Urteil des VG Köln vom 03.03.2005
VG Köln: amnesty international, allein erziehende mutter, alleinerziehende mutter, alleinstehende mutter, schwere körperverletzung, familie, beschneidung, auskunft, eingriff, elfenbeinküste
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Köln, 16 K 586/01.A
03.03.2005
Verwaltungsgericht Köln
16. Kammer
Urteil
16 K 586/01.A
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren
eingestellt.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes vom 09.01.2001 verpflichtet festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu
2/3.
Tatbestand Die am 21.06.2000 in der Bundesrepublik Deutschland geborene Klägerin ist
nach Angaben ihrer Mutter ivorische Staatsangehörige.
Am 26.09.2000 beantragte die Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin, die zugleich zu
deren Vormund bestellt ist, bei dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge - Bundesamt -, die Klägerin als Asylberechtigte anzuer- kennen. Zur
Begründung trug die Verfahrensbevollmächtigte vor, die Mutter der Klä- gerin, Frau G. E. ,
sei im Juni 2000 in hochschwangerem Zustand als unbeglei- teter minderjähriger Flüchtling
in die Bundesrepublik eingereist. Am 21.06.2000 habe diese die Klägerin zur Welt
gebracht, der bei einer Rückkehr in das Heimatland die Zwangsbeschneidung drohe.
Dieser Eingriff bedeute eine schwere Körperverletzung, der eine erhebliche Todesgefahr
innewohne. Die ledige Mutter der Klägerin stamme aus T. und gehöre der Volksgruppe der
Djoula an. In der Familie der Klägerin sei es Tradition, die Mädchen ab einem Alter von
zwei Jahren der "Genitalverstümme- lung" zu unterziehen. Die Mutter der Klägerin
unterstehe im Falle der Rückkehr in das Heimatland dem absoluten Bestimmungsrecht
ihres Vaters und habe als ledige Mutter keinerlei Mitspracherecht hinsichtlich des
Schicksals ihres Kindes. Alle weibli- chen Geschwister und sonstigen leiblichen
Verwandten seien beschnitten. Die Fami- lie lebe von der Landwirtschaft und sei sehr auf
die Einhaltung der Traditionen be- dacht.
Die Mutter der Klägerin sei bis zu ihrem 15. Lebensjahr von ihrer Mutter, der jüngsten und
letzten Ehefrau ihres Vaters vor dem Beschneidungsritual bewahrt wor- den. Grund hierfür
sei, dass die Familie der Mutter gegen dieses Ritual eingestellt sei. Die Familie sei sich
jedoch einig gewesen, dass auch die Mutter der Klägerin vor ihrer Ehe hätte beschnitten
werden sollen. Dazu sei es jedoch nicht gekommen, da sie von einem Togoer
geschwängert worden und vor ihrer Familie nach Togo geflo- hen sei. Der Vater der
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Klägerin sei jedoch noch vor der Entbindung geflohen und ha- be die Mutter der Klägerin
zurück gelassen. Im Falle der Rückkehr in das Heimatland bleibe der Mutter keine andere
Wahl als die Rückkehr zu ihrer Familie, da sie als le- dige Mutter das letzte Glied in der
Gesellschaft darstelle und allein keine andere Wahl habe, als den Lebensunterhalt mit
Prostitution zu bestreiten.
Mit Bescheid vom 09.01.2001 lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab und stellte fest,
dass die Voraussetzungen des seinerzeitigen § 51 Abs. 1 AuslG sowie
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde die Kläge- rin
aufgefordert, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und ihr die
Abschiebung nach Cote d'Ivoire angedroht.
Am 19.01.2001 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung verweist die
Prozessbevollmächtigte auf ihre Ausführungen im Ver- waltungsverfahren.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Klage zurückgenommen, soweit sie
die Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a GG betrifft.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesam- tes vom
09.01.2001 zu verpflichten,
a) festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,
b) festzustellen, dass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
vorliegen.
c)
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Begründung des angefochtenen Be- scheides.
Der Bundesbeauftragte stellt keinen Antrag.
Die Mutter der minderjährigen Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung eingehend zu
ihren Fluchtgründen angehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des vorgelegten Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, ist das
Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -
einzustellen.
Im Übrigen ist die zulässige Verpflichtungsklage begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 09.01.2001 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte das
Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG (ehemals § 51 Abs. 1
AuslG) verneint hat. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung dieser
Voraussetzungen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); danach konnte auch der den
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Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG (ehemals 53 AuslG) versagende Teil der
angefochtenen Entscheidung der Beklagten keinen Bestand ha- ben.
Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in
dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit,
seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen
Überzeugung bedroht ist (Satz 1). Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer
sozialen Gruppe kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch vorliegen, wenn die
Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das
Geschlecht anknüpft (Satz 3). Die Verfolgung kann ausgehen von a) dem Staat, b) Parteien
oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen
oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter lit. a) und b) genannten Akteure
einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder
nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in
dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es
besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative (Satz 4). Die An- forderungen an die
notwendige Verfolgungsprognose sind insoweit deckungsgleich mit Art. 16 a GG. Hiernach
ist darauf abzustellen, ob jemand "in absehbarer Zeit" mit gegen ihn gerichteten
Maßnahmen ernsthaft rechnen muss.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 31.03.1981, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 27, und vom
27.04.1982, BVerwGE 65, 250.
Die Klägerin hat im Falle einer Rückkehr in die Elfenbeinküste geschlechtsspezifische
Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AufenthG zu gewärtigen. Sie hat
ernsthaft damit zu rechnen, in absehbarer Zeit einer Zwangsbeschneidung, die treffender
als Genitalverstümmelung zu bezeichnen ist, unterzogen zu werden. Grundsätzlich werden
in Cote d'Ivoire ca. 60% aller Frauen Opfer einer Genitalverstümmelung.
Vgl. amnesty international, Auskünfte vom 03.06.1997 - AFR 31- 97.024 - an das VG
Oldenburg und vom 15.02.2001 - AFR 31-00.129 - an das VG Hamburg.
Bei dem Stamm der Djoula wird nach einem Bericht des US-Außenministeriums vom
15.02.1997, ebenso wie bei anderen moslemischen Mande-Stämmen, grundsätzlich
genitale Verstümmelung praktiziert.
Vgl. VG Wiesbaden, Urteil vom 27.01.2000 - 5 E 31472/98.A -.
Die Kammer hat keine Zweifel, dass die Klägerin, deren Mutter sich in der mündlichen
Verhandlung in einem (Unter-)Dialekt der Sprache Djoula geäußert hat, aufgrund ihrer
Abstammung ebenfalls diesem Stamm angehört und demzufolge zwangsläufig in
absehbarer Zeit mit der Genitalverstümmelung zu rechnen hat, die nach den glaubhaften
und mit der Auskunftslage übereinstimmenden,
vgl. amnesty international, Auskunft vom 15.02.2001 - AFR 31- 00.129 - an das VG
Hamburg,
Angaben der Mutter in ihrer Heimat regelmäßig an kleinen Mädchen vorgenommen wird.
Der Beschneidungsgefahr steht nicht entgegen, dass die Mutter der Klägerin selbst der
Beschneidung entgehen konnte. Diesen Umstand hat sie nachvollziehbar damit erklärt,
dass sie regelmäßig von ihrer Mutter vor der Beschneidung versteckt wurde, jedoch
feststand, dass sie vor ihrer Hochzeit beschnitten werden sollte. Dem ist die Mutter der
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Klägerin nur entgangen, weil sie nach ihrer unehelichen Schwangerschaft von der Familie
"weggelaufen" und mit dem unbekannten Vater der Klägerin nach Togo gegangen ist. Die
Mutter hat ferner glaubhaft und überzeugend bekundet, dass sie - anders als in ihrem Falle
geschehen - die Klägerin nicht im Zusammenwirken mit ihren Eltern vor der baldigen
Beschneidung wird bewahren können, weil sie selbst als "Geflohene" keine Möglichkeit
hat, sich oder ihr Kind Verwandten anzuvertrauen und ihre Mutter - die Großmutter der
Klägerin - inzwischen "alt ist" und die Klägerin auch "nicht mehr beschützen" können wird.
Die Genitalverstümmelung betrifft die Klägerin in einem verfolgungserheblichen Merkmal,
nämlich dem für sie unverfügbaren Merkmal des weiblichen Geschlechts im Sinne des § 60
Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Anknüpfungspunkt der Verfolgungshandlung ist das mit der
Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht verbundene Vorhandensein - bislang
unversehrter - weiblicher Geschlechtsorgane.
Der Einstufung der Genitalverstümmelung als Verfolgungsmaßnahme im Sinne von § 60
Abs. 1 AufenthG kann nicht entgegen gehalten werden, sie diene nicht dazu, die
Betroffenen aus der staatlichen Friedensordnung auszugrenzen, sondern verfolge gerade
das Ziel, die betroffenen Mädchen und Frauen in die Gesellschaft zu integrieren.
Insoweit spricht bereits sehr viel dafür, dass es im Rahmen der Prüfung der
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG gar nicht auf die Frage ankommt, ob sich eine
Maßnahme aus der Täterperspektive als Ausgrenzung darstellt oder aus dieser Sicht von
redlichen Motiven geleitet ist. § 60 Abs. 1 AufenthG zeigt sich als eine Umsetzung der
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie -.
Vgl. Duchrow, ZAR 2004, S. 339 ff..
Insbesondere führt die Vorschrift nunmehr eine Anpassung des deutschen Rechts an die
internationale Staatenpraxis bei der Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge vom 28.07.1951 herbei.
Vgl. Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz, BTDrs. 15/420, S. 91.
Bei einer an völkerrechtlichen Interpretationskriterien ausgerichteten Auslegung des
Flüchtlingsbegriffs ist aber nicht der Urheber der Verfolgung entscheidend, sondern allein
die Möglichkeit, staatlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können. Diese dem
Flüchtlingsvölkerrecht eigene Orientierung nicht an der Perspektive des Täters, sondern
vielmehr an den Gesichtspunkten des Opferschutzes hat insbesondere in dem Wortlaut des
hier maßgeblichen § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ihren Ausdruck gefunden.
Vgl. UNHCR-Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein
Zuwanderungsgesetz, BR-Drs. 22/03.
Die Klarstellung, dass eine Verfolgung bereits dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung
des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht
anknüpft, spricht gegen die Anknüpfung an weitere, täterbezogene Voraussetzungen.
Im Ergebnis kommt es auf diese rechtsdogmatische Frage indes nicht entscheidend an, da
die Genitalverstümmelung die betroffene Frau tatsächlich aus der staatlichen
Friedensordnung ausgrenzt. Das ausgrenzende Moment liegt darin, dass Frauen nicht nur
zur Hinnahme der Verstümmelung gezwungen werden, um soziale Akzeptanz zu erfahren,
sondern die Genitalverstümmelung zugleich dazu dient, ihre sozial untergeordnete Rolle zu
festigen.
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Vgl. VG Gelsenkirchen, - Urteil vom 21.07.2004 - 10a K 5337/01.A - ; im Ergebnis ebenso
VG Oldenburg, Urteil vom 07.05.2004 - 7 A 92/03 -.
Die Genitalverstümmelung erfolgt vorrangig, um den die Rolle der Frau betreffenden
Gesellschaftsvorstellungen Genüge zu tun und reduziert Frauen zu einem bloßen Objekt
der Verheiratung und Gebärfähigkeit. Die Beschneidung beruht auf der Vorstellung, dass
Frauen diesen Eingriff über sich ergehen lassen müssen, um überhaupt als heiratsfähig
angesehen zu werden. Sie stellt einen symbolischen Akt dar, der ihre Sexualität reduzieren
und ihre Gebärfähigkeit hervorheben soll,
vgl. amnesty international, Auskunft vom 03.06.1997 - AFR 31- 97.024 - an das VG
Oldenburg,
und der ohne Rücksicht auf die Gefahr von Verletzungs- und Todesfolgen von den Frauen
verlangt wird. Dabei bedarf es keiner Klärung der - angesichts des Alters der Klägerin im
vorliegenden Fall ohnehin nicht zuverlässig zu beantwortenden - Frage, ob die betroffene
Frau die Beschneidung als Tradition akzeptiert oder ob sie grundsätzlich bereit ist, sich
dem Eingriff zu unterziehen.
So aber VG Aachen, Urteile vom 12.08.2003 - 2 K 1140/03 und 2 K 1924/00 -.
Dass ein Teil der Frauen - schon aufgrund der mit einer Weigerung verbundenen
gravierenden sozialen Folgen, die im Ergebnis zu einem Entzug der Lebensgrundlage
führen können - bereit sind, sich dem Eingriff zu unterziehen, ändert nichts an der
grundsätzlichen feindlichen Gerichtetheit des mit massiven gesundheitlichen Folgen
verbundenen Übergriffs.
Vgl. VG Gelsenkirchen, a.a.O..
Dass der Eingriff unzweifelhaft die verfolgungserhebliche Intensitätsschwelle überschreitet,
bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Die der Klägerin drohende Genitalverstümmelung stellt auch nach Maßgabe von § 60 Abs.
1 Satz 4 lit. c) AufenthG eine relevante nichtstaatliche Verfolgung dar, da der Staat,
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets
beherrschen, nicht in der Lage sind, der Klägerin Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Zwar
besteht in Cote d'Ivoire seit dem Jahr 1998 ein gesetzliches Verbot der
Genitalverstümmelung, wonach die Beschneidung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
oder mit hohen Geldstrafen geahndet werden kann. Für praktische Ärzte, die
Beschneidungen durchführen, kann das Strafmaß verdoppelt werden.
Vgl. amnesty international, Auskünfte vom 15.02.2001, a.a.O. und vom 30.10.2003 - AFR
31-03.061 -, jeweils an das VG Hamburg.
Der angegebene Heimatort der Mutter der Klägerin befindet sich allerdings seit der
Friedensvereinbarung von Marcoussis in der Einflusszone der Rebellengruppe Mouvement
pour la justice et la paix - MJP -.
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22.04.2003 - 508- 516.80/41131 - an das VG
Oldenburg.
Es liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, dass es im Zuge der Unruhen vom November 2004 zu
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Verschiebungen des Frontverlaufes gekommen wäre, die die Machtverhältnisse in T.
geändert hätten. Die kriegerischen Handlungen zu diesem Zeitpunkt bestanden in erster
Linie darin, dass die ivorische Luftwaffe einen französischen Stützpunkt in Bouake angriff
sowie bei einem Angriff auf Rebellen im Norden den Waffenstillstand brach. Daraufhin
zerstörten die Franzosen die Luftwaffe (2 Kampfflugzeuge) der Regierungstruppen. Damit
ist die Regierung ihrer schlagkräftigsten Waffe beraubt. In der Folgezeit richteten sich die
Unruhen vorrangig gegen Franzosen und andere Ausländer.
Vgl. "Verordneter Irrsinn", Der Spiegel, Heft 47/2004, S. 136; "Wiederaufflammen des
Bürgerkrieges in Cote d'Ivoire", Neue Zürcher Zeitung vom 05.11.2004; "Cote d'Ivoire - ein
in zwei Hälften zerfallenes Land", Neue Zürcher Zeitung vom 08.11.2004; Reuters,
Meldung vom 28.11.2004; "Übergangsregierung gescheitert", Der Standard vom
26.11.2004; Deutsche Botschaft Abidjan, www.abidjan.diplo.de, Stand 09.12.2004; Institut
für Afrika-Kunde, November 2004, "Côte d`Ivoire : Chirac allein zu Haus ?"; amnesty
international, ai-Journal Dezember 2004/Januar 2005.
In dieser Rebelleneinflusszone ist der ivorische Staat mangels eigener Herrschaftsmacht
nicht in der Lage, das gesetzliche Verbot der Genitalverstümmelung durchzusetzen.
Gleiches gilt für die dort herrschende Rebellengruppe, wobei offen bleiben kann, ob diese
überhaupt gewillt ist, die gesetzliche Regelung anzuwenden. Nach der im April 2003
aktuellen Auskunftslage bestanden nämlich in den Einflussbereichen der drei
Rebellengruppen keine verfestigten Herrschaftsstrukturen und mithin auch keine
funktionierenden Verwaltungsapparate.
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22.04.2003, a.a.O.; amnesty international, Auskunft
vom 03.04.2003 - AFR 31-03.015 - an das VG Oldenburg.
Diese Auskunftslage entspricht dem im Entscheidungszeitpunkt gültigen Kenntnisstand. Es
sind, insbesondere angesichts der immer wieder aufflackernden militärischen
Auseinandersetzungen mit den Regierungstruppen, keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich,
dass in dieser Einflusszone eine Stabilisierung der Herrschaftsstrukturen eingetreten ist.
Amnesty international beispielsweise hat die von den Rebellen beherrschten Gebiete seit
Dezember 2002, als dort weder Schulen noch Banken betrieben wurden, nicht mehr
besuchen können.
Vgl. "Gespräch mit ai-Researcher Salvatore Sagues", ai-Journal 12/2004-1/2005, S.29,
Für die Klägerin besteht auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative. Sie hat
nicht die Möglichkeit, sich durch Umsiedelung in den von den Regierungstruppen
beherrschten südlichen Landesteil der Genitalverstümmelung zu entziehen. Es kann
insoweit dahin stehen, ob in der gegenwärtigen, instabilen Situation davon ausgegangen
werden kann, dass das gesetzliche Verbot der Genitalverstümmelung zumindest in der
Einflusszone der Regierungstruppen noch mit hinreichendem Nachdruck durchgesetzt
wird. Denn in diesem Landesteil könnte das Überleben der Klägerin nicht mit hinreichender
Sicherheit gesichert werden. Diese verfügt hier nämlich über keine familiären Bindungen,
da die Familie sich in T. in der Rebellenzone aufhält. Angesichts dessen wäre die Klägerin
darauf angewiesen, dass ihre unverheiratete und allein erziehende Mutter hier den
Lebensunterhalt für sich und die Klägerin zu sichern vermag. Dies ist jedoch nicht mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit möglich. Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass
eine alleinstehende Mutter in der Elfenbeinküste in die Prostitution getrieben wird, da sie
ihren Lebensunterhalt auf andere Weise nicht sichern kann. Es gibt keine staatlichen Hilfen
für betroffene Frauen und Mütter, allenfalls im Einzelfall Hilfen durch
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Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 13.10.2003 - 508- 516.80/41869 - an das VG
Hamburg; Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Elfenbeinküste: Rückkehrsituation für
alleinerziehende Mutter", Gutachten der SFH-Länderanalyse vom 23.06.2004.
Da der Klägerin Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren ist, kann auch
der den Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG versagende Teil der angefochtenen
Entscheidung der Beklagten keinen Bestand haben. Die der Klägerin konkret drohende
Genitalverstümmelung beinhaltet zugleich eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben und
begründet mithin ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG. Die konkrete
Leibes- und Gesundheitsgefahr resultiert aus den menschenunwürdigen üblichen
Begleitumständen der Operation, die ohne Betäubung, unter ungenügenden hygienischen
Bedingungen und mit ungeeigneten Operationsinstrumenten durchgeführt wird, sowie aus
den gesundheitlichen Spätfolgen, die bis zum Tod durch Verbluten reichen können.
Vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 07.05.1998 - 6 A 4610/96 -.
§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG steht der Feststellung des Abschiebungshindernisses nicht
entgegen. Zwar ist der Beschneidungsgefahr nicht allein die Klägerin, sondern vielmehr
allgemein jede weibliche Angehörige der Volksgruppe der Djoula in der Elfenbeinküste
ausgesetzt. Grundsätzlich sollen in solchen Fällen Abschiebungen allein durch die
Entscheidungen der obersten Landesbehörden nach § 60a AufenthG ausgesetzt werden,
BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324 ff. (331), zu der
inhaltsgleichen Vorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG a.F..
Eine Ausnahme gilt im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG allerdings dann, wenn
der Ausländer im Falle seiner Rückkehr sehenden Auges dem sicheren Tod oder
schwerster Verletzungen ausgeliefert würde. Erforderlich ist dabei, dass eine besonders
gravierende Gefährdung der betroffenen Rechtsgüter mit einem hohen Grad an
Wahrscheinlichkeit unmittelbar, d.h. ohne wesentliche Zwischenschritte nach der Ankunft,
eintreten wird,
BVerwG, Urteil vom 12.Juli 2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 ff. ( 9 ).
Ein solcher Fall ist hier angesichts der vorstehend dargestellten, regelmäßigen Umstände
des der Klägerin drohenden Eingriffs gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.