Urteil des VG Köln vom 24.11.2006

VG Köln: wiedereinsetzung in den vorigen stand, arzneimittel, unternehmen, amtshandlung, vollstreckung, verjährungsfrist, kostenpflicht, erlass, kommission, vollstreckbarkeit

Verwaltungsgericht Köln, 25 K 2287/03
Datum:
24.11.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
25. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 K 2287/03
Tenor:
Der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte
vom 28. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20. März 2003 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung in derselben Höhe Sicher- heit leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung des
Arzneimittels „W. „. Mit Schreiben vom 27. März 1995 nahm sie den Antrag un- ter
Berufung auf § 105 Abs. 5c Arzneimittelgesetz (in der bis einschließlich 9. AMG-
Änderungsgesetz geltenden Fassung, AMG a. F.) zurück. Am 25. Oktober 2000
beantragte sie das Wiederaufgreifen des Nachzulassungsverfahrens. Mit Be- scheid
vom 27. Dezember 2002 versagte die Beklagte die Zulassung des Arzneimit- tels.
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Mit dem im vorliegenden Verfahren angegriffenen Kostenbescheid vom 28. Ja- nuar
2003 zog die Beklagte die Klägerin zu Gebühren in Höhe von 8.475,00 EUR nach der
Kostenverordnung für die Zulassung von Arzneimitteln heran. Den dagegen gerichteten
Widerspruch, in dem sich die Klägerin in erster Linie auf die Verjährung der
Kostenforderung gemäß § 20 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz (VwKostG) berief, wies
die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2003 zurück.
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Die Klägerin hat rechtzeitig Klage erhoben. Im Einvernehmen mit den Beteiligten hat
das Gericht das Ruhen des Verfahrens angeordnet, bis das Bundesverwaltungs- gericht
in Musterverfahren über die streitige Verjährungsproblematik entschieden hatte. Mit
Urteilen vom 24. Februar 2005 - 3 C 38.04 -; - 3 C 39.04 - hat das Bundes-
verwaltungsgericht entschieden, dass arzneimittelrechtliche Gebühren-forderungen der
Beklagten im Nachzulassungsverfahren grundsätzlich vier Jahre nach Eingang des so
genannten Kurzantrages (als maßgeblichem Antrag im Sinne des § 11 Abs. 1 VwKostG)
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verjähren. Die Beklagte hat daraufhin in einer Vielzahl von Parallel- verfahren die
jeweils klagenden pharmazeutischen Unternehmen im Wesentlichen klaglos gestellt. Im
vorliegenden Verfahren hat die Beklagte mitgeteilt, sie werde den angefochtenen
Kostenbescheid nicht aufheben: Abweichend von der den Urteilen des
Bundesverwaltungsgerichts zugrundeliegenden Fallkonstellationen handele es sich
vorliegend um einen Fall, in dem der Antrag auf Verlängerung der Zulassung gemäß §
105 Abs. 5c AMG a.F. zurückgenommen worden sei und die fiktive Zulas- sung des
Arzneimittels am 01. Januar 2005 erloschen wäre, wenn die Klägerin nicht einen
erneuten Antrag - auf Wiederaufgreifen des Verfahrens - gemäß § 105 Abs. 5c des
Arzneimittelgesetzes in der seit der Änderung durch Gesetz vom 4. Juli 2000 (10. AMG-
Änderungsgesetz, BGBl. I S. 1002 - AMG n.F. -) geltenden Fassung ge- stellt hätte.
Nach Inkrafttreten des 10. AMG-Änderungsgesetzes sei den Antragstel- lern, die ihren
Verlängerungsantrag zurückgenommen hätten, die Möglichkeit einge- räumt worden, bei
Vorliegen bestimmter Voraussetzungen durch einen Antrag auf Wiederaufgreifen erneut
in das Nachzulassungsverfahren zu gelangen. In den Wie- deraufgreifensfällen sei für
die Frage der Verjährung nach § 20 Abs. 1 VwKostG nicht auf den Kurzantrag als
Zeitpunkt der Antragstellung im Sinne des § 11 Abs. 1 VwKostG abzustellen, sondern
auf den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfah- rens. Mit diesem Antrag habe die
Klägerin ein neues Verwaltungsverfahren, gerichtet auf die Erteilung der Verlängerung
der Zulassung gemäß § 105 AMG, in Gang ge- setzt, sodass auch die Verjährungsfrist
nach § 20 Abs. 1 VwKostG neu zu laufen be- ginne.
Die Klägerin ist der Auffassung, die zur Frage der Verjährung ergangenen Urteile des
Bundesverwaltungsgerichtes seien auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden.
Entgegen der Auffassung der Beklagten stelle das Wiederaufgreifen des Verfahrens
nach § 105 Abs. 5c AMG n.F. keinen neuen Antrag im Sinne des § 11 Abs. 1 VwKostG
dar. Vielmehr werde das mit dem Kurzantrag bereits eingeleitete Nachzu-
lassungsverfahren lediglich fortgeführt. Die streitige Kostenforderung sei deshalb ver-
jährt. Schließe man sich dieser Auffassung nicht an, so dürften die Gebühren jeden- falls
nur nach der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung der Kostenver-
ordnung festgesetzt werden. Die Anwendung der zum Zeitpunkt des Erlasses des
Kostenbescheides geltenden Fassung der Kostenverordnung stelle eine verfas-
sungswidrige Rückwirkung dar.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin- produkte vom 28.
Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbe- scheides vom 20. März 2003
aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der angefochtene Kostenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren
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Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Rechtsgrundlage
für die Heranziehung zu den Kosten für die Arzneimittelzulassung ist § 33 Abs. 1 AMG
in Verbindung mit der einschlägigen Kostenverordnung. Nach § 33 Abs. 3 AMG findet
das Verwaltungskostengesetz ergänzend Anwendung. Dieses regelt in § 20 VwKostG
die Verjährung. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 VwKostG verjährt der Anspruch auf Zahlung
von Kosten spätestens mit dem Ablauf des vierten Jahres nach der Entstehung, bei
antragsgebundenen Amtshandlungen also gemäß § 11 Abs. 1 VwKostG nach der
Stellung des Antrages. Die Kammer folgt der Auffassung des
Bundesverwaltungsgerichtes in den zitierten Entscheidungen, wonach im
arzneimittelrechtlichen Nachzulassungsverfahren an den so genannten Kurzantrag
anzuknüpfen ist und es nicht darauf ankommt, ob sämtliche für die Antragsbearbeitung
erforderlichen Unterlagen bei Antragstellung bereits vor- lagen.
Nach Auffassung der Kammer ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
auch auf die Fälle übertragbar, in denen die pharmazeutischen Unternehmen - wie die
Klägerin - von der Regelung des § 105 Abs. 5c AMG a.F. Gebrauch gemacht und die so
genannte 2004-Regelung in Anspruch genommen haben. Mit dieser Regelung hatte der
Gesetzgeber wegen der nicht in angemessener Zeit zu bearbeitenden Vielzahl der
Verlängerungsanträge zu- nächst eine Privilegierung der Antragsrücknahme eingeführt:
Wer den Antrag bis Ende 1999 zurücknahm, sollte sein Arzneimittel noch bis Ende 2004
ohne Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweis weiter vertreiben können.
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Zum Ganzen vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Oktober
2005 - 5 B 9.05 -, zitiert nach juris, mit weiterem Nachweis.
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Durch ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen die
Bundesrepublik Deutschland sah sich der Gesetzgeber veranlasst, die „2004-
Regelung" wieder aufzuheben. Dies erfolgte durch das 10. AMG-Änderungsgesetz,
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vgl. Hofmann/Nickel, NJW 2000, 2700 ff.
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Für die Unternehmen, die ihre Verlängerungsanträge bereits zurückgenommen hatten,
musste aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Möglichkeit geschaffen werden, ihre
vor der Antragsrücknahme gegebene Rechtsposition wieder einzunehmen. Die
Neufassung des § 105 Abs. 5c AMG ermöglichte es den pharmazeutischen
Unternehmern unter bestimmten Voraussetzungen, durch einen Antrag auf
Wiederaufgreifen des Verfahrens den Nachzulassungsantrag weiter zu verfolgen.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Wiederaufgreifensantrag nach § 105
Abs. 5c AMG n.F. nicht als selbständiger, erneut die Kostenpflicht auslösender Antrag
auf Erlass einer Amtshandlung im Sinne des § 11 Abs. 1 VwKostG zu werten, mit der
gesetzgeberisch ersichtlich nicht beabsichtigten Folge, dass dann von zwei
grundsätzlich kostenauslösenden „Anträgen" im Sinne des § 11 Abs. 1 VwKostG
auszugehen wäre. Der Antrag nach § 105 Abs. 5c AMG n.F. knüpft vielmehr an das
bereits durch den Kurzantrag eingeleitete Nachzulassungsverfahren an, setzt dessen
Bestehen voraus und ist auf dieselbe Amtshandlung - die Verlängerung der Zulassung
des Arzneimittels - gerichtet. Die Vorschrift des § 105 Abs. 5c AMG n.F. stellt eine
eigenständige fachgesetzliche Verfahrensregelung dar, bei der es sich weder um eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne des § 32 Verwaltungs-
verfahrensgesetz (VwVfG) noch um ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51
VwVfG handelt. Mit der den Antragstellern einge- räumten Möglichkeit, auf diesem Weg
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die Nachzulassung weiterzuverfolgen, sollte gerade nicht ein neues
Nachzulassungsverfahren durchgeführt, sondern - als Folge der europarechtlich
veranlassten gesetzgeberischen „Reparaturmaßnahme" - das ursprünglich bereits
vorhandene, nicht bis zu einer Sachentscheidung durchgeführte Nachzulassungs-
verfahren auf Antrag fortgeführt werden. Durch das Wiederaufgreifen wird das Verfahren
der Nachzulassung damit nicht wieder gänzlich neu eingeleitet, sondern lediglich
erreicht, dass der ursprüngliche Antrag nunmehr in der Sache beschieden wird. Dies
wird auch daraus deutlich, dass keine Möglichkeit zur Weiterverfolgung für die
Arzneimittel bestand, für die vor Schaffung der „2004- Regelung" trotz eines
entsprechenden „Taktaufrufs" der Beklagten die seinerzeit für eine materielle Prüfung
des Antrags erforderlichen Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht worden waren (§
105 Abs. 5 c Satz 2 AMG n.F). Die Antragsteller wurden also im Nachhinein so
behandelt, als hätten sie den Verlängerungsantrag nicht zurückgenommen, und damit
den Antragstellern gleich gestellt - weder besser noch schlechter gestellt -, die von der
2004-Regelung keinen Gebrauch gemacht hatten.
Damit bleibt es auch für die Fälle des Wiederaufgreifens dabei, dass die vierjährige
Verjährungsfrist gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 VwKostG mit dem Stellen des Kurzantrags
zu laufen begann und mit dem Antrag nach § 105 Abs. 5c AMG n.F. nicht erneut anlief.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708, 711
Zivilprozessordnung.
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