Urteil des VG Köln vom 21.11.2003

VG Köln: ethikkommission, leiter, innere medizin, firma, berufsausübung, beratungspflicht, satzung, öffentlich, medizinprodukt, anzeige

Verwaltungsgericht Köln, 37 K 4576/02.T
Datum:
21.11.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
37. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
37 K 4576/02.T
Tenor:
Die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen
des Beschuldigten trägt die Staatskasse.
G r ü n d e
1
I.
2
Der am 00.00.0000 in I. geborene Beschuldigte erhielt am 00.00.0000 die Approbation
als Arzt. 0000 war er durch die medizinische Fakultät der S. -Universität C. zum "Dr.
med." promoviert worden. Die Anerkennung als Facharzt für Innere Medizin erfolgte am
00.00.0000 durch die Ärztekammer Nordrhein. Der Beschuldigte ist als Chefarzt der
Kardiologie am Krankenhaus in T. tätig.
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Mit Schreiben vom 1. Februar 2000 beantragte der Beschuldigte als Leiter einer
klinischen Prüfung die Beratung durch die Ethikkommission der Antragstellerin. Dabei
handelte es sich um eine multizentrische klinische Studie zum Vergleich der Restenose-
Rate zwischen den Gefäßstützen QUEST (Quanam Steel Stent) und QUADDS-QP2
(Quanam Drug Delivery Stent beschichtet mit QP2) - „SCORE"- (Study to Compare
Restenosis Rate Between QUEST und QUADDS-QP2).
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Ziel der Studie war es, die Auswirkung einer Beschichtung von in Herzkranzgefäßen
implantierten Gefäßstützen (sogenannten Stents) auf die Wiederverengungsrate zu
untersuchen. Stents werden seit einigen Jahren bei der Behandlung von Erkrankungen
der Herzkranzgefäße verwendet. Die meisten dieser Stents bestehen aus einem
Edelstahlgeflecht, das in nicht entfaltetem Zustand durch einen Dilatationsballon in die
Kranzarterie vorgebracht und dort mit Druck an die Gefäßwand gepresst wird. Damit soll
die Wiederverengung der Gefäße reduziert werden. Auch bei diesem Vorgehen kommt
es jedoch bei einem bedeutsamen Anteil der Patienten zu Restenosen
(Wiederverengungen). In der Studie sollte die Wiederverengungsrate bei Verwendung
eines normalen Edelstahl-Stents und der eines beschichteten Stents verglichen werden.
Als Beschichtung war ein Zytostatikum vorgesehen (QP2), das aus dem in der
Chemotherapie bekannten, in der Eierstock- und Brustkrebsbehandlung eingesetzten
Wirkstoff Paclitaxel abgeleitet ist.
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Dem Antrag des Beschuldigten an die Ethikkommission der Antragstellerin war ein
positives Votum der Freiburger Ethik-Kommission GmbH vom 23. November 1999
beigefügt sowie eine Mitteilung der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der
Freien und Hansestadt Hamburg als zuständiger Aufsichtsbehörde, dass eine
entsprechende Anzeige gem. § 17 Abs. 6 (a.F.) des Medizinproduktegesetzes (MPG)
eingegangen sei und gegen die klinische Prüfung keine Einwände erhoben würden.
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Die Ethikkommission der Antragstellerin beriet den Antrag auf ihrer Sitzung am 21. März
2000 und teilte dem Beschuldigten mit Schreiben vom 22. März 2000 mit, dass sie sich
aufgrund verschiedener Bedenken noch nicht zu einem positiven Votum entschließen
könne. Im Einzelnen wurden folgende Bedenken geltend gemacht.
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„1. Im Rahmen des Prüfplans ist nicht beschrieben, mit was und wie der Stent Quadds-
QP2 beschichtet ist. Dies erschließt sich erst aus der Patienteninformation, wo ein
Hinweis darauf gefunden werden kann, dass es sich dabei um das Zytostatikum
Paclitaxel handelt.
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2. Im Rahmen des Prüfplans und der weiteren beigefügten Unterlagen finden sich keine
Hinweise auf präklinische Untersuchungen in vitro oder in vivo, die zeigen, dass der
angewandte Stent keine lokalen zytotoxischen Auswirkungen hat. Die Ethikkommission
ist der Auffassung, dass solche Untersuchungen, z. B. eine Einjahresimplantation in
Koronarien oder Gefäßen des Schweines durchgeführt werden müssen und dabei
nachgewiesen werden muss, dass erstens die Stenoserate geringer ist als beim
unbeschichteten Stent und zweitens dass die lokale Verträglichkeit ausreichend gut ist.
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3. Zusätzlich ist die Pharmakokinetik der Freigabe des Zytostatikums zu bestimmen.
Daraus muss auch hervorgehen, wie hoch insgesamt die systemische Belastung des
Organismus mit Zytostatika sein wird.
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4. Im Rahmen des Prüfplanes fielen der Ethikkommission weitere Mängel auf:
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a) eine Zustimmung durch den "Pfleger" kommt im Rahmen einer solchen Studie nicht
in Frage b) im Prüfplan ist nicht geregelt, wie es laut GCP erforderlich ist, wie das
Verfahren des Monitorings und des Auditorings erfolgt c) es ist die Meldung von
unerwünschten Ereignissen nicht geregelt d) es fehlen Ausführungen zum Recht des
Prüfarztes auf das Verfahren bei Publikationen.
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5. Die Ethikkommission ist der Auffassung, dass Sie im Rahmen des Prüfplans
Ticlopidin als zusätzliches Prüfmedikament einsetzen und dass dies entsprechend
gewertet und informiert werden muss.
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6. Im Rahmen der Patienteninformation sind deshalb folgende Änderungen erforderlich:
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a) es ist anzugeben in welcher Zeit die angegebene Restenoserate erfolgt b) die
möglichen lokalen Wirkungen von Paclitaxel sind darzustellen c) die angegebenen
unerwünschten systemischen Wirkungen sind nicht vollständig dargestellt d) da
Ticlopidin Prüfsubstanz ist, ist der Handelsname dort nicht zu verwenden e) zusätzlich
sind alle unerwünschten Wirkungen des Ticlopidins aufzuführen. Einen Verweis auf den
Beipackzettel ist nicht zulässig. f) im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Hausarzt ist
das Einverständnis dazu vom Patienten zu erhalten, wie es in der
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Einverständniserklärung zusätzlich zu fordern ist g) die Ethikkommission ist der
Auffassung, dass nach 6 Monaten die Katheteruntersuchungen studienbedingt ist und
bittet dies den Patienten zu sagen h) bei studienbedingten zusätzlichen
Röntgenuntersuchungen sind zusätzliche rechtliche Schritte einzuleiten i) die Angaben
zur Versicherung sind so nicht zutreffend. Zusätzlich ist die Telefon- und Fax-Nummer
anzugeben und die Obliegenheiten sind den Patienten mitzuteilen.
7. die Ethikkommission ist der Auffassung, dass bei dem Krankheitsbild dieser Patienten
und dem Einschluss von bis zu 400 Patienten eine maximale Versicherungssumme von
20 Mio DM nicht ausreichend ist.
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8. Im Rahmen der Einverständniserklärung ist der Datenschutz hervorgehoben zu
drucken. Im Übrigen empfehlen wir die Verwendung des vorgelegten Merkblattes.
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9. Im Rahmen der Patienteninformation ist den Patienten auch freizustellen, eine andere
Behandlung zu wählen als die Teilnahme an der Studie.
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10. Die Ethikkommission fragt zusätzlich, ob die Behandlung mit dem Stent, d. h. ob der
Stent kostenlos zur Verfügung gestellt wird."
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Mit Schreiben vom 28. März 2000 beantwortete der Sponsor der Studie, die Firma L. KG,
im Auftrag des Beschuldigten die angesprochenen Fragen und reichte verschiedene
Unterlagen nach, u.a. eine geänderte Protokollversion. Die Ethikkommission der
Antragstellerin sah diese Unterlagen jedoch nicht als ausreichend an, was dem Sponsor
mitgeteilt wurde. Mit Schreiben vom 29. Juni 2000 teilte die Firma L. KG schließlich mit,
dass das Votum der Ethikkommission der Antragstellerin nicht mehr benötigt werde und
man darum bitte, die eingereichten Unterlagen zu vernichten.
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Tatsächlich wurde die Studie aber durchgeführt. Nach Angaben des Beschuldigten
begann die klinische Prüfung mit dem ersten Patienteneinschluss im April 2000 und
endete mit dem letzten Patienteneinschluss im September 2000. Der Ethikkommission
der Antragstellerin war dies zunächst nicht bekannt. Die Ethikkommission der
Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, in deren Zuständigkeitsbereich ein Prüfarzt tätig
war und die deshalb ebenfalls mit dem Vorgang befasst worden war, unterrichtete die
Ethikkommission der Antragstellerin mit Schreiben vom 14. November 2000 darüber,
dass der Beschuldigte als Leiter der klinischen Prüfung fungiert habe, bei der
zwischenzeitlich "unerwünschte Ereignisse" aufgetreten seien (insgesamt 7 Fälle von
Stentthrombosen oder Seitastokklusionen). Dabei kam es auch zu Todesfällen. Die
Studie wurde deshalb zunächst unterbrochen, konnte aber mit Zustimmung der
zuständigen Aufsichtsbehörde später fortgesetzt werden, nachdem u.a. der
Beschuldigte in Schreiben an die Aufsichtsbehörde dargelegt hatte, dass die
Komplikationen auf Anwendungsfehler zurückzuführen seien. Mit Schreiben vom 27.
November 2000 bat die Ethikkommission der Antragstellerin den Beschuldigten um
unverzügliche Mitteilung, ob er die fragliche Studie im Bereich der Antragstellerin
begonnen habe. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2000 teilte der Beschuldigte mit, er
habe die Studie begonnen, nachdem die Voraussetzungen des § 17 Abs. 6 MPG a.F.
erfüllt gewesen seien.
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Mit Schreiben vom 22. Dezember 2000 wies die Ethikkommission der Antragstellerin
den Beschuldigten darauf hin, dass sie nur ein Votum abgeben könne, wenn er auf die
bisher nicht zufriedenstellend beantworteten Fragen in den Schreiben vom 22. März und
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6. April 2000 Auskunft gebe; der Verweis auf die Regelungen des
Medizinproduktegesetzes entbinde nicht von der in § 15 der Berufsordnung (BO)
verpflichtend vorgesehenen Beratung. Nach weiterem Schriftwechsel zwischen dem
Beschuldigten und der Antragstellerin kam es am 4. Oktober 2001 zu einem Gespräch
zwischen Vertretern der Antragstellerin sowie dem Beschuldigten und seinem Beistand.
Im Anschluss daran teilte die Antragstellerin dem Beistand mit Schreiben vom 10.
Oktober 2001 mit: Berufsrechtliche Schritte gegen den Beschuldigten sollten zunächst
zurückgestellt werden, soweit dieser den arzneimittelrechtlichen und berufsrechtlichen
Vorschriften nachkomme, nämlich das Votum der Ethikkommission der Antragstellerin
beim Bundesamt für die Anerkennung von Arzneimitteln und Medizinprodukten vorlege.
Eine ordnungsgemäße Meldung sämtlicher schwerwiegender oder unerwarteter
unerwünschter Ereignisse müsse nach § 40 Abs. 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz (AMG) bei
der Antragstellerin in Form von CIOMS-Bögen (den durch die
Weltgesundheitsorganisation - WHO - vorgesehenen Formularen) erfolgen; der
Beschuldigte müsse Anträge auf Beratung auch bei weiteren laufenden oder
zukünftigen Studien stellen.
Der Beschuldigte kam diesen Aufforderungen jedoch nicht nach. Mit Antrag vom 22. Mai
2002 (bei Gericht eingegangen am 23. Mai 2002) und Klarstellungen bzw. Ergänzungen
durch Schriftsätze vom 31. Oktober 2002 und 21. November 2002 hat die Antragstellerin
die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens beantragt und dem Beschuldigten zur
Last gelegt,
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die ihm obliegenden Verpflichtungen, sich vor der Durchführung biomedizinischer
Forschung am Menschen durch die bei der Ärztekammer Nordrhein gebildete
Ethikkommission über die mit dem Vorhaben verbundenen berufsethischen und
berufsrechtlichen Fragen beraten zu lassen, und
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sich über die für die Berufsausübung geltenden Vorschriften unterrichtet zu halten, und
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die ihm aus seiner ärztlichen Behandlungstätigkeit bekannt werdenden unerwünschten
Arzneimittelwirkungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft
mitzuteilen, sowie
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seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei der Berufsausübung entgegen
gebrachten Vertrauen zu entsprechen,
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dadurch verletzt zu haben,
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dass er
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1. in der Zeit von Februar 2000 bis Oktober 2001 trotz seitens der Ethikkommission der
Ärztekammer Nordrhein mit Schreiben v. 22.03.2000 geäußerter erheblicher
berufsethischer und berufsrechtlicher Bedenken als Leiter einer klinischen Prüfung
fungiert hat, bei der ein zytostatikabeschichteter Stent getestet werden sollte (Study to
compare restenosis rate between QUEST and QUADDS-QP2),
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2. sowie gegen die ihm als Leiter einer klinischen Prüfung obliegenden Pflichten
verstoßen hat, indem er die Prüfärzte nicht ordnungsgemäß über den Prüfplan der
durchzuführenden Studie belehrt und diese überwacht hat,
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3. die Begleitmedikation anfangs nur für vier Wochen im Prüfplan vorgesehen und erst
später - nach dem Auftreten von Todesfällen - verlängert hat,
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4. die Monita der Ethikkommission der Antragstellerin aus dem Schreiben v. 22.03.2000
zur ärztlichen Vertretbarkeit unbeachtet gelassen hat,
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5. das Schreiben der Ethikkommission der Antragstellerin v. 22.03.2000 den Prüfärzten
nicht zur Verfügung gestellt hat, so dass diese nicht auf die Gefahren hingewiesen
waren,
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6. die Patienten nicht über die Negativbeurteilung durch die Ethikkommission der
Antragstellerin informiert hat, so dass letztendlich die Einverständniserklärungen der
Patienten unwirksam gewesen sind,
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7. die aufgetretenen unerwünschten Ereignisse (Todesfälle) der Ethikkommission der
Antragstellerin nicht unverzüglich und nicht in der vorgeschriebenen Form (CIOMS-
Bögen oder Bögen der Arzneimittelkommission) mitgeteilt hat, so dass eine Beurteilung
der Kausalität der aufgetretenen unerwünschten Ereignisse durch die Ethikkommission
der Antragstellerin nicht möglich war und
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8. eine biologische Sicherheitsprüfung nicht veranlasst hat.
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Verstoß gegen §§ 2 Abs. 2 und 5, 6, 15 Abs. 1 Berufsordnung für die Nordrheinischen
Ärztinnen und Ärzte in der Fassung vom 18. März 2000 in Verbindung mit § 29 Abs. 1
Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.
April 1994.
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Beweis: 1) Verwaltungsvorgang der Antragstellerin; 2) Verwaltungsvorgang der
Ethikkommission der Antragstellerin.
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Ihre Rechtsauffassung hat die Antragstellerin wie folgt dargelegt: Der Beschuldigte sei
nach § 15 Abs. 1 BO verpflichtet gewesen, sich von der Ethikkommission der
Antragstellerin beraten zu lassen. Darüber hinaus sei er als Leiter der klinischen
Prüfung auch nach § 40 Abs. 1 AMG verpflichtet gewesen, sich an die Ethikkommission
zu wenden. Die klinische Prüfung eines Arzneimittels dürfe bei Menschen nur begonnen
werden, wenn diese zuvor von einer nach Landesrecht gebildeten unabhängigen
Ethikkommission zustimmend bewertet worden sei. Soweit keine zustimmende
Bewertung vorliege, dürfe mit der klinischen Prüfung erst begonnen werden, wenn die
zuständige Bundesoberbehörde innerhalb von 60 Tagen nach Eingang der Unterlagen
nicht widersprochen habe. Über alle schwerwiegenden oder unerwarteten
unerwünschten Ereignisse, die während der Studie auftreten, müsse die
Ethikkommission unterrichtet werden. Bei der vorliegenden Studie handele es sich um
eine Studie sowohl nach dem Medizinproduktegesetz als auch nach dem
Arzneimittelgesetz, so dass § 40 AMG zur Anwendung komme. Das Verhältnis des
Medizinproduktegesetzes zum Arzneimittelgesetz werde durch § 2 Abs. 2 MPG in der
heute geltenden Fassung bzw. durch § 2 Abs. 3 MPG a. F. geregelt. Bei dem Stent
handele es sich um ein Medizinprodukt, das mit einem Arzneimittel fest verbunden sei,
wobei das Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation eingesetzt werden. Das
Votum der Freiburger Ethik-Kommission GmbH, das lediglich nach dem
Medizinproduktegesetz erteilt worden sei, reiche deshalb nicht aus. Der Antragsteller sei
verpflichtet gewesen, das Votum der für ihn zuständigen Ethikkommission der
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Antragstellerin nach § 40 Abs. 1 AMG einzuholen. Darüber hinaus seien die
"unerwünschten Ereignisse" der Ethikkommission der Antragstellerin nicht unverzüglich
mitgeteilt worden. Der Beschuldigte habe auch seine Sorgfaltspflichten als Leiter der
klinischen Prüfung nicht eingehalten. Die gemeldeten Todesfälle seien als vermeidbare
Komplikationen anzusehen. Die Patienten seien nicht rechtzeitig darauf hingewiesen
worden, dass sie das Begleitmedikament Clopidogrel für die Dauer von sechs Monaten
hätten nehmen müssen. Der Beschuldigte sei verpflichtet gewesen, sich über die für ihn
geltenden rechtlichen Bestimmungen informiert zu halten.
Der Beschuldigte hat sich wie folgt eingelassen: Der zytostatikabeschichtete Stent sei
ein Medizinprodukt, das ausschließlich nach dem Medizinproduktegesetz und nicht
nach dem Arzneimittelgesetz zu bewerten sei. Der Stent sei weder "dazu bestimmt,
Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes zu verabreichen" (§ 2
Abs. 2 MPG n. F.) noch werde er "mit einem Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 des
Arzneimittelgesetzes als eine feste Einheit in den Verkehr gebracht" (§ 2 Abs. 3 MPG a.
F.). Vielmehr handele es sich um ein Medizinprodukt im Sinne von § 3 Nr. 2 MPG, bei
dem das Arzneimittel lediglich eine ergänzende Wirkung (Verhinderung eines
Stentverschlusses durch Hemmung der Proliferation der Intima) zur Funktion des
Produktes, nämlich der mechanischen Stütze des Gefäßes, habe. Diese Auffassung sei
auch von sämtlichen zuständigen Aufsichtsbehörden in allen Verfahren zur Prüfung
beschichteter Stents vertreten worden. Beispielhaft hierzu hat der Beschuldigte ein
Schreiben des Landesamtes für Gesundheit und Verbraucherschutz, Hamburg, Referat
Medizinprodukte, vom 9. September 2002 vorgelegt, in dem ebenfalls diese Auffassung
vertreten wird. Deshalb sei entgegen der Auffassung der Antragstellerin weder "das
Votum der für den Leiter der klinischen Prüfung zuständigen Ethikkommission" (also der
bei der Antragstellerin angesiedelten) gem. § 40 Abs. 1 Ziffer 6 AMG, noch erforderlich,
dass die Studie "zuvor von einer nach Landesrecht gebildeten unabhängigen Ethik-
Kommission zustimmend bewertet worden ist" (§ 40 Abs. 1 Satz 2 AMG). Vielmehr sei
ausschließlich § 17 Abs. 6 MPG (a. F.), einschlägig wonach auch bei multizentrischen
Studien nur eine zustimmende Stellungnahme einer registrierten Ethikkommission zu
dem Prüfplan vorliegen müsse, bevor mit der klinischen Prüfung begonnen werde.
Diese Voraussetzung habe er, der Beschuldigte, jedenfalls durch das Votum der freien
Ethikkommission Freiburg erfüllt. Darüber hinaus hätten zu der Studie weitere positive
Voten, nämlich der Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland Pfalz, der
Sächsischen Landesärztekammer und der Ethikkommission der Ärztekammer Hamburg,
vorgelegen. Er habe auch nicht gegen § 15 BO verstoßen. Nach überwiegender
Meinung in der Literatur sei diese Vorschrift, die eine Pflichtberatung vorsehe, als
verfassungswidrig anzusehen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg habe
inzwischen entschieden, dass bei Studien nach dem Medizinproduktegesetz das
zustimmende Votum einer freien Ethikkommission ausreiche und das zusätzliche Votum
einer nach Landesrecht gebildeten Ethikkommission nicht erforderlich sei. Abgesehen
davon habe er, der Beschuldigte, sich tatsächlich beraten lassen, indem er sich an die
Ethikkommission der Antragstellerin gewandt und den Prüfplan sowie weitere
Unterlagen eingereicht habe. Auch die weiteren ihm zur Last gelegten Vorwürfe seien
nicht berechtigt. Er habe sämtliche unerwünschten Vorkommnisse im Rahmen der
Studie persönlich, durch den Sponsor und durch den CO-Principal Investigator
Professor Reifarth zeitnah den zuständigen Behörden gemeldet. Der Ethikkommission
der Antragstellerin habe er diese Vorfälle zunächst nicht mitgeteilt, weil diese - wie
ausgeführt - nicht die für ihn zuständige Ethikkommission sei. Entsprechendes gelte für
Protokolländerungen zur Studie SCORE, die ordnungsgemäß den zuständigen Stellen,
insbesondere der Ethikkommission in Freiburg mitgeteilt worden seien. Auch die
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übrigen Anschuldigungspunkte seien nicht begründet.
Zu den einzelnen Anschuldigungspunkten hat der Beschuldigte ausgeführt:
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Anschuldigungspunkt 1: Dieser Vorwurf sei bereits durch die vorstehenden
Ausführungen widerlegt. Es habe vier bedenkenlose Voten anderer Ethikkommissionen
gegeben.
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Anschuldigungspunkt 2: Allen Prüfärzten habe eine komplette Dokumentation
(Investigator-Broschüre) vorgelegen. Eine "Belehrung" der Prüfärzte durch den
Studienleiter werde im Medizinproduktegesetz nicht gefordert. Die Firma R. habe
mehrere Investigator-Meetings veranstaltet, bei denen auch Protokollfragen diskutiert
worden seien.
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Anschuldigungspunkt 3: Es treffe nicht zu, dass die Begleitmedikation anfangs nur für
vier Wochen im Prüfplan vorgesehen und erst später, nach dem Auftreten von
Todesfällen, verlängert worden sei. Mit Schreiben der Firma L. vom 28. März 2000 sei
der Ethikkommission der Antragstellerin auch ein geändertes Protokoll zugesandt
worden, das unter Absatz 10.4 den Hinweis auf Clopidogrel und die Einnahmedauer
von sechs Monaten enthalte.
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Anschuldigungspunkt 4: Aus dem Schreiben der Firma L. vom 22. März 2000 ergebe
sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin, dass der Beschuldigte die Monita der
Ethikkommission der Antragstellerin aus dem Schreiben vom 22. März 2000
keineswegs unbeachtet gelassen habe.
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Anschuldigungspunkt 5: Da bereits mehrere positive Voten vorgelegen hätten, habe
keine Verpflichtung bestanden, das Schreiben der Antragstellerin vom 22. März 2000
weiterzuleiten, zumal der Inhalt diskussionswürdig gewesen sei.
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Anschuldigungspunkt 6: Der Vorwurf, "die Patienten nicht über die Negativbeurteilung"
informiert zu haben, treffe schon deshalb nicht zu, weil das Schreiben vom 22. März
2000 kein Veto, also keine "Negativbeurteilung" beinhalte, sondern nur deutlich mache,
dass sich die Ethikkommission "noch nicht zu einem positiven Votum habe entschließen
können."
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Anschuldigungspunkt 7: Die unerwünschten Ereignisse seien allen beteiligten
Ethikkommissionen sowie den nach dem Medizinproduktegesetz zuständigen Behörden
zeitnah gemeldet worden. Da die Ethikkommission der Antragstellerin an dem Verfahren
nicht mehr beteiligt gewesen sei, habe es auch keine Veranlassung gegeben, diese
weiter auf dem Laufenden zu halten. Im Übrigen sei die Ethikkommission der
Antragstellerin mit Schreiben des Beschuldigten vom 20. Dezember 2000 ergänzend
informiert worden.
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Anschuldigungspunkt 8: In der Tat sei eine biologische Sicherheitsprüfung nach dem
Medizinproduktegesetz zwingend. Diese Prüfung sei aber nicht durch den Prüfarzt oder
den Leiter der klinischen Prüfung durchzuführen, sondern durch den Hersteller, wie sich
aus § 20 Abs. 1 Ziffer 7 MPG n. F. ergebe. Diese Prüfung sei hier auch -
selbstverständlich - erfolgt. Die Informationen über die biologische Sicherheitsprüfung
seien von dem damaligen Hersteller der Stents anlässlich von Investigator-Meetings
den beteiligten Ärzten übermittelt und in schriftlicher Form (Investigator-Broschüre) zur
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Verfügung gestellt worden. Im Übrigen sei offensichtlich, dass den vier
Ethikkommissionen, die zustimmende Voten erteilt hätten, dieses gesetzliche
Erfordernis ebenfalls bekannt gewesen und es von diesen beachtet worden sei. Die von
der Antragstellerin vermissten "Versuche am Tier" seien - wie sich aus den der
Antragstellerin überlassenen Unterlagen ergebe - an der Stanford-Universität mit
Schweinen durchgeführt und deren Ergebnisses auch dokumentiert worden. Im
Schreiben der Antragstellerin vom 22. März 2000 sei auch nicht das Fehlen von
Tierversuchen beanstandet, sondern lediglich - unangemessen - gefordert worden, dass
eine "Ein-Jahres-Implantation in Koronarien oder Gefäßen des Schweines"
durchzuführen sei, was der Firma L. Veranlassung gegeben habe, nochmals auf die
eingereichten Unterlagen zu verweisen. II.
Der Antrag auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens ist gem. § 204 StPO i. V. m.
§ 112 Heilberufsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2000 (GV
NRW S. 403) teils aus Rechtsgründen, teils aus tatsächlichen Gründen abzulehnen,
weil der Beschuldigte der ihm vorgeworfenen Berufspflichtverletzungen nicht
hinreichend verdächtig erscheint (§ 203 StPO). Im Einzelnen gilt Folgendes:
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Zum Anschuldigungspunkt 1: Es steht fest, dass der Beschuldigte als Leiter einer
klinischen Prüfung tätig geworden ist ("SCORE"), obwohl die Ethikkommission der
Antragstellerin mit Schreiben vom 22. März 2000 insoweit Bedenken geäußert hat.
Hierin liegt jedoch kein Verstoß gegen berufsrechtliche Vorschriften, insbesondere nicht
gegen die sich aus § 15 Abs. 1 BO ergebende Pflicht, sich über berufsethische und
berufsrechtliche Fragen beraten zu lassen bzw. gegen die sich aus § 2 Abs. 2 BO
ergebende Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung. Der Beschuldigte hat am 1.
Februar 2000 einen Antrag auf Beratung bei der Ethikkommission der Antragstellerin
gestellt und das positive Votum der Ethik-Kommission Freiburg GmbH vom 23.
November 1999 sowie die Bestätigung der Aufsichtsbehörde der Freien und Hansestadt
Hamburg beigefügt. Damit ist er seiner Verpflichtung aus § 15 Abs. 1 BO
nachgekommen. Entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin war der
Beschuldigte nicht verpflichtet, vor Beginn der Studie ein positives Votum der
Ethikkommission der Antragstellerin abzuwarten oder die Unterlagen gem. § 40 AMG
dem Bundesamt für die Anerkennung von Arzneimitteln und Medizinprodukten
vorzulegen. Zu Recht hat sich der Beschuldigte nämlich darauf berufen, dass das
Arzneimittelgesetz auf eine Studie zur Wirkungsweise eines beschichteten Stents nicht
anwendbar ist; anwendbar sind vielmehr allein die in dem hier maßgeblichen Punkt -
Votum einer Ethikkommission - anders lautenden Vorschriften des
Medizinproduktegesetzes in der Fassung vom 2. August 1994 (BGBl. I 1963, geändert
durch das Gesetz vom 6. August 1998 - BGBl. I 2005 - MPG a. F. ); die seit 2002
geltende Neufassung ist für den vorliegend in Rede stehenden Zeitraum nicht
anwendbar. Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 MPG a. F. ist einschränkend so auszulegen,
dass ausschließlich das Medizinproduktegesetz anwendbar bleibt, wenn der mit dem
Medizinprodukt kombinierte arzneilich wirksame Stoff lediglich eine ergänzende
Wirkung hat. Bei der Zuordnung zum Medizinproduktegesetz ist die
bestimmungsgemäße Hauptwirkung und der damit verbundene Weg des Erreichens
dieser Hauptwirkung zu berücksichtigen,
52
vgl. Schorn, Medizinprodukterecht, Kommentar zum Medizinproduktegesetz, § 2 Rz. 49.
53
Hierzu gehören etwa mit Heparin oder Antibiotika beschichtete Kathether, mit Antibiotika
kombinierte Knochenzemente, mit antimikrobiellen Agentien versetzte Verbandstoffe u.
54
a.,
vgl. Schorn, a. a. O.
55
In diese Kategorie fällt auch ein mit einem Zytostatikum beschichteter Stent. Die
therapeutische Wirkung des Stents liegt in der mechanischen Stützung des Gefäßes.
Der Beschichtung des Stents kommt demgegenüber lediglich eine Ergänzung der
Hauptfunktion zu, indem eine häufige unerwünschte Folge bei derartigen Eingriffen,
nämlich die Wiederverengung des Gefäßes, reduziert werden soll. Das heißt, dass die
in erster Linie auf physikalischem Wege herbeigeführte Funktion des Medizinproduktes
hier durch einen arzneilich wirksamen Stoff unterstützt wird. In einem solchen Fall gilt
nach den Vorschriften des Medizinproduktegesetzes und den ihnen zugrunde liegenden
europarechtlichen Vorschriften die "Vorfahrt" des Medizinproduktegesetzes,
56
vgl. Schorn a. a. O., § 3 MPG Rz. 20 ff.
57
Die Voraussetzungen für eine klinische Prüfung ergeben sich damit allein aus § 17 Abs.
6 MPG a. F. Danach ist - anders als nach dem Arzneimittelgesetz - vor Beginn der
Studie nicht die zustimmende Stellungnahme einer nach Landesrecht gebildeten
Ethikkommission erforderlich, sondern es reicht das Votum einer gem. § 17 Abs. 7 MPG
a.F. „im Geltungsbereich dieses Gesetzes tätigen Ethikkommission", die „bei der
zuständigen Bundesoberbehörde registriert" ist. Dies bedeutet, dass auch private
Ethikkommissionen tätig werden dürfen, sofern sie registriert sind. Der
Bundesgesetzgeber hat sich damit im Medizinprodukterecht für einen Wettbewerb
privater und öffentlich-rechtlicher Ethikkommissionen entschieden. Zu beachten ist
weiter die Entscheidung des Bundesgesetzgebers, dass bei multizentrischen Studien
ein Votum genügt (§ 17 Abs. 6 S. 2 MPG a. F. bzw. § 20 Abs. 7 S. 2 MPG n. F.).
Bundesrecht schließt damit zwar nicht aus, dass auch durch Landesrecht gebildete
öffentlich-rechtliche Ethikkommissionen im Medizinprodukterecht tätig werden und sich
hierzu registrieren lassen. Es schließt jedoch landesrechtliche Bestimmungen aus, die
den nach Landesrecht gebildeten öffentlich-rechtlichen Ethikkommissionen einen
Vorrang gegenüber privaten Ethikkommissionen zuerkennen.
58
Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW), Urteil vom 10. September
2002 - 9 S 2506/01 -, NJW 2003, 983, s. dazu auch die Anmerkung von Deutsch, NJW
2003, 949, sowie - zum vorausgegangenen Urteil des VG Stuttgart - ebenfalls Deutsch,
NJW 2002, 491, und Graf, NJW 2002, 1774.
59
Mit dem VGH BW geht das erkennende Gericht davon aus, dass deshalb
landesrechtliche Bestimmungen ausgeschlossen sind, die bei multizentrischen Studien
für das Gebiet des eigenen Landes eine zusätzliche Stellungnahme der "eigenen"
Ethikkommission oder auch nur ein besonderes Verfahren zur Anerkennung einer
vorliegenden fremden Stellungnahme verlangen. Das Medizinproduktegesetz
unterscheidet sich damit vom Arzneimittel- und vom Transfusionsgesetz. Diese Gesetze
kennen keine bundesbehördliche Registrierung, sondern sehen von vornherein nur
"durch Landesrecht gebildete", also öffentlich-rechtliche, Ethikkommissionen vor.
60
Das erkennende Gericht schließt sich dem VGH BW weiter dahingehend an, dass
unabhängig von der Tätigkeit einer - bei einer Landesärztekammer gebildeten -
Ethikkommission als registrierter Ethikkommission nach dem Medizinproduktegesetz die
jeweilige Ärztekammer berechtigt ist, ihre Mitglieder in Fragen der ärztlichen Ethik zu
61
beraten und auch eine Pflichtberatung vorzusehen. Diese beiden Tätigkeitsbereiche -
Votum nach Medizinprodukterecht einerseits, berufsethische und berufsrechtliche
Beratung der Kammermitglieder andererseits - sind trotz vielfacher Überschneidungen
rechtlich zu unterscheiden; sie verfolgen zwar ähnliche, aber anders gewichtete
Schutzzwecke. Die Prüfung nach dem Medizinproduktegesetz dient unmittelbar dem
Schutz der Patienten; dagegen soll die berufsethische und berufsrechtliche Beratung
den Arzt bei seiner letztlich in eigener Verantwortung zu treffenden Entscheidung
unterstützen, ob seine Beteiligung an einer klinischen Studie ethisch vertretbar ist. Einer
landesrechtlichen Vorschrift, die eine Pflichtberatung vorsieht, steht deshalb
Bundesrecht nicht entgegen. Die rechtliche, insbesondere verfahrensrechtliche,
Ausgestaltung einer solchen Pflichtberatung darf jedoch den öffentlich-rechtlichen
Ethikkommissionen, die zugleich Stellungnahmen nach § 17 Abs. 6 a. F. MPG (§ 20
Abs. 7 MPG n. F.) abgeben, keinen Wettbewerbsvorsprung gegenüber privaten
Ethikkommissionen verschaffen und nicht dazu führen, dass bei multizentrischen
Studien faktisch doch eine zweite - landeseigene - Stellungnahme nach dem
Medizinproduktegesetz eingeholt werden muss. Für die klinische Prüfung von
Medizinprodukten gebietet deshalb das Bundesrecht, dass in den Regelungen der
Ärztekammern nach Verfahren und Inhalt zwischen der Stellungnahme nach § 17 Abs. 6
MPG a. F. (§ 20 Abs. 7 MPG n. F.) und der Pflichtberatung der Kammermitglieder
unterschieden wird und zugleich vorgesehen wird, dass die Beratungspflicht auch durch
Vorlage des zustimmenden Votums einer privaten Ethikkommission erfüllt werden kann.
Die beschriebenen bundesrechtlichen Anforderungen verlangen also, dass die
Landesärztekammern für die klinische Prüfung von Medizinprodukten die Beurteilung
der ärztlichen Tätigkeit nach § 17 Abs. 6 MPG a. F. (§ 20 Abs. 7 MPG n. F.) und die
Beratung der Kammermitglieder nach § 15 Abs. 1 BO eindeutig entkoppeln. Mit dem
VGH BW ist das erkennende Gericht der Auffassung, dass die Beratungspflicht bereits
durch eine Anzeige des Vorhabens durch den an der klinischen Prüfung teilnehmenden
Arzt erfüllt ist.
Vgl. VGH BW a. a. O.
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Mit diesen bundesrechtlichen Vorgaben ist § 15 Abs. 1 BO vereinbar.
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a.A. Schenke, NJW 1991, 2313, der eine ähnlich lautende Bestimmung der bayerischen
Berufsordnung für Ärzte für verfassungswidrig hält.
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Die Vorschrift sieht eine Pflichtberatung für Kammermitglieder nur dem Grunde nach vor,
ohne Regelungen über Inhalt und Verfahren im Einzelnen zu treffen. Sie lässt deshalb
eine bundesrechtskonforme Auslegung in dem oben beschriebenen Sinne zu, dass die
berufsrechtliche Pflicht des Arztes, sich beraten zu lassen, jedenfalls bei der klinischen
Prüfung von Medizinprodukten als erfüllt gilt, wenn er der Antragstellerin das Vorhaben
anzeigt und das Votum einer anderen Ethikkommission vorlegt, wobei - anders als bei
Arzneimitteln - auch das Votum einer privaten Ethikkommission ausreicht.
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Anders als die Berufsordnung selbst genügt aber die Satzung der Ethikkommission der
Antragstellerin (Satzung vom 28. Oktober 1995, Rheinisches Ärzteblatt vom 31. Januar
1996, Seite 56) diesen bundesrechtlichen Anforderungen nicht. Denn die dortigen
Regelungen treffen keine hinreichend klare Unterscheidung zwischen der Beratung der
Kammermitglieder und der Tätigkeit als registrierter Ethikkommission nach § 17 Abs. 6
MPG a. F. Zunächst ist in § 1 Abs. 2 S. 2 der Satzung ausdrücklich geregelt, dass die
Ethikkommission die Aufgabe u. a. gem. § 17 Medizinproduktegesetz wahrnimmt. In § 1
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Abs. 4 S. 2 heißt es weiter, dass die Kommission zuständig ist, wenn "über das
Erstvotum hinaus gem. 17 Abs. 6 S. 2 MPG weitere Voten beantragt werden". In § 1 Abs.
2 heißt es schließlich, dass die Ethikkommission die Aufgabe hat, medizinische
Forschung am Menschen „ethisch und rechtlich zu beurteilen" und „Kammermitglieder in
berufsethischen und berufsrechtlichen Fragestellungen zu beraten". Damit wird zwar
begrifflich zwischen den beiden Tätigkeitsbereichen unterschieden, verfahrensrechtlich
aber kein Unterschied gemacht zwischen der berufsethischen und -rechtlichen
Pflichtberatung nach § 15 Abs. 1 BO einerseits und der Stellungnahme nach § 17 Abs. 6
MPG a. F. andererseits. Vor allem fehlt eine eindeutige Regelung dahingehend, dass
der Beratungspflicht auch dadurch genügt werden kann, dass das zustimmende Votum
einer privaten Ethikkommission vorgelegt und das Vorhaben im Übrigen lediglich - unter
Vorlage sämtlicher einschlägiger Unterlagen - angezeigt wird. Insofern besteht
zwischen den Regelungen in der Satzung der Ethikkommission der Antragstellerin und
den durch den VGH BW beanstandeten Regelungen im Statut der Ethikkommission der
Landesärztekammer Baden-Württemberg kein wesentlicher Unterschied. Die
Landesärztekammer Baden-Württemberg hat im Übrigen das Urteil des VGH BW
inzwischen umgesetzt. Bei vorliegendem Votum einer registrierten Ethikkommission im
Medizinprodukterecht genügt nunmehr zur Erfüllung der berufsrechtlichen
Beratungspflicht die Einreichung dieses Votums und der vollständigen
Antragsunterlagen; der Antragsteller erhält in der Regel zwei bis drei Wochen nach
Eingang der Unterlagen ein Antwortschreiben,
vgl. Mitteilung der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 3. Oktober 2002 auf
deren Website, www.laek- bw.de/20/ethik/01beurteilung_mpg.html.
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Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass aufgrund bundesrechtlicher Vorschriften ein Arzt,
der Mitglied der Antragstellerin ist, für die Teilnahme an der klinischen Prüfung eines
Medizinproduktes beim Menschen keines zusätzlichen Votums der Ethikkommission der
Antragstellerin bedarf, wenn bereits ein zustimmendes Votum einer - auch privaten -
Ethikkommission vorliegt. Der Beratungspflicht wird in einem solchen Falle bereits
durch die Anzeige der klinischen Prüfung und die Vorlage des bereits eingeholten
Votums der anderen Ethikkommission genügt. Diese Vorgaben hat der Beschuldigte
eingehalten, so dass ihm ein berufsrechtlicher Vorwurf insoweit nicht gemacht werden
kann. Selbst wenn man jedoch die Rechtslage hinsichtlich der bundesrechtlichen
Anforderungen bei der klinischen Prüfung von Medizinprodukten anders beurteilen
wollte und deshalb zu einem objektiven Verstoß gegen die Berufspflichten käme, so
könnte dies dem Beschuldigten kaum als schuldhaftes Verhalten angelastet werden, da
selbst ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht (der VGH Baden-
Württemberg) und zuvor bereits das VG Stuttgart die Rechtslage ebenso beurteilt hat
wie der Beschuldigte.
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Zum Anschuldigungspunkt 2: Ein Verstoß gegen das Berufsrecht, insbesondere gegen
die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung, vermag das Gericht insoweit nicht zu
erkennen. Zu Recht hat der Beschuldigte darauf hingewiesen, dass eine „Belehrung"
der Prüfärzte durch den Studienleiter im Medizinproduktegesetz nicht gefordert wird. Der
Beschuldigte hat unwiderlegt und plausibel vorgetragen, dass allen Prüfärzten eine
komplette Dokumentation (Investigator-Broschüre) vorgelegen hat und dass mehrere
Investigator-Meetings stattgefunden haben. Darüber hinaus sind die Prüfärzte nach dem
Auftreten der "unerwünschten Ereignisse" noch einmal ausdrücklich auf die
einschlägigen Protokollfragen hingewiesen worden. Das Verhalten des Beschuldigten
ist berufsrechtlich insoweit nicht zu beanstanden.
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Zum Anschuldigungspunkt 3: Es trifft nicht zu, dass die Begleitmedikation mit
Clopidogrel erst nach dem Auftreten von Todesfällen verlängert wurde. Nach dem an
die Antragstellerin gerichteten Schreiben der Firma L. vom 28. März 2000 ist die
entsprechende Begleitmedikation gemäß der diesem Schreiben beigefügten
geänderten Protokollversion vom 30. Januar 2000 vor Einschluss der Patienten auf eine
Einnahmedauer von sechs Monaten - statt der ursprünglich vorgesehenen vier Wochen
- verlängert worden (geändertes Protokoll Ziff. 10.4).
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Zum Anschuldigungspunkt 4: Das Gericht kann auch zu diesem Anschuldigungspunkt
keinen hinreichenden Verdacht einer Verletzung von Berufspflichten erkennen. Der
Beschuldigte hat sich mit den Beanstandungen der Ethikkommission der Antragstellerin
in deren Schreiben vom 22. März 2000 auseinandergesetzt, indem im Schreiben der
Firma L. vom 28. März 2000, das diese in seinem Auftrag abgesandt hat, zu jedem
einzelnen Punkt Stellung genommen wurde. Die Pflicht, sich durch die Ethikkommission
der Antragstellerin beraten zu lassen, und die Pflicht zur gewissenhaften
Berufsausübung beinhalten nicht, dass den durch die Ethikkommission geäußerten
"Monita" in allen Punkte gefolgt werden muss.
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Zum Anschuldigungspunkt 5: Der Beschuldigte war nicht verpflichtet, das Schreiben der
Ethikkommission der Antragstellerin den Prüfärzten zur Verfügung zu stellen. Es gibt
keine Rechtsnorm, die konkret eine solche Verpflichtung anordnet. Die allgemeine
Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung führt ebenfalls nicht zu einer solchen
Verpflichtung. Die rechtliche und ärztliche Vertretbarkeit der klinischen Prüfung war
bereits durch das Votum der Ethik-Kommission Freiburg GmbH nach den Vorschriften
des Medizinproduktegesetzes geprüft, so dass unter dem Schutzzweck dieses Gesetzes
- Schutz der Patienten - die Information der Prüfärzte über Bedenken der lediglich für die
berufsethische und berufsrechtliche Beratung des Beschuldigten zuständigen
Ethikkommission nicht zwingend geboten war. Es war vielmehr die Sache des
jeweiligen Prüfarztes, sich selbst nach Maßgabe der in dem jeweiligen Kammerbezirk
geltenden berufsrechtlichen Bestimmungen beraten zu lassen und in eigener
Verantwortung zu entscheiden, ob es für ihn vertretbar war, sich an der Studie zu
beteiligen.
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Zum Anschuldigungspunkt 6: Ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Berufsrechts
liegt schon deshalb nicht vor, weil entgegen der Formulierung des
Anschuldigungspunktes keine "Negativbeurteilung" der Ethikkommission vorlag, diese
lediglich erklärt hatte, sie könne sich "noch nicht zu einem positiven Votum
entschließen". Unabhängig davon ist für das Gericht nicht erkennbar, dass die Patienten
nicht ausreichend über die Risiken der Behandlung aufgeklärt worden sein sollen. Die
Patienteninformation entsprach den Vorgaben der Ethik-Kommission Freiburg GmbH
und enthielt alle notwendigen Hinweise, um den Patienten eine Entscheidung über die
Teilnahme an der Studie zu ermöglichen. Es kann deshalb keine Rede davon sein, die
Einverständniserklärungen der Patienten seien unwirksam gewesen.
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Zum Anschuldigungspunkt 7: Da der Beschuldigte - wie ausgeführt - seiner Pflicht, sich
nach § 15 Abs. 1 BO beraten zu lassen, durch die Anzeige der beabsichtigten Studie
und die Vorlage des positiven Votums der Ethikkommission Freiburg bereits genügt
hatte, war er nicht verpflichtet, der Ethikkommission der Antragstellerin die aufgetretenen
"unerwünschten Ereignisse" mitzuteilen. Darüber hinaus gehende Bestimmungen in der
Satzung der Ethikkommission der Antragstellerin sind - wie zu Anschuldigungspunkt 1)
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ausgeführt - unwirksam, weil das Verfahren der Pflichtberatung und das Verfahren der
Beurteilung nach § 17 Abs. 6 MPG (a.F.) nicht entkoppelt sind. Der Beschuldigte hat
seine berufsrechtlichen Pflichten dadurch erfüllt, dass er die " unerwünschten
Ereignisse" der nach dem Medizinproduktegesetz zuständigen Ethikkommission
Freiburg sowie den zuständigen Aufsichtsbehörden mitgeteilt hat. Der Beschuldigte hat
unwiderlegt vorgetragen, dass er diesen Mitteilungspflichten unverzüglich
nachgekommen ist. Zum Anschuldigungspunkt 8: Auch insoweit kann dem
Beschuldigten ein Verstoß gegen das Berufsrecht nicht vorgeworfen werden. Eine
biologische Sicherheitsprüfung gem. § 17 Abs. 1 Nr. 5 MPG a.F. (§ 20 Abs. 1 Nr. 5 MPG
n. F.) hat - durch den Hersteller - stattgefunden. Zu Recht hat der Beschuldigte auf die
Vorschrift des § 17 Abs. 1 Nr. 7 MPG a.F. (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 MPG n. F.) hingewiesen,
wonach es Sache des Herstellers ist, die biologische Sicherheitsprüfung durchzuführen
und den Leiter der klinischen Prüfung über die Ergebnisse zu informieren. Dass die
Ethikkommission der Antragstellerin - anders als die übrigen mit dem Vorhaben
befassten Ethikkommissionen - der Auffassung war, die durchgeführten Prüfungen
reichten nicht aus, vielmehr müsse eine "Ein-Jahres-Implantation in Koronarien oder
Gefäße des Schweines" durchgeführt werden, führte nicht dazu, dass der Beschuldigte
verpflichtet gewesen wäre, eine weitere Sicherheitsprüfung zu "veranlassen". Für die
aufgetretenen Komplikationen waren außerdem nicht die von der Ethikkommission der
Antragstellerin im Schreiben vom 22. März 2000 befürchteten "lokalen zytotoxischen
Auswirkungen" oder die "Pharmakokinetik" der Freigabe des Zytostatikums ursächlich,
sondern Anwendungsfehler wie das unmittelbare Stenten (ohne Vordehnung), die nicht
indizierte Überbrückung von Seitenästen oder die nicht konsequent eingehaltene
Durchführung der vorgesehenen Begleitmedikation.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 107, 112 Heilberufsgesetz i. V. m. § 467 Abs. 1
StPO.
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