Urteil des VG Köln vom 07.11.2007

VG Köln: staatsangehörigkeit, russland, gleichheit im unrecht, anspruch auf einbürgerung, ausländer, verzinsung, meinung, ermessen, anhörung, professur

Verwaltungsgericht Köln, 10 K 5265/05
Datum:
07.11.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 5265/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens.
Tatbestand Die am 00.00.0000 in der damaligen Russischen Sozialistischen
Föderativen Sowjet- republik geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige und
reiste am 24.07.1998 nach Deutschland ein. Am selben Tag heiratete sie ihren jetzigen
Ehemann, der deutscher Staatsangehöriger ist. Sie erhielt unter dem 26.11.1998 eine
befristete Aufenthaltsgenehmigung und unter dem 20.05.2003 eine unbefristete
Aufenthaltser- laubnis.
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Sie beantragte unter dem 13.09.2001 ihre Einbürgerung unter Hinnahme der
Mehrstaatigkeit und führte zur Begründung unter im Lauf des Verwaltungsverfahrens
erfolgter Vorlage verschiedener russischer Bescheinigungen und übersetzter Nor- men
aus, bei Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit verliere sie ihre dortigen
Rentenansprüche von insgesamt ca. 30.000,00 DM ohne Zinsen, weil Vorausset- zung
für den Rentenbezug für Ausländer sei, dass auch sie einen ständigen ersten Wohnsitz
in der Russischen Föderation hätten, den sie aber nur aufgrund eines im restriktiv
ausgeübten Ermessen der Behörden stehenden Aufenthaltstitels nehmen könnten. Sie
habe laut von ihr vorgelegter Übersetzung einer undatierten Bescheini- gung der
Abteilung für soziale Versorgung der Bevölkerung des Kreises Kamesch- kowo ab dem
27.02.2007 das Recht auf Rentenbezug. Außerdem verliere sie bei Aufgabe der
russischen Staatsangehörigkeit eine landwirtschaftliche Nutzfläche samt Wohnhaus im
Wert von insgesamt mindestens 20.000,00 DM, wobei ein Inflations- ausgleich noch
nicht berücksichtigt sei. Dazu erklärte sie später, sie sei testamenta- risch Alleinerbin,
derzeit wohne dort ihre Mutter. Als Ausländerin verliere sie ihren Erbanspruch.
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Auf die Anhörung des Beklagten zur beabsichtigten Ablehnung ihres Antrags mangels
erheblicher Nachteile bei Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit im Sinne des
damals anwendbaren § 87 Abs. 1 Ziffer 5 AuslG u.a. unter Hinweis auf einen Erlass des
nordrhein-westfälischen Innenministeriums, nach dem Erbschafts- ansprüche in
Russland auch von Ausländern geltend gemacht werden könnten, er- widerte die
Klägerin, sie könne nicht auf die in Russland herrschende Rechtsunsi- cherheit
verwiesen werden. Dort würden auch gesetzliche Bestimmungen schnell geändert oder
überhaupt nicht beachtet. Hinsichtlich der Bewertung eines Verlusts ihrer
Rentenansprüche komme es nicht auf die Einnahmen ihres Ehemanns, sondern auf ihr
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eigenes Einkommen an. Entgegen der Meinung des Beklagten sei nach den
Allgemeinen Verwaltungsvorschriften lediglich beim Einkommen auf den Zeitraum eines
Jahres abzustellen, nicht jedoch hinsichtlich des geltend gemachten Verlusts, weshalb
es auf die Gesamtsumme der verlorenen Rentenansprüche ankomme. Die- se betrage
gemäß ihrer statistischen Lebenserwartung von mindestens 30 weiteren Jahren bei
einer zugrunde zu legenden Verzinsung von 4 % und zu erwartender
Rentenerhöhungen um 25 % mindestens 49.000,00 EUR und überschreite ihr Jah-
reseinkommen bei weitem.
Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 31.03.2004 mit der
Begründung ab, die Klägerin könne nicht unter Beibehaltung ihrer russischen
Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband eingebürgert werden, weil sie
aufgrund der von ihr vorgelegten und maßgeblichen konkreten Nachweise Rentenan-
sprüche in Höhe von 6.120,00 EUR verliere, die weit unter der nach den
Verwaltungsvorschriften liegenden Unbeachtlichkeitsgrenze von 10.226,00 EUR und
ihrem aus Unterhaltsansprüchen gegen ihren Ehemann und ihren Einnahmen
zusammengesetzten jährlichen Einkommen von insgesamt 9.468,82 EUR lägen. Auf
eine fiktive Verzinsung komme es nicht an. Bezüglich der Erbschaftsansprüche verwies
der Beklagte auf seine diesbezüglichen Ausführungen in seinem Anhörungsschreiben.
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Mit ihrem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, der Beklagte
habe einen willkürlichen Rentenbetrag angesetzt. Mangels genauer Berechenbarkeit
ihrer russischen Rentenansprüche und wegen fehlender Möglichkeit, verbindliche
Auskünfte dazu einzuholen, komme es auf eine Vergleichsberechnung an, bei der auf
die dem Beklagten vorliegenden Rentenunterlagen ihrer Mutter abzustellen sei. Ab
2007 erhalte sie die russische Rente, deren Höhe dann exakt feststehen werde.
Hinsichtlich der Erbschaftsansprüche verweise sie nochmals auf die hohe
Rechtsunsicherheit in Russland. Zwar könnten nach derzeitigem russischen Recht auch
Ausländer erben, das gelte aber nicht automatisch für ehemalige russische Bürger, die
ihre Staatsangehörigkeit freiwillig aufgegeben hätten. Zudem seien tausende Personen
unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert worden.
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Auf die Bitte der Bezirksregierung Köln, zu prüfen, ob der Beklagte dem Widerspruch
abhelfen könne, teilte dieser der Klägerin mit, dies sei ihm nicht möglich, einer
Einbürgerung stehe aber grundsätzlich nichts im Wege, wenn sie auf ihre russische
Staatsangehörigkeit verzichte. Die Klägerin lehnte dies ab und verwies unter Beifügen
entsprechender Unterlagen auf eine inzwischen erfolgte 8 %-ige Rentenerhöhung in
Russland.
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Nachdem der Beklagte zunächst der Klägerin mitgeteilt hatte, er beabsichtige aufgrund
der von ihr nachgewiesenen Rentenhöhe von 56,92 EUR, ihrem Widerspruch
abzuhelfen, lehnte er ihren Antrag nach Anhörung mit Bescheid vom 21.06.2005 erneut
ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Ablehnungsbescheid vom
31.03.2004 sei aufgehoben worden; der Antrag sei abzulehnen, weil aufgrund der in der
Zwischenzeit ermittelten Steuerschulden des Ehemanns der Klägerin in Höhe von
148.379,42 EUR und des deshalb vom Finanzamt Siegburg gestellten Antrags auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Ehemanns weder ihr
Lebensunterhalt dauerhaft gesichert sei noch von einer wirtschaftlichen Integration
ausgegangen werden könne. Außerdem könne sie nicht unter Hinnahme der
Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, weil sie keine erheblichen Nachteile im Sinne des
- mittlerweile anwendbaren - § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG bei Aufgabe der russischen
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Staatsangehörigkeit zu befürchten habe. Laut Mitteilung der deutschen Botschaft in
Moskau vom 09.12.2003 und Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom
16.02.2005 (RN 9 K 04.1973) könne nach dem russischen Rentengesetz auch ein
Ausländer die russische Rente beziehen, wenn er seinen ständigen Wohnsitz in
Russland habe. Für eine Überweisung ins Ausland sei Voraussetzung, dass sich der
Berechtigte zum Zeitpunkt des Entstehens des Rentenanspruchs mit ständigem
Wohnsitz in der Russischen Föderation aufhalte und dort einen Antrag auf Auszahlung
seiner Rente ins Ausland stelle. Danach genüge zur Sicherung der Rentenauszahlung
die Anmeldung eines ständigen Wohnsitzes in Russland zum Zeitpunkt des Beginns
des Rentenanspruchs.
Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei mit
einem Deutschen verheiratet; ihr Lebensunterhalt sei gesichert, da sie gegen
Angehörige Unterhaltsansprüche, ihr Ehemann einen unpfändbaren Rentenanteil von
1.257,67 EUR, sie Ersparnisse von rund 7.000,00 EUR und jederzeit eintreibbare
Außenstände habe sowie einen Anteil am Geschäft ihrer Schwester in Höhe von
30.000,00 EUR halte und ihre russische Rente bei vorzeitiger Inanspruchnahme
voraussichtlich 78 EUR und bei regulärer Inanspruchnahme mit 55 Jahren unter
Berücksichtigung angekündigter Steigerungen wohl eher das Doppelte betragen werde,
zumal sie nach ihrer Heirat weiter in die russische Rentenkasse eingezahlt habe. Der
Hinweis auf das russische Rentengesetz greife nicht, weil ein Ausländer gemäß dem
vorrangigen russischen Ausländergesetz einen Antrag auf eine im Ermessen der
Behörde stehende und auf ein halbes Jahr befristete Aufenthaltsgenehmigung und
einen Verlängerungsantrag sowie gleichzeitig einen mit einer Bearbeitungszeit von ca.
einem halben bis einem Jahr verbundenen Antrag auf die ebenfalls im Ermessen der
Behörde liegende Genehmigung einer ständigen Wohnsitznahme stellen dürfe, wobei
der Ausländer zum Beweis der Ernsthaftigkeit seines Antrags ohne Unterbrechung in
Russland leben müsse. Ihr sei die daraus resultierende Trennung von ihrer in
Deutschland lebenden Familie für rund zwei Jahre ungeachtet der Rechtsunsicherheit
in Russland nicht zumutbar. Das vom Beklagten angeführte verwaltungsgerichtliche
Urteil treffe auf ihre Situation nicht zu.
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Die Bezirksregierung Köln wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
09.08.2005 zurück.
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Die Klägerin hat am 05.09.2005 Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter
Beifügen entsprechender Unterlagen ihr bisheriges Vorbringen zu ihren finanziellen
Verhältnissen und denen ihres Ehemanns sowie zu russischen ausländer- und
rentenrechtlichen Bestimmungen wiederholt und vertieft und darüber hinaus ausführt:
Laut Bescheinigung des russischen Rentenfonds vom 28.02.2006 werde ihre Rente
voraussichtlich 3.000 Rubel betragen und sei die Rente im Gebiet Wladimir 2005 um 25
% gestiegen. Sie sei mit dem von ihr gegründeten Institut für frühkindliche Entwicklung
überregional tätig. Eine weitere Seminartätigkeit in Russland sei bei einer Visumspflicht
nach Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit nahezu unmöglich. Außerdem
beabsichtige sie, als Heilpraktikerin in Deutschland tätig zu sein, wofür sie ebenfalls die
deutsche Staatsangehörigkeit benötige. Es sei unverständlich, dass der Beklagte die
Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit trotz zwischenzeitlichen Hinweises
der Bezirksregierung Köln auf einen erheblichen Nachteil bei Verlust der russischen
Rentenanwartschaften verweigere. Nach ihren erstmals in der mündlichen Verhandlung
vorgetragenen Ausführungen werde sie voraussichtlich im Januar 2008 in Russland
promovieren, woraufhin ihr statt ihrer bisherigen Lehrbeauftragung an der Universität
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Wladimir eine Professur übertragen werden könne, aufgrund derer sie bei Anerkennung
in Deutschland dort eine bessere berufliche Startposition bzw. größere Chancen auf
eine universitäre Anstellung haben werde. Eine Professur in Russland werde ihr aber
nicht ohne die russische Staatsangehörigkeit übertragen werden. Mit ihrem Institut
erziele sie derzeit monatliche Einnahmen von rund 300 EUR.
Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 21.06.2005 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 09.08.2005 zu verpflichten, die
Klägerin unter Hinnahme der Beibehaltung der russischen Staatsangehörigkeit in den
deutschen Staatsverband einzubürgern.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt er aus, er sei bereit, die Klägerin gemäß § 10 StAG einzubürgern,
wenn sie die russische Staatsangehörigkeit aufgebe und die Klage zurücknehme.
Bezüglich der Hinnahme von Mehrstaatigkeit wiederholt er im Wesentlichen die
Ausführungen der angefochtenen Bescheide und führt ferner aus, Reiseerleichterungen
aufgrund Beibehaltung einer anderen Staatsangehörigkeit entsprächen nicht den
gesetzgeberischen Zielen des Einbürgerungsrechts. Auch die beruflichen Absichten der
Klägerin könnten nicht zur Hinnahme von Mehrstaatigkeit führen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung Köln
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 21.06.2005
und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Köln vom 09.08.2005 sind
rechtmäßig und verletzen die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5
VwGO). Der Beklagte hat zu Recht ihre Einbürgerung abgelehnt, weil sie keinen
Anspruch auf Einbürgerung unter Beibehaltung der russischen Staatsangehörigkeit hat.
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Einem Anspruch der Klägerin auf Einbürgerung aus dem - wegen ausreichender Zeiten
des rechtmäßigen Inlandsaufenthalts nunmehr anwendbaren - § 10 des
Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 13.07.1913 (RGBl. I S. 583), nunmehr geltend in der
Fassung des Gesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) - StAG - steht § 10 Abs. 1 Satz
1 Nr. 4 StAG entgegen, weil sie ihre russische Staatsangehörigkeit weder verliert noch
aufgibt und die Voraussetzungen für ein Absehen von dieser Voraussetzung gemäß §
12 StAG nicht vorliegen. Insoweit kommen allein in Betracht und sind im vorliegenden
Verfahren alleiniger Streitpunkt zwischen den Beteiligten die Voraussetzungen des § 12
Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 5 StAG. Nach Satz 1 wird von der Voraussetzung des § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige
Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben
kann. Das ist gemäß Satz 2 Nr. 5 anzunehmen, wenn dem Ausländer bei Aufgabe der
ausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher
oder vermögensrechtlicher Art entstehen würden, die über den Verlust der
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staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen.
Es kann offen bleiben, ob die von der Klägerin vorgetragenen Nachteile beruflicher,
erbschaftsrechtlicher und wirtschaftlicher Art mangels zeitlich-sachlichen
Zusammenhangs mit der vom Beklagten geforderten Aufgabe der russischen
Staatsangehörigkeit überhaupt berücksichtigt werden können. Insoweit ist zwar
unerheblich, ob die Nachteile unmittelbar aus dem Recht des Herkunftsstaats folgen
oder sie unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls tatsächlich
konkret erwartbar sind. Berücksichtigungsfähig sind aber nur Nachteile, die „bei", also in
zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Aufgabe der bisherigen
Staatsangehörigkeit entstehen würden.
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Vgl. dazu: VG Köln, Urteil vom 07.12.2005 - 10 K 356/05 -; Berlit in:
Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, Stand: August 2007, § 12
StAG Rdnr. 223.
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Denn die Klägerin hat nicht substanziiert dargelegt, dass ihr bei Aufgabe der russischen
Staatsangehörigkeit „erhebliche" Nachteile entstünden, wie es jedoch wegen der aus
ihrer Sphäre stammenden Umstände ihre Obliegenheit ist.
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Vgl. den den Beteiligten aus dem Verwaltungsverfahren bekannten Beschluss des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) vom 15.06.2005 - 5 ZB 05.704 -;
Saarländisches VG, Urteil vom 30.05.2007 - 2 K 166/06 -, Juris; VG Berlin, Urteil vom
11.06.2003 - VG 2 A 109.99 -, InfAuslR 2003, 352 (354); Berlit am angegebenen Ort
(a.a.O.), § 12 StAG Rdnr. 227.
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Das gilt zunächst für die von der Klägerin vorgetragenen Nachteile beruflicher Art. Ihre
Absicht, in Deutschland als Heilpraktikerin tätig zu werden, wird weder von der
Beibehaltung noch der Aufgabe ihrer russischen Staatsangehörigkeit tangiert. Soweit
sie auf ihr Institut und eine Seminartätigkeit in Russland abhebt, hat sie weder den
Umfang dieser Tätigkeit noch ein - wie von § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG gefordert -
„besonderes" Hindernis bei Aufgabe ihrer russischen Staatsangehörigkeit dargelegt.
Ihre in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Erwartungen bezüglich einer
universitären Tätigkeit in Deutschland stellen bereits deshalb keine „Nachteile" dar, weil
dieser Begriff konkrete Umstände zumindest im Sinne bereits verwirklichter
Anknüpfungspunkte umschreibt und bloße Möglichkeiten ausschließt.
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Vgl. Berlit a.a.O., § 12 StAG Rdnr. 240.
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Solche konkreten Umstände hat die Klägerin jedoch nicht aufzeigt. Sie hat die von ihr
befürchteten Nachteile allein auf eine beabsichtigte Lehrtätigkeit in Deutschland
bezogen. Von ihren auf Deutschland bezogenen Absichten kann derzeit jedoch nicht
angenommen werden, dass sie mit absehbarer oder gar an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Zum einen sind sie schon mangels Vortrags einer
konkreten Anbahnung einer Tätigkeit an einer deutschen Hochschule vage. Zum
anderen stellen sie lediglich Hoffnungen und allenfalls Chancen dar, die im Übrigen
wegen der Annahme der Klägerin, sie habe mit der russischen Staatsangehörigkeit eine
„bessere" berufliche Startposition in Deutschland, auf erhoffte Vorteile, aber nicht auf
erhebliche Nachteile im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG und damit nicht auf
eine „besonders" schwierige Bedingung im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG
abstellen.
26
Vgl. zu dieser Problematik: Berlit a.a.O., § 12 StAG Rdnr. 240 am Ende.
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Aus diesen Gründen kann offen bleiben, ob berufliche Nachteile im Rahmen des § 12
Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG von vornherein unbeachtlich sind, weil sie bewusst nicht
Eingang in den Gesetzestext gefunden haben,
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vgl. dazu: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. (2005) § 12 Rdnr. 26
mit weiteren Nachweisen (m.w.N.),
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mit der Folge, dass sie womöglich wegen abschließender Aufzählung der besonders
schwierigen Bedingungen in § 12 Abs. 1 Satz 2 StAG,
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vgl. diesbezüglich zur Vorgängervorschrift des § 87 Abs. 1 Satz 2 AuslG: OVG NRW,
Urteil vom 16.09.1997 - 25 A 1816/96 -, InfAuslR 1998, 186,
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auch nicht über § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG Beachtung finden können.
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Die Klägerin hat auch mit ihrer Befürchtung, ein ihr künftig aufgrund Testaments
zufallendes - im Übrigen wegen der Testierfreiheit ungewisses - Erbe nicht antreten zu
können, wenn sie nicht mehr russische Staatsangehörige ist, keine erheblichen
Nachteile substanziiert dargelegt. Sie hat vielmehr die laut Hinweis des Beklagten dem
nordrhein-westfälischen Innenministerium vorliegenden Erkenntnisse, dass eine solche
Gefahr nicht besteht, bestätigt und ist ihnen lediglich mit dem spekulativen Vortrag
entgegen getreten, dass Vorschriften in Russland sehr schnell geändert oder von
vornherein nicht beachtet werden könnten.
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Ebenso wenig liegen erhebliche Nachteile im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG
bezüglich des von der Klägerin geltend gemachten Verlusts ihrer russischen
Rentenanwartschaften vor. Dabei kann unentschieden bleiben, ob Ausländer etwa
aufgrund aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen nur unter erheblichen Schwierigkeiten
eine russische Rente beziehen können, was zwischen den Beteiligten streitig ist.
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Verneinend das den Beteiligten aus dem Verwaltungsverfahren bekannte Urteil des VG
Regensburg vom 16.02.2005 - RN 9 K 04.1973 -; offen gelassen durch BayVGH,
Beschluss vom 15.06.2005 - 5 ZB 05.704 -.
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Ebenso kann offen bleiben, ob der von der Klägerin befürchtete Verlust ihrer
Rentenanwartschaften oder -ansprüche unmittelbar mit der Aufgabe ihrer bisherigen
Staatsangehörigkeit verbunden sein muss, um im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5
StAG berücksichtigt werden zu können,
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vgl. zu diesder Problematik: Berlit a.a.O., § 12 StAG Rdnr. 238,
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und ob dies hier der Fall ist.
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Denn bei Unterstellung solcher Schwierigkeiten, des Vorliegens einer unmittelbaren
Ursächlichkeit und daraus folgend eines Verlusts der Anwartschaft auf die russische
Rente und unter Zugrundelegen der von der Klägerin zuletzt konkret belegten Höhe
ihrer Rente von monatlich 3.000 Rubel stellte bei dem (wegen des Zeitpunkts der
gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen) derzeitigen Umrechnungskurs zum Euro von
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0,0280 ein monatlicher Verlust von rund 84 EUR keinen „erheblichen" Nachteil im Sinne
des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG dar.
Vgl. zu dieser Problematik: BayVGH, Beschluss vom 15.06.2005 - 5 ZB 05.704 -; VG
Regensburg, Urteil vom 16.02.2005 - RN 9 K 04.1973 -.
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Diese Summe ist nämlich weniger als ein Dreizehntel der von der Klägerin in
Deutschland erzielten monatlichen Bruttoeinkünfte von rund 1.155,48 EUR, die sich aus
einem Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann in Höhe von - nach
übereinstimmender Vorstellung der Beteiligten - drei Siebteln seiner monatlichen
Bruttoeinkünfte in Höhe von mit Schreiben des Versorgungswerks der
Zahnärztekammer Nordrhein vom 19.12.2006 belegten 1.996,11 EUR (= 855,48 EUR)
und ihren eigenen, von ihr mit derzeit rund 300 EUR bezifferten monatlichen Einkünften
zusammensetzen.
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Entgegen der Meinung der Klägerin kommt es auch auf den ihr zustehenden
Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann und nicht nur auf das von ihr erzielte
Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit an, weil es dabei weder in erster Linie um das
Einkommen noch um das gesamte Einkommen ihres Ehemanns geht, sondern um
einen ihr zustehenden Anspruch, der sich nur auf einen Teil des Einkommens ihres
Ehemanns bezieht. Wird über den dem einen Ehepartner zustehenden
Unterhaltsanspruch im Rahmen der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG aufgestellten
Einbürgerungsvoraussetzung, den Lebensunterhalt für sich und seine
unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von sozialen
Leistungen bestreiten zu können, auch das Einkommen des anderen Ehepartners
berücksichtigt,
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vgl. Hailbronner/Renner a.a.O., § 8 StAG Rdnr. 37,
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was sich hier zu Gunsten der Klägerin auswirkt, weil sie anderenfalls diese
Voraussetzung nicht erfüllte, kann das Einkommen des Ehepartners im Rahmen der
Ermittlung der wirtschaftlichen Nachteile nicht außer Betracht bleiben.
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Liegen die - unterstellten - Rentenverluste damit im Jahr bei 1.008 EUR, erreichen sie
mit weniger als einem Zehntel der nach Halbsatz 1 bzw. Halbsatz 2 der Ziffer 12.1.2.5.2
Satz 2 der vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom
13.12.2004 (M 7 - 124 005/13 -) zum Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung des
Zuwanderungsgesetzes (im Folgenden: Verwaltungsvorschrift - VV -) regelmäßig
maßgeblichen Untergrenze des Bruttojahreseinkommens des Einbürgerungsbewerbers,
hier gemäß den obigen Berechnungen in Höhe von (1155,48 EUR x 12 =) 13.856,76
EUR, bzw. des stets von vornherein nicht als Nachteil zu berücksichtigenden Betrags
von 10.225,84 EUR diese Beträge bei weitem nicht.
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Das Gericht ist zwar an innerdienstliche Anwendungshinweise der Behörden nicht
gebunden. Die in Ziffer 12.1.2.5.2 Satz 2 Halbsätze 1 und 2 VV konkret bezeichnete
Handhabung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG durch die (hier: nordrhein-
westfälischen) Einbürgerungsbehörden ist indes grundsätzlich rechtmäßig. Denn das
einen Teil der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Einbürgerungsbewerbers
darstellende Einkommen als Maßstab für die Ermittlung eines „erheblichen"
wirtschaftlichen Nachteils heranzuziehen ist sachgerecht, weil das dem Nachteil und
dem Maßstab für seinen Umfang zugrunde liegenden Kriterium gleichartig ist. Auch die
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sich unter Anwendung der Verwaltungsvorschrift ergebenden betragsmäßigen
Untergrenzen für eine mögliche Beachtlichkeit wirtschaftlicher Nachteile sind
rechtmäßig. Das ergibt sich für Ziffer 12.1.2.5.2 Satz 2 Halbsatz 1 VV daraus, dass es
zwecks Ausschlusses rein zufälliger Ergebnisse einer zeitlichen Erstreckung bedarf, die
mit einem Jahr als ausreichend anzusehen ist, die indes als zeitliche Begrenzung
zugleich den Antragsteller begünstigt. Die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses
wirtschaftlicher Nachteile unter einem Betrag von 10.225,84 EUR gemäß Ziffer
12.1.2.5.2 Satz 2 Halbsatz 2 VV,
kritisch dazu: Berlit a.a.O., § 12 StAG Rdnr. 230, 231 m.w.N.,
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ergibt sich daraus, dass die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband ebenfalls
einen, wenn auch nicht exakt bezifferbaren, Wert hat, der sich gemäß der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
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vgl. Beschluss vom 23.01.2003 - 1 B 467.02 -, Buchholz 402.240 § 102a AuslG Nr. 1,
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jedenfalls für die Bemessung des Streitwerts mit derzeit 10.000,00 EUR in dem von
Ziffer 12.1.2.5.2 Satz 2 Halbsatz 2 VV gesetzten Rahmen bewegt.
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Entgegen der Meinung der Klägerin kann dem nach Ziffer 12.1.2.5.2. Satz 2 Halbsätze 1
und 2 VV maßgeblichen jährlichen Bruttoeinkommen bzw. Betrag von 10.225,84 EUR
jedenfalls nicht bei (Anwartschaften auf) Renten eine hochgerechnete Gesamtsumme,
geschweige denn eine solche unter Einrechnung ungewisser Rentensteigerungen und
einer Verzinsung gegenübergestellt werden. Abgesehen von dem bereits oben
angesprochenen Erfordernis eines zeitlichen Zusammenhangs mit der Aufgabe der
bisherigen Staatsangehörigkeit ist bei laufenden sukzessiven Einnahmen schon aus
Praktikabilitätsgründen wie bei der Berechnung des Einkommens auch bei der
Berechnung von Renten eine zeitliche Grenze zu ziehen. Ist nach den obigen
Ausführungen ein für die Berechnung der Nachteile zulässiger Maßstab das
Einkommen, muss der dafür geltende zeitliche Rahmen auch für die Ermittlung der
Nachteile gelten, weil anderenfalls mangels gleicher Basis kein nachvollziehbarer
Vergleich möglich ist.
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Hier kommt hinzu, dass man bei einem (hier unterstellten) monatlichen bzw. jährlichen
Verlust von 84 EUR bzw. 1.008 EUR nicht von - durch § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG
konkretisierten - „besonders" schwierigen Bedingungen im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1
StAG ausgehen kann, wenn man aufgrund des Gesamtzusammenhangs finanzieller
Nachteile rechtlich zulässig auch das Vermögen der Klägerin in den Blick nimmt,
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so auch: VG Regensburg, Urteil vom 16.02.2005 - RN 9 K 04.1973 -,
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das hier in Höhe von 30.000 EUR in Form einer Einlage im Geschäft ihrer Schwester
zuzüglich ihrer Sparguthaben und den nach ihren Angaben jederzeit eintreibbaren
Außenständen den - unterstellten - Verlust der russischen Rente(nanwartschaften) noch
weiter relativiert.
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Schließlich liegt kein von der Klägerin bemängelter Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG vor. Soweit sie in diesem Zusammenhang auf
(Spät)Aussiedler abhebt, liegt die jeweilige Sach- und Rechtslage wegen des
speziellen, nämlich weltkriegsbedingten Schicksals dieses Personenkreises anders,
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woraus nicht nur das eigenständige Bundesvertriebenengesetz resultiert, sondern auch
der eigenständige Zweck einiger Einbürgerungsvorschriften. Soweit die Klägerin auf
vielfache Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit verweist, lagen entweder
dort die gesetzlich normierten Voraussetzungen für ein Absehen von der Voraussetzung
des § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StAG vor, die sie indes gerade nicht erfüllt, oder sie hat im
Fall eventueller rechtswidriger Einbürgerungen keinen Anspruch auf Gleichheit im
Unrecht, weil anderenfalls rechtswidrige Zustände vervielfacht würden. Soweit sie etwa
im Hinblick auf § 8 StAG auf Ermessenseinbürgerungen abheben will, hat sie schon
nicht konkret und substanziiert zur Vergleichbarkeit der Umstände vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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