Urteil des VG Köln vom 15.05.2009

VG Köln: wiedereinsetzung in den vorigen stand, zugang, behörde, gesetzliche frist, höhere gewalt, falsche auskunft, post, sorgfalt, versicherung, kopie

Verwaltungsgericht Köln, 27 K 2080/07
Datum:
15.05.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
27.
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 K 2080/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin ist ein Unternehmen für Telekommunikationsdienstleistungen. Für die
Nutzung von ihr zugeteilten Rundfunk- und Fernsehrundfunkfrequenzen wurde ihre
Rechtsvorgängerin (damals die Deutsche Telekom AG) durch Bescheid der Außenstelle
Hannover der ehemaligen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom
25. September 2003 für die Jahre 2000 bis 2002 unter anderem zur Zahlung von
Frequenznutzungsbeiträgen nach § 48 Abs. 2, 3 des Telekommunikationsgesetzes in
der bis zum 25. Juni 2004 geltenden Fassung (TKG a. F.) in Verbindung mit §§ 1, 3, 3a,
4 und 9 der Frequenznutzungsbeitragsverordnung (FBeitrV) in der jeweils geltenden
Fassung in Höhe von insgesamt 906.173,24 EUR herangezogen. Der Bescheid ist der
Rechtsvorgängerin der Klägerin nach eigenen Angaben am 02. Oktober 2003
zugegangen. Mit E-Mail vom 05. Mai 2006 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie
noch keine Eingangsbestätigung für den mit Schreiben vom 14. Oktober 2003
erhobenen Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 25. September 2003 erhalten
habe und bat um Überprüfung. Ausweislich eines in den Behördenakten befindlichen
internen Schreibens wies die Sachbearbeiterin der Beklagten die Klägerin telefonisch
am 08. Mai 2006 darauf hin, dass der Widerspruch vom 14. Oktober 2003 nicht bei der
Außenstelle eingegangen sei. Am 17. Mai 2006 wurden der Klägerin von der Beklagten
per Fax zwei Eingangsbestätigungen über Widersprüche gegen Beitragsbescheide vom
13. Dezember 2005 ohne Erläuterung übermittelt. Mit weiterer E-Mail vom 18. Mai 2006
übersandte die Sachbearbeiterin der Klägerin der Beklagten eine Kopie des
Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober 2003 als pdf-Datei und versicherte, den
Widerspruch ordnungsgemäß auf dem Postweg versandt zu haben. Die Beklagte teilte
daraufhin der Klägerin mit Schreiben vom 19. Mai 2006, der Klägerin zugegangen am
23. Mai 2006, mit, dass der Zugang eines Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober
2003 auch nach erneuter Überprüfung nicht feststellbar sei; somit sei gegen den
Beitragsbescheid vom 25. September 2003 ein wirksamer Widerspruch nicht erhoben
worden. Mit Schreiben vom 30. Mai 2006, das der Beklagten laut Eingangsstempel am
02. Juni 2006 zugegangen ist, legte die Klägerin unter Beifügung einer Kopie des
Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober 2003 den Widerspruch erneut ein und
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beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung
verwies sie auf eine eidesstattliche Versicherung ihrer Sachbearbeiterin, nach der diese
den Widerspruch vom 14. Oktober 2003 zusammen mit weiteren Widersprüchen gegen
Bescheide der Beklagten gefertigt und am selben Tage per Post an die Außenstelle der
Beklagten in Hannover abgesandt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2007 wies die Beklagte den Widerspruch mit
der Begründung ab, der Widerspruch der Klägerin vom 14. Oktober 2003 sei ihr nicht
zugegangen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei verspätet. Die Klägerin habe sowohl
die Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO als auch die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2
VwGO versäumt. Der Wiedereinsetzungsantrag sei erst etwa 2 1/2 Jahre nach dem
Ablauf der Widerspruchsfrist gestellt worden. Die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2
VwGO sei mit dem Telefonat vom 08. Mai 2006 in Lauf gesetzt worden, in dem die
Klägerin darauf hingewiesen worden sei, dass der Widerspruch vom 14. Oktober 2003
nicht bei der Beklagten eingegangen sei. Der mittels einfacher E-Mail nachgeholte
Widerspruch vom 18. Mai 2006 sei nicht wirksam, da er nicht mit der von § 3 a Abs. 2
Satz 2 VwVfG geforderten qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne von § 2 Nr. 3
des Signaturgesetzes versehen gewesen sei. Der schriftliche und somit formgerecht
erhobene Wiedereinsetzungsantrag vom 30. Mai 2006 sei indes erst nach Ablauf der
Zweiwochenfrist bei der Beklagten eingegangen.
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Die Klägerin hat am 24. Mai 2007 Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen
vorgetragen: Es sei bereits zweifelhaft, ob die Widerspruchsfrist versäumt worden sei.
Das Widerspruchsschreiben vom 14. Oktober 2003 sei ausweislich der vorgelegten
eidesstattlichen Versicherung ihrer Sachbearbeiterin am selben Tag zutreffend
adressiert auf den Postweg gebracht worden. Statt für einen Verlust auf dem Postweg
spreche mehr für einen Verlust des Widerspruchsschreibens innerhalb der Behörde der
Beklagten. Ein Indiz für diese Vermutung sei, dass die Beklagte in einer Vielzahl von
Fällen die Eingangsbestätigungen zu den eingelegten Widersprüchen nicht zeitnah
erteilt habe; in einigen Fällen sei die Eingangsbestätigung sogar erst ein Jahr und oft
auch erst mehr als zwei Jahre nach der Einlegung des Widerspruchs gefertigt worden.
Dies zeige, dass die Beklagte aufgrund der Vielzahl der bei ihr eingehenden
Widersprüche regelmäßig überlastet sei. Außerdem lege der Umstand, dass im
Verwaltungsvorgang zu dem hier streitigen Beitragsbescheid Teile des geführten
Schriftverkehrs fehlten, die Vermutung nahe, dass der Widerspruch vom 14. Oktober
2003 von den Bediensteten der Beklagten versehentlich nicht abgeheftet worden sei.
Dafür spreche auch, dass nur dieser eine Widerspruch von den gegen alle
Beitragsbescheide erhobenen Widersprüchen nicht bei der Beklagten eingegangen
sein soll. Aber selbst bei unterstellter Versäumung der Widerspruchsfrist sei ihr
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie habe die Widerspruchsfrist
nicht ohne Verschulden versäumt, da das Widerspruchsschreiben rechtzeitig gefertigt
und auf den Postweg gebracht worden sei. Sie habe wegen der beschriebenen
Verfahrensweise der Beklagten bei der zeitlichen Erteilung der Eingangsbestätigungen
keinen Anlass gehabt, am Zugang ihres Widerspruchs bei der Beklagten zu zweifeln
oder vor Ablauf der Widerspruchsfrist bzw. der Jahresfrist bei der Beklagten wegen des
Zugangs nachzufragen. Sie habe auch die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO nicht
versäumt, da sie erst mit dem bei ihr am 23. Mai 2006 eingegangenen Schreiben der
Beklagten vom 19. Mai 2006 sichere Kenntnis vom fehlenden Zugang des
Widerspruchs erlangt habe. Wie das weitere Verhalten der Beklagten zeige, sei im
Telefonat vom 08. Mai 2006 noch keine endgültige Mitteilung über den Nichtzugang des
Widerspruchs zu sehen. Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stehe auch die
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Versäumung der Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO nicht entgegen, da die Ursache der
Säumnis ausschließlich in der Sphäre der Beklagten liege. Aufgrund der Praxis der
Beklagten bei der zeitlichen Versendung der Eingangsbestätigungen, habe für sie, die
Klägerin, kein Anlass bestanden, sich vor Ablauf der Jahresfrist nach dem Zugang des
Widerspruchs zu erkundigen. Ungeachtet dessen sei vorliegend jedenfalls
ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Wege der
Nachsichtgewährung in Betracht zu ziehen, weil die Versäumung der Frist
ausschließlich der Sphäre der Beklagten zuzurechnen sei, trotz Versäumung der Frist
des § 60 Abs. 3 VwGO gleichwohl keine Verzögerung des Verfahrens eingetreten sei,
es sich wegen der von der Beklagten zu verantwortenden Umstände um einen
atypischen Einzelfall handele und die Anwendung der Ausschlussfrist des § 60 Abs. 3
VwGO wegen der erheblichen Höhe des geforderten Beitrags für die Klägerin zu einer
unzumutbaren Härte führen würde. Darüber hinaus sei die Klage aus den Gründen der
Urteile des VG Köln vom 21. November 2005 -11 K 667/04 - und vom 03. März 2006 - 11
K 7830/04 - auch begründet.
Die Klägerin beantragt,
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ihr wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 25. September 2003
(Kassenzeichen: 901330218779) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.
April 2007 aufzuheben, soweit darin Beiträge nach dem TKG in Höhe von 906.173,24
EUR festgesetzt worden sind.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides und führt
ergänzend aus: Die Klägerin sei nicht aufgrund höherer Gewalt i. S. d. § 60 Abs. 3 2.
Halbsatz VwGO an der Einhaltung der Jahresfrist gehindert gewesen. Vielmehr hätte
die Säumnis bei Anwendung der zumutbaren geschäftsüblichen Sorgfalt von der
Klägerin ohne weiteres vermieden werden können. Grundsätzlich sei die Klägerin
verpflichtet, den fristgerechten Zugang des Widerspruchs bei der Beklagten
nachzuweisen. Angesichts der von ihr gewählten Versendung mittels einfachen Briefs,
hätte sie sich durch Nachfrage nach dem Zugang des Widerspruchsschreibens
erkundigen müssen. Außerdem hätten der Klägerin durch die Wahl von anderen
Versendungsarten Nachweismöglichkeiten für den Zugang des Widerspruchs-
schreibens zur Verfügung gestanden. Von dieser Erkundigungs- und Nachweispflicht
sei die Klägerin nicht dadurch entbunden worden, dass die Beklagte auch bei den bei
ihr eingegangenen Widersprüchen den Zugang nicht immer unverzüglich bestätigt
habe. Die späte Versendung der Eingangsbestätigungen sei daher nicht ursächlich für
die Versäumung der Frist des § 60 Abs. 3 VwGO. Mangels eines tatsächlichen Zugangs
des Widerspruchsschreibens bei der Behörde sei die obergerichtliche Rechtsprechung,
die von einer Nichtanwendung der Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO in den Fällen der
alleinigen Ursache der Fristversäumung in der Sphäre des Gerichts ausgehe, hier nicht
einschlägig. Eine ausnahmsweise Nachsichtgewährung komme hier nicht in Betracht,
da die Fristversäumung auf einem erheblichen und leicht vermeidbaren Sorgfaltsverstoß
beruhe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
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Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten ergänzend
Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die als Anfechtungsklage statthafte Klage ist unzulässig.
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Es fehlt an einer ordnungsgemäßen Durchführung des hier erforderlichen Vorverfahrens
gemäß § 68 Abs. 1 VwGO, da der Widerspruch der Klägerin gegen den TKG-
Beitragsbescheid vom 25. September 2003 nicht fristgerecht eingelegt worden ist. Die
ordnungsgemäße, d. h. unter Einhaltung der in §§ 68 ff. VwGO für die Einlegung des
Widerspruchs vorgeschriebenen Erfordernisse (Form, Frist usw.), Durchführung des
Vorverfahrens ist zwingende (Sachurteils-)voraussetzung für die gerichtliche
Entscheidung über die anschließende Anfechtungsklage. Die nicht fristgerechte
Einlegung des Widerspruchs führt somit zur Unzulässigkeit der erhobenen
Anfechtungsklage. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, vor § 68 Rdnr. 7 und § 70
Rdnr. 6 m. w. Nw..
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Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem
der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur
Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Diese
Frist hat die Klägerin nicht eingehalten.
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Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid der
Beklagten vom 25. September 2003 ist der Klägerin nach ihren eigenen Angaben am
02. Oktober 2003 zugegangen (vgl. auch Eingangsvermerk auf der zur Gerichtsakte
gereichten Bescheidkopie Blatt 9 der Gerichtsakte). Somit endete die einmonatige
Widerspruchsfrist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188
Abs. 2 BGB mit Ablauf des 02. November 2003. Der Eingang eines Widerspruchs der
Klägerin gegen den Bescheid bis zum Ablauf dieser Frist lässt sich nicht feststellen. Ein
schriftlicher Widerspruch ist (erst) wirksam erhoben, wenn er der zuständigen
Ausgangsbehörde bzw. der Widerspruchsbehörde zugeht. Das bedeutet, dass er bei der
zuständigen Behörde eingegangen sein muss. Dafür genügt es, dass er mit Wissen und
Wollen des Widerspruchsführers tatsächlich in den Verfügungsbereich der Behörde
gelangt ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1992 - 7 C 16.92 -, BVerwGE 91, 334; Geis in:
Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 70 Rdnr. 34 m. w. Nw.; Kopp/ Schenke, a.a.O. , §
70 Rdnr. 8 a.
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Ein solcher Zugang ist im Streitfall nicht feststellbar und auch nicht weiter aufklärbar.
Der Eingang des Widerspruchsschreibens der Klägerin vom 14. Oktober 2003, das nach
der eidesstattlichen Versicherung der Sachbearbeiterin der Klägerin an diesem Tag mit
einfacher Post an die Außenstelle der Beklagten in Hannover versandt worden ist, ist
dort nicht innerhalb der Widerspruchsfrist zu verzeichnen. Nach der Erklärung der
Beklagten ist das Widerspruchschreiben trotz durchgeführter Nachforschungen dort
nicht auffindbar. Das Schreiben befindet sich auch nicht in den Verwaltungsvorgängen.
Vielmehr lässt sich aus den Verwaltungsvorgängen nur entnehmen, dass eine Kopie
des Widerspruchsschreibens erstmals mit dem Schreiben der Klägerin vom 30. Mai
2006 zur Akte gelangt ist. Der Nachweis für den tatsächlichen Zugang des
Widerspruchs zu einem fristwahrenden Zeitpunkt obliegt dem Widerspruchsführer, da er
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aus dem Zugang für sich günstige Rechtsfolgen herleitet, nämlich im Streitfall den
Nichteintritt der Bestandskraft des Beitragsbescheides sowie die ordnungsgemäße
Durchführung des Vorverfahrens.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2004 - 1 A 458/01-, juris; Hamburgisches OVG,
Beschluss vom 24. Oktober 2005 - 3 Nc 37/05 -, NJW 2006, 2505; Bayrischer VGH,
Beschluss vom 09. Februar 2007 - 3 B 03.519 -, juris.
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Die Klägerin hat diesen Nachweis nicht geführt. Dabei kann zugunsten der Klägerin
unterstellt werden, dass ihre Sachbearbeiterin, wie diese in der überreichten
eidesstattlichen Versicherung ausgeführt hat, das Widerspruchsschreiben vom 14.
Oktober 2003 ordnungsgemäß adressiert per Post an die Außenstelle der Beklagten
abgesandt hat. Die Beweislast des Widerspruchsführers für den Zugang des
Widerspruchs kehrt sich indes mit einem glaubhaft gemachten oder bewiesenen
Absenden des Widerspruchsschreibens nicht um. Insbesondere gelten die Grundsätze
des Anscheinsbeweises für den Zugang nicht. Es reicht deshalb nicht aus, dass eine
hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein der Post übergebener Brief den
Empfänger auch erreicht. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens kommt es
vielmehr auch unter normalen Postverhältnissen immer wieder vor, dass abgeschickte
Briefe den Empfänger nicht erreichen. Zudem widerspräche es im Ergebnis auch der
klaren gesetzlichen Regelung, wenn man für den Nachweis des Eingangs eines
Widerspruchs den Nachweis der zuständigen Behörde verlangen wollte, sie solle den
"ersten Anschein" durch den in der Regel nicht zu führenden Beweises der negativen
Möglichkeit, dass ihr das Schreiben nicht zugegangen sei, entkräften. Entgegen §§ 69,
70 VwGO könnte damit quasi ein Vorverfahren schon durch Aufgabe zur Post beginnen.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2004 - 1 A 458/01-, juris.
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Demgegenüber hat der Widerspruchsführer, wie auch hier die Klägerin, die zumutbare
Möglichkeit, Vorsorge für den Beweis des Zugangs im Falle des Bestreitens durch die
Wahl entsprechender Versendungsarten (wie beispielsweise durch Einschreiben mit
Rückschein oder durch Telefax) zu treffen. Macht er hiervon keinen Gebrauch, trägt er
das Risiko, dass er den Beweis des Zugangs nicht erbringen kann.
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Vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 24. Oktober 2005 - 3 Nc 37/05 -, a.a.O. m. w.
Nw..
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Das Vorbringen der Klägerin bietet ebenfalls keine substantiellen Anhaltspunkte dafür,
dass das Widerspruchsschreiben mit größerer Wahrscheinlichkeit innerhalb der
Behörde der Beklagten verloren gegangen sein könnte. Die diesbezüglich
vorgetragenen Argumente der Klägerin, die Beklagte sei aufgrund der Vielzahl der bei
ihr eingehenden Widersprüche regelmäßig überfordert, so dass sie in zahlreichen
Fällen die Eingangsbestätigungen von zugegangenen Widersprüchen erst wesentlich
später versende und nicht zeitnah über die Widersprüche entscheide sowie dass der
vorliegende Verwaltungsvorgang unvollständig sei, weil daraus weder der frühere
Zugang des Schreibens vom 30. Mai 2006 (Blatt 5 des Verwaltungsvorgangs) am 31.
Mai 2006 vorab per E-Mail noch der Umstand der Übersendung der falschen
Eingangsbestätigung vom 16. Januar 2006 per Fax am 17. Mai 2006 zu entnehmen sei,
sind rein spekulativ und enthalten keine konkreten Gründe, die hinreichend auf einen
Zugang des Widerspruchsschreibens in den Machtbereich der Behörde und den Verlust
innerhalb der Behörde schließen lassen.
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Anknüpfungspunkte für eine Beweislastumkehr, insbesondere unter dem Gesichtspunkt
der (vorwerfbaren) Beweisvereitelung seitens der Behörde,
24
vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2004 - 1 A 458/01-, juris,
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liegen ebenfalls nicht vor. Ein vorwerfbares Verhalten der Beklagten, das die
Beweisführung der Klägerin in Bezug auf den streitigen Zugang des Schreibens vom
14. Oktober 2003 verhindert hätte, ist weder feststellbar noch von der Klägerin konkret
vorgetragen.
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Lässt sich hiernach der Zugang des Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober 2003 bei
der Beklagten nicht feststellen, andererseits aber auch nicht ausschließen, und besteht
bei dem gegebenen Sachverhalt weder Anlass noch Möglichkeit zu einer weiteren
sachdienlichen Aufklärung, muss deshalb die Entscheidung nach den dargelegten
Beweislastgrundsätzen zu Lasten der Klägerin ausfallen.
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Der Klägerin kann hinsichtlich der Versäumung der Widerspruchsfrist auch keine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 1 VwGO gewährt
werden. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist
einzuhalten. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist der Antrag binnen 2 Wochen nach Wegfall
des Hindernisses zu stellen. Allerdings ist nach § 60 Abs. 3 VwGO der Antrag nach
einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig, außer wenn der Antrag vor
Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
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Im Streitfall steht der Wiedereinsetzung bereits die Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO
entgegen, weil der Antrag erst am 02. Juni 2006 und damit mehr als ein Jahr nach dem
Ende der versäumten Frist (02. November 2003) gestellt worden ist. Der
Wiedereinsetzungsantrag in die versäumte Widerspruchsfrist war auch vor Ablauf der
Jahresfrist nicht infolge höherer Gewalt unmöglich. Der Begriff der höheren Gewalt i.S.d.
§ 60 Abs. 3 Halbsatz 2 VwGO ist zwar enger als der Begriff "ohne Verschulden" i.S.d. §
60 Abs. 1 VwGO; er setzt jedoch kein von außen kommendes Ereignis voraus. Unter
höherer Gewalt ist demgemäss ein außergewöhnlichen Ereignis zu verstehen, das unter
den gegebenen Umständen auch durch die größte, nach der Sachlage
vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe - also
unter Berücksichtigung seiner Lage, Erfahrung und Bildung - zu erwartende und
zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden kann.
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BVerwG, Urteile vom 11. Mai 1979 - 6 C 70.78 -, NJW 1980, 1480, vom 23. April 1985 -
9 C 7.85 -, NJW 1986, 207 und vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 -, BVerwGE 105, 288;
Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rdnr. 28 und § 58 Rdnr. 20; Czybulka in: Sodan/Ziekow,
a.a.O., § 58 Rdnr. 80 ff. und § 60 Rdnr. 116.
30
Ein solches Ereignis liegt hier nicht vor. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass
insbesondere eine Fristversäumnis dem Betroffenen nicht angelastet werden darf, wenn
er durch arglistiges Verhalten seines Gegners an der rechtzeitigen Einlegung des
Rechtsbehelfs gehindert worden ist.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. November 1977 - 5 C 12.77 -, Buchholz 310 § 60 VwGO
Nr. 100 und vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 -, a.a.O.
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Gleiches gilt, wenn die alleinige Ursache der Fristversäumung nicht in der Sphäre des
Antragstellers, sondern in der Sphäre des Gerichts liegt.
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Vgl. dazu: BVerwG, Beschluss vom 02. April 1992, - 5 B 50.92 -, Buchholz 310 § 6
VwGO Nr. 177; BFH, Urteil vom 26. März 1997 - II R 28/96 -, NVwZ 1998, 552; Czybulka
in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 60 Rdnr. 116.
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An diesen Maßstäben gemessen, ist hier ein Fall von höherer Gewalt nicht gegeben.
Zum einen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin durch ein treuwidriges
Verhalten der Beklagten an der Einhaltung der Frist gehindert wurde. Dazu reicht eine
bloße Untätigkeit der Behörde in aller Regel nicht aus, erforderlich ist vielmehr, dass die
Behörde den Betroffenen - etwa durch falsche Auskunft oder die bewusste Erregung
eines Irrtums - von der fristwahrenden Handlung abgehalten hat.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 - a.a.O. Dafür ist hier nichts
ersichtlich. Zum anderen liegt die Ursache der Versäumung der Jahresfrist des § 60
Abs. 3 VwGO nicht in der Sphäre der Beklagten. Vielmehr hat in erster Linie die
Klägerin selbst nicht die größte nach den Umständen von ihr zu erwartende und ihr
zumutbare Sorgfalt aufgewandt, um die Fristversäumnis zu verhindern. Es oblag
grundsätzlich der Klägerin, dafür Sorge zu tragen, dass die von ihr erhobenen
Widersprüche rechtzeitig bei der Beklagten eingehen, bzw. durch die Wahl einer
entsprechenden Versendungsart Vorsorge für den Nachweis des Zugangs bei der
Behörde für den Fall des Bestreitens zu treffen. Dafür reichte die von ihr gewählte
Versendungsart des Widerspruchsschreibens durch einfachen Brief nicht aus. Auch vor
dem Hintergrund dass die Beklagte in der Vergangenheit in zahlreichen anderen Fällen
erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist und sogar erst nach Ablauf der Ausschlussfrist
des § 60 Abs. 3 VwGO schriftliche Eingangsbestätigungen über rechtzeitig erhobene
Widersprüche erteilt hat, war die Klägerin nicht von ihrer Verpflichtung entbunden, sich
rechtzeitig vor Ablauf der Widerspruchsfrist bzw. der Jahresfrist des 60 Abs. 3 VwGO
nach dem Eingang des Widerspruchsschreibens bei der Beklagten zu erkundigen bzw.
die Versendung der Widersprüche so zu gestalten, dass Nachweise über den
rechtzeitigen Eingang bei der Behörde erbracht werden können. Für die Annahme, dass
die Art und Weise der Erteilung der Empfangsbestätigungen durch die Beklagte
ausreiche, um von der an sich gebotenen Nachfrage bei der Behörde nach dem
fristwahrenden Eingang des Widerspruchs abzusehen, hatte die Klägerin keinerlei
Grundlage. Denn auch oder gerade einem großen geschäftserfahrenen Unternehmen
wie der Klägerin, das in vielfältiger Weise am Rechtsverkehr teilnimmt, musste sich
nach Lage der Umstände aufdrängen, dass sie keine Empfangsbestätigung erhält, falls
ein Widerspruch nicht bei der Beklagten eingegangen ist. Da die Klägerin ihrerseits
keine entsprechende Vorsorge für den Nachweis des Zugangs in solchen Fällen
getroffen hat, kann von einer Anwendung äußerster zumutbarer Sorgfalt unter diesen
Umständen keine Rede sein. Ein atypischer Einzelfall wegen der Praxis der Beklagten,
der Anlass gäbe, von der Anwendung der Ausschlussfrist des § 60 Abs. 3 VwGO
abzusehen, ist nicht gegeben, weil die Fristversäumnis auf einem erheblichen und leicht
vermeidbaren Sorgfaltsverstoß der Klägerin beruht. Liegt somit eine höhere Gewalt im
Sinne eines unabwendbaren Zufalles nicht vor, so ist der Antrag auf Wiedereinsetzung
in die versäumte Jahresfrist nach § 60 Abs. 3 VwGO schon wegen Ablaufs der
Jahresfrist für das Wiedereinsetzungsgesuch unzulässig.
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Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt hier auch nicht ausnahmsweise im
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Wege der sogenannten Nachsichtgewährung in Betracht. Eine solche
Nachsichtgewährung wird gefordert, wenn der Betroffene aus von ihm nicht zu
vertretenden, insbesondere in der Sphäre des Gerichts/der Behörde liegenden Gründen
außerstande war, die rechtlichen Grundlagen für eine Wiedereinsetzung innerhalb der
Ausschlussfrist zu schaffen.
Vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rdnr. 28
38
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nach den vorstehenden Ausführungen nicht
erfüllt. Auch die sonstigen von der Klägerin angeführten Gesichtspunkte geben
angesichts des Sorgfaltsverstoßes der Klägerin keinen Anlass zu einer
Nachsichtgewährung.
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Unabhängig davon kann der Klägerin auch deshalb keine Wiedereinsetzung gewährt
werden, weil sie zudem die Frist des § 60 Abs. 2 VwGO versäumt hat. Die Klägerin hat
die versäumte Rechtshandlung (die Widerspruchseinlegung) wirksam erst am 02. Juni
2006 nachgeholt. Zu diesem Zeitpunkt war die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO
abgelaufen. Denn diese Frist ist bereits mit der telefonischen Auskunft der
Sachbearbeiterin der Beklagen vom 08. Mai 2006 an die Klägerin, dass kein
Widerspruchsschreiben vom 14. Oktober 2003 bei der Beklagten eingegangen sei, in
Lauf gesetzt worden. Dafür spricht, dass der Inhalt des Gesprächs so in den
Verwaltungsvorgängen vermerkt ist und keine durchgreifenden Zweifel an einem
entsprechenden Gesprächsinhalt bestehen. Solche Zweifel sind auch von der Klägerin
nicht geltend gemacht worden. Soweit sie der Auffassung ist, dass sie aufgrund dieses
Telefonats - wie der weitere Schriftverkehr mit dem Beklagten zeige - noch keine
abschließende Kenntnis über den Nichtzugang des Widerspruchs erlangt habe, kann
dem nicht gefolgt werden. Ohne die Anforderungen an die Wiedereinsetzung zu
überspannen, hätte der Klägerin bereits nach der telefonischen Auskunft vom 08. Mai
2006 hinreichend klar sein müssen, dass der Zugang des Widerspruchs bei der
Beklagten zumindest erheblich zweifelhaft ist. Da sie selbst über keinen
aussagefähigen Nachweis des fristwahrenden Eingangs des Widerspruchsschreibens
verfügte, hätte es die der Klägerin zumutbare Sorgfalt nahegelegt, schon zu diesem
Zeitpunkt vorsorglich binnen der Zweiwochenfrist den versäumten Widerspruch
nachzuholen und den Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Die mittels einfacher E-Mail
vom 18. Mai 2006 zugesandte Kopie des Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober
2003 als pdf-Datei wahrte die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO nicht, weil das auf
elektronischen Weg übermittelte Dokument nicht mit der von § 3 a Abs. 2 Satz 2 VwVfG
geforderten qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen
war. Der Widerspruch ist mithin zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam nachgeholt
worden. Schließlich käme auch sachlich die Wiedereinsetzung in die versäumte
Widerspruchsfrist nicht in Betracht, weil die Fristversäumung nicht im Sinne von § 60
Abs. 1 VwGO unverschuldet war. Denn ursächlich für die Fristversäumung war in erster
Linie der vorstehend darlegte Sorgfaltsverstoß der Klägerin.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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