Urteil des VG Köln vom 12.01.2010

VG Köln (aufgaben, kläger, bundesrepublik deutschland, stand, wissenschaft, bescheinigung, abgrenzung zu, daten, bundesverwaltungsgericht, archiv)

Verwaltungsgericht Köln, 23 K 7232/08
Datum:
12.01.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 7232/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
insgesamt zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d: Das rechtlich unselbständige Zentralarchiv für empirische
Sozialforschung an der Universität L. wurde 1960 gegründet. 1986 wurde dessen Träger
die L1. e. V. (L1. ). Dieser gemeinnützige Verein wurde in den Jahren 2006 und 2007 mit
dem Kläger als übernehmende Gesellschaft verschmolzen. Der Kläger führt das
Zentralarchiv als seine Abteilung GESIS-Zentralarchiv weiter.
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Es handelt sich um das einzige öffentlich zugängliche Archiv für Daten der
Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Es stellt maschinenlesbare
Originaldaten, insbesondere Umfragedaten, für weitere Analysen (Sekundäranalysen)
zur Verfügung. Der Arbeitsbereich des Zentralarchivs erstreckt sich auf alle
Fachgebiete, in denen Verfahren der empirischen Sozialforschung verwendet werden
(z.B. Soziologie, politische Wissenschaft, Markt- und Sozialpsychologie,
Massenkommunikationslehre, Sozialpolitik, Wirtschaft und Technik, historische
Sozialforschung). In seinem Internetauftritt stellte das Zentralarchiv am 13.03.2008 dar,
dass empirische Untersuchungen sehr zeitaufwendig und kostenintensiv seien. Das
Informationspotential des Datenmaterials könne von den Primärforschern aus
Zeitgründen häufig nur unvollständig ausgeschöpft werden. Veränderte
Forschungsperspektiven, Fortschritte in der Theorienbildung und bei den
Datenanalyseverfahren eröffneten weitere Möglichkeiten, das vorhandene Material zu
nutzen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die Aufbereitung, Aufbewahrung und
Dokumentation des Datenmaterials in einer Form, die weitere Analysen leicht möglich
mache, könne vom Primärforscher in der Regel nicht geleistet werden. Hier biete das
Zentralarchiv seine Dienstleistungen an: Die Beschaffung, Aufbereitung und
Bereitstellung von Datensätzen aus der Sozialforschung ermögliche auch Studierenden
empirisches Arbeiten mit hochwertigem Material auf repräsentativer Basis. Darüber
hinaus erbringe das Zentralarchiv für Sozialforscher folgende Dienstleistungen:
Beratung bei Sekundäranalysen, datenbezogene Ausbildung in fortgeschrittenen
Methoden und Techniken sozialwissenschaftlicher Datenanalyse, Daten-, Informations-
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und Erfahrungsaustausch mit gleichartigen internationalen Einrichtungen, Bereitstellung
von Informationen über aktuelle empirische Projekte der Sozialforschung im
deutschsprachigen Raum sowie Veranstaltung von Konferenzen und Fachtagungen.
Zudem werde der Vermittlung theoretischen und praktischen Wissens zur
Datenauswertung große Bedeutung beigemessen. Forschungstätigkeiten des
Zentralarchivs ergänzten das Dienstleistungsangebot für die Sozialwissenschaften,
wobei jeweils ein enger Bezug zu den Archivbeständen bestehe. 1987 sei zum
Zentralarchiv das "Zentrum für historische Sozialforschung" hinzugekommen, zu dessen
Dienstleistungen insbesondere die Akquisition, Aufbereitung, Erschließung,
Archivierung und Bereitstellung maschinenlesbarer Forschungsdaten der historischen
Sozialforschung gehöre.
Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung Köln bat die Beklagte um
Überprüfung, ob die L1. als Träger des Zentralarchivs die gleichen kulturellen Aufgaben
wie die in § 4 Nr. 20 a) Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) genannten Einrichtungen des
Bundes, der Länder, der Gemeinden oder Gemeindeverbände ab dem Jahr 1999 erfülle.
Der Kläger äußerte sich auf ein an die L1. gerichtetes Anhörungsschreiben
dahingehend, dass das Zentralarchiv nicht die gleichen kulturellen Aufgaben erfülle, wie
eine entsprechende Einrichtung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder
Gemeindeverbände. Vielmehr liege eine primär wissenschaftliche Ausrichtung vor.
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Mit Bescheid vom 10.10.2008 bescheinigte die Beklagte der L1. rückwirkend ab dem
01.01.1999 als Träger des Zentralarchivs für empirische Sozialforschung an der
Universität zu L. die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 a) Satz 1 UStG
genannten Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder
Gemeindeverbände zu erfüllen. Aufbewahrungswürdig in Archiven seien auch
Dokumente, die aus wissenschaftlichen Gründen wertvoll seien. Insofern erfülle das
Zentralarchiv die gleichen Aufgaben, die ein Staats- oder Stadtarchiv wahrnehme. Es
werde darauf hingewiesen, dass die Entscheidung darüber, ob eine "gleichartige
Einrichtung" i. S. d. § 4 Nr. 20 a) UStG vorliege, der Finanzverwaltung obliege.
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Am 10.11.2008 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt er vor, dass
öffentliche Archive vornehmlich dem kulturellen Zweck dienten, Informationen von
bleibendem Wert bzw. von Allgemeininteresse der Nachwelt in geordneter Form zu
überliefern. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der öffentlichen Archive liege in dem
Archivierungsvorgang und den damit verbundenen Nebenaufgaben wie
Materialauswahl und Restaurierung selbst. Demgegenüber verfolge das Zentralarchiv
überwiegend wissenschaftliche Zwecke, was sich sowohl aus den konkreten
Tätigkeiten, als auch der Finanzierung, der Leitungs- und Organisationsstruktur sowie
aus der institutionellen Einbindung des Klägers und des Zentralarchivs ergebe. Die
Erfüllung gleicher kultureller Aufgaben i.S.v. § 4 Nr. 20 a Satz 2 UStG sei zu verstehen
als die Erfüllung identischer Aufgaben. Der Begriff Aufgabe sei wiederum
zweckgerichtet auszulegen. Infolgedessen sei es unzureichend, wenn eine Abteilung
eines Vereins - wie hier das Zentralarchiv - nur in unwesentlichem Umfang
archivähnliche Tätigkeiten verrichte und diese archivähnlichen Tätigkeiten nur dem
Zweck dienten, rein wissenschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Denn ohne eine geordnete
Datenerfassung seien beispielsweise sozialwissenschaftliche Analysen und
Methodenentwicklungen bereits dem Grunde nach nicht umsetzbar. Die
Umsatzsteuerbefreiung solle eine umsatzsteuerrechtliche Gleichbehandlung von
öffentlichen und privaten Einrichtungen mit identischem kulturellem Aufgabengebiet
gewährleisten. Dies würde jedoch ins Gegenteil verkehrt, wenn Privatunternehmen, die
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sich wie hier überwiegend ganz anderen Aufgaben widmeten, plötzlich wie öffentliche
Einrichtungen behandelt würden. Es genüge nicht, wenn eine Abteilung eines Vereins
"auch" archivähnliche Tätigkeiten erfülle. Dies ergebe sich auch aus Art. 132 Abs. 1
Buchstabe n) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem, der nur eine Befreiung von kulturellen und nicht von
wissenschaftlichen Einrichtungen erlaube. Soweit sich das Betätigungsfeld staatlicher
Archive im Einzelfall auch auf das Erforschen des Archivguts erstrecke, stelle dieser
Bereich offenkundig nur eine Zusatzaufgabe dar. Beim Zentralarchiv seien die
Schwerpunkte umgekehrt. Es handele sich primär um eine Forschungseinrichtung, die
zur Erfüllung dieses Zwecks auch archivähnliche Tätigkeiten ausübe. So bilde es
beispielsweise keine Archivare aus, wozu staatliche Archive nach § 1 Abs. 4
Archivgesetz NRW verpflichtet seien. Vielmehr seien nahezu ausschließlich Personen
mit wissenschaftlicher Ausbildung und Hintergrund tätig. Auch das "Erforschen" durch
staatliche Archive sei nicht gleich zu setzen mit wissenschaftlicher Forschung, wie die
Klägerin sie betreibe. Für die Beurteilung der Aufgaben einer Institution sei deren
Satzung und nicht deren Internetauftritt maßgeblich. Die Funktion des Instituts sei
einzigartig in Deutschland, so dass eben gerade nicht die gleichen kulturellen Aufgaben
erbracht würden wie in den Archiven des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der
Gemeindeverbände. Solche Archive befassten sich nicht mit Daten der Sozialforschung.
Auch könne niemand außerhalb der Wissenschaft etwas mit maschinenlesbaren Daten
anfangen. Institutionell sei das Zentralarchiv zunächst ein Teil der Universität zu L.
gewesen, einer Einrichtung mit wissenschaftlichen Aufgaben. Das Zentralarchiv sei zu
vergleichen mit internationalen wissenschaftlichen Einrichtungen und nicht mit Archiven
des Bundes, der Länder und der Gemeinden.
Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 10.10.2008 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie vor, Archive hätten neben der Aufgabe,
aufbewahrungswürdige Informationsträger systematisch zu erfassen, zu ordnen, zu
verwahren, instandzuhalten und der Öffentlichkeit bei Nachweis eines berechtigten
Interesses zugänglich zu machen, noch weitergehende Aufgaben, wobei kein klar
eingrenzbarer Aufgabenkatalog bestehe. Es komme hierbei auf den sachlichen
Zusammenhang an. Beispielsweise das Landesarchiv habe auch die Aufgabe, zu
erforschen und zu veröffentlichen, zu beraten, aus- und fortzubilden. Zudem könnten ihm
andere Aufgaben übertragen werden, die in sachlichem Zusammenhang mit dem
staatlichen Archivwesen stünden. Öffentliche Archive übernähmen je nach Ausstattung
und Leistungsfähigkeit auch das Sammeln von Archivgut privater Herkunft sowie die
Herausgabe wissenschaftlicher Publikationen oder die Durchführung von Ausstellungen
und Veranstaltungen. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck des § 4 Nr. 20 a) UStG
sei die tatsächliche Ausgestaltung der kulturellen Aufgaben der öffentlichen
Einrichtungen zugrunde zu legen. Zu vergleichen seien also die übernommenen
Funktionen/Aufgaben. Inwieweit die Einrichtung selbst vergleichbar mit einer der im
Gesetz genannten Einrichtungen sei, obliege hingegen allein der Überprüfung durch
das zuständige Finanzamt. Die angefochtene Bescheinigung betreffe nicht die
Tätigkeiten des Klägers insgesamt, sondern die Aufgaben des Zentralarchiv als
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abgrenzbare Einheit, die eine bestimmte Funktion erfülle. Im Vordergrund dessen
Tätigkeit stünden die archivierten Daten. Es handele sich gerade nicht um einige
wenige archivähnliche Tätigkeiten, sondern um prägende Aufgaben. Zwischen
Erforschen und wissenschaftlichem Erforschen könne keine eindeutige Grenze gezogen
werden. Auf die Mitarbeiterstruktur komme es nicht an. Entscheidend seien allein der
Aufgabenkatalog und die Tätigkeit eines staatlichen Archivs. Beides decke sich in
weiten Teilen mit der Tätigkeitsbeschreibung des Zentralarchivs.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig. Insbesondere ist der
Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es handelt sich nicht um
eine Abgabenangelegenheit i. S. v. § 33 FGO, für die der Finanzrechtsweg gegeben
wäre. Die Frage, ob eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 a) UStG zu Recht erteilt
worden ist, unterliegt der Nachprüfung durch die allgemeinen Verwaltungsgerichte,
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Vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.09.1998, BFHE 187, 334 unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht zu § 4 Nr. 21 UStG:
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 3. Dezember 1976 - VII C 73.75 -, BStBl. II 1977,
334.
14
Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO statthaft, denn der
Kläger wendet sich gegen einen Verwaltungsakt. Das Tätigwerden der zuständigen
Landesbehörde gemäß § 4 Nr. 20 a) UStG ist nicht nur eine verwaltungsinterne
Mitwirkungshandlung dieser Behörde, die der Willensbildung des zur Entscheidung
über die Steuerbefreiung berufenen Finanzamtes dient. Die Entscheidung der Behörde
regelt vielmehr einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts und ist im Sinne
von § 35 Satz 1 VwVfG NRW auch auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen
gerichtet. Denn sie wirkt sich auf die rechtlichen Interessen des Steuerpflichtigen im
Hinblick auf seine Steuerpflicht unmittelbar aus. Die Bescheinigung der zuständigen
Landesbehörde wirkt verfahrensrechtlich als Grundlagenbescheid im Sinne von § 171
Abs. 10 AO, sie bindet die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung über die Gewährung
einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 a) UStG,
15
vgl. nur Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.09.1998, a.a.O.
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Der Kläger ist auch klagebefugt, eine Verletzung des Klägers in seinen Rechten (§ 42
Abs. 2 1. Alt. VwGO) ist möglich. Die Erteilung der Bescheinigung stellt sich für den
Kläger als Rechtsnachfolger der L1. nämlich als belastend dar. Zwar hat die
Bescheinigung - insoweit den Kläger begünstigend - zur Folge, dass Befreiung von der
Umsatzsteuerpflicht eintritt, andererseits ist der Kläger nunmehr von der von ihm
wahrgenommenen Möglichkeit des Vorsteuerabzuges ausgeschlossen (§ 15 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 UStG),
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vgl. VG L. , Urteil vom 03.11.2005 - 20 K 8344/03, juris. Der Bescheid ist vom
Adressatenhorizont auch so auszulegen, dass er sich überhaupt an den Kläger richtet,
auch wenn er die bei seinem Erlass bereits mit dem Kläger verschmolzene L1. als
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Adressatin nennt. Der Kläger hat sich schließlich im Rahmen der Anhörung geäußert.
Die Aufführung der L1. und des alten Namens des Zentralarchivs sind in der
Bescheinigung auch sinnvoll, da es um die Zeit ab dem 01.01.1999 geht, als beide noch
unter diesen Namen existierten.
Die Klage ist aber unbegründet.
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Die von der Beklagten erteilte Bescheinigung vom 10.10.2008 ist rechtmäßig und
verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dieser Bescheid ist von der zuständigen Behörde (bis 31.12.2008 § 1 der Verordnung
vom 14. März 1989 - GV. NRW. 1989, S. 104, seit 01.01.2009 § 8 Abs. 3
Landesorganisationsgesetz NRW) erlassen und auch nicht etwa deswegen formell
rechtswidrig, weil er gegen den Willen des Klägers allein auf Antrag des Finanzamtes
für Groß- und Konzernbetriebsprüfung Köln ergangen ist. Denn nur durch eine
Bescheinigungserteilung auch auf Anregung der Finanzverwaltung kann die mit § 4 Nr.
20 a) UStG beabsichtigte Gleichbehandlung der Umsätze der Einrichtungen der
Gebietskörperschaften mit den gleichartigen Einrichtungen anderer Unternehmen
sichergestellt werden,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 04.05.2006 - 10 C 10/05 -, DÖV 2006, 962.
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Die von der Beklagten erteilte Bescheinigung ist auch materiell rechtmäßig. Die
Beklagte hat zu Recht bescheinigt, dass der Kläger mit seinem Zentralarchiv die
gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 a) Satz 1 UStG genannten
Einrichtungen erfüllt und zwar vorliegend konkret die kulturellen Aufgaben der dort
aufgeführten Archive des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der
Gemeindeverbände.
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Gegenstand der Prüfung und Entscheidung der Beklagten ist nach § 4 Nr. 20 a) UStG
auch nur diese Frage. Hingegen hat die Landesbehörde nicht darüber zu entscheiden,
ob ein Unternehmen eine Einrichtung betreibt, die einer der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz
1 UStG genannten Einrichtungen - u.a. Archive in öffentlicher Trägerschaft - "gleichartig"
ist. Insoweit besteht unter dem Gesichtspunkt der größeren Sachkunde kein Bedürfnis
zur Einschaltung der Kultusbehörde. Diese "Gleichartigkeitsprüfung" ist schon nach
dem Wortlaut des § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG von der o.g. weiteren
"Gleichartigkeitsprüfung" zu unterscheiden, die der Kultusverwaltung zugewiesen ist,
24
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.10.2006 - 10 C 4/06 -, NJW 2007, 714.
25
Wesentliche vom Kläger in den Vordergrund gerückte Aspekte sind dementsprechend
im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu prüfen. So bedarf es hier keines
Vergleichs etwa der Organisationsstruktur der Einrichtung des Klägers, ihres
Mitarbeiterstabes und ihrer Finanzierungsstruktur mit den in öffentlicher Trägerschaft
bestehenden Archiven,
26
vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 03.12.2008 - 2 LC 267/07 -, juris, Rn. 96.
27
Ebenfalls erst im Besteuerungsverfahren und damit ggf. im Finanzrechtsweg ist zu
klären, ob ein rückwirkender Ausschluss des Vorsteuerabzugs für den Kläger aus
Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes nicht hinnehmbare
28
Nachteile zur Folge hätte. Dies gilt auch dann, wenn die Bescheinigung - wie hier - eine
Aussage dazu enthält, seit wann von dem Unternehmen "die gleichen kulturellen
Aufgaben" erfüllt worden sind,
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.10.2006, a.a.O.
29
Zur Prüfung der Bescheinigung der Kultusbehörde sind aus dem jeweiligen Begriff der
konkreten in § 4 Nr. 20 a) Satz 1 UStG genannten Einrichtung - hier Archiv - heraus
Kriterien zu entwickeln, die bezogen auf das konkrete Vorhaben - hier das klägerische
Zentralarchiv - überzeugend die Feststellung tragen, dass der Träger mit seinen
Veranstaltungen die gleichen kulturellen Aufgaben wie eine Einrichtung in öffentlich-
rechtlicher Trägerschaft erfüllt,
30
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.10.2006, a.a.O., OVG Niedersachsen,
Urteil vom 03.12.2008, a.a.O., Rn. 100.
31
Es kommt nach allem allein darauf an, ob das Zentralarchiv die gleichen kulturellen
Aufgaben wie ein Archiv des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder
Gemeindeverbände erfüllt. Dies ist der Fall. Irrelevant ist, ob es ggf. noch weitere
Aufgaben erfüllt. Dem Wortlaut des § 4 Nr. 20 a) Satz 2 2. Halbsatz UStG lässt sich
nichts dafür entnehmen, dass gemeint wäre, es dürften von der Einrichtung
"ausschließlich" die gleichen kulturellen Aufgaben wie von einem Archiv des Bundes,
der Länder, der Gemeinden oder Gemeindeverbände erfüllt werden.
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Archive sind Einrichtungen zur systematischen Erfassung, Ordnung, Verwahrung,
Verwaltung und Verwertung von Schrift-, Bild- oder Tonschriftgut,
33
vgl. Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand November 1996) Rn. 38;
Huschens Vogel/Schwarz, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand November 2008) Rn. 87; Kossack in
Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand Februar 2009) Rn. 27; Weymüller in
Sölch/Ringleb, UStG ( Stand September 2003) Rn. 22.
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Dabei handelt es sich schon dem allgemeinen Wortsinn nach nicht nur um die
Sammlung der aus dem Geschäftsbetrieb einer Verwaltung stammenden Schriftstücke,
Urkunden und Akten,
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so aber Schuhmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand Mai 2006)
Rn. 44. Schließlich gibt es auch Literatur-, Kunst-, Presse-, Rundfunk- und Filmarchive
sowie gar auf das Werk von Einzelpersonen oder auf Familien bezogene Archive,
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vgl. Huschens Vogel/Schwarz, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand November 2008) Rn. 87;
Weymüller in Sölch/Ringleb, UStG ( Stand September 2003) Rn. 23.
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Entsprechend dem Zweck des § 4 Nr. 20 a) UStG sind Archive aber nur von der
Umsatzsteuer befreit, soweit es sich um Sammlungen von Informationsträgern von
allgemeinem Interesse handelt und nicht um rein kommerzielle Sammlungen,
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Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 4 Nr. 20 Rn. 10.
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Eine derartige Aufbewahrungswürdigkeit kann bestehen, wenn die Dokumente aus
wissenschaftlichen, politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen oder technischen Gründen
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oder allgemein kulturell wertvoll sind,
vgl. Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand November 1996) Rn. 38;
Weymüller in Sölch/Ringleb, UStG ( Stand September 2003) Rn. 23.
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Alle genannten Kategorien - entgegen der Auffassung des Klägers insbesondere auch
die Wissenschaft - fallen unter den Oberbegriff kulturelle Aufgaben. Kultur ist schließlich
der Inbegriff für die im Unterschied zur Natur selbst geschaffene Welt des Menschen,
Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21. Aufl., unter "Kultur". Hierzu gehören
Sprache, Religion, Ethik, Institutionen, Staat, Politik, Recht, Handwerk, Technik, Kunst,
Philosophie und Wissenschaft, vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, 9.
Aufl., unter "Kultur". Dem Begriff "kulturelle Aufgaben" noch näher ist der Begriff
kulturelle Angelegenheiten, der dafür traditionelle zuständige Fachminister, der
Kultusminister, verantwortete vor weiteren Aufspaltungen der Ministerien unter anderem
Bildungswesen, Pflege von Kunst und Wissenschaften sowie das Bibliothekswesen,
vgl. Der Große Brockhaus in zwölf Bänden, 16. Aufl., unter "Kultusminister". Zwar kann
neben Kulturpolitik in diesem weiteren Sinne (Gesamtheit aller Kulturgebiete) unter
Kulturpolitik auch in einem engeren Sinne nur der Bereich der "schönen Künste" gerade
in Abgrenzung zu Bildung und Wissenschaft verstanden werden, vgl. Staatslexikon in
fünf Bänden, 7. Aufl., unter "Kulturpolitik"; anders, d.h. ohne diesen engeren Sinn, wohl
Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21. Aufl., die unter "Kulturpolitik" gerade auch
den Wissenschaftsbereich mit Hochschul- und Forschungspolitik fasst und diesen
Initiativen etwa der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften oder
der Deutschen Forschungsgemeinschaft zurechnet. Doch hat der Gesetzgeber in § 4 Nr.
20 a) UStG eindeutig den weiten, auch die Wissenschaft umfassenden Kulturbegriff
zugrundegelegt. Alle von ihm in Satz 1 der Vorschrift aufgeführten Einrichtungen sieht er
grundsätzlich als kulturelle Aufgaben erfüllend an. Dies ergibt sich schon daraus, dass
er nur für Museen mit Satz 3 der Vorschrift ausnahmsweise weitere Anforderungen an
die Sammlung stellt, wobei er bezeichnenderweise gerade die wissenschaftlichen
Sammlungen - neben den Kunstsammlungen - als diejenigen ansieht, die kulturelle
Aufgaben erfüllen. Dementsprechend sind gerade auch wissenschaftliche Bibliotheken,
vgl. Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand November 1996) Rn. 40;
Kossack in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand Februar 2009) Rn. 27;
Weymüller in Sölch/Ringleb, UStG ( Stand September 2003) Rn. 22, wie etwa
Universitätsbibliotheken, Schuhmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 4 Nr. 20
(Stand Mai 2006) Rn. 45,
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von der Umsatzsteuer befreit.
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Zusätzlich gehört zu den kulturellen Aufgaben der öffentlichen Hand stets noch, die
Kultur der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, es geht nicht um Kulturpflege unter
Ausschluss der Öffentlichkeit, Kossack in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 4 Nr. 20
(Stand Februar 2009) Rn. 9a; vgl. auch OVG Niedersachsen, Urteil vom 03.12.2008,
a.a.O., Rn. 97 und 106. Öffentlichkeit in diesem Sinne ist aber auch eine
Fachöffentlichkeit. Dies ergibt sich beispielsweise aus § 7 Abs. 1 Sätze 1 und 2
Archivgesetz NRW, nach denen die Nutzung des Archivgutes des Landesarchivs durch
Dritte nur bei einem berechtigten Interesse zugelassen ist, welches gerade bei
wissenschaftlichen Zwecken vorliegt.
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Das vom Kläger getragene Zentralarchiv erfüllt alle genannten - d. h. die gleichen -
kulturellen Aufgaben wie ein Archiv in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft, d.h. die
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gleichen. Es macht Informationsgut einem Fachpublikum öffentlich zugänglich. Denn es
bezeichnet sich selbst als - das einzige - öffentlich zugängliche Archiv für Daten der
Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht Wissenschaftlern
und auch Studierenden empirisches Arbeiten mit hochwertigem Material auf
repräsentativer Basis. Hierfür stellt es maschinenlesbare Originaldaten, insbesondere
Umfragedaten, für weitere Analysen (Sekundäranalysen) zur Verfügung, z.B. in den
Fachgebieten Soziologie, politische Wissenschaft, Markt- und Sozialpsychologie,
Massenkommunikationslehre, Sozialpolitik, Wirtschaft und Technik, historische
Sozialforschung. Es leistet insbesondere auch die im Vorfeld liegende Erfassung,
Ordnung, Verwahrung und Verwaltung des Informationsgutes, kümmert es sich doch um
die Beschaffung und Aufbereitung von Datensätzen aus der Sozialforschung. Zudem
betreibt das Zentralarchiv auch die Verwertung des Informationsgutes. Denn es
befördert die Wissenschaft durch Beratung bei Sekundäranalysen und vermittelt
theoretisches sowie praktisches Wissen zur Datenauswertung. Es entwickelt
ausgehend von den Archivbeständen selbst Forschungstätigkeiten.
Verwertungsaufgabe von Archiven ist gerade auch Erforschung und Veröffentlichung
bezogen auf die Archivbestände, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 Archivgesetz NRW. Bei dem
Informationsgut des Zentralarchivs handelt es sich auch um im Interesse der
Allgemeinheit zu archivierendes Kulturgut. Der wissenschaftliche Wert genügt dafür. Zu
den kulturellen Aufgaben, die Archive unstreitig erfüllen/befördern, gehört insbesondere
auch die historische Forschung. Bei dieser handelt es sich zweifelsohne um
Wissenschaft. Nicht anders verhält es sich mit den Sozialwissenschaften. Diese sich
gerade mit gesellschaftlichen Zusammenhängen befassenden Wissenschaften sind
naturgemäß von gesellschaftlichem und damit allgemeinem Interesse. Allgemeines
Interesse bedeutet, der Allgemeinheit förderlich, nicht, dass jedes Mitglied der
Allgemeinheit einen intellektuellen Zugang zu den Archivalien haben müsste, wie der
Kläger mit seiner Betonung nur des engen Kreises der Wissenschaft als Nutzer des
Archivs anscheinend meint. Umsätze von Archiven ergeben sich im Allgemeinen
gerade auch durch der Wissenschaft zuzuordnende/zuarbeitende Tätigkeiten wie
Gutachtenerstellung und Ausleihe der Bestände für private Forschungen, Kossack in
Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 4 Nr. 20 (Stand Februar 2009) Rn. 27. Dem steht nicht
entgegen, dass das Zentralarchiv keine Archivare ausbild. Dies ist nämlich keine
prägende Aufgabe der Archive in öffentlicher Trägerschaft. Der vom Kläger angeführte
Ausbildungsauftrag des § 1 Abs. 4 ArchivG NRW bezieht sich nur auf das Landesarchiv
und gilt beispielsweise nicht für die Archive der Gemeinden und Gemeindeverbände.
Auch bei anderen kulturellen Einrichtungen würde diesen ihre Aufgabenerfüllung nicht
abgesprochen, nur weil sie nicht ausbilden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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