Urteil des VG Köln vom 21.09.2005

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Verwaltungsgericht Köln, 18 K 3217/04.A
Datum:
21.09.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 K 3217/04.A
Tenor:
Der Bescheid vom 28.04.2004 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
T a t b e s t a n d
1
Der am 00.00.0000 in Duhok geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger
kurdischer Volkszugehörigkeit.
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Am 25.01.2001 beantragte der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtig- ter.
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Mit Bescheid vom 11.07.2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung aus-
ländischer Flüchtlinge (seit dem 01.01.2005 Bundesamt für Migration und Flüchtlin- ge,
im Folgenden Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab, stellte aber fest, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Die Fest-
stellung hinsichtlich der Voraussetzungen des § 51 AuslG wurde am 01.08.2001 be-
standskräftig.
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Am 12.12.2003 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren nach § 73 Abs. 1 S. 1
AsylVfG mit der Begründung ein, die Voraussetzungen für die Anerkennungs-
entscheidung lägen nicht mehr vor. Die politische Lage im Irak habe sich nach dem
Sturz des Regimes von Saddam Hussein grundlegend geändert.
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Zu dem beabsichtigten Widerruf haben die Verfahrensbevollmächtigten des Klä- gers
Stellung genommen; wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 16.01.2004
samt Anlage Bezug genommen.
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Das Bundesamt widerrief mit Bescheid vom 28.04.2004 die Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Ziffer 1 des Bescheides), und stellte
fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Ziffer 2 des
Bescheides). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe nach
dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein nicht mehr mit asylrelevan- ter
Verfolgung zu rechnen.
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Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung ver- weist er
zunächst auf seine Ausführungen in den Verwaltungsverfahren. Wegen des weiteren
Vortrags wird auf den Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 01.06.2004
Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Widerrufsbescheid vom 28.04.2004 aufzuheben, 2. hilfsweise unter
entsprechender Aufhebung des angefochtenen Be- scheides die Beklagte zu
verpflichten festzustellen, dass Abschie- bungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Beschei- des.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Ge-
richtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhand- lung
entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Aus-
ländergesetz (AuslG 1990) vorliegen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eige-
nen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage des angefochtenen Widerrufsbescheides ist § 73 Abs. 1 Satz 1
Asylverfahrensgesetz (AsylVfG 2005) in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und
der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.07.2004 (Zuwanderungs-
gesetz) zum 01.01.2005 geltenden Fassung. § 73 AsylVfG 2005 ist gemäß § 77 Abs. 1
AsylVfG bei der vorliegenden Entscheidung anzuwenden; eine Übergangsregelung hat
der Gesetzgeber nicht geschaffen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - zitiert nach Juris. Mit Inkrafttreten von
Art. 1 des Zuwanderungsgesetzes am 01.01.2005 ist das Gesetz über den Aufenthalt,
die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet
(Aufenthaltsgesetz - AufenthG -) in Geltung gesetzt worden; das bisherige
Ausländergesetz vom 09.07.1990 ist gleichzeitig außer Kraft getreten. Verbote der
Abschiebung politisch Verfolgter werden nunmehr in § 60 Abs. 1 AufenthG,
Abschiebungshindernisse in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG geregelt. Die vorübergehende
Aussetzung der Abschiebung (Duldung) findet sich in § 60a AufenthG.
Übergangsvorschriften für anhängige verwaltungsgerichtliche Verfahren enthält das
Zuwanderungsgesetz nicht, so dass es mit Inkrafttreten in diesen Verfahren
anzuwenden ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - a.a.O.
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Bei der Anwendung des § 73 AsylVfG in der durch das Zuwanderungsgesetz
geänderten Fassung ist ebenso die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004
über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen
oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen
Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes
(Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, die am 30.09.2004 im Amtsblatt der
Europäischen Union veröffentlicht und nach ihrem Art. 39 am zwanzigsten Tag nach der
Veröffentlichung in Kraft getreten ist. Die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Widerrufsbescheides maßgebliche Rechtslage hat sich demnach
gegenüber der noch der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu
Widerrufsbescheiden betreffend irakische Flüchtlinge, vgl. BVerwG, Urteil vom
25.08.2004 - 1 C 22.03 - NVwZ 2005, 89-90,
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zugrundeliegenden Rechtslage entscheidungserheblich verändert.
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Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG 2005 für einen Widerruf der
Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 vorliegen, sind im
Falle des Klägers nicht erfüllt.
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Die Frage, wann eine entscheidungserhebliche Veränderung der politischen
Verhältnisse im Herkunftsstaat im Sinne von § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG 2005
angenommen werden kann, ist in Übereinstimmung mit der so genannten Wegfall- der-
Umstände-Klausel in Art. 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zu beurteilen,
die nunmehr wörtlich von Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) der Qualifikationsrichtlinie
übernommen worden ist. Die Feststellung des Wegfalls der Verfolgungsgefahr setzt
daher einen grundlegenden, stabilen und dauerhaften Charakter der Veränderungen
voraus und ist nicht nur spiegelbildlich zur Anerkennung auf den Wegfall der
ursprünglich die Verfolgung begründenden Umstände beschränkt.
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Vgl. hierzu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - Juris =
www.justiz.nrw.de/RB/nrwe/index.html.
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Angesichts der hochgradig instabilen Lage im Irak kann von einer dauerhaften und
stabilen Änderung der politischen Verhältnisse in diesem Sinne gegenwärtig nicht
ausgegangen werden. Der Sturz des Regimes von Saddam Hussein alleine reicht für
eine solche Annahme nicht aus. Dies gilt für den gesamten Irak.
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Vgl. auch hierzu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 10.06.2005 a.a.O.
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Bei der Anwendung des § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG 2005 ist darüber hinaus entsprechend
Art. 1 C (5) GFK und Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) der Qualifikations- richtlinie erforderlich,
dass der Flüchtling es aufgrund des Wegfalls der Umstände nicht mehr ablehnen kann,
den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Die Berücksichtigung dieser Schutzklausel im Rahmen des § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG
2005 ist auch bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist im Wege gemeinschaftskonformer
Auslegung gefordert.
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Vgl. Urteil der Kammer vom 10.06.2005 a.a.O.
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Anerkannten Flüchtlingen irakischer Staatsangehörigkeit ist aufgrund der
gegenwärtigen Situation im Irak eine Rückkehr unzumutbar im Sinne dieser
Schutzklausel, da schon ihre physische Sicherheit im Falle einer Rückkehr nicht
gewährleistet ist. Sie können es daher ablehnen, den Schutz ihres Herkunftslandes in
Anspruch zu nehmen.
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Vgl. Urteil der Kammer vom 10.06.2005 a.a.O.
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Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf gemäß § 73
Abs. 1 S. 1 AsylVfG 2005 vorliegend verletzt ist und der Kläger sich darauf berufen
könnte.
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Verneinend BVerfG, Beschluss vom 23.07.2004 - 2 BvR 1056/04 - zitiert nach
www.asyl.net/Magazin/1; BVerwG, Urteil vom 27.06.1997 - 9 B 280.97 - a.a.O.
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Auf die Frage der Anwendbarkeit des § 73 Abs. 2a S. 2 AsylVfG 2005 kommt es im
vorliegenden Verfahren nicht an, da seit Unanfechtbarkeit der Feststellung, dass
hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, bis zum
Erlass des Widerrufsbescheides noch keine drei Jahre vergangen waren.
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Da die Klage bereits mit dem Hauptantrag erfolgreich ist, kommt es auf den hilfsweise
gestellten Antrag nicht mehr an. Aus der Rechtswidrigkeit von Ziffer 1 des
angefochtenen Bescheides folgt, dass die unter Ziffer 2 getroffene Feststellung zu dem
Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG 1990 gegenstandslos ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.2002 - 1 C 17.01 -, BVerwGE 116, 326, 331.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
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