.A - und 3 A 627/07.A - beispielhaft folgende Risikomerkmale
aufgezeigt:
93
"aa. Die Gefahr einer Inhaftierung, die nach der Auskunftslage das Risiko auch längerer
Inhaftierung birgt, ohne dass Rechtsschutz zu erlangen wäre, ist im Einzelfall
grundsätzlich dann gegeben, wenn die zurückkehrende Person bei den
Sicherheitskräften in den Verdacht gerät, der LTTE anzugehören bzw. dieser
Organisation nahe zu stehen (AA, Lagebericht v. 7. April 2009; SFH, "Sri Lanka:
Aktuelle Situation Update" v. 11. Dezember 2008). (1) Dies gilt unabhängig von den
zwischenzeitlich errungenen militärischen Erfolgen der srilankischen Sicherheitskräfte,
die die LTTE nunmehr aus ihren Herrschaftsgebieten im Norden und Osten der Insel
verdrängt haben (...)" Hieran hat sich nichts geändert.
94
Die srilankische Regierung hat die LTTE zwar im Mai 2009 militärisch besiegt, jedoch
fürchtet man in Colombo in diesen Tagen nichts mehr, als dass sich die LTTE neu
formiert oder aus dem Untergrund noch einmal zu Terrorattacken an-setzen könnte (Der
Spiegel, Bericht v. 6. Juli 2009 "Der perfekte Überläufer"). Dies gilt insbesondere auch
vor dem Hintergrund, dass bis heute noch nicht klar ist, ob Pottu Amman, die gefürchtete
Nr. 2 der Tamil Tigers und Chef der Selbst-mordeinheit "Black Tigers" tatsächlich tot ist.
Armeechef Fonseka hat zwar be-hauptet, der Mann sei "ganz sicher und wirklich tot".
Doch Pottu Ammans Leiche wurde nicht gefunden (SZ v. 12. Juni 2009 "Jagd nach dem
untoten Tiger"). Auch berichtet die Presse noch eineinhalb Monate nach dem Sieg der
Armee über die LTTE über vereinzelte Auseinandersetzungen mit LTTE-Kämpfern (FAZ
v. 6. Juli 2009 "LTTE-Kämpfer tötet Soldaten").
95
Der Senat hat zu der derzeitigen Lage in Sri Lanka in den vorbezeichneten Urteilen
weiter ausgeführt:
96
"(...) selbst der srilankische Armeechef Fonseka soll eingeräumt haben, dass die LTTE
auch nach einer Niederlage auf dem Schlachtfeld ihren Kampf - wie früher als
Guerillaarmee - aus dem Untergrund noch ein oder zwei Jahrzehnte fortsetzen könnte
(Spiegel Online v. 20. Februar 2009 "Sri Lanka fürchtet die schwarzen Tiger"; taz v. 27.
Januar 2009 "Tamil Tigers wieder Guerillaarmee"). Auch der UNHCR teilt in seinem
97
Bericht v. April 2009 diese Einschätzung und geht davon aus, dass die LTTE auf eine
Guerillataktik ausweichen wird. Dass die Gefährdungssituation durch die LTTE aus der
Sicht des Staates noch lange nicht beendet ist, zeigt sich auch da-ran, dass die LTTE
trotz ihrer unterlegenen militärischen Situation in der Lage ist, weiterhin Terroranschläge
selbst in der Hauptstadt Colombo und im Süden des Landes zu verüben (AA,
Lagebericht v. 7. April 2009; UNHCR, Bericht v. April 2009; SZ v. 11. März 2009
"Anschlag in Sri Lanka"; Spiegel Online v. 10. März 2009 "Minister schwebt nach
Anschlag in Lebensgefahr"; FR v. 23. Februar 2009 "Die Rückkehr der Tiger"; FR v. 21.
Februar 2009 "Kamikaze-Angriff auf Colombo"; FAZ v. 21. Februar 2009 "Luftangriff auf
Colombo"; Spiegel Online v. 20. Februar 2009 "Sri Lanka fürchtet die schwarzen Tiger";
FAZ v. 10. Februar 2009 "Anschlag in Sri Lanka") und hierdurch die Sicherheitslage im
gesamten Land weiterhin destabilisiert.
(2) Mit dem Terrorism Prevention Act vom Dezember 2006 wurde die Unterstützung der
LTTE erneut strafbar, auch wenn die LTTE in diesem Gesetz nicht ausdrücklich genannt
wird. Jeder, der in den Augen der Sicherheitsorgane der Nähe zur LTTE verdächtig ist,
muss damit rechnen, verhaftet zu werden (AA, Lagebericht v. 7. April 2009).
98
Dies gilt nach der Auskunftslage in erster Linie für Personen, die bereits in der
Vergangenheit im Verdacht einer Kooperation mit der LTTE standen und von den
Sicherheitskräften deshalb verfolgt wurden. Diese Personen müssen sowohl nach
Einschätzung des Auswärtigen Amtes (AA, Lageberichte v. 7. April 2009 u. 6. Oktober
2008) als auch der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, "Sri Lanka: Aktuelle
Situation Update" v. 11. Dezember 2008, SFH, "Asylsuchende aus Sri Lanka" v. 1.
Februar 2007) seit Ende Dezember 2006 wieder mit erneuter Verfolgung und
Beeinträchtigung ihrer Sicherheit rechnen. Dies trifft auch auf Personen zu, die sich in
den vom Bürgerkrieg bislang verschonten Gebieten der Insel (d.h. allen anderen
Gebieten als der Jaffna-Halbinsel, dem LTTE-Gebiet sowie den seit Mitte 2006
umkämpften Regionen im äußersten Osten der Insel nördlich von Ampara,
einschließlich der Hauptstadt Colombo) aufhalten.
99
In den Verdacht der Nähe zur LTTE können im Einzelfall auch Tamilen geraten, die aus
den nördlichen oder östlichen Landesteilen stammen, insbesondere aus den von der
LTTE dominierten Gebieten, und sich erstmals in Colombo oder dem Süden Sri Lankas
niederlassen wollen (AA, Lageberichte v. 6. Oktober 2008 u. 7. April 2009). Hiervon
ausgenommen sind Tamilen, die nicht von der Registrierungspflicht erfasst sind, weil sie
bereits länger als fünf Jahre in Colombo und Umgebung leben, (...)
100
Nach Auswertung der Erkenntnisse (AA, Lageberichte v. 7. April 2009 u. 6. Oktober
2008.; SFH, "Sri Lanka: Aktuelle Situation Update" v. 11. Dezember 2008; SFH,
"Asylsuchende in Sri Lanka" v. 1. Februar 2007) kann aber auch derjenige in den
Verdacht einer Nähe der LTTE geraten, der Verwandtschaft im ehemaligen LTTE-
Gebiet hat, insbesondere wenn Familienmitglieder im Zusammenhang mit der LTTE
auffällig geworden sind, oder wenn der Betreffende während der Zeit des
Waffenstillstandes häufiger in das ehemalige LTTE-Gebiet gereist ist.
101
Auch Journalisten, die der Verbreitung von LTTE-, Oppositions- und staatsfeindlichen
Publikationen bezichtigt werden bzw. werden können, müssen im Einzelfall mit
gezielten Belästigungen, Angriffen, Todesdrohungen, Entführungen bis hin zu
Bombenattentaten rechnen (AA, Lagebericht v. 7. April 2009). Dies gilt auch für andere
tamilische Personen in allen Teilen des Landes, auch im Süden der Insel, die sich
102
öffentlich für die Sache der Tamilen einsetzen (SFH, "Asylsuchende in Sri Lanka" v. 1.
Februar 2007).
Mitunter können im Einzelfall selbst mehrere deutlich sichtbare Narben am Körper, die
tamilische Sprache bzw. das Fehlen von Identitätspapieren (SFH, "Sri Lanka: Aktuelle
Situation Update" v. 11. Dezember 2008) das Interesse der srilankischen
Sicherheitskräfte wecken und in ihren Augen zumindest einen Anfangsverdacht für die
Mitgliedschaft oder Nähe zur LTTE begründen (AA, Lageberichte v. 7. April 2009 u. 6.
Oktober 2008).
103
Vgl. mit ähnlicher Einschätzung im Hinblick auf deutlich sichtbare Narben auch: EGMR,
Urteil v. 17. Juli 2008 - 25904/07 -, juris; VG Bremen, Urteil v. 21. Januar 2008 - 4 K
1327/07.A - juris.
104
Die hier aufgezählten Risikofaktoren sind allerdings angesichts der Band-breite
möglicher Kriterien, die in den Augen der srilankischen Sicherheitskräfte hinsichtlich
einer Person den Verdacht einer Mitgliedschaft oder Nähe zur LTTE begrünen können,
nicht abschließend. Der Senat hat sich angesichts der Mannigfaltigkeit möglicher
Kombinationen und im Einzelfall zu prüfendender Konstellationen darauf beschränkt,
auf der Grundlage der aktuellen Auskunftssituation die wichtigsten Risikomerkmale
darzustellen.
105
bb. Angesichts der verschärften Sicherheitslage in Sri Lanka kann derzeit nicht
ausgeschlossen werden, dass die srilankischen Sicherheitsbehörden im einzelnen Fall
gegenüber Personen, die der Nähe zur LTTE verdächtig sind, Maßnahmen ergreifen,
die über Personenkontrollen, Durchsuchungsmaßnahmen, kurzzeitige Inhaftierungen
insbesondere zum Zwecke der Befragung und Identitätsprüfung hinausgehen und keine
legitimen Mit-tel der Terrorismusabwehr mehr darstellen. Dies gilt insbesondere mit
Blick darauf, dass nach Wiedereinführung des Terrorism Prevention Act Ende 2006 die
richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet ist. Wer auf der
Grundlage der Antiterrorgesetze verhaftet wird, muss unter Umständen mit längerer
Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder gar einer
Anklageerhebung kommt. Auch die Vorwürfe über Folterungen durch die
Sicherheitskräfte haben zwischenzeitlich wieder zugenommen. Der
Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen hat sogar festgestellt, dass Folter in Sri
Lanka als gängige Praxis im Rahmen der Terrorismusbekämpfung angewendet wird.
Über-dies drohen bei dem Verdacht einer Unterstützung der LTTE auch bei relativ
geringfügigen Delikten drakonische Haftstrafen und in Verfahren unter dem Terrorism
Prevention Act müssen Angeklagte beweisen, dass Geständnisse unter Zwang oder
Folter erpresst worden sind (AA, Lageberichte v. 7. April 2009 u. 6. Oktober 2008.; SFH,
"Sri Lanka: Aktuelle Situation Update" v. 11. Dezember 2008; Department of State der
Vereinigten Staaten von Amerika, Bericht vom 11. März 2008 - 2007 Country Reports on
Human Rights Practices - Sri Lanka).
106
cc. Die Frage, ob der einzelne Ausländer bei seiner Rückkehr nach Sri Lanka dort mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG zu
befürchten hat, lässt sich aber auch anhand der genannten Risikomerkmale nicht
generalisierend und fallübergreifend beantworten. Denn der Senat vermag den ihm
vorliegenden Auskünften auch bei einer Gesamtschau keine Informationen dazu zu
entnehmen, dass bestimmte Risikomerkmale - allein oder in Kombination - unabhängig
von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles mit gewisser Zwangsläufigkeit als
107
politische Verfolgung zu qualifizierende Repressalien gegen über den Betroffenen
auslösen. Im Rahmen der tatrichterlichen Feststellungen muss vielmehr anhand der
konkreten Umstände des Einzelfalles unter Würdigung der in der Person des jeweiligen
Ausländers konkret ver-wirklichten Risikomerkmale die individuelle
Gefährdungssituation bewertet werden." Hiervon ausgehend droht dem Kläger bei der
Rückkehr nach Sri Lanka nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle
staatliche politische Verfolgung."
Hiervon ausgehend droht dem Kläger bei der Rückkehr nach Sri Lanka gegenwärtig mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle staatliche politische Verfolgung.
108
Der Kläger hat bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine
längerfristige Inhaftierung verbunden mit Folter durch die staatlichen Sicherheitskräfte
zu befürchten.
109
Denn zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass sich der Kläger, ein Tamile aus
dem Nordosten Sri Lankas, über viele Jahre hinweg immer wieder für die LTTE
engagiert hat. Er ist zudem bereits in der Vergangenheit wiederholt - gerade wegen des
Verdachts der Nähe zur LTTE - von den Sicherheitskräften verhaftet und in der Haft
auch - zum Teil ganz massiv - gefoltert worden.
110
Der Kläger hat diese Geschehnisse nach Einschätzung der Kammer glaubhaft und
nachvollziehbar und in seinem Kern im Wesentlichen hinreichend widerspruchsfrei
geschildert.
111
Dabei war in der hier vorliegenden besonderen Fallkonstellation des Klägers
hinsichtlich seines Aussageverhaltens zum einen besonders zu berücksichtigen, dass
davon ausgegangen werden muss, dass der Kläger bereits im Zeitpunkt seiner
Anhörungen durch das Bundesamt alkoholabhängig war. Dies ergibt sich aus dem
Bericht des Evangelischen Krankenhauses Bethanien vom 13.06.2005.
112
Die Alkoholkrankheit des Klägers wird mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Einfluss
auf seine Fähigkeit zur Darstellung der Geschehnisse in seinem Heimatland gehabt
haben. Jedenfalls kann bei Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit eine unbeeinträchtigte
Fähigkeit zur geordneten und ganz präzisen Darstellung von zum Teil auch schon
etwas länger zurückliegenden Geschehnissen nicht mehr erwartet werden.
113
Darüber hinaus musste hinsichtlich der Beurteilung des Aussageverhaltens des Klägers
- auf der Grundlage der vorliegenden Anhörungsprotokolle - hier ebenfalls
Berücksichtigung finden, dass von dem Vorliegen einer schweren Traumatisierung beim
Kläger auszugehen ist.
114
Der Kläger hat im Rahmen der Anhörungen in letztlich unmissverständlicher Weise zum
Ausdruck gebracht, dass er während seiner ersten Haftzeit u.a. sexuell missbraucht
wurde. Vor dem Hintergrund der kulturellen Herkunft des Klägers und der Art und Weise
der angedeuteten, deutlich schambesetzten Darstellung des Missbrauchs, spricht nach
Einschätzung der Kammer alles dafür, dass der Kläger den Missbrauch tatsächlich
erlitten hat. Opfer einer solchen Tat sind in aller Regel schwerst traumatisiert. Ein
traumatisches Erlebnis hat Einfluss auf das Vorbringen der eigenen
Verfolgungsgeschichte, da regelmäßig die Erinnerungs- und Darstellungsfähigkeit des
Betroffenen beeinträchtigt ist.
115
Darüber hinaus spricht nach Auffassung der Kammer hier auch alles dafür, dass der
Kläger eine weitere Traumatisierung durch das Tsunamiereignis Ende 2004 erfahren
hat. Der Kläger hat insoweit - unter Tränen - geschildert, dass er seine gesamte Familie,
seine Frau und seine sechs Kinder, durch die Flutwelle, die Sri Lankas Ostküste traf,
verloren hat. Er hat nachvollziehbar die darauf folgenden gesundheitlichen
Beeinträchtigungen u.a. in Form von Schlafstörungen und Ohrgeräuschen geschildert.
Nach Einschätzung der Kammer ist auch dieses Vorbringen des Klägers glaubhaft.
Auch in dem Bericht des Evangelischen Krankenhauses Bethanien vom 13.06.2005 ist
schließlich der seinerzeit festgestellte reduzierte Allgemeinzustand des Klägers
dokumentiert (u. a. wog er nur noch 47,5 kg).
116
Vor dem Hintergrund dieser besonderen Fallkonstellation konnte vorliegend ganz
ausnahmsweise auf eine nochmalige Anhörung des Klägers durch die erkennende
Kammer verzichtet werden und eine Beurteilung nach Aktenlage erfolgen. Es muss
davon ausgegangen werden, dass der Kläger unverändert unter den Folgen schwerster
Traumatisierungen leidet, insbesondere alkoholkrank ist. Das Sozialamt der Gemeinde
Lindlar teilte der Kammer auf Nachfrage am 28.10.2010 fernmündlich mit, dass der
Kläger krank sei. Er erhalte häufig Krankenhilfe. Er sei nach dortiger Einschätzung
alkoholabhängig. Der Versuch, den Kläger zur gemeinnützigen Arbeit einzusetzen, sei
mehrfach nicht durchführbar gewesen. Es sei schwierig, mit dem Kläger zu reden und
dies nicht nur wegen der fehlenden Sprachkenntnisse. Diese Einschätzung stimmt
überein mit der Darstellung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, wonach der
Kläger trotz wiederholter Anschreiben zur Kontaktaufnahme nicht in der Lage war und
ist.
117
Das Vorbringen des Klägers im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt stellt sich
hinsichtlich der Betätigung des Klägers für die LTTE und der Darstellung von damit im
Zusammenhang stehenden Verfolgungshandlungen als glaubhaft dar. Hinsichtlich der
Betätigung für die LTTE spricht die hinreichend nachvollziehbare Schilderung des
Klägers für die Glaubhaftigkeit. Ebenso der Umstand, dass die Schilderung keinerlei
Tendenz zu Steigerungen - und dies auch nicht auf Nachfragen - aufweist. So hat der
Kläger beispielsweise auf Nachfrage eingeräumt, mit Waffen nichts zu tun gehabt zu
haben. Dies gilt gleichermaßen für die Darstellung der Verhaftungen. Der Kläger hat
nachvollziehbar differenziert die Schwere der anlässlich der Haft erlittenen
Beeinträchtigungen an der Schwere der jeweils erlittenen Folter festgemacht und die
schwerste Beeinträchtigung - in Gestalt des Missbrauchs - in die früheren Jahre seiner
Betätigung für die LTTE verortet. Auch hat er nicht behauptet, die Sicherheitsbehörden
wüssten von seiner Betätigung. Seine Aussage beschränkte sich nachvollziehbar auf
den Vortrag, er glaube, sie vermuteten, dass er für die Organisation gearbeitet habe.
Zudem schilderte der Kläger auch die persönlichen Erlebnisse im Nachgang zum
Führungskonflikt innerhalb der LTTE hinreichend nachvollziehbar und lebensnah. Denn
ein Anhänger der Karuna-Gruppe hatte nach deren Abspaltung in der Tat
Beeinträchtigungen von der LTTE zu erwarten. Auch schätzte er im Zeitpunkt der
Anhörung - zutreffend - die ihm von der LTTE im Falle seiner Rückkehr drohende Gefahr
größer ein, als die von den srilankischen Soldaten drohenden Beeinträchtigungen.
118
Insgesamt stellt sich das Vorbringen damit als realistische Darstellung von
Geschehnissen, geschildert von einem einfachen, stark traumatisierten, kranken
Menschen dar. Bestehende Ungenauigkeiten in der Darstellung können vor diesem
Hintergrund für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens hier nicht
119
entscheidend sein.
Die vom Kläger eingereichte Stellungnahme vom März 2005 war bei der Beurteilung
ebenfalls außer Betracht zu lassen. Es liegen dem Gericht keine Erkenntnisse darüber
vor, unter welchen Umständen dieses Schriftstück zustande gekommen ist und wer die
Übersetzung etwaiger Erklärungen des Klägers vorgenommen hat. Angesichts dessen
kann der - zum Teil gar nicht verständliche - Inhalt dem Kläger hier auch nicht -
jedenfalls nicht zu seinen Lasten - zugerechnet werden. Der Prozessbevollmächtigte
des Klägers hat dazu glaubhaft versichert, an der Abfassung dieser Stellungnahme nicht
beteiligt gewesen zu sein, über kein in Tamil verfasstes Original zu verfügen und auch
seinerseits über die Umstände der Abfassung, insbesondere Übersetzung keine
Kenntnis zu haben.
120
Unter Würdigung aller Einzelumstände beschränken sich die beim Kläger zu
konstatierenden Risikomerkmale danach nicht allein auf Umstände, die eine Vielzahl
von Tamilen in Sri Lanka aufweisen - Herkunft und Sprache - bzw. die gegebenenfalls
nur vorübergehende Passlosigkeit. Vielmehr stand der Kläger bereits in der
Vergangenheit wiederholt ganz konkret im Verdacht, unterstützend für die LTTE tätig
gewesen zu sein und wurde aus diesem Grunde bereits in der Vergangenheit verhaftet
und auch gefoltert.
121
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für den Kläger nicht. Selbst wenn man
diese für die nördlichen und östlichen Gebiete Sri Lankas annehmen würde, so wären
diese Gebiete für den Kläger bei seiner Rückkehr über den Flughafen von Colombo -
über dessen Flughafen allein eine Abschiebung möglich und zumutbar ist - jedenfalls
nicht gefahrlos zu erreichen.
122
Bei einer Gesamtschau stellt die erkennende Kammer daher im vorliegenden Fall fest,
dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Sri Lanka mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
eine politische Verfolgung in Form einer längeren Inhaftierung mit der Gefahr von Folter
durch die Sicherheitskräfte zu befürchten hätte.
123
Steht dem Kläger daher ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60
Abs. 1 AufenthG zu, bedarf es keiner Entscheidung über den Hilfsantrag auf
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
124
(2) Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG steht
dem Kläger hingegen nicht zu. Denn der Kläger ist aus einem sicheren Drittstaat im
Sinne von Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26 a Abs. 2 AsylVfG in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist. Wer aber aus einem Mitgliedstaat der Europäischen
Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des
Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze
der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist, kann sich nicht auf Art. 16 a
Abs. 1 GG berufen. Nach seinen eigenen Angaben ist der Kläger zunächst von Sri
Lanka nach Moskau geflogen und von dort auf dem Landweg - und damit in jedem Fall
von einem sicheren Drittstaat aus - nach Deutschland gebracht worden.
125
Die Kostenentscheidung folgt aus 155 Abs. 1, § 83 b AsylVfG.
126