Urteil des VG Köln vom 30.10.2000

VG Köln: nationalität, eltern, abstammung, botschaft, sowjetunion, visum, ermessen, kontingent, heimat, motiv

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 5671/96
Datum:
30.10.2000
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
7 K 5671/96
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
T a t b e s t a n d :
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Der am 29. Januar 1956 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Kläger beruft sich auf
seine jüdische Abstammung und begehrt die Erteilung einer Aufenthaltsge- nehmigung
in der Form des Sichtvermerks (Visum) entsprechend dem Kontingent- flüchtlingsgesetz.
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Die Großmutter des Klägers väterlicherseits - Frau S. D. - ist Mitglied der jüdischen
Gemeinde Berlins und Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 des Kontingent-
flüchtlingsgesetzes.
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Am 30. Januar 1995 beantragten der Kläger und seine Eltern bei der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland in Moskau (im folgenden: Botschaft) die Erteilung eines
Visums. Zur Begründung gaben sie an, dass der Vater des Klägers - vermittelt über
seine Mutter, Frau S. D. - und die Mutter des Klägers - vermittelt über ihre Mutter, Frau P.
H. - dem Judentum zugehörig seien. Daher sei auch der Kläger dem Judentum
zugehörig.
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Sie legten verschiedene Dokumente vor, darunter u.a. ihre Inlandspässe, in de- nen sie
mit der russischen Nationalität eingetragen sind. Weiter wurden die Geburts- urkunden
des Klägers und seiner Eltern vorgelegt. In der Geburtsurkunde des Klä- gers sind seine
Eltern jeweils mit der russischen Nationalität eingetragen. In der Ge- burtsurkunde des
Vaters des Klägers ist sein Vater, d.h. der Großvater väterlicher- seits des Klägers, mit
der Russischen und seine Mutter, die Großmutter väterlicher- seits des Klägers, mit der
jüdischen Nationalität eingetragen. In der Geburtsurkunde der Mutter des Klägers ist ihr
Vater, d.h. der Großvater mütterlicherseits des Klägers, mit der Russischen und ihre
Mutter, die Großmutter mütterlicherseits des Klägers, mit der jüdischen Nationalität
eingetragen.
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Nach Beteiligung des Landes Berlin erteilte das Bundesverwaltungsamt für die Eltern
des Klägers eine Aufnahmezusage und diese wurden benachrichtigt, dass sie ihre
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Pässe visieren lassen könnten. Mit Bescheid vom 5. Februar 1996 wurde hinge- gen der
Antrag des Klägers abgelehnt. Um den Status eines Kontingentflüchtlings erhalten zu
können müsse glaubhaft gemacht werden können, dass man der jüdi- schen Nationalität
angehöre. Dies sei hier nicht der Fall. Der Kläger werde in allen
Personenstandsurkunden mit der russischen Nationalität geführt. Die Abstammung von
jüdischen Großeltern sei zur Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland nicht
ausreichend.
Mit Schreiben vom 12. März 1996 wandte sich der Kläger an die Botschaft und trug vor,
dass die jüdische Nationalität seiner Eltern mittlerweile bestätigt worden sei. In ihren
Inlandspass sei auf ihren Wunsch - wegen des staatlichen Antisemitismus- ses - die
russische Nationalität eingetragen worden. Daraufhin sei auch er - kraft Ge- setz - mit
der russischen Volkszugehörigkeit in seinen Inlandspaß geführt worden. Aber der
Abstammung nach sei er Jude.
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Mit Bescheid vom 8. Mai 1996 hielt die Botschaft nach einer Überprüfung der Sach- und
Rechtslage an ihrer Entscheidung fest. Um den Status eines Kontin- gentflüchtlinges
erhalten zu können müsse glaubhaft gemacht werden können, dass man der jüdischen
Nationalität angehöre. Der Kläger werde in allen Personen- standsurkunden mit der
russischen Nationalität geführt. Die Abstammung von jüdischen Großeltern sei zur
Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland nicht ausreichend.
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Am 14. Juni 1996 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass er
einen Aufnahmeanspruch habe. Seine Eltern seien in Deutschland als Juden
aufgenommen worden. Daher könne auch er nur Jude sein. Er gelte auch nach jüdi-
schem Recht (Halacha) als Jude, da er von einer jüdischen Mutter geboren worden sei,
die wiederum von ihrer jüdischen Mutter abstamme. Die Feststellung der Natio- nalität
sei in der ehemaligen UDSSR aufgrund diskriminierender Richtlinien erfolgt. Seine
Eltern seien in ihren Inlandspässen als Russen geführt worden, weil sie sei- nerzeit
Verfolgung und Diskriminierung hätten entgehen wollen.
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Sinngemäß beantragt der Kläger,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Botschaft der Bun- desrepublik
Deutschland in Moskau vom 8. Mai 1996 zu verpflichten, ihm aufgrund seiner jüdischen
Abstammung eine Aufent- haltsgenehmigung in der Form des Sichtvermerks (Visum)
zur ständigen Wohnsitz- nahme in Deutschland entsprechend dem
Kontingentflüchtlingsgesetz zu ertei- len.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie vor, dass nach den Aufnahmerichtlinien der Antragsteller mit
bestimmten Urkunden nachweisen müsse, dass er jüdischer Nationalität oder
Abstammung sei. Die Großmütter des Klägers väterlicher- und mütterlicherseits seien
jüdischer Nationalität gewesen. Daher hätten die Eltern des Klägers aufgrund ihrer
Abstammung aufgenommen werden können. Der Kläger selber werde in seinem
Inlandspaß aber mit der russischen Nationalität geführt. Eine Ableitung der Nationalität
des Klägers von seinen Großmüttern sei nach den Aufnahmerichtlinien nicht möglich.
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Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Das Gericht entscheidet gemäß § 84 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - nach
Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen
Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt
hinsichtlich der entscheidungserheblichen Gesichtspunkte geklärt ist.
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Beklagte entscheidet über die Visumserteilung
in Ausführung einer freiwilligen Vereinbarung des Zentralrats der Juden in Deutschland
und dem Bundeskanzler vom Januar 1991 nach freiem Ermessen.
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Als Anspruchsgrundlage für die begehrte Visumserteilung kommt daher zunächst
einmal allein das aus Artikel 3 Abs. 1 GG folgende Recht auf Gleichbehandlung in
Verbindung mit der Verwaltungspraxis der Beklagten bei der Aufnahme jüdischer
Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in Betracht. Nach der Verwaltungspra- xis
der Beklagten, wie sie sich aus dem Teilrunderlass des Auswärtigen Amtes vom 26.
März 1997 (Az. 514-516.20/7) ergibt, werden jüdische Emigranten aus der ehemaligen
Sowjetunion in entsprechender Anwendung des Gesetzes über Maßnahmen für im
Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge
(Kontingentflüchtlingsgesetz) in Deutschland aufgenommen.
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Nach Ziffer II 3. des Teilrunderlasses sind zum einen Zuwanderungsberechtigt alle
Personen, die nach den staatlichen Personenstandsurkunden selbst jüdischer
Nationalität sind. Zuwanderungsberechtigt sind weiter die Personen, die von einem
jüdischen Elternteil abstammen. Dabei wird in Abweichung von der jüdischen
Abstammungslehre (Halacha) nicht nur die Abstammung von eine jüdischen Mutter,
sondern auch von einem jüdischen Vater berücksichtigt. Eine Abstammung von
Großeltern reicht dagegen nicht aus.
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Gemessen an dieser von der Beklagten festgelegten und geübten Verwaltungspraxis ist
nicht erkennbar, dass der Kläger aufgenommen werden muss. Unstreitig wird der Kläger
in seinen Personenstandsurkunden nicht mit der jüdischen Nationalität geführt. Auch
stammt er im Sinne des genannten Teilrunderlasses nicht von jüdischen Eltern ab, da
seine Eltern in ihren Personenstandsurkunden nicht mit der jüdischen Nationalität
geführt wurden. Daher kann der Kläger sich nur auf eine jüdischen Abstammung von
seinen Großeltern berufen. Eine solche Abstammung ist jedoch nach Ziffer II 3. Satz 3
des Teilrunderlasses unerheblich. Es spricht zwar viel dafür, dass in dieser Vorschrift
eine „Abweichung" von der „Halacha" gesehen werden kann. Maßgeblich für das
Begehren des Klägers in aber nicht die „Halacha", sondern allein die Verwaltungspraxis
der Beklagten, wie sie in dem genannten Teilrunderlass zum Ausdruck kommt.
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Die festgeschriebene und geübte Praxis der Beklagten verstößt auch nicht gegen Artikel
3 Abs. 1 GG. Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz dürfen Regierung bzw. Verwaltung
nichts wesentlich Gleiches ohne rechtfertigenden Grund ungleich behandeln und
entsprechend wesentlich Ungleiches nicht Gleich behandeln. Eine Ungleichbehandlung
von Personengruppen ist nur dann gerechtfertigt, wenn zwischen diesen Gruppen
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Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche
Behandlung rechtfertigen können. Dabei müssen die Differenzierungen
sachbereichsbezogen auf einen vernünftigen oder sonstwie einleuchtenden Grund
zurückzuführen sein.
Vergl. BVerfG, Urteil vom 12. Mai 1999 - 1 BvF 1/94 - BVerfGE 101, S. 239 (269); Urteil
vom 7. Dezember 1999 - 2 BvR 1533/94 - BVerfGE 101, S. 275 (290) jeweils m.w.N.
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Es ist im Prinzip nicht zu beanstanden, dass die Beklagte grundsätzlich nur Personen
aufnimmt, die nach den staatlichen Personenstandsurkunden selbst jüdischer
Nationalität sind. Als Anknüpfungspunkt für eine Feststellung der jüdischen Nationalität
bieten sich solche Urkunden schon deshalb an, weil eine Feststellung der jüdischen
Nationalität allein nach der „Halacha" mit einer Auslegung und Anwendung von
jüdischem Recht verbunden wäre, dessen Anwendung zunächst einmal nicht Sache der
deutschen Behörden und Gerichte sein kann. Auch wäre eine Anwendung der
„Halacha" mit vielfältigen Auslegungsproblemen verknüpft, so dass in vielen Fällen ein
Gutachten der zuständigen jüdischen Stellen eingeholt werden müsste, was mit
Schwierigkeiten verknüpft wäre. Die von der Beklagten gewählte Anknüpfungsmethode
hat hingegen den Vorteil klar handhabbar zu sein.
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Vergl. zur Berücksichtigung des Grundsatzes der Verwal- tungspraktikabilität im
Rahmen des Gleichheitssatzes BVerfG, Beschluss vom 3. März 1982 - 1 BvL 15/80 -
BVerfGE 60, S. 101 (111 f.); Beschluss vom 8. Oktober 1991 - 1 BvL 50/86 - BVerfGE
84, S. 348 (359 f.).
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Auch der Sache nach ist die von der Beklagten gewählte Anknüpfung nicht zu
beanstanden. Motiv des genannten Teilrunderlasses war es - nach I. 2 Absatz des
Teilrunderlasses - Juden in der früheren Sowjetunion vor antisemitischen Pressionen zu
schützen und ihnen eine Heimat zu geben. Es spricht zumindest eine tatsächliche
Vermutung dafür, dass Personen, die in keiner ihrer Personenstandsurkunden als Juden
bezeichnet sind, auch nach Außen hin nicht als Juden in Erscheinung getreten sind und
damit auch nicht Opfer (staatlicher) antisemitischer Pressionen werden konnten. Dass
im Falle des Kläger anderes gilt, insbesondere dass er als Jude nach Außen hin in
Erscheinung getreten ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte grundsätzlich als Abkömmlinge
von Personen jüdischer Nationalität nur die Personen aufnimmt, die Abkömmlinge
ersten Grades sind und damit die Personen ausschließt, bei denen eine Herleitung der
jüdischen Nationalität von der Großelterngeneration (und weiter zurückliegenden
Generationen) in Betracht kommt. Eine Ausweitung der Aufnahme über den ersten Grad
hinaus auf alle Abkömmlinge von Personen jüdischer Nationalität hätte zur Folge, dass -
über das bestehende Maß hinaus - eine Vielzahl von Personen
zuwanderungsberechtigt wäre. Aus zuwanderungs- und integrationspolitischen
Gesichtspunkten heraus steht es aber zunächst einmal im (weiten) politischen
Ermessen des Gesetzgebers bzw. der Bundesregierung, ob sie eine Zuwanderung
großen Umfangs zulassen will oder nicht.
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Vergl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1126/83 u.a. - BVerfGE 76, S. 1 (47
f.).
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Auch der Sache nach ist die Begrenzung der Zuwanderung auf die Abkömmlinge ersten
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Gerades von Angehörigen der jüdischen Nationalität nicht zu beanstanden. Wie
dargelegt war Motiv des genannten Teilrunderlasses, Juden in der früheren Sowjetunion
vor antisemitischen Pressionen zu schützen und ihnen eine Heimat zu geben. Es spricht
aber zumindest eine tatsächliche Vermutung dafür, dass Personen, die erst über die
Großelterngeneration von Angehörigen der jüdischen Nationalität abstammen, von ihrer
Umwelt nicht mehr als Juden angesehen werden und ihnen daher auch keine
antisemitischen Pressionen drohen. Dass dies beim Kläger anders liegen sollte, ist
weder vorgetragen noch ersichtlich. Zudem tritt eine jüdische Abstammung des Klägers
- anders als bei seinen Eltern - in seinen Personenstandurkunden in keiner Weise
hervor. Sie ist nämlich nur über seine Großmütter herleitbar, die Eltern des Klägers und
er werden in ihren Inlandspässen als Russen geführt. Auch ist weder vorgetragen noch
ersichtlich, dass der Kläger dem jüdischen Glauben anhängt.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Entscheidung, das begehrte Visum zu versagen,
ermessensfehlerhaft ergangen und daher der Visumsantrag neu zu bescheiden ist. Die
von der Beklagten angestellten Erwägungen sind im Rahmen der eingeschränkten
gerichtlichen Überprüfung (§ 114 VwGO) nicht zu beanstanden. Das Gericht darf nach
dieser Vorschrift nur prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten
sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Das ist hier nicht der Fall.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Es
entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nicht für
erstattungsfähig zu erklären. Er hat keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem
Kostenrisiko ausgesetzt.
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