Urteil des VG Köln vom 14.08.2007

VG Köln: vitamin, ernährung, dosierung, angemessene frist, arzneimittel, medikament, zusammensetzung, form, mangel, behörde

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 293/05
Datum:
14.08.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 293/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110
vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand: Am 26.05.1978 zeigte die Klägerin das streitgegenständliche Medikament
„N. zur Infusion" (Ampullen zu 10 ml) gemäß Art. 3 § 7 des Gesetzes zur Neuordnung
des Arzneimittelrechts - AMNG - beim Bundesgesundheitsamt an. Als wirksame Be-
standteile pro 10 ml Lösung wurden angegeben
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Vitamin A (als Vitamin A-Palmitat) 10 000 I.E. Thiaminhydrochlorid (Vitamin B 1) 50 mg
Riboflavin (Vitamin B 2) 10 mg Nicotinamid 100 mg Dexpanthenol 25 mg
Pyridoxinhydrochlorid (Vitamin B 6) 15 mg Ascorbinsäure (Vitamin C) 500 mg Alpha-
Tocopherolacetat (Vitamin E) 5 mg.
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Als Anwendungsgebiete waren aufgeführt „Therapie mit Infusionslösungen, wenn
erhöhte Vitaminzufuhr erforderlich ist (postoperative Zustände, parenterale Ernäh- rung,
Störungen der Vitaminresorption infolge Funktionsbeeinträchtigungen im Ma- gen-
Darm-Trakt, Verbrennungen, konsumierende Erkrankungen, Leberkrankhei- ten".
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Am 13.10.1989 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Zulassung nach Art. 3 § 7
AMNG (sog. Kurzantrag). Am 12.07.1993 stellte die Klägerin den sog. Langantrag und
reichte gleichzeitig eine Änderungsanzeige ein, die u. a. die Menge der arzneilich
wirksamen Bestandteile und die Anwendungsgebiete betraf. Nach der Änderung setzte
sich das Arzneimittel wie folgt zusammen:
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Retinolpalmitat, entspr. 3000 I.E. (Vitamin A) 1,65 mg Thiaminchloridhydrochlorid
(Vitamin B 1) 10 mg (Tagesdosis: 8,9 mg) Riboflavin (Vitamin B 2) 10 mg (Tagesdosis:
7,3 mg) Nicotinamid 40 mg Dexpanthenol 25 mg Pyridoxinhydrochlorid (Vitamin B 6) 15
mg (Tagesdosis: 12,3 mg) Ascorbinsäure (Vitamin C) 100 mg Alpha-Tocopherolacetat
Vitamin E) 5 mg
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Die Anwendungsgebiete wurden wie folgt formuliert: „Vitaminsubstitution bei pa-
renteraler Ernährung, Störungen der Vitaminresorption infolge Funktionsbeeinträchti-
gungen im Magen-Darm-Trakt, Verbrennungen, konsumierenden Erkrankungen, Le-
berkrankheiten, langfristiger parenteraler Ernährung." Die Dosierungsanleitung emp-
fahl täglich 1 Ampulle, soweit nicht anders verordnet.
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Am 21.12.2000 reichte die Klägerin die Unterlagen gemäß dem 10. Änderungs- gesetz
zum AMG ein, wobei sie sich auf anderes wissenschaftliches Erkenntnismate- rial nach
§ 22 Abs. 3 AMG stützte.
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Mit Mängelschreiben vom 25.08.2003 übersandte das Bundesinstitut für Arznei- mittel
und Medizinprodukte - BfArM - der Klägerin die Stellungnahme zur Klinik und setzte zur
Beseitigung der Mängel eine Frist von 12 Monaten. In der Stellungnahme wurde
bemängelt, das Präparat entspreche in seiner qualitativen und quantitativen
Zusammensetzung nicht den allgemeinen Empfehlungen der DAKE (Deutsche Ar-
beitsgemeinschaft für künstliche Ernährung) bzw. der ASPEN (American Society for
Parenteral and Enteral Nutrition) für die Vitaminzufuhr bei parenteraler Ernährung.
Empfohlen werde eine Vitaminzufuhr in Höhe des etwa 2-3fachen Tagesbedarfs, mit
Ausnahme der Vitamine A und D. In der beantragten Infusionslösung fehlten die Vi-
tamine Folsäure, Biotin, B 12, D und K. Die Vitamine B 6 (8-facher Tagesbedarf), B 1 (7-
facher Tagesbedarf), B 2 (5-facher Tagesbedarf), Pantothensäure (4-facher Ta-
gesbedarf) seien überdosiert, Vitamin E (0,5-facher Tagesbedarf) sei unterdosiert. Die
Vitamine A, C und Niacin entsprächen den Empfehlungen. Wegen der fehlenden und zu
hoch dosierten Vitamine müsse von einem gesundheitlichen Risiko ausge- gangen
werden. Wissenschaftliche Daten zur Höhe der Vitaminzufuhr bei parentera- ler
Ernährung längen nicht in ausreichendem Maße vor. Die vorgelegte Kombinati-
onsbegründung sei nicht ausreichend.
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Am 24.08.2004 legte die Klägerin eine Stellungnahme zum Mängelbericht vom
30.07.2004 von Dr. Dieter Bonke vor. In dieser wurde ausgeführt, die fehlenden Vi-
tamine Folsäure, Vitamin B 12, Biotin, Vitamin D und K könnten im Fall eines Bedarfs
intervallweise durch Monopräparate zusätzlich zugeführt werden. Folsäure fehle im
Präparat, weil es mit Vitamin B 1 nicht langzeitkompatibel sei. Vitamin B 12 sei auf-
grund der sehr geringen Beimischung nicht stabil. Vitamin D werde normalerweise
ausreichend durch die Sonneneinstrahlung in der Haut gebildet. Vitamin K fehle we-
gen der möglichen Interferenzen mit einer Antikoagulantien-Behandlung. Biotin hätte
aus rechtlichen Gründen im Nachzulassungsverfahren nicht zugesetzt werden kön- nen.
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Im Hinblick auf die beanstandete Dosierung der einzelnen Vitamine wurde darauf
hingewiesen, dass auch die Empfehlungen der DGE bzw. der DAKE und der ASPEN
nicht auf gesicherten Grundlagen beruhten. Jedenfalls gingen die Dosierungen der
Vitamine B 1, B 2 und B 6 nicht wesentlich, maximal 3-fach, über die Empfehlungen der
DAKE hinaus. Der Unterschied in der Stärke von Vitamin E sei gegenüber der
Empfehlung der ASPEN ebenfalls gering. Eine Teilmenge des alpha-Tocopherol sei
außerdem in den anderen Bestandteilen ausgewiesen. Die Annahme des BfArM, dass
mit der Überdosierung gesundheitliche Risiken verbunden seien, sei wegen der
verhältnismäßig geringen Abweichungen und der Anwendungserfahrungen
unwahrscheinlich. Keines der Vitamine überschreite den jeweiligen Upper Tolerable
Intake Level. Die Stellungnahme stützte sich auf vier Veröffentlichungen zu Vitamin D.
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Mit Bescheid vom 17.12.2004 versagte die Beklagte die Zulassung mit der Begründung,
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dem Arzneimittel fehle die angegebene therapeutische Wirksamkeit bzw. diese sei
unzureichend begründet, § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG. Ferner fehle eine ausreichende
Begründung, dass jeder arzneilich wirksame Bestandteil einen Beitrag zur positiven
Beurteilung des Arzneimittels leiste, § 25 Abs. 2 Nr. 5 a AMG. Die unterschiedliche
Dosierung der enthaltenen Vitamine sei wissenschaftlich nicht begründet. Die
nachgereichte Begründung für das Fehlen der Vitamine Folsäure, B 12 und D sei
akzeptabel. Auf das fehlende Vitamin Biotin könne allerdings nicht verzichtet werden, da
Multivitaminpräparate für die parenterale Ernährung alle wasserlöslichen Vitamine in
ausgewogener Zusammensetzung enthalten sollten. Eine gesonderte Verabreichung
einzelner Vitamine berge zusätzliche Risiken für den Patienten.
Am 14.01.2005 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie eine Aufhebung des
Versagungsbescheides und Neubescheidung ihrer Verlängerungsantrages begehrt. Zur
Begründung trägt sie vor, es handele sich um ein fiktiv zugelassenes Altarzneimittel, für
das Bestands- und Vertrauensschutz bestehe. Dies sei bei Auslegung der
Versagungsgründe aus verfassungsrechtlichen Gründen zu berücksichtigen. Vitamine
seien bekannte Wirkstoffe, so dass der Wirksamkeitsnach- weis in der erleichterten
Form des § 22 Abs. 3 AMG geführt werden könne. Ferner sei zu beachten, dass das
Arzneimittel keine Heil-, sondern eine Präventivindikation beanspruche. Die Indikation
„Vitaminsubstitution", ziele nicht auf die kausale Behandlung einer Grunderkrankung ab,
sondern diene lediglich der Ersatzversorgung mit Vitaminen. Für diese Indikation sei ein
Wirksamkeitsnachweis in Form randomisierter, placebokontrollierter Doppelblindstudien
nicht erforderlich. Vielmehr sei nach einer Guideline der EMEA auch wissenschaftliches
Erkenntnismaterial mit einem geringeren Evidenzgrad ausreichend
(EMEA/HMPWP/23/99). Da das streitgegenständliche Präparat Vitamine in einer Menge
enthalte, die mindestens 100 % des Tagesbedarfs abdeckten, sei es zur
Vitaminsubstitution geeignet und damit wirksam. Eines weitergehenden Nachweises
bedürfe es nicht.
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Die quantitative Zusammensetzung sei durch die langjährige Anwendungserfahrung
und die vorgelegten Unterlagen belegt. Die Vitamine B 1, B 2, B 6 und Pantothensäure
seien nicht überdosiert und Vitamin E nicht unterdosiert. Die DGE-Empfehlungen seien
nicht anwendbar, da sie auf gesunde Menschen abzielten und den Mehrbedarf von
Kranken nicht berücksichtigten. Die DGE-Werte für den Tagesbedarf seien ebenso wie
die Erhöhung auf das 2- bis 3-fache bei der Vitaminsubstitution nicht wissenschaftlich
begründet, sondern willkürlich. Dies zeige sich auch darin, dass die Werte bei den
einzelnen Fachgesellschaften zum Teil erheblich differierten und daher keinen
wissenschaftlich begründeten Maßstab für die Vitaminzufuhr enthielten. Die
Empfehlungen der DAKE stammten aus dem Jahr 1990 und seien daher nicht mehr auf
dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Werte der ASPEN gäben lediglich
Bandbreiten einer sicheren Nährstoffzufuhr bei gesunden Menschen wieder und
beanspruchten keinerlei Verbindlichkeit.
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Andere Ernährungsempfehlungen, beispielsweise Anlage 6 zu § 14 b DiätVO, die die
höchste Aufnahmemenge von Nährstoffen bei bilanzierten Diäten regele, enthielten
höhere Richtwerte, die von dem Arzneimittel nicht überschritten würden. Diese Werte
seien gerade für Menschen mit Grunderkrankungen oder besonderen physiologischen
Situationen bestimmt. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass die DiätVO vom BfArM
nicht herangezogen werde. Diese Werte seien im Anhang der Richtlinie 1999/21/EG
über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nach einer
entsprechenden wissenschaftlichen Risikobewertung festgesetzt und vom deutschen
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Gesetzgeber übernommen worden. Es sei daher davon auszugehen, dass diese Werte
zweckmäßig und ohne Risiko seien. Da es sich um Ergebnisse einer
wissenschaftlichen Beurteilung handele, könne diese auch in einem anderen
rechtlichen Rahmen , der Arzneimittelzulassung, zur Anwendung kommen. Die Beklagte
beziehe sich selbst ebenfalls auf Werte der DGE, die für die Ernährung, also für die
Vitaminzufuhr durch Lebensmittel, festgelegt worden seien und nicht für die
Arzneimittelzulassung.
Die Unbedenklichkeit der im streitgegenständlichen Präparat enthaltenen
Vitaminmengen wird unter Bezugnahme auf Anlage 6 zu § 14 b DiätVO sowie auf
Allgemeinverfügungen nach § 47 a LMBG für die jeweiligen Vitamine im einzelnen
dargelegt. Ergänzend werden Werte des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR)
sowie des Scientific Committee on Food der Europäischen Kommission herange- zogen
(vgl. Bl. 19 - 28 d. A.).
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Anhaltspunkte für schädliche Wirkungen des Arzneimittels in der beantragten Dosierung
habe die Beklagte nicht genannt. Hierbei sei nach der Rechtsprechung auch zu
berücksichtigen, dass das Arzneimittel seit Jahrzehnten ohne Beanstandung
schädlicher Nebenwirkungen auf dem Markt sei. Die Unterschiede bei oraler bzw.
parenteraler Ernährung seien gerade bei der Aufnahme von Vitaminen geringfügig und
klinisch nicht relevant.
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Das Arzneimittel enthalte insgesamt eine Menge von 6 mg Vitamin E, da neben den
deklarierten 5 mg alpha-Tocopherol noch weitere 1 mg in den sonstigen Bestandteilen
(Antioxidantien) des Arzneimittels enthalten seien. Diese Menge an Vitamin E sei nicht
zu gering. Der tatsächliche Vitamin-E-Bedarf sei grundsätzlich umstritten. So definiere
beispielsweise das Scientific Committee on Food den Vitamin E-Bedarf in Bezug auf die
Zufuhr an mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus der Nahrung.
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Das Fehlen von Biotin sei nicht zu beanstanden. Der Tagesbedarf sei nicht bekannt. Ein
Mangel äußere sich erst nach einer länger andauernden Unterversorgung und könne
dann durch ein Monopräparat behoben werden.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte vom 17.12.2004 (Geschäftszeichen: ) zu verpflichten, den Antrag auf
Verlängerung der Zulassung des Arzneimittels N. N zur Infusion unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, auch für fiktiv zugelassene Altarzneimittel seien die Anforderungen des
AMG an die Begründung der Wirksamkeit in vollem Umfang anzuwenden. Das AMG
unterscheide auch nicht zwischen Heil- und Präventionsindikation. Vielmehr müsse die
Wirksamkeit der einzelnen Bestandteile ebenso wie die der Kombination im Hinblick auf
die beanspruchte Indikation ausreichend begründet werden. Die Zweckmäßigkeit der
Dosierung müsse nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 AMG belegt werden. Hierfür könne auch
bibliographisches Erkenntnismaterial ausreichend sein.
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Es fehle aber nach wie vor eine fachliche Begründung, dass das Medikament in der
vorliegenden Zusammensetzung und Dosierung für das beantragte Anwendungsgebiet
wirksam sei. Wissenschaftlich fundierte Daten zur Vitaminsubstitution bei parenteraler
Ernährung, unter Berücksichtigung verschiedener Erkrankungen, lägen nicht vor. Die
Fachgesellschaften DAKE, AKE und ASPEN empföhlen daher eine Vitaminzufuhr in
Höhe des 2 bis 3-fachen Tagesbedarfs nach DGE, mit Ausnahme der Vitamine A und D,
für die der einfache Tagesbedarf anzusetzen sei. Dies gelte auch für Patienten mit
krankheitsbedingt erhöhtem Bedarf. Die Werte der einzelnen Fachgesellschaften seien
zwar unterschiedlich, aber jedenfalls vergleichbar und daher für eine Orientierung ge-
eignet. Die Klägerin habe die unterschiedliche Dosierung der verschiedenen Vitami- ne
im Hinblick auf den Tagesbedarf bzw. die Abweichung von den Empfehlungen der
Fachgesellschaften und das Fehlen von Biotin nicht begründet. Die von der Klägerin
vorgelegten Unterlagen enthielten nur abstrakte Ausführungen zu einzelnen Vitaminen,
jedoch keine Wirksamkeitsnachweise für die angegebene Indikation in der beantragten
Zusammensetzung, Stärke und Applikationsform (intravenös).
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Auch sei die Unbedenklichkeit der beantragten Dosierung im beantragten
Anwendungsgebiet nicht belegt. Daher könne das Nutzen-Risiko-Verhältnis hinsichtlich
der fehlenden und zu hoch dosierten Bestandteile nicht definiert werden. Besondere
Sorgfalt sei insbesondere bei kranken Personen geboten, die parenteral ernährt werden
müssten. Es genüge nicht, die Unbedenklichkeit insoweit aus Tolerable Upper Intake
Levels abzuleiten, deren Bezugsquellen nicht ohne weiteres nachvollziehbar seien.
Außerdem vernachlässige die Klägerin den Unterschied zwischen enteraler/oraler und
parenteraler Ernährung. Bei der enteralen Ernährung erfolge die Nahrungsaufnahme
über den Magen-Darm-Trakt, sodass nur ein Teil der Wirkstoffe resorbiert werde. Bei der
parenteralen Ernährung sei infolge der unmittelbaren Aufnahme über das Blut von einer
fast 100 %-igen Bioverfügbarkeit auszugehen. Die Dosierungen von oral bzw.
parenteral zugeführten Vitaminen könnten wegen der unterschiedlichen
Bioverfügbarkeit grundsätzlich nicht gleich- gesetzt werden.
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Die von der Klägerin angeführten lebensmittelrechtlichen Bestimmungen seien für die
Zulassung von Arzneimitteln nicht relevant. Aus ihnen könne allenfalls ein Indiz für die
Unbedenklichkeit abgeleitet werden. Die Regelungen für bilanzierte Diäten seien für die
parenterale Ernährung wegen der unterschiedlichen Aufnahme nicht anwendbar. Im
übrigen gebe die Diätverordnung nur eine Höchstmenge von Vitaminen pro 100 kcal
eines verzehrfähigen Erzeugnisses an. Eine Tageshöchstmenge werde dort gerade
nicht festgesetzt.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf den von der Beklagten
vorgelegten Verwaltungsvorgang und die klinische Dokumentation Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Versagungsbescheid des BfArM vom 17.12.2004 ist rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf eine
Neubescheidung ihres Antrags auf Verlängerung der Zulassung unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Gemäß § 105 Abs. 4 f Satz
1 AMG ist im sog. Nachzulassungsverfahren die Zulassung zu verlängern, wenn kein
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Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG vorliegt. Besteht nach Auffassung der Behörde
ein Versagungsgrund, hat sie in der Regel gemäß § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG zuvor eine
Beanstandung auszusprechen und dem Antragsteller eine angemessene Frist zur
Beseitigung zu setzen. Werden die Mängel nicht innerhalb der Frist beseitigt, hat die
Behörde die Verlängerung gemäß § 105 Abs. 5 Satz 2 AMG zu versagen. Mit
Mängelschreiben vom 25.08.2003 hat die Beklagte jedenfalls zu Recht gerügt, dass die
in dem streitgegenständlichen Medikament enthaltene Menge von Vitamin E
(Tagesdosis: 5 mg) unterdosiert sei, da sie nur der Hälfte des Tagesbedarfs gemäß den
Empfehlungen der Fachgesellschaften für parenterale Ernährung DAKE bzw. ASPEN
entspreche. Diesem Mangel hat die Klägerin durch die innerhalb der gesetzlichen
Höchstfrist von 12 Monaten eingereichte Stellungnahme zum Mängelschreiben vom
24.08.2004 und die hierzu eingereichten Unterlagen nicht abgeholfen. Der
Verlängerung der Zulassung steht daher der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4, 2. Alt. AMG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung zu versagen, wenn
die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit nach dem jeweils
gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unzureichend begründet ist. Die
therapeutische Wirksamkeit ist dann unzureichend begründet, wenn die vom
Antragsteller eingereichten Unterlagen nach dem jeweils gesicherten Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse den geforderten Schluss auf die therapeutische
Wirksamkeit nicht zulassen, wenn sie sachlich unvollständig sind oder wenn sie
inhaltlich unrichtig sind,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 14. Oktober 1993 - 3 C 21/91 -
BVerwGE 94, 215.
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Zur Begründung der therapeutischen Wirksamkeit ist im Regelfall nach § 22 Abs. 2 Nr. 3
AMG eine klinische Prüfung des Arzneimittels vorzunehmen. Gemäß § 22 Abs. 3 AMG
kann - vereinfacht dargestellt - bei bekannten Wirkstoffen anstelle der Durchführung der
klinischen Prüfung anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden
(sog. bezugnehmender Antrag). In beiden Fällen sind zudem gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1
AMG die erforderlichen Unterlagen in einem Sachverständigengutachten
zusammenzufassen und zu bewerten. Im Einzelnen muss sich aus dem klinischen
Gutachten u. a. die angemessene Wirksamkeit des Arzneimittels bei den angegebenen
Anwendungsgebieten und die Zweckmäßigkeit der Dosierung ergeben, § 24 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 AMG.
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Diese Anforderungen werden im vorliegenden Fall im Hinblick auf die beantragte
Dosierung des arzneilich wirksamen Bestandteils Vitamin E nicht erfüllt. Mit dem
streitgegenständliche Präparat wurden keine klinischen Prüfungen durchgeführt. Auch
das vorgelegte anderweitige wissenschaftliche Erkenntnismaterial lässt einen Schluss
auf die Wirksamkeit der zugeführten Menge an Vitamin E in den beantragten
Anwendungsgebieten, insbesondere bei „Vitaminsubstitution bei langfristiger
parenteraler Ernährung" nicht zu. Hierbei genügt es entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht, eine beliebige Menge an Vitamin E zu verabreichen. Zwar werden auch
durch Mengen, die unterhalb des Tagesbedarfs liegen, die üblicherweise durch die
Nahrung zugeführten Vitamine teilweise ersetzt. Diese eingeschränkte Wirksamkeit
entspricht jedoch nicht den beantragten Anwendungsgebieten. Vielmehr wird mit dem
Anwendungsgebiet „Vitaminsubstitution bei parenteraler Ernährung" eine
Ersatzversorgung mit allen benötigten Vitaminen beansprucht, die - auch bei
langfristiger parenteraler Ernährung - den durchschnittlichen Bedarf eines kranken
Patienten vollständig deckt und damit einen Mangelzustand verhindert. Aus den von der
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Klägerin vorgelegten Unterlagen sowie dem klinischen Sachverständigengutachten
lässt sich nicht entnehmen, dass der Tagesbedarf an Vitamin E durch eine Tagesdosis
des streitgegenständlichen Präparats gedeckt werden kann. Nach den mit der
klinischen Dokumentation eingereichten Empfehlungen der DAKE, der Deutschen
Arbeitsgemeinschaft für künstliche Ernährung aus dem Jahr 1990 (Beiakte 5, S. 109),
wird für Vitamin E (alpha- Tocopheroläquivalente) eine Tagesdosis von 20 - 40 mg
vorgeschlagen. Das MSD- Manual für Diagnostik und Therapie (Beiakte 5, S. 52)
empfiehlt eine tägliche parenterale Zufuhr von 15 mg Vitamin E. Das Vitaminpräparat
der Klägerin liegt mit der deklarierten Wirkstoffmenge von 5 mg, aber auch mit der
tatsächlich enthaltenen Menge von 6 mg Vitamin E (einschließlich der Hilfsstoffe), weit
unterhalb dieser Werte. Weitere wissenschaftliche Erkenntnisquellen zum Bedarf von
Vitamin E bei Patienten, die parenteral ernährt werden bzw. an den im
Anwendungsgebiet genannten Krankheiten leiden, sind auch im Mängelverfahren nicht
vorgelegt wor- den. Auch im klinischen Sachverständigengutachten vom 19.08.1999,
verfasst von Hochsch.-Doz. Dr. Andreas Hahn, werden als Maßstab für den
Tagesbedarf eines parenteral ernährten Patienten die Empfehlungen der DAKE
zugrundegelegt und folgerichtig festgestellt, dass die in N. vorhandenen Mengen an
Vitamin E unterhalb der Empfehlungen liegen. Der Gutachter schlägt daher vor,
zusätzliche Vitamin-E-Gaben zu verabreichen, so dass rechnerisch eine tägliche
Gesamtdosis von etwa 40 - 50 mg alpha-Tocopherol erreicht wird (vgl. Beiakte 6, S.
15/37). Damit räumt der Sachverständige die Möglichkeit ein, dass das
streitgegenständliche Medikament allein, also ohne zusätzliche Gabe eines
Monopräparates, zur Substitution von Vitamin E beim durchschnittlichen Patienten nicht
geeignet und damit nicht wirksam ist. Zweifel an der Wirksamkeit der enthaltenen
Vitamin-E-Menge ergeben sich weiterhin aus den vom BfArM zur Ermittlung des
Tagesbedarfs herangezogenen Empfehlungen der ASPEN, also der American Society
for Parenteral and Enteral Nutrition, die eine Zufuhr von 10 mg Vitamin E täglich
vorsehen. Die Empfehlungen der DGE, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die
den von der DAKE angegebenen Werten zugrunde liegen, schlagen eine tägliche Gabe
von 11 - 15 mg Vitamin E bei gesunden Menschen vor. Auch diese Werte werden vom
Medikament der Klägerin nicht erreicht.
Die Klägerin bemängelt zwar zutreffend, dass die Empfehlungen der
Fachgesellschaften nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern
auf nur theoretischen Überlegungen beruhen und daher auch nicht einheitlich sind. Dies
wird in den Erläuterungen der DAKE zu ihren „Empfehlungen" bestätigt. Von einem
gesicherten Tagesbedarf im Fall von Vitamin E kann daher nicht ausgegangen werden.
Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass die Klägerin ihrerseits nicht dargelegt
hat, dass die von den Fachgesellschaften angegebenen Werte zu hoch sind bzw. dass
die im streitgegenständlichen Medikament enthaltene Menge von 5 mg ausreichend ist,
den Tagesbedarf eines Menschen zu decken, der parenteral ernährt wird oder an einer
der im Anwendungsgebiet aufgeführten Krankheiten leidet. Damit fehlt es an einer
ausreichenden Begründung der Wirksamkeit iSd § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, 2. HS. AMG.
Auch der Einwand der Klägerin, der Vitaminbedarf eines Patienten sei je nach Alter,
Geschlecht, Gewicht, Krankheit, etc. sehr unterschiedlich, vermag die Wirksamkeit der
hier verwendeten Vitamin-E-Gabe nicht zu begründen. Denn das Medikament ist zur
Vorbeugung eines individuellen (niedrigen) Vitaminmangels weder vorgesehen noch
aufgrund seiner Zusammensetzung und Dosierung geeignet. Eine individuell
abgestimmte Vitamin-Prophylaxe könnte nur durch variabel dosierbare Monopräparate
erfolgen. Das Anwendungsgebiet umfasst aber vielmehr durchschnittliche Patienten, die
aufgrund einer Erkrankung einen durchschnittlich erhöhten Vitaminbedarf an allen
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Vitaminen haben. Auch das in der mündlichen Verhandlung angesprochene
Stufenplanverfahren zu Vitamin E ist nicht geeignet, die niedrige Dosierung dieses
Bestandteils zu begründen. Die Klägerin hat weder substantiiert dargelegt noch durch
Vorlage von Unterlagen begründet, dass Vitamin-E-Mengen in der Größenordnung, die
von den Fachgesellschaften empfohlen werden, also zwischen 10 mg und 40 mg,
möglicherweise schädliche Nebenwirkungen haben. Wie die Vertreterin des BfArM
ausgeführt hat, bezieht sich das Stufenplanverfahren auf orale Vitamin-E-Präparate mit
Tagesdosen im Bereich von 270 mg. Da die Nachzulassung somit bereits wegen
unzureichender Begründung der Wirksamkeit im Hinblick auf den Wirkstoff Vitamin E zu
versagen war, kommt es nicht mehr darauf an, ob möglicherweise im Hinblick auf
überdosierte oder fehlende Vitamine weitere Versagungsgründe vorliegen. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.