Urteil des VG Köln vom 17.12.2003

VG Köln: gefahr, gesundheitsbehörde, behandlung, ausbildung, ermessen, verfassungskonform, obergutachten, prüfungskommission, ermächtigung, heilpraktiker

Verwaltungsgericht Köln, 9 K 2970/00
Datum:
17.12.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 2970/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand Die am 28.07.1954 geborene Klägerin beantragte am 15.05.1998 die
Erteilung der Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung.
Am 18.01.1999 absolvierte die Klägerin eine schriftliche und am 12.05.1999 eine
mündli- che Überprüfung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten. Auf der Grundlage der
mündli- chen Überprüfung kamen die Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht
habe nachweisen können, dass die Ausübung der Heilkunde durch sie keine Gefahr für
die Volksgesundheit darstelle. Mit Bescheid vom 08.06.1999 lehnte die Beklagte den
Antrag der Klägerin unter Berufung auf das Ergebnis der mündlichen Überprüfung ab.
Eine weitergehende Begründung wurde dem Bescheid nicht beigefügt.
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Dagegen erhob die Klägerin am 07.07.1999 Widerspruch. Zur Begründung trug sie vor,
entgegen den ihr für das Nichtbestehen der Prüfung genannten Gründen ihre Antworten
gut strukturiert zu haben. Eine etwaige Kürze sei nicht auf fehlendes Fachwissen
zurückzuführen. Auch die Frage nach „Neuraltherapie" habe sie zufrie- denstellend
beantwortet. Sie könne nicht als Gefahr für die Volksgesundheit einge- stuft werden. Sie
habe keinen gravierenden, für einen Patienten lebensbedrohlichen Fehler begangen.
Demgegenüber habe ein anderer Prüfling bei der gleichen Über- prüfung in Bonn eine
Meningitis nicht erkannt und dennoch bestanden. Die Regeln der Überprüfung seien
undurchschaubar. Auch sei die Dauer zu kurz für eine Über- prüfung, von der der
gesamte weitere Lebensweg der Prüflinge abhänge. Ferner sei ihr ihre Ausbildung und
Erfahrung als Arzthelferin zugute zu halten und nicht zur Grundlage erhöhter
Anforderungen zu machen.
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Die zuständige Amtsärztin bekräftigte in ihrer Stellungnahme das Prüfungser- gebnis
und führte aus, dass der Klägerin keine mangelnde Struktur der Antworten zur Last
gelegt worden sei. Die Frage nach der Neuraltherapie habe anhand der am Prüfungstag
gegeben Antwort bewertet werden müssen, und hier sei eine Testquad- del injiziert
worden, ohne zuvor eine entsprechende Allergie auszuschließen. Dies könne für den
Patienten lebensbedrohlich sein. Die Ausbildung als Arzthelferin sei nicht zur
Grundlage erhöhter Anforderungen gemacht worden. Vielmehr sei die Klä- gerin ebenso
bewertet worden wie alle anderen Bewerber auch.
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Die Bezirksregierung Köln legte den Vorgang dem Gutachterausschuss für Heil-
praktiker des Landes Nordrhein-Westfalen zur Stellungnahme vor. Der Gutachter-
ausschuss kam in seiner Sitzung vom 18.01.2000 einvernehmlich zu dem Ergebnis,
dass nicht verlässlich beurteilt werden könne, ob die Klägerin bei Ausübung der Heil-
kunde ohne Bestallung eine Gefahr für die Volksgesundheit darstellen würde. Die in der
mündlichen Überprüfung gestellten Fragen erfüllten die Anforderungen der
Rechtsprechung. Die Klägerin habe in ihren Antworten differentialdiagnostisches
Wissen und ein verantwortungsbewusstes Vorgehen im Einzelfall gezeigt. Erhebliche
Mängel, aus denen sich eine Gefahr für die Volksgesundheit ergeben könne, seien nicht
ersichtlich.
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Die Bezirksregierung Köln gab dem Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
07.03.2000 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Gutachterausschusses
insoweit statt, dass der Klägerin die Möglichkeit zu einer zeitnahen gebührenfreien
Wiederholung der mündlichen Überprüfung gegeben und im Übrigen der Wider- spruch
zurückgewiesen wurde.
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Am 05.04.2000 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass der
Ablehnungsbescheid ein Begründungsdefizit aufweise. Die Begründung des
Widerspruchsbescheides sei allenfalls geeignet, eine stattgebende Entscheidung zu
stützen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb dem Widerspruch nur teilweise
stattgegeben worden sei. Dies zumal bei Vorliegen eines Verbotes mit
Erlaubnisvorbehalt eine materielle Beweislast der Behörde für das Vor- liegen der
Versagungsgründe bestehe, eine Nichterweislichkeit dieser Frage also zu Lasten der
Beklagten gehe. Im vorliegenden Fall aber habe die Klägerin ausreichen- de
Kenntnisse nachgewiesen. Eine Feststellung lediglich unerheblicher Mängel kön- ne
keine Versagung der Erlaubnis begründen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 08.06.1999 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000 zu verpflichten, die beantragte
Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde ohne Be- stallung zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass der Klägerin die Erlaubnis nicht erteilt werden könne, weil
die erforderliche Überprüfung nicht die notwendige Klarheit gebracht habe und dies eine
weitere Überprüfung erforderlich mache. Es seien durchaus Mängel festgestellt worden.
Soweit ein Begründungsmangel des Ausgangsbescheides vorliege, sei dieser
jedenfalls durch den Widerspruchsbescheid geheilt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des vorgelegten Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe Die Verpflichtungsklage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 08.06.1999 in der Gestalt des
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Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 07.03.2000 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Erteilung der
begehrten Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (§
113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
Die formellen Fehler des Bescheides vom 08.06.1999, dessen Begründung nahezu
völlig fehlt, sowie des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000, dessen Begründung
teilweise nicht schlüssig ist, sind gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - durch den Vortrag der Beklagten im
Klageverfahren geheilt worden.
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In materieller Hinsicht sind die angefochtenen Bescheide ebenfalls nicht zu
beanstanden.
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Gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne
Bestallung (Heilpraktikergesetz - HPG -) bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde
ausüben will, ohne als Arzt bestallt zu sein. Gemäß § 2 Abs. 1 HPG kann derjenige, der
bei Inkrafttreten des HPG Heilkunde nicht ausgeübt hat, die Erlaubnis erhalten. Die
(aufgrund der in § 7 HPG erteilten allgemeinen Ermächtigung) erlassene
Durchführungsverordnung - DVO - konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen die
Erlaubnis erteilt wird. Die Erlaubnis wird gemäß § 2 Abs. 1 lit i) DVO nicht erteilt, wenn
sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch
das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch ihn eine Gefahr für
die Volksgesundheit bedeuten würde.
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Der Erlaubniszwang und die Zulassungsbeschränkungen des § 2 Abs. 1 DVO sind als
subjektive Berufszulassungsschranken zum Schutz der Volksgesundheit als eines
besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes erforderlich und mit Art. 12 Abs. 1 GG
vereinbar. Diese auf das Jahr 1939 zurückgehenden Bestimmungen gelten gemäß Art.
123 Abs. 1 GG und Art. 125 GG i.V.m. Art. 74 Nr. 19 GG als Bundesrecht weiter.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.1988 - 1 BvR 482/84 und 1 BvR 1166/85 -, BVerfGE
78, 179, 192; BVerwG, Urteil vom 10.02.1983 - 3 C 21.82 -, BVerwGE 66, 367, 360f..
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Die Vorschriften sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass jeder
Antragsteller zur Ausübung der Heilkunde zuzulassen ist, wenn er die in § 2 Abs. 1 DVO
genannten und nicht wegen ihres nationalsozialistischen Charakters außer Kraft
getretenen Voraussetzungen erfüllt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.01.1957 - 1 C 194.54 -, BVerwGE 4, 250 ff..
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Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen nicht. Sie hat nicht den erforderlichen
Nachweis geführt, dass sich nach einer gemäß § 2 Abs. 1 lit. i) DVO durch das
Gesundheitsamt vorzunehmenden Überprüfung ergibt, dass die Ausübung der
Heilkunde durch sie keine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. Maßgeblich
für diese Überprüfung sind die von dem Beklagten nach seiner Verwaltungspraxis
angewandten Richtlinien zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes - Richtlinien -
(Runderlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der zur Zeit der
Überprüfung der Klägerin noch geltenden Fassung vom 12.03.1991, MinBl NW S. 721).
Denn § 2 Abs. 1 lit. i) DVO schreibt eine Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten
des Bewerbers vor, ohne das von der Gesundheitsbehörde hierbei einzuhaltende
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Verfahren zu regeln. Die Ausgestaltung des Überprüfungsverfahrens und die
Bestimmung der inhaltlichen Anforderungen sind in das pflichtgemäße Ermessen der
Gesundheitsbehörde gestellt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1983 - 3 C 21.82 -, BVerwGE 66, 367, 372; Beschluss
vom 27.06.1989 - 3 B 18.89 -, Buchholz 418.04 Nr. 15.
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Die Grenzen des Ermessens ergeben sich zum einen aus dem Ziel der Überprüfung,
das in der Feststellung liegt, ob die Ausübung der Heilkunde durch den Bewerber eine
Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. Diese ist dann gegeben, wenn
entweder unmittelbar durch die Behandlung des Heilpraktikers oder infolge eines nicht
rechtzeitigen Erkennens der Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung der Eintritt
ernsthafter Gesundheitsschäden zu befürchten ist. Zum anderen ergeben sich Grenzen
aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Bewerber muss keine allgemeine
medizinische Fachqualifikation nachweisen, sondern nur die zum Schutz der
Volksgesundheit unabweisbaren Mindestanforderungen erfüllen. Kenntnisse und
Fähigkeiten, die seine heilkundliche Tätigkeit nicht berühren, dürfen nicht von ihm
verlangt werden.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.06.1970 - 1 C 53.66 -, BVerwGE 35, 308, 316; Urteil vom
18.12.1972 - 1 C 2.69 -, NJW 1973, 580; VGH München, Urteil vom 24.01.1990 - 7 B
89.1893 -, NJW 1991, 1558 f..
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Unter Berücksichtigung dieser Grenzen und insbesondere der aus den Grundrechten
folgenden Schutzpflicht des Staates, Grundrechtsverletzungen sowohl von staatlicher
Seite als auch durch Einzelne abzuwehren, ist es nicht zu beanstanden, wenn nach Ziff
1.1 der Richtlinien zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes im Lande Nordrhein-
Westfalen von Heilpraktikeranwärtern verlangt wird, sich einer schriftlichen und
mündlichen Überprüfung in den in Ziff. 2.1 und 3.1 der Richtlinien im Einzelnen
aufgeführten Gebieten zu unterziehen.
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Vgl. VGH München, a.a.O., S. 1559; Arndt, Heilpraktikerrecht, S. 84f. u. 88f..
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Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin über die nach Maßgabe des § 2
Abs. 1 lit. i) DVO in der Ausgestaltung der Ziff. 2.1 und 3.1 der Richtlinien erforderlichen
Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Die mündliche Überprüfung vom 12.05.1999 stellt
insoweit keine verwertbare Entscheidungsgrundlage dar. Im Einklang mit der
Stellungnahme des Gutachterausschusses für Heilpraktiker des Landes Nordrhein-
Westfalen vom 18.01.2000 ist davon auszugehen, dass derzeit nicht verlässlich
festgestellt werden kann, ob die Klägerin bei der Ausübung der Heilkunde ohne
Bestallung eine Gefahr für die Volksgesundheit darstellen würde. Der Grund für die
fehlende Möglichkeit einer Feststellung liegt darin, dass die Überprüfung angesichts der
von der Kommission gestellten Fragen und der hierauf zurückzuführenden Antworten
der Klägerin keine hinreichend verlässliche Entscheidungsgrundlage bildet. Hiervon ist
das Gericht aufgrund der Beurteilung durch den Gutachterausschuss sowie des Inhalts
des Tonbandprotokolls der mündlichen Überprüfung der Klägerin überzeugt. Die
Klägerin konnte viele Fragen nur unzureichend bzw. unvollständig beantworten. Da die
Prüfungskommission hier keine weiteren Nachfragen gestellt hat, fehlt es an einer
hinreichenden Basis positiv festgestellter Kenntnisse, die erst den Schluss darauf
zuließe, dass die Klägerin bei der praktischen Ausübung der Heilkunde keine Gefahr für
die Volksgesundheit wäre. Die Stellungnahme des Gutachterausschusses ist insoweit
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nicht widersprüchlich. Die weiteren Ausführungen, dass die Fragen den Anforderungen
der Rechtsprechung genügen, vermögen den Schluss auf das Nichtvorliegen einer
Gefahr für die Volksgesundheit nicht zu tragen. Sie besagen lediglich, dass die Fragen
den Rahmen des zulässigen Stoffes nicht verlassen haben, unrichtige Antworten mithin
nicht unverwertbar sind. Die weiteren Ausführungen, dass bei der Klägerin keine
erheblichen Mängel festgestellt wurden, haben zur Folge, dass ihr die Erlaubnis nicht
völlig zu versagen war.
Stellt sich aber die Unbrauchbarkeit der amtsärztlichen Feststellungen heraus, so muss
die Antragstellerin nochmals sachverständig auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten hin
befragt werden.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.12.1995 - 3 C 24.94 -, DVBl 1996, 811, 813; Urteil der
Kammer vom 11.06.2003 - 9 K 8352/99 -.
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Von der Erforderlichkeit einer neuen Überprüfung ging auch die Bezirksregierung Köln
in ihrer Widerspruchsentscheidung aus. Die Klägerin hat indes die erforderliche
Mitwirkung vermissen lassen und die im Widerspruchsbescheid eingeräumte
Möglichkeit einer zeitnahen und gebührenfreien erneuten mündlichen Überprüfung nicht
wahrgenommen.
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Bei dieser Sachlage bestand kein Grund für eine weitere Sachaufklärung durch das
Gericht. Soweit die Klägerin schriftsätzlich angeregt hat, ein Sachverständigengutachten
zu der Frage einzuholen, ob sich aus ihren Antworten eine Gefahr für die
Volksgesundheit herleiten lässt, bedurfte es dieser Beweiserhebung nicht. Dem Gericht
liegt bereits eine sachverständige Stellungnahme des Gutachterausschusses vor,
dessen Bewertung es aus den vorstehend dargelegten Gründen folgt. Die Einholung
weiterer Gutachten (sog. Obergutachten) ist aber nur dann geboten, wenn eine
vorliegende gutachtliche Stellungnahme Mängel aufweist.
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Vgl. Kopp/Schenke, VwGO § 108 Rn. 10.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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