Urteil des VG Köln vom 04.12.2007

VG Köln: arzneimittel, angemessene frist, öffentliche gesundheit, dosierung, sonnenbrand, behandlung, behörde, dokumentation, leitlinie, malta

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 583/05
Datum:
04.12.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 583/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110
Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand Am 17. April 1978 zeigte die Firma B. AG, Chemische Fabrik aus C. das
bereits in das Spezialitätenregister eingetragene Arzneimittel "T. ®" in der
Darreichungsform Salbe mit dem wirksamen Bestandteil
Chlorphenoxaminhydrochlorodium (15 mg/g) und dem Anwendungsgebiet "allergische
juckende Hauterkrankungen; Urtikaria, Ekzeme, leichte Verbrennungen, Sonnenbrand,
Quallenverbrennungen, Insektenstiche, Frostbeulen" an. Am 29. November 1989 wurde
für das inzwischen als "T. ® Creme" bezeichnete Arzneimittel der Kurzantrag gestellt, in
dem zu den Wirkungen "Antihistaminikum und Antiallergikum" angegeben war.
Nachdem zunächst im August 1993 der Langantrag gestellt worden war, wurde der
Zulassungsantrag am 15. Dezember 1995 unter Hinweis auf § 105 Abs. 5c AMG in der
damals geltenden Fassung zurückgenommen.
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Am 24. Januar 2001 wurden ein Antrag auf Wiederaufgreifen nach § 105 Abs. 5c AMG
gestellt, die Erklärung zum Einreichen von Unterlagen gemäß dem 10.
Änderungsgesetz zum AMG abgegeben und Gutachten sowie Dokumentationen zur
Klinik und zur Pharmakologie/Toxikologie vorgelegt. Wegen des Umfangs der
Dokumentation wurde auf § 22 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 AMG Bezug genommen.
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Im Jahre 2002 wurde die Klägerin unter ihrem damaligen Firmennamen W. GmbH und
Co KG. Inhaberin der Zulassung.
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Am 08. Juli 2002 fertigte die Beklagte eine erste medizinische Stellungnahme, nach
deren Ergebnis keine hinreichenden Belege zur Wirksamkeit, Dosierung und
Unbedenklichkeit des Arzneimittels vorlägen. Dazu hieß es unter anderem, die in der
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Dokumentation enthaltenen Studien und Untersuchungen könnten allenfalls als
zusätzliches Erkenntnismaterial Verwendung finden. Die Bezugnahme auf
bibliographisches Material sei bei Arzneimitteln zur topischen Anwendung nur
beschränkt möglich. Die perkutane Aufnahme des Wirkstoffs und die Verträglichkeit des
Präparates bei sachgemäßer Anwendung seien ungeklärt. Da es verschiedene
Erkenntnisse gebe, dass das Arzneimittel unter anderem zentralnervös wirke, seien
ergänzende Erkenntnisse erforderlich. Das vorgelegte Gutachten gehe in wesentlichen
Teilen nur auf den Wirkstoff ein, nicht jedoch auf dessen Anwendung in der
vorliegenden galenischen Formulierung. Es fehle auch an einer Diskussion der Frage,
ob Lokaltherapien mit einem Antihistaminikum sinnvoll seien. Die Beklagte teilte der
Klägerin diese Mängel mit Bescheid vom 06. August 2002 mit und setzte eine
Beseitigungsfrist von einem Monat. Auf Antrag der Klägerin wurde die Frist mit
Schreiben vom 11. Juli 2003 um 12 Monate verlängert.
Mit Schreiben vom 07. Juli 2004 nahm die Klägerin unter Vorlage umfangreicher
Nachlieferungen zum Mängelbescheid Stellung. Sie führte unter anderem aus, die in der
Zeit von 1957 bis 1991 vorgenommenen Untersuchungen mit "T. ® Gel" und "T. ®
Creme" entsprächen zwar nicht mehr den aktuellen Anforderungen, seien aber nach
den GCP-Richtlinien weiterhin anzuerkennen. Es seien über 585 Anwendungsfälle
dokumentiert, und in einem Großteil der Fälle sei von einer Besserung der
Beschwerden berichtet worden. Zusätzlich seien zwischen 1999 und 2004 drei
kontrollierte, randomisierte und doppel-blinde Studien durchgeführt worden, die den
aktuellen Anforderungen entsprächen. Die empfohlene Dosierung beruhe auf den
durchgeführten Studien und den seit den 50er Jahren gemachten Erfahrungen. Das
Risiko einer Nebenwirkung sei nach den vorliegenden Erkenntnissen zu
vernachlässigen. Die bekannt gewordenen lokalen Unverträglichkeiten seien von
geringer Intensität gewesen, und die gemeldeten unerwünschten Arzneimittelwirkungen
beträfen nicht schwerwiegende Symptome, die in der Regel der jeweiligen
Grunderkrankung zugeordnet werden könnten und sich zurückgebildet hätten. Das
vernachlässigbare Nebenwirkungsprofil spreche eindeutig für das sehr günstige Risiko-
Nutzen-Profil von T. . In der zugleich vorgelegten Nachlieferung zum
Nachzulassungsantrag wurde zu den Wirkungen "Antihistaminikum zur topischen
Anwendung" und zu den Anwendungsgebieten "Symptomatische lokale Behandlung
von Insektenstichen, Sonnenbrand und Kontakturtikaria" angegeben. Die medizinische
Stellungnahme vom 27. September 2004 schloss mit der Empfehlung, die Zulassung zu
versagen. Zur Begründung hieß es unter anderem, die vorgelegten Studien belegten
nicht die Wirksamkeit des Arzneimittels. Sie seien zum Teil unter Verwendung eines
nicht validierten Modells durchgeführt worden. Der Vergleich mit dem Placebo ergebe
keinen höheren Therapieerfolg gegenüber dem Einsatz des Verums. Ferner fehlten
weiterhin Angaben zur Dosisfindung, und es sei nicht gesichert, dass das Arzneimittel
bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen entfalte.
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Die Beklagte lehnte den Antrag auf Verlängerung der Zulassung mit Bescheid vom 23.
Dezember 2004 mit der Begründung ab, die mitgeteilten Mängel seien nicht beseitigt
worden. Wegen der Einzelheiten wurde auf die beigefügte medizinische Stellungnahme
vom 27. September 2004 Bezug genommen.
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Am 20. Januar 2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie im
Wesentlichen aus, die Beklagte habe nicht die richtigen Bewertungsmaßstäbe
angewendet. Die vorgelegten älteren Studien müssten nicht den aktuellen
Anforderungen entsprechen. Da sich das bibliographische Material mit dem
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streitgegenständlichen Arzneimittel befasse, seien die Besonderheiten topischer
Arzneimittel berücksichtigt worden. Die Beklagte habe zu erkennen gegeben, dass sie
allein prospektive randomisierte klinische Studien anerkenne. Diese Forderung
widerspreche § 22 Abs. 3 AMG und sei vorliegend auch deshalb nicht berechtigt, weil
das Arzneimittel unmittelbar nach der Schädigung durch Sonnenbrand, Insektenstiche
oder Kontakturtikaria anzuwenden sei. Eine spätere Anwendung sei sinnlos, sodass
eine Studie theoretisch und praktisch fast undurchführbar sei. Es sei auch nicht
erforderlich, dass es ein anderes zugelassenes Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff
gebe, um einen bibliographischen Antrag stellen zu können. § 22 Abs. 3 AMG setzte
keine bestehende Zulassung voraus, auf die sich der Antragsteller berufen müsste. Die
Forderung nach einer Untersuchung, die den Vorgaben der Arzneimittelprüfrichtlinie
entspreche, führe zu einer Umgehung des § 22 Abs. 3 AMG, der eine Erleichterung des
Nachweises für Arzneimittel bezwecke, die sich seit Jahrzehnten im Verkehr befinden.
Ergänzend nimmt die Klägerin auf die gutachtliche Stellungnahme des Herrn Dr. Ulrich
vom März 2007 Bezug, die die Wirksamkeit des Arzneimittels belege.
Darüber hinaus macht die Klägerin geltend, der Anspruch auf Verlängerung der
Zulassung ergebe sich auch aus § 105 Abs. 4c AMG. Das Arzneimittel sei in identischer
Form und mit identischen Zulassungsunterlagen in Malta unter dem 19. August 2005
zugelassen worden. Sie habe am 04. Oktober 2007 bei der Beklagten unter Hinweis auf
diese Umstände einen Antrag nach § 105 Abs. 4c AMG gestellt, der nicht bereits wegen
der streitgegenständlichen Versagung der Nachzulassung abgelehnt werden dürfe. Die
Bezugnahme auf eine in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union erteilte
Zulassung sei im Nachzulassungsverfahren vielmehr auch noch nach Abschluss des
Mängelbeseitigungsverfahrens möglich. Sie - die Klägerin - sei nicht darauf beschränkt,
in dem Verfahren nach § 25b AMG einen Neuzulassungsantrag zu stellen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Versagungsbescheides vom 23. Dezember 2004 zu
verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Zulassung in der Fassung
des Mängelbeseitigungsschreibens vom 07. Juli 2004 unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt sie unter anderem aus, die Wirksamkeit des Arzneimittels sei aus
den bereits im Verwaltungsverfahren genannten Gründen nicht hinreichend belegt. Die
vorgelegte Studien seien kein hinreichender Beleg für die Wirksamkeit. Die im
Mängelbeseitigungsverfahren vorgelegten Unterlagen enthielten zwar die Angabe, die
durchgeführten Untersuchungen entsprächen den GCP-Standards. Zu den
Untersuchungen liege jedoch kein Material vor, lediglich Veröffentlichungen. Ein
Prüfplan fehle, und es sei nicht nachvollziehbar, welche und wie viele Patienten nur mit
dem Arzneimittel "T. ® Creme" oder auch mit einem anderen systemischen Arzneimittel
behandelt worden seien. Die vorgelegten Unterlagen seien entgegen der Ansicht der
Klägerin gewürdigt worden. Aus Sicht der Beklagten sei das Anwendungsrisiko nicht
geklärt. Es sei bekannt, dass der Wirkstoff bei topischer Anwendung zentralnervöse
Nebenwirkungen habe. Hinzu komme, dass der Wirkstoff zwar in verschiedenen
Arzneimitteln enthalten sei, diese bislang aber nicht zugelassen worden seien. Damit
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fehle es an eine Bewertung des Wirkstoffs gemäß den Arzneimittelprüfrichtlinien,
sodass er nicht als bekannt vorausgesetzt werden könne.
Die Klägerin könne den Anspruch auf Nachzulassung nicht auf § 105 Abs. 4c AMG
stützen. Die Mängelbeseitigungsfrist sei vor Erteilung der ausländischen Zulassung
abgelaufen, sodass nach § 105 Abs. 5 Satz 2 AMG eine Präklusion eingetreten sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 23.
Dezember 2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113
Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres
Antrags auf Verlängerung der Zulassung für das Arzneimittel " T. ® Creme".
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Gemäß § 105 Abs. 4f Satz 1 AMG ist im sog. Nachzulassungsverfahren die Zulassung
um fünf Jahre zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG
vorliegt. Besteht nach Ansicht der Behörde ein solcher Versagungsgrund, so hat sie in
der Regel nach § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG eine Beanstandung auszusprechen und dem
Antragsteller eine angemessene Frist zu deren Beseitigung zu setzen. Verstreicht diese
Frist fruchtlos, ist gemäß § 105 Abs. 5 Satz 2 AMG die Versagung auszusprechen.
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte hat in dem Mängelbescheid vom
06. August 2002 unter anderem die Begründung der Wirksamkeit des
streitgegenständlichen Arzneimittels als unzureichend beanstandet und zur Beseitigung
dieses Mangels und anderer Mängel eine zunächst unangemessene, dann aber auf
Antrag der Klägerin eine längere und von der Klägerin nicht mehr beanstandete Frist
gesetzt. Diese ist mit Ablauf des Monats Juli 2004 verstrichen, ohne dass die Klägerin
den Mängeln abgeholfen hat.
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Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AMG in Verbindung mit § 25 Abs. 2 Satz 1 AMG ist die
arzneimittelrechtliche Zulassung auf Grund der Prüfung der eingereichten Unterlagen
und auf Grundlage der vorgelegten Sachverständigengutachten zu erteilen, wenn kein
Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG vorliegt. Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, 2.
Alt. AMG besteht ein Versagungsgrund, wenn die vom Antragsteller angegebene
therapeutische Wirksamkeit nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse unzureichend begründet ist. Die therapeutische Wirksamkeit ist
unzureichend begründet, wenn die eingereichten Unterlagen nach dem jeweils
gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse den geforderten Schluss auf die
therapeutische Wirksamkeit nicht zulassen, wenn sie sachlich unvollständig oder
inhaltlich unrichtig sind.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 14. Oktober 1993 - 3 C 21.91 -,
BVerwGE 94, 215.
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Zur Begründung der therapeutischen Wirksamkeit ist im Regelfall nach § 22 Abs. 2 Nr. 3
AMG eine klinische Prüfung des Arzneimittels vorzulegen. Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 AMG kann - vereinfacht dargestellt - bei bekannten Wirkstoffen („well established
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use" im Sinne der zugrunde liegenden Richtlinie 2001/83/EG vom 06. November 2001)
anstelle der Ergebnisse der klinischen Prüfung anderes wissenschaftliches
Erkenntnismaterial vorgelegt werden (sog. bezugnehmender oder bibliographischer
Antrag). In beiden Fällen sind die erforderlichen Unterlagen gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1
AMG in einem Sachverständigengutachten zusammenzufassen und zu bewerten. Im
Einzelnen müssen sich aus dem klinischen Gutachten u. a. die angemessene
Wirksamkeit des Arzneimittels in den angegebenen Anwendungsgebieten und die
Zweckmäßigkeit der Dosierung ergeben, § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AMG.
Vgl. VG Köln, Urteile vom 26. Juli 2006 - 9 K 380/05 - und vom 24. Oktober 2006 - 7 K
6084/04 - .
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Diese Anforderungen werden für das streitgegenständliche Arzneimittel nicht erfüllt,
sodass die Klägerin seine Wirksamkeit in dem zuletzt beanspruchten
Anwendungsgebiet "Symptomatische lokale Behandlung von Insektenstichen,
Sonnenbrand und Kontakturtikaria" nicht belegt hat.
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Das vorgelegte wissenschaftliche Erkenntnismaterial im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 AMG muss sich auf einen Wirkstoff beziehen, der seit mindestens 10 Jahren in der
Europäischen Union allgemein medizinisch verwendet wird und dessen Wirkungen und
Nebenwirkungen bekannt und aus dem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial
ersichtlich sind. Diese Voraussetzungen sind für den Wirkstoff
Chlorphenoxaminhydrochlorid allenfalls für dessen systemische Anwendung gegeben.
In dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Auszügen aus dem ATC-Code ist
der Wirkstoff unter der Ziffer D04AA 34 für die topische Anwendung genannt, ebenso in
der Kopie aus dem klinischen Wörterbuch "Pschyrembel" (257. Auflage, Seite 252).
Andererseits ist in dem von der Klägerin ebenfalls vorgelegten Auszug aus dem
Sammelwerk "Arzneistoff-Profile" aus dem Jahr 1999 dazu ausgeführt, dass
Chlorphenoxaminhydrochlorid zwar topisch angewendet wird, die lokale Therapie aber
mangels Wirksamkeit und wegen des Risikos einer Sensibilisierung nicht empfohlen
werde. Wegen der hier in Rede stehenden topischen Anwendung ist auch dem übrigen
Vorbringen der Klägerin zu entnehmen, dass die Verwendung von
Chlorphenoxaminhydrochlorid als Antihistaminikum umstritten ist. Eine Monographie
der Kommissionen B6 und B7 soll nach ihren Angaben wegen deutlich divergierenden
Bewertungen nicht zustande gekommen sein. Soweit erkennbar, gibt es keine anderen
bereits geprüften und zugelassenen Arzneimittel, die den Wirkstoff
Chlorphenoxaminhydrochlorid enthalten, sodass im Wesentlichen allein auf die von der
Klägerin getroffenen Feststellungen und deren Erfahrungen zurückgegriffen werden
kann. Wie dem im Mängelbeseitigungsverfahren von der Klägerin angefertigten Prüfplan
zur Feststellung der Wirksamkeit von Chlorphenoxaminhydrochlorid zu entnehmen ist,
dienen die von ihr durchgeführten Studien unter anderem auch dem Nachweis, dass
eine Wirksamkeit bei topischer Anwendung gegeben ist.
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Wegen der fehlenden Bezugnahmemöglichkeit auf vergleichbare Arzneimittel muss das
Erkenntnismaterial zu dem bibliographischen Antrag im Sinne des § 22 Abs. 3 AMG
gemäß dem Fünften Abschnitt 1. der während des Mängelbeseitigungsverfahrens
geltenden Arzneimittelprüfrichtlinie (Neubekanntmachung vom 05. Mai 1995, BAnz. Nr.
96a vom 20. Mai 1995) eine Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit eines Arzneimittels in der angegebenen Dosierung ermöglichen. Als
wissenschaftliches Erkenntnismaterial sind klinische Unterlagen in Form von klinischen
Studien, aber auch Anwendungsbeobachtungen sowie Sammlungen von
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Einzelfallberichten, die eine wissenschaftliche Auswertung ermöglichen, erforderlich.
Für die hier fraglichen topisch anzuwendenden Arzneimittel ist zusätzlich die „Leitlinie
zu den klinischen Anforderungen an lokal anwendbare, lokal wirksame Produkte mit
bekannten Bestandteilen" (CPMP/EWP/239/95 final) der Europäischen Agentur für die
Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) zu beachten, die zwar keine unmittelbare
rechtliche Bindungswirkung entfaltet, aber den auf europäischer Ebene geltenden Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnisse wiedergibt.
Vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteil vom 25. November 1999 - 5 B 11.98 - sowie die
Urteile der Kammer vom 24. Januar 2006 - 7 K 7013/03 - und vom 21. Februar 2006 - 7
K 850/03 -.
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Wird der Wirksamkeitsnachweis nicht durch klinische Studien oder durch Bezugnahme
auf ein in seiner Zusammensetzung identisches Präparat belegt, fordert diese Leitlinie,
dass bei der topischen Verwendung eines anderweitig bekannten Wirkstoffs die
klinische Wirksamkeit regelmäßig durch ein vollständiges Dossier, anderenfalls durch in
geeigneter Weise abgekürzte Untersuchungen nachzuweisen ist. Denn die
Wirkstoffaufnahme und die Wirksamkeit topisch verwendeter Arzneimittel ist abhängig
von den Wirkstoffeigenschaften, der Größe sowie dem Zustand der Applikationsfläche
und dem verwendeten Vehikel. Die Leitlinie geht wegen dieser Besonderheit topischer
Arzneimittel daher davon aus, dass selbst ganz ähnlich formulierte Produkte, die den
gleichen Wirkstoff enthalten, nicht ohne weiteren Nachweis als wesentlich gleich
bewertet werden können.
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Vgl. VG Köln, Urteile vom 02. Mai 2007 - 7 K 9340/03 -, vom 17. Juli 2007 - 7 K 629/05 -
und vom 06. November 2007 - 7 K 630/05 -. Gemessen an diesen Maßstäben hat die
Klägerin die Wirksamkeit des Arzneimittels "T. ® Creme" nicht hinreichend belegt.
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Die von der Klägerin mit der Dokumentation und im Rahmen des
Mängelbeseitigungsverfahrens vorgelegten Studien zu dem wirkstoffgleichen
Arzneimittel "T. ® Gel" müssen aus den zuvor genannten Gründen bei der rechtlichen
Würdigung außer Betracht bleiben. "T. ® Creme" ist in wesentlicher Hinsicht anders
formuliert. Dieses Arzneimittel wird mit einer fetthaltigen Grundlage hergestellt, während
"T. ® Gel" eine fettfreie und wasserhaltige Grundlage enthält. Die Vergleichbarkeit
beider Arzneimittel ist von der Klägerin nicht gesondert nachgewiesen, sodass beide
Arzneimittel trotz ihrer Unterschiede nicht als wesentlich gleich bewertet werden
können.
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Die zu "T. ® Creme" beigebrachten Wirksamkeitsnachweise sind unzureichend. Die
Klägerin hat im Mängelbeseitigungsverfahren unter anderem die Studie 3142 des Herrn
Prof. Dr. Merk vorgelegt, die sich mit "T. ® Creme" befasst, wobei das Arzneimittel
gegenüber seiner Grundlage und gegen eine Nichtbehandlung in einem randomisierten,
monozentrischen, doppelblinden und placebokontrollierten Verfahren geprüft wurde.
Unabhängig davon wurde parallel "T. ® Gel" geprüft. Maßstab war die Wirkung auf eine
zuvor provozierte Histaminquaddel. In der Zusammenfassung und auf Seite 18 des
Berichts heißt es im Wesentlichen, dass das Verum "T. ® Creme" und die wirkstofffreie
Cremegrundlage im Vergleich zur Nichtbehandlung eine Verkleinerung der
Histaminquaddel bewirkt hätten, während keine deutliche Unterschiede in der
Wirksamkeit des Verums und der Cremegrundlage festzustellen seien. Zum Teil sei die
Cremegrundlage dem Verum überlegen, zum Teil ließe sich das Gegenteil feststellen.
Die Hypothese der gleichen Wirksamkeit von Verum und Cremegrundlage könne im
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Ergebnis nicht abgelehnt werden (Seite 21 des Berichts). Der dazu in der mündlichen
Verhandlung geäußerten Rechtsauffassung der Klägerin, die Studie habe nur dem
Nachweis gedient, dass das Arzneimittel als Ganzes therapeutisch sinnvoll sei, ohne
dass zwischen dem Verum und der Cremegrundlage unterschieden werden müsse,
kann sich die Kammer nicht anschließen. Der Wirksamkeitsnachweis ist für den
Wirkstoff des Arzneimittels zu führen, der nach § 4 Abs. 19 AMG als der arzneilich
wirksame Bestandteil des Arzneimittels gilt. Entsprechend verlangt § 22 Abs. 3 AMG die
Vorlage von wissenschaftlichem Erkenntnismaterial zu den Wirkstoffen eines
Arzneimittels, um dessen Wirkungen zu belegen. Der Wirksamkeitsnachweis für die
topische Anwendung des Chlorphenoxaminhydrochlorids ist daher erst geführt, wenn
eine therapeutische Wirkung auch ohne Berücksichtigung der etwaigen Effekte der
Trägersubstanz gegeben ist. Da es an einem solchen Nachweis fehlt, ist die
Wirksamkeit des Wirkstoffs in dieser Formulierung bei topischer Anwendung durch die
Studie 3142 nicht belegt.
Die Studie 3253 vom 26. April 2004 ist zum Beleg der Wirksamkeit des Arzneimittels
auch nicht geeignet. Die Studie untersucht die Wirkungen von "T. ® Creme" bei
Hautirritation durch UV-B-Strahlung, womit die Folgen eines Sonnenbrandes simuliert
werden sollten. Die Studie hat ergeben, dass die Behandlung mit dem Verum und mit
der Cremegrundlage gegenüber der Nichtbehandlung therapeutische Wirkungen
gezeigt habe, dass aber ein relevanter Unterschied zwischen Verum und
Cremegrundlage nicht festzustellen sei. Damit fehlt entsprechend den vorangehenden
Erwägungen auch hier ein Nachweis, dass der Wirkstoff in dieser Formulierung bei
topischer Anwendung therapeutisch wirksam ist. Die von der Klägerin im
Klageverfahren dazu vorgelegte Stellungnahme des Herrn Dr. Ulrich zur Studie 3253
führt zu keiner anderen Bewertung. Herr Dr. Ulrich hat zwar die Beobachtung
herausgestellt, dass nach den Ergebnissen der Studie nach der Bestrahlung zuerst die
Cremegrundlage am wirksamsten gewesen sei, nach einiger Zeit das Verum mit dem
Grundlage gleichauf gelegen habe und nach etwa 24 Stunden eine gewisse
Überlegenheit des Verums gegeben sei. Diese - möglicherweise auch umfassende -
Überlegenheit des Verums sei aber nach Auffassung von Herrn Dr. Ulrich nur signifikant
und nachgewiesen, wenn anstelle der 24 Patienten ein mindestens 46 Personen großer
Personenkreis an der Studie teilgenommen hätte. Wollte man sich diesen
Überlegungen anschließen, wäre die Durchführung einer neuen Studie erforderlich, was
nach Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist nicht mehr in Betracht kommt.
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Die von der Klägerin im Klageverfahren behauptete Vergleichbarkeit des Arzneimittels
mit dem zugelassenen Arzneimittel "Fenistil®Creme" kann ebenfalls nicht als
Wirksamkeitsbeleg gelten. Das Arzneimittel Fenistil ist zwar ein Antihistaminikum,
enthält aber einen anderen Wirkstoff als "T. ® Creme".
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Die Klägerin kann auch nicht nach § 105 Abs. 4c AMG beanspruchen, dass ihr wegen
der für das Arzneimittel in Malta am 19. August 2005 erteilten Zulassung eine
Verlängerung ihrer inländischen Zulassung gewährt wird. Auch wenn sich das
Arzneimittel in Malta im Verkehr befindet und die Erklärung der Klägerin zutreffend ist,
dass die hier eingereichten Unterlagen nach den Absätzen 4 und 4 a mit den
Zulassungsunterlagen übereinstimmen, auf denen die Zulassung in dem anderen
Mitgliedstaat beruht (§ 105 Abs. 4c Nrn. 1 und 2 AMG), kann § 105 Abs. 4c AMG
vorliegend keine Anwendung mehr finden. Die maltesische Zulassung ist während des
Klageverfahrens erteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt war die von der Beklagten gesetzte
und insgesamt mehr als zwölfmonatige Mängelbeseitigungsfrist abgelaufen, ohne dass
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die Klägerin den berechtigten Beanstandungen abgeholfen hätte. Bei dieser Sachlage
ist die Nachzulassung nach der gesetzlichen Regelung zwingend zu versagen, § 105
Abs. 5 Satz 2 AMG. Diese zwingende Versagung steht nur dem Anschein nach im
Widerspruch zu dem Anspruch aus § 105 Abs. 4c AMG. Die Vorschrift ist von dem
Gesetzgeber mit dem 10. Änderungsgesetz zum Arzneimittelgesetz in die Vorschrift
eingefügt worden, ohne auf diese Anträge abgestimmte verfahrensrechtliche
Regelungen zu treffen. Während § 25b AMG im Neuzulassungsverfahren detailliert
bestimmt, wie bei Zweifel an der Unbedenklichkeit des im europäischen Mitgliedstaat
zugelassenen Arzneimittels zu verfahren ist, kann im Nachzulassungsverfahren nur von
den in § 105 AMG enthaltenen Regelungen Gebrauch gemacht werden, wenn
Bedenken gegen die erteilte Zulassung bestehen. Bei Zweifeln an der
Ordnungsmäßigkeit der ausländischen Zulassung, insbesondere bei
Humanarzneimitteln beim Verdacht auf das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche
Gesundheit, ist ein Mängelbeseitigungsverfahren durchzuführen, dessen
Prüfungsumfang durch das Gesetz oder die Gesetzesbegründung nicht beschränkt wird.
Die Qualität, die Sicherheit und die Wirksamkeit des betreffenden Arzneimittels sollen
trotz der ausländischen Zulassung grundsätzlich unbeschränkt geprüft werden können,
vgl. BT-Drucksache 14/2292, Seite 9.
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In derartigen Fällen wäre bei nach inländischen Vorschriften bereits geprüften
Nachzulassungsanträgen gegebenenfalls ein weiteres Mängelbeseitigungsverfahren
durchzuführen, was dem Ziel des Gesetzgebers widerspräche, das
Nachzulassungsverfahren zu beschleunigen. Der Gesetzgeber ging vielmehr davon
aus, dass das Zulassungsverfahren unter Ausnutzung der bereits im Ausland erfolgten
Prüfungen verkürzt werden soll, indem sich also die inländische Behörde spiegelbildlich
zum Verfahren der gegenseitigen Anerkennung nach § 25b AMG die bereits
vorliegenden Prüfergebnisse im Nachzulassungsverfahren zunutze machen kann. Da
der Gesetzgeber von dem Antragsteller auch im Verfahren nach § 105 Abs. 4c AMG die
Vorlage aller Unterlagen verlangt und die umfassende materielle Prüfmöglichkeit der
zuständigen Behörde bewusst zugelassen hat,
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vgl. BT-Drucksache 14/2292, Seiten 8 und 9,
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ging er davon aus, dass der sich aus § 105 Abs. 4c AMG ergebende Anspruch im
Nachzulassungsverfahren und - zur Erreichung des gewünschten Vereinfachungs- und
Beschleunigungseffekts - zumindest vor dem Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist geltend
zu machen ist. Ist - wie hier - ein Mängelbeseitigungsverfahren bereits durchgeführt
worden, kann der Antrag nach § 105 Abs. 4c AMG zu keiner Vereinfachung oder
Beschleunigung des Verfahrens mehr führen. Die Klägerin ist daher darauf verwiesen,
gegebenenfalls nach § 25b Abs. 1 AMG ein Verfahren der gegenseitigen Anerkennung
einzuleiten, was ihr durch die Ablehnung des Nachzulassungsantrages und die hier
erfolgte Bezugnahme auf § 105 Abs. 4c AMG nicht verwehrt ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Berufung war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen, § 124
Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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