Urteil des VG Köln vom 12.02.2003
VG Köln: politische verfolgung, eritrea, radio und fernsehen, regierung, staatliche verfolgung, wahrscheinlichkeit, auskunft, persönliche freiheit, drohende gefahr, soziale sicherheit
Verwaltungsgericht Köln, 2 K 8721/98.A
Datum:
12.02.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 8721/98.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
1
Der 1961 in Asmara, jetziges Eritrea, geborene Kläger ist eritreischer
Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 27.03.1998 in die Bundesrepublik
ein und beantragte unter dem 30.03.1998 die Gewährung politischen Asyls. Zur
Begründung trug er bei seiner Anhörung am 02.04.1998 im wesentlichen vor: Er habe
von 1979 bis 1981 als Kämpfer bei der ELF gewirkt. 1981 habe er sich äthiopischen
Truppen ergeben. Nach diesem Zeitpunkt habe er bei der staatlichen Sackfabrik in
Asmara als Lagerarbeiter gearbeitet, nebenbei habe er das Abitur nachgemacht. 1996
sei er dann in eine Zweigstelle der Fabrik nach Aqurdit versetzt worden, wo er mit
Verwaltungsaufgaben betreut war, bis er am 02.03.1998 ausreiste. Seit Januar 1996 sei
er in Eritrea wieder Mitglied der ELF geworden. Ihm habe die Mitgliederprüfung neu
aufzunehmender Bewerber unterlegen. Ferner habe er Briefe überbracht.
Fluchtauslösend sei aber gewesen, dass er wegen seiner Kollaboration mit der
äthiopischen Regierung 1981 von der eritreischen Regierung als Verräter angesehen
werde. Er habe sich damals 1981 mit 5 weiteren Kämpfern ergeben. Vier seien aus
unerklärlichen Umständen zu Tode gekommen. Er sei mit einer weiteren Person übrig
geblieben, die mit ihm in der Sackfabrik arbeitete. Schließlich habe er seinen Kollegen
erhängt in der Wohnung vorgefunden und er sei überzeugt, dass es kein Selbstmord,
sondern staatlicher Mord gewesen sei.
2
Das Bundesamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 06.10.1998 als unbegründet ab,
verneinte die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und des § 53 AuslG als nicht
vorliegend im Falle des Klägers, forderte diesen zur Ausreise auf und drohte ihm die
Abschiebung nach Eritrea an.
3
Der Kläger hat fristgerecht Klage erhoben Zur Klagebegründung beruft sich der Kläger
im wesentlichen auf sein früheres Vorbringen. Er legte im Jahr 2000 eine
Bescheinigung über die Mitgliedschaft in er ELF-Jugendunion in Deutschland vor.
4
Ferner legte er in der mündlichen Verhandlung vom 04.02.2003 einen Mitgliedsausweis
der ELF, ausgestellt in Ulm 2002, vor. Über seine exilpolitische Tätigkeit seit seinem
Aufenthalt in Deutschland trug der Kläger vor, dass er seit dem Festival der ELF in
Kassel 1998 Mitglied der EDJU und der ELF sei. Bei den jährlichen Festivals der ELF
arbeite er als Ordner, bei der Getränkeausgabe und sonstigen Hilfstätigkeiten mit. In
Köln treffe er sich monatlich mit der Ortsgruppe der EDJU.
Der Kläger beantragt,
5
den Bescheid der Beklagten vom 06.10.1998 aufzuheben,
6
die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen
7
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG im Fall des Klägers vorliegen,
8
und . dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich des Klägers
vorliegen.
9
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Sie bezieht sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.
12
Der Bundesbeauftragte hat keinen Antrag gestellt.
13
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Gefährdungslage "einfacher" Mitglieder der
Exilorganisationen der ELF. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge, sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Insbesondere wird wegen der Erklärungen des Klägers auf den Asylantrag, die
Angaben bei der Vorprüfung und das Vorbringen im Klageverfahren sowie die
Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
14
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15
Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandeln, da
diese ordnungsgemäß geladen und über die Folgen des Ausbleibens belehrt worden
waren, § 102 Abs. 2 VwGO.
16
Die zulässige Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter ist unbegründet.
17
Der Kläger hat aus Art. 16a Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Anerkennung als
Asylberechtigter, weil er nicht politisch verfolgt im Sinne dieser Vorschrift ist. Politisch
Verfolgter ist, wer wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner
persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet
befürchtet.
18
Soweit das Leben oder die persönliche Freiheit nicht unmittelbar gefährdet sind,
begründen Beeinträchtigungen anderer Freiheitsrechte - wie etwa des Rechts auf freie
Religionsausübung - eine Asylanerkennung nur, wenn sie nach Intensität und Schwere
die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des
Heimatlandes aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.
19
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, NJW 1980, 2641,
2642.
20
Politische Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG ist grundsätzlich
Individualverfolgung. Grundsätzlich kann nur der das Grundrecht in Anspruch nehmen,
der selbst - in seiner Person - politische Verfolgung erlitten hat oder dem politische
Verfolgung als unmittelbar drohende Gefahr bevorstand. Die Gefahr eigener politischer
Verfolgung kann sich für einen Asylbewerber auch aus gegen Dritte gerichteten
Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals
verfolgt werden, das er mit ihnen teilt und wenn er sich in einer mit ihnen vergleichbaren
Lage befindet. Sieht der Verfolger von individuellen Momenten gänzlich ab, weil seine
Verfolgung der durch das asylerhebliche Merkmal gekennzeichneten Gruppe als
solcher gilt, so kann eine solche Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass
jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein
muss. Unmittelbare Betroffenheit des Einzelnen durch gerade auf ihn zielende
Verfolgungsmaßnahmen sowie die Gruppengerichtetheit der Verfolgung stellen die
Eckpunkte eines durch fließende Übergänge gekennzeichneten Erscheinungsbildes
politischer Verfolgung dar. Daher ist die gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung für
einen Gruppenangehörigen aus dem Schicksal anderer Gruppenmitglieder
möglicherweise auch dann herzulei- ten, wenn diese Referenzfälle es noch nicht
rechtfertigen, vom Typus einer gruppengerichteten Verfolgung auszugehen.
21
BVerfG, Beschluss vom 21.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, NVwZ 1991, 768, 769.
22
Von (mittelbarer) Gruppenverfolgung kann nicht nur gesprochen werden, wenn die
Gruppenangehörigen pogromartig oder in Massenausschreitungen verfolgt werden. Sie
liegt vielmehr bereits dann vor, wenn die Verfolgungsschläge so dicht und eng fallen,
dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der
Übergriffe zu werden,
23
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.09.1992 - 9 B 130.92 -, NVwZ 1993, 192.
24
Da politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG grundsätzlich staatliche
Verfolgung ist, jedenfalls aber als mittelbare staatliche Verfolgung einem bestimmten
Staat zugerechnet werden muss, bedarf es der Feststellung, welchem Staat ein
Asylbewerber angehört oder in welchem Land er als Staatenloser vor der Flucht seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
25
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.83 - 9 C 158.80 -, NVwZ 184, 244 und Urteil vom
24.04.1990 - 9 C 4.897 -, NVwZ 1990, 876, 877; OVG NW, Beschluss vom 09.07.1992 -
16 A 1044/92.A -.
26
Das Asylgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG setzt von seinem Tatbestand her
grundsätzlich einen kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus.
Eine Erstreckung auf Nachfluchttatbestände kann nur insoweit in Frage kommen, als sie
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nach dem Sinn und Zweck der Asylverbürgung, wie sie dem Normierungswillen des
Verfassungsgebers entspricht, gefordert ist. Bei subjektiven Nachfluchttatbeständen, die
der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluss
geschaffen hat (sog. selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände), kann eine
Asylberechtigung in aller Regel nur dann anerkannt werden, wenn sie sich als Ausdruck
einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar
betätigten festen Überzeugung darstel- len.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, NVwZ 1987, 311, 313.
28
Dem Asylsuchenden muss bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines
Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, so dass ihm
eine Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht zuzumuten ist. Hat der Asylsuchende bereits
einmal politische Verfolgung erlitten, so kann ihm asyl- rechtlicher Schutz grundsätzlich
nur versagt werden, wenn im Rahmen der zu treffen- den Prognose eine Wiederholung
von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist.
29
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 , a. a. O., 2643a.
30
Der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt indes nicht unbegrenzt. Zwischen
der stattgefundenen Vorverfolgung und der endgültigen Ausreise des Asylbewerbers
muss noch ein gewisser zeitlicher und ursächlicher Zusammenhang bestehen.
31
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 - 9 C 68.90 - und Urteil vom 31.03.1992 - 9 C 34.90
-, NVwZ 1991, 384.
32
Ist dieser Zusammenhang weggefallen, besteht ein Asylanspruch wieder nur, wenn dem
Asylbewerber politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
33
Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit -
des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der
Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung die volle Überzeugung
gewinnen. Es darf jedoch insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im
Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine
unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften
Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen,
der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
34
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, DVBl. 1985, 956.
35
Das Gericht hat in Anwendung dieser Grundsätze nicht die Überzeugung gewinnen
können, dass der Kläger vorverfolgt in die Bundesrepublik eingereist ist und auch nicht,
dass dem Kläger weitere Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohen.
36
Nach den Auskünften und Stellungnahmen, die zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden sind, stellt sich die Lage in Eritrea wie folgt dar:
37
Eritrea hat 1993 die Unabhängigkeit von Äthiopien erlangt und ist ein völkerrechtlich
anerkannter selbständiger Staat. Die einzige zugelassene Partei ist die "People's Front
for Democracy and Justice" (PFDJ), die aus der "Eritrean People's Liberation Front"
38
(EPLF) 1994 hervorgegangen ist. Diese stellt unter ihrem Generalsekretär Issaias
Afewerki eine Alleinregierung unter Ausschluss aller anderen politischen
Organisationen. Die EPLF ihrerseits spaltete sich Anfang der 70er Jahre von der ELF
(Eritrean Liberation Front) ab und schlug diese militärisch in blutigen Kämpfen Mitte der
70er und Anfang der 80er Jahre. Die ELF spielte im weiteren Unabhängigkeitskampf
gegen die äthiopische Regierung keine nennenswerte Rolle mehr, sie zerspaltete sich
in weitere Unterfraktionen (ELF-RC; ELF-CC; ELF-CL; ELF-NC und ELF-UO). Die
Übergangsregierung hat 1991 alle Eritreer im Ausland zur Rückkehr und Mitarbeit beim
Aufbau des Landes aufgefordert, sofern sie auf Gewalt und oppositionelle Aktivitäten
verzichten. Viele (ehemalige) ELF-Mitglieder insbesondere der Gruppen ELF-NC und
ELF-UO sind dem gefolgt, wobei einige mit Regierungsaufgaben (wie Provinz-
Gouverneur, Bürgermeister, leitende Positionen in Ministerien) betraut wurden. Andere
Anhänger der ELF blieben jedoch bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der EPLF
und halten sich weitgehend im Ausland auf. Die im Ausland tätigen ELF- Gruppen
werfen der Regierung unter Hinweis auf das geltende Verbot von Oppositi- onsparteien
vor, eine Parteiendiktatur zu installieren.
Am 23.05.1997 wurde der endgültige Text der Verfassung Eritreas verabschiedet, die
allerdings noch nicht in Kraft getreten ist. Diese beinhaltet Gewaltenteilung, ein System
von "Checks and Balances" zwischen den drei Gewalten, garantiert Unabhängigkeit der
Justiz, gewährleistet Menschen- und Bürgerrechte sowie freie Wahlen und ist
Pluralismus und Säkularismus verpflichtet, ohne jedoch ausdrücklich ein
Mehrparteiensystem vorzusehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Verfassung
überhaupt in Kraft tritt, ist allerdings gering.
39
Die Verfassung garantiert die Presse- und Meinungsfreiheit. Darin enthalten ist darüber
hinaus aber auch das Recht, dass die Regierung ausländische Presseerzeugnisse
verbieten kann. Sie hat dies bisher nicht getan. Ein im Jahre 1996 erlassener Artikel des
Pressegesetzes verbietet die lokale Reproduktion ausländischer Artikel in eritreischen
Zeitungen. 1999 erlaubte die Regierung über sein Telekommunikationssystern den
Zugang zum Internet. Die Regierung kontrolliert die öffentlichen Medien in großem
Ausmaß. Das Pressege- setz erlaubt weder Privatbesitz von Radio und TV-Stationen,
noch ausländische Beteiligungen an diesen. Es gibt deshalb nur die staatliche
Nachrichtenagentur, nämlich Erina (Eritrean News Agency), das staatliche Radio Voice
of the Broad Masses of Eritrea und das regierungseigene TV ERI (Eritrea Television).
Radio und Fernsehen sind in Asmara stationiert. Im Gegensatz zum Fernsehen, das nur
auf tigrynisch, arabisch und tigre sendet, deckt das Radio mit tigrynisch, arabisch, tigre,
kunama, saho, afar, amharic und oromifa alle Landessprachen ab. Zusätzlich zu Radio
und Fernsehen besitzt die Regierung mehrere staatseigene Zeitungen und eine der
beiden Druckereien in Eritrea. Bei den Zeitungen handelt sich um die beiden in Asmara
ein bis dreimal wöchentlich erscheinenden Zeitungen Hadas Eritrea und Eritrea Profile
sowie um die beiden Wochenzeitschriften für Jugendliche, Tirigta und Geled.
40
Eine freie Presse existiert nicht, allerdings gab es bis September 2001 private
Zeitungen. Die Behörden schüchtern Journalisten ein, indem sie diese der
Verleumdung bezichtigen. Ende 2000 waren sechs Anklagen wegen Verleumdung der
Regierung anhängig. Ein Fall betraf den Herausgeber der privaten Zeitung Kaste
Debana. Dieser wurde bisher in sieben Fällen der Verleumdung angeklagt. Die
Anklagen sind weiterhin anhängig, bis der Herausgeber von einer Verurteilung zu
Zwangsarbeit wegen fehlender Ausweispapiere zurück ist. Im Jahre 1999 verhafteten
die Behörden kurzfristig einen Zeitungsherausgeber, der sich geweigert hatte, die
41
Adresse eines Lesebriefschreibers herauszugeben, der die Wirtschaftsbeziehungen der
eritreischen Regierung mit den Saudis kritisierte. Ende 1999 wurde der Herausgeber
erneut während einiger Tage festgehalten, um in der gleichen Sache vernommen zu
werden. Die Behörden brachten dabei zusätzliche Anklagen vor, von denen einige
später wieder zurückzogen. Schließlich wurde der Herausgeber in das Militär
einberufen, was zur Folge hatte, dass die anhängigen Gerichtsfälle bis auf weiteres
vertagt wurden. Im August 2000 verhafteten die Behörden ohne Angabe des
Verhaftungsgrundes den Herausgeber der privaten Zeitung Zemen. Sie hielten ihn
einen Tag lang mit der Begründung fest, dass seine Ausweispapier nicht mehr gültig
seien. Am 14. Oktober 2000 verhafteten Sicherheitskräfte des
Verteidigungsministeriums acht unabhängige Journalisten mit der Begründung, sie
müssten deren Identität feststellen. Sechs von ihnen wurden am 18. Oktober wieder
freigelassen. Verschiedene Beobachter gingen jedoch davon aus, dass der wahre
Grund ihrer Verhaftung im Aufruf ihrer Zeitungen an den Beratungen der
Nationalversammlung teilzunehmen, bestand. Während sechs Journalisten wieder
entlassen wurden, wurden die anderen zwei ins Militär eingezogen. Verschiedene
Journalisten beklagten, unfairerweise zur Rekrutierung ausgewählt worden zu sein. Sie
beschwerten sich über routinemäßige Belästigungen durch Unbekannte, von denen sie
glaubten, dass sie für die Regierung arbeiteten. Die gleichen Journalisten erklärten
auch, dass sie bedrohliche Telephonanrufe erhalten hätten und von Unbekannten in
ihren Büros bedroht worden waren.
Schweizer Flüchtlingshilfe, Lagebericht vom 01.12.2001
42
Ein im Mai 2001 veröffentlichter Brief von 15 ranghohen Mitgliedern der PFDJ an den
Präsidenten, der einen Ruf nach demokratischen Reformen enthielt, führte zunächst zu
Amtsenthebungen der Unterzeichner und dann im September 2001 zur Verhaftung
derjenigen, die nicht bereits das Land verlassen haben. Die unabhängigen Medien
wurden zeitgleich "suspendiert",
43
Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15.10.2002.
44
Die für Ende des Jahres 2001 in Aussicht gestellten freien Wahlen fanden nicht statt.
Die Regierung Afewerki hat sich anstelle der erhofften Öffnung weiter in die Richtung
einer autoritären Einparteiendiktatur entwickelt. Die Verhärtung zeigt sich auch im
Umgang der Regierung mit Studenten, die sich dem gesetzlich vorgesehenen
Arbeitsdienst in den Semesterferien entziehen wollten. Sie wurden in großer Zahl in
Fußballstadien zusammengetrieben und in Arbeitslager verbracht.
45
Schweizer Flüchtlingshilfe, Lagebericht vom 01.12.2001; Auswärtiges Amt, Lagebericht
vom 15.10.2002
46
Die Justiz ist zwar formell unabhängig, es werden aber Fälle von Einflussnahme
berichtet. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes wurde ohne Angaben von Gründen
seines Amtes enthoben, nachdem er sich regierungskritisch geäußert hatte.
47
Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15.10.2002
48
In Eritrea nehmen die Sicherheitskräfte regelmäßig willkürliche Verhaftungen vor und
halten die verhafteten Personen während längerer Zeit und ohne Angabe des
Haftgrundes in Gefangenschaft. Obwohl gemäß Strafgesetzbuch ein Gefangener
49
höchstens während 30 Tagen ohne Anklage festgehalten werden darf, halten die
Autoritäten die Untersuchungshäftlinge während einer viel längeren Zeit fest. Von
willkürlichen Verhaftungen besonders betroffen, waren in den letzten Jahren Mitglieder
der bewaffneten und der unbewaffneten politischen Opposition sowie ehemalige
Mitglieder der Regierung Mengistu. Eine nicht genau bekannte Anzahl von Personen,
die der Unterstützung Mengistu's bezichtigt wurde, befindet sich seit 1995 ohne Anklage
im Gefängnis.
Schweizer Flüchtlingshilfe, Lagebericht vom 01.12.2001
50
ai berichtet von Berichten über extralegalen Tötungen Oppositioneller unter ungeklärten
Umständen, darunter auch von mutmaßlichen oder tatsächlichen ELF- Anhängern.
Nach den ai vorliegenden Berichten sollen in den Jahren 1999 und 2000 zahlreiche der
Opposition Verdächtige verhaftet worden sein. ai habe diese Berichte aber nicht
überprüfen können. Es sei fast unmöglich ihren Verbleib festzustellen, da politische
Gefangene in Eritrea kein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren erhielten, sondern ohne
Anklageerhebung in Haft gehalten würden.
51
ai Auskunft an OVG Magdeburg vom 11.12.2000, ai Auskunft vom 18.07.2001 an VG
Regensburg
52
Gegenwärtig gilt bezüglich ELF-Mitglieder Folgendes: Mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit gefährdet erscheinen hohe ELF-Funktionäre und ehemalige
Mitarbeiter des ELF-Sicherheitsdienstes, weil die eritreische Regierung diesen
Personenkreis für viele Verbrechen im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen
ELF und EPLF verantwortlich macht. Nach Angaben vom Amnesty International
befinden sich noch mehrere hochrangige ELF-Kader in eritreischen Gefängnissen. Die
ELF-RC stand nach eigenen Angaben während des eritreisch-äthiopischen
Grenzkrieges in Addis Abeba in Kontakt mit der äthiopischen Staatssicherheit. Sie
betrieb dort ein Büro. Ihre Mitglieder wurden seit dem Sommer 1998 von äthiopischer
Seite nicht mehr verfolgt und konnten aus Deportationen nach Eritrea herausgeholt
werden.
53
Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15.10.2002, SFH, Position bezüglich Eritrea vom
02.07.2002; Auskunft des Bundesnachrichtendienstes an VG München bezüglich eines
der Exekutivkomiteemitglieder der ELF vom 11.10.2000; ai Auskunft an OVG
Magdeburg vom 11.12.2000
54
Einfache ELF-Mitglieder müssen bei einer Rückkehr nach Eritrea nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgungsmaßnahmen der Regierung befürchten, wenn
sie sich dort jeglicher oppositioneller Aktivitäten enthalten. Seit September 2001 hat die
eritreische Regierung verstärkt begonnen, Inhaber abweichender Meinungen zu
inhaftieren. Abgesehen von Einzelfällen sind die Gründe für die Inhaftierungen unklar.
Aus diesem Grund kann derzeit nach Auffassung des Auswärtigen Amtes nicht mehr mit
letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass auch einfache Mitglieder der ELF-RC,
deren Mitgliedschaft bekannt geworden ist, bei der Einreise nach Eritrea mit
Repressalien rechnen müssen.
55
Auswärtiges Amt, Auskunft vom 28.05.2002 an VG Würzburg
56
Repressionen allein aufgrund exilpolitischer Betätigung für die ELF beziehungsweise
57
ihrer Unterstützerorganisationen sind nicht auszuschließen, wenn die eritreische
Regierung zur Einschätzung gelingen kann, dass die Betätigung Ausdruck einer echten
oppositionellen Gesinnung ist, beispielsweise wenn er oder sie an besonders
prominenter Stelle wirkt, oder zur organisatorischen Führungsgruppe der
Exilorganisation gehört. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass der
Gefährungsgrad bei einer Rückkehr nach Eritrea aufgrund exilpolitischer Betätigung bei
ELF-nahen Organisationen steigt, je intensiver, langanhaltender und bedeutsamer die
Betätigung für die Organisation ist.
so auch OVG Magdeburg Urteil vom 19.04.2002 -A 2 S 203/98- teilrechtskräftig-; VGH
Kassel Urteil vom 26.04.2002 -9 UE 915/98.A- rechtskräftig
58
Über die Aktivitäten der eritreischen Exilorganisationen und der einzelnen Eritreer in
Deutschland dürfte die Regierung in Asmara gut informiert sein.
59
vgl. dazu auch Günther Schröder, Gutachten für VG Köln zu diesem Verfahren vom
15.11.2002; ai Auskunft vom 08.10.2002 an VG Würzburg
60
Hingegen reicht eine bloße unterstützende, passive Tätigkeit, die sich in dem Besuch
der Mitgliederversammlungen und einfachen Hilfstätigkeiten bei Veranstaltungen der
ELF bzw. ihrer Unterstützerorganisationen erschöpft, regelmäßig nicht aus, um eine
beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Zwar ist nicht
auszuschließen, dass auch schon diese Betätigung der eritreischen Regierung bzw.
ihren Geheimdienst- und Sicherheitsinstitutionen auffällt. Jedoch werden allein daraus
nicht sofort asylrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen resultieren, denn auch der
eritreischen Regierung ist bekannt, dass ein Aufenthaltrecht im westlichen Ausland
häufig nur über die Asylbeantragung und dementsprechender politischer Betätigung zu
erreichen ist. Ferner hat die Regierung durchaus auch ein gewisses Interesse an
Auslandsaufenthalten ihrer Staatsangehörigen, da diese Devisen nach Eritrea bringen.
Ein bloßer "Mitläufer" kann also durch Wohlverhalten vor oder nach der Rückkehr, etwa
durch Bezahlen der 2% Auslandssteuer, die Eritrea von ihren im Ausland aufhältigen
Staatsangehörigen erhebt, eine gewisse bestehende Verfolgungsgefahr mindern.
61
AA, Auskunft vom 28.05.2002 an VG Würzburg; ai Auskunft an VG Würzburg vom
08.10.2002
62
Rückkehrern nach Eritrea drohen allerdings allein wegen ihrer Asylantragstellung im
Ausland keine politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen der Regierung.
63
Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15.10.2002
64
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ist die Kammer nicht zur Überzeugung gelangt,
dass dem Kläger mit beachtlicher Sicherheit in Eritrea politische Verfolgung droht.
Zunächst ist das Gericht nach dem bisherigen Vortrag nicht überzeugt, dass er
vorverfolgt bzw. unmittelbar vor drohender Verfolgung geflohen ist. Die Kammer hat
durch Beschluss vom 21.06.1999 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen
mangelnder Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt. Dem Sachvortrag lag zu diesem
Zeitpunkt im wesentlichen der Vortrag vor dem Bundesamt zugrunde. Die Kammer
würdigte das Vorbringen des Klägers als widersprüchlich und kaum glaubhaft. Diesem
ist bezüglich der Gründe, die der Kläger vor dem Bundesamt vorgebracht hat, nichts
weiterhinzuzufügen, vor allem, weil der Kläger seitdem auf seine angebliche
65
Vorverfolgung als Verräter und Überläufer und den Mord an 5 anderen Überläufern auch
nicht mehr zurückkam. In den mündlichen Verhandlungen hat der Kläger dazu nicht
mehr vorgetragen.
Der Kläger beruft sich nunmehr vielmehr hauptsächlich auf seine exilpolitischen
Aktivitäten, die er als Fortsetzung seiner Betätigung in Eritrea für die ELF seit 1996
ansieht. Zwar hat der Kläger durch Bescheinigungen der Zugehörigkeit zur EDJU seit
dem 15.03.2000 und zur Exil-ELF seit Mai 2002 eine gewisse Betätigung
nachgewiesen. Nach eigenen Aussagen, unterlegt durch Photografien seit 1999, nimmt
der Kläger regelmäßig bei dem Festival der ELF in Kassel teil, und hilft dort praktisch
bei der Organisation des Festes (Stühle aufstellen, Getränkeausgabe, sowie
Beobachtung der Teilnehmer). Ferner nimmt er regelmäßig an den
Mitgliedsveranstaltungen der EDJU teil. Weitere, insbesondere leitenden oder
irgendeiner Hinsicht verantwortliche Aufgaben nimmt der Kläger nicht wahr.
Zusammenfassen lässt sich die Tätigkeit des Klägers als einfache Mitgliedschaft in ELF
nahen Exilorganisationen , bzw. einfaches Mitglied der Exil-ELF beschreiben. Hinzu
kommt, dass der Kläger bei der mündlichen Verhandlung seine Tätigkeit nur sehr vage
beschreiben konnte, die Ziele der ELF und die Strukturen schienen dem Kläger fast
unvertraut. Sein Vortrag erscheint der Einzelrichterin auch insofern zweifelhaft, als er
schon seit 1998 Mitglied der ELF und der EDJU gewesen sein will. Dagegen spricht,
dass der Kläger erst viel später (4/2000 und 10/2002) überhaupt dem Gericht Kopien
bzw. Originale seiner Mitgliedsbescheinigungen überreicht hat. Im übrigen erscheint
sein Vortrag, Mitglied der EDJU und der ELF könne man gleichzeitig werden, nicht im
Einklang mit den Erfahrungen aus anderen Asylverfahren und den Auskunftsanfragen
anderer Gerichte. Auffällig ist auch, dass der Kläger keine textliche Bescheinigung der
ELF über seine angeblich schon seit 1996 bestehende Mitgliedschaft beigebracht hat,
wie es die ELF bei "altgedienten" Mitgliedern und Kämpfern zu tun pflegt, wie der
Einzelrichterin aus anderen Verfahren bekannt ist.
66
Auf das Vorstehende kommt es indes nicht an, denn als einfaches Mitglied ELF- naher
Organisationen hat der Kläger im vorliegenden Fall nicht eine solche Stellung erreicht,
dass er bei einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von
politischen Verfolgungsmaßnahmen bedroht erscheint. Auf die Einzelrichterin macht der
Kläger aufgrund seiner geringen Kenntnisse der Organisation und der Ziele lediglich
den Eindruck eines "Mitläufers" bzw. eines passiven Parteimitgliedes, der regelmäßig
an Veranstaltungen teilnimmt und organisatorisch praktisch mithilft und seine Beiträge
bezahlt. Weiteres Engagement lässt der Kläger nicht erkennen.
67
Somit liegen auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vor.
68
Auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG liegen nicht vor, insbesondere ist kein
Fall des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG gegeben. Nach der genannten Bestimmung kann von
der Abschiebung abgesehen werden, wenn für den Ausländer im Abschiebungsstaat
eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
69
Eine entsprechende individuelle Gefährdung des Klägers ist nicht ersichtlich.
70
Es liegt aber auch in Bezug auf die Bevölkerung in Eritrea keine derartige, nach §§ 53
Abs. 6 S. 2, 54 AuslG zu berücksichtigende Gefahrenlage vor, welche bei besonderer
Intensität (extreme Gefahr einer schweren Rechtsgutsverletzung) im Rahmen einer
verfassungskonformen Auslegung zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses
71
nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG führen könnte,
vgl. dazu BVerwG, U. v. 29.03.1996 - 9 C 116.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990
Nr. 3; U. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 1.
72
Der Großteil der Bevölkerung lebt unter sehr einfachen und ärmlichen Bedingungen. In
der Vergangenheit konnten Hungerkatastrophen aufgrund von Nahrungsmittelhilfen und
staatlichem Ankauf von Getreide etc. verhindert werden. Hilfsorganisationen schätzen,
dass mehr als 60 % der eritreischen Bevölkerung von Lebensmittelhilfe abhängig sind.
Durch die weitverzweigten Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen wird eine
gewisse soziale Sicherheit gewährleistet. Mit einem gewissen Grundkapital erscheint
sogar der Aufbau einer eigenen Existenz möglich.
73
Der erwachsene Kläger, der wohl noch über Verwandte und Ehefrau und Kinder in
Eritrea verfügt, muss vor dem Hintergrund der Zielrichtung des § 53 Abs. 6 AuslG
notfalls auch eine Lebensführung ohne regelmäßige Einkünfte zugemutet werden, die
andere seiner Landsleute, die das Land nicht verlassen konnten oder wollten, ebenfalls
ertragen müssen.
74
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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