Urteil des VG Köln vom 30.05.2008

VG Köln: wissenschaft und forschung, öffentliche gewalt, verordnung, strahlung, funkanlage, bundesamt, kommission, strahlenschutz, stiftung, grundstück

Verwaltungsgericht Köln, 11 K 5151/06
Datum:
30.05.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 5151/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des
Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen.
Tatbestand Die Beigeladene betreibt seit dem 11. August 2006 in Windeck-Schladern
auf dem Grundstück Gemarkung X. , Flur 0. Flurstück 0000 ( ), eine ortsfeste
Sendeanlage auf einem 40 m hohen Gittermast. Die Kläger sind Eigentümer bzw.
Bewohner des Grundstücks Gemarkung X. , Flur 0. Flurstück 0000, 00. Das Grundstück
ist mehr als 100 m von dem Antennenmast entfernt.
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Der Bau der Sendeanlage wurde mit Baugenehmigung vom 24. Juni 2005 genehmigt.
Am 29. Juli 2004 ( Stob-Nr. 52 1504) und am 15. Dezember 2005 erteilte die Beklagte
der Beigeladenen eine vorläufige und am 9. März 2006 eine endgültige
Standortbescheinigung für drei GMS-Antennen des Frequenzbereichs 1,8 GHz bzw.
900 MHz an dem Mast. Als Montagehöhe der Antennen wurde 38,5 m festgesetzt, der
standortbezogene Sicherheitsabstand wurde in Hauptstrahlrichtung auf 10,84 m und in
vertikaler Richtung auf 2,78 m festgelegt. Gegen die Baugenehmigung und gegen die
Standortbescheinigung legten die Kläger Widerspruch ein, weil sie langfristig
Gesundheitsgefahren durch die Strahlung befürchteten. Der Widerspruch gegen die
Baugenehmigung wurde zurückgewiesen, dagegen haben die Kläger unter dem Az. 8 K
3775/06 Klage erhoben. Dieses Verfahren ruht. Den Widerspruch gegen die
Standortbescheinigung wies die Beklagte mit Bescheid vom 2. November 2006
(zugestellt am 4. November 2006) als unbegründet zurück.
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Dagegen haben die Kläger am 4. Dezember 2006 Klage erhoben. Sie behaupten,
konkrete Gesundheitsgefährdungen seien bei dem Betrieb der Anlage auch dann nicht
ausgeschlossen, wenn die Grenzwerte der 26. BImSchV eingehalten würden. Diese
Werte seien zu hoch. Dazu verweisen sie auf die von Prof. Franz Adlkofer (Verum-
Stiftung München) koordinierte „REFLEX-Studie" und beantragen ein
Sachverständigengutachten des an der „REFLEX-Studie" beteiligten Prof. Dr. Frenzel-
Beyme einzuholen. Bei der potenziellen Schädigung einer Vielzahl von Betroffenen
reiche die bloße Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bereits aus, um eine
Gefahrenlage zu bejahen. Außerdem erfasse die Verordnung nur die thermischen
Wirkungen elektromagnetischer Felder, nicht aber deren athermische Wirkungen.
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Die Kläger beantragen,
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die Standortbescheinigung der Beklagten vom 9. März 2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 2. November 2006 (VFZ-2 521504) aufzuheben.
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Die Beklagte und die Beigeladene beantragen
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die Klage abzuweisen.
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Sie sind der Ansicht, dass die notwendigen Schutzabstände eingehalten seien und
dass diese ausreichend seien. Ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko sei bisher nicht
wissenschaftlich nachgewiesen. Die der 26. BImschV zugrundeliegenden
Empfehlungen hätten immer auch die athermischen Wirkungen elektromagnetischer
Felder berücksichtigt. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass das
bisherige Schutzniveau unzureichend sei, lägen nicht vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten, der Akten des Verfahrens 8 K 3775/06 und der zu beiden Verfahren
vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Kammer kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Bei der Standortbescheinigung der Beklagten vom 9. März 2006 handelt es um einen
selbständigen Verwaltungsakt i.S. von § 35 Satz 1 VwVfG, der unabhängig von der
Baugenehmigung angefochten werden kann. Die Klage gegen die Baugenehmigung im
Verfahren 8 K 3775/06 ist insoweit nicht vorgreiflich.
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Die Kläger sind nach § 42 Abs. 2 VwGO auch klagebefugt, weil sie im
Einwirkungsbereich der Funkanlage wohnen und weil die Standortbescheinigung
drittschützende Wirkung hat. Denn nach der Ermächtigungsnorm des § 12 des Gesetzes
über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen vom 21. Januar 2001,
BGBl. I S. 170, (FTEG) dienen die Vorschriften der Verordnung über das
Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder vom 20. 8. 2002, BGBl.
I 3366, (BEMFV) ausdrücklich dazu, den Schutz von Personen in den durch
Funkanlagen entstehenden elektromagnetischen Feldern zu gewährleisten.
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Die Klage ist aber nicht begründet. Die Standortbescheinigung der Beklagten vom 9.
März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2006 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO).
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Gemäß § 4 Abs. 1 BEMFV i. V. m. § 12 FTEG darf eine ortsfeste Funkanlage nur
betrieben werden, wenn für den vorgesehenen Standort eine gültige
Standortbescheinigung vorliegt. Gemäß § 5 Abs. 2 BEMFV hat die Bundesagentur für
Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen eine
Standortbescheinigung zu erteilen, wenn der standortbezogene Sicherheitsabstand
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innerhalb des kontrollierbaren Bereichs liegt. Die zuständige Regulierungsbehörde
ermittelt gemäß § 5 Abs. 1 BEMFV auf der Grundlage der systembezogenen
Sicherheitsabstände den zur Einhaltung der Grenzwerte nach § 3 erforderlichen
standortbezogenen Sicherheitsabstand. § 3 Satz 1 Nr. 1 BEMFV bestimmt, dass zur
Begrenzung der elektromagnetischen Felder von ortsfesten Funkanlagen für den
Frequenzbereich von 9 kHz bis 300 GHz die in der geltenden Fassung der Verordnung
über elektromagnetische Felder vom 16. Dezember 1996, BGBl. I S. 1966, (26.
BImSchV) festgesetzten Grenzwerte einzuhalten sind. Die hier angefochtenen
Standortbescheinigung entspricht diesen Anforderungen. Insbesondere sind auch die
Grenzwerte nach der 26. BImSchV eingehalten.
Es ist auch davon auszugehen, dass die nach der 26. BImSchV vorgesehenen
Grenzwerte ausreichen, um die Kläger vor schädlichen Auswirkungen der von den
Antennen ausgehenden elektromagnetischen Felder zu schützen.
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Die Grenzwerte beruhen auf den übereinstimmenden Empfehlungen des Komitees für
nichtionisierende Strahlen der Internationalen Strahlenschutzvereinigung (IRPA), der
Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP)
sowie der beim Bundesamt für Strahlenschutz angesiedelten
Strahlenschutzkommission (SSK). Vorläufig liegen keine verlässlichen
wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, dass die menschliche Gesundheit durch die
vorliegenden Grenzwerte nicht oder nur völlig unzureichend geschützt würde.
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Die vom Kläger aufgeführten Studien, aus denen sich seinen Angaben zufolge
Hinweise auf schädliche Wirkungen der Strahlung von Mobilfunksendeanlagen
ergeben, zwingen zu keiner anderen Beurteilung. Wissenschaft und Forschung ist
bislang nicht der Nachweis gelungen, dass athermische Effekte elektromagnetischer
Felder, zumal unterhalb der durch die Verordnung gezogenen Grenzen, zu
gesundheitlichen Schäden führen. Gesundheitliche Beeinträchtigungen durch
Mobilfunkantennen sind bisher wissenschaftlich nicht belegt.
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Vgl. EuGHM, Zulässigkeitsentscheidung vom 17. 1. 2006, Bsw. Nr. 42.756/02
(Luginbühl).
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Die Grenzwerte der 26. BImSchV berücksichtigten sowohl die thermischen wie die
athermischen Effekte elektromagnetischer Felder. Die Verordnung unterscheidet nicht
zwischen diesen beiden Auswirkungen, sondern stellt in § 1 Abs. 1 generell
Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen
Umwelteinwirkungen durch elektromagnetische Felder. Die Empfehlung der
Strahlenschutzkommission vom 13./14. September 2001 lässt auch erkennen, dass ihr
Augenmerk seit jeher auch den athermischen Reaktionen galt. Da die Arbeit und die
Ergebnisse der Strahlenschutzkommission Grundlage für die 26. BImSchV waren, liegt
es nahe, dass der Verordnungsgeber - wie die Kommission - beide Gesichtspunkte im
Auge hatte und regeln wollte. Dass sich die festgelegten Grenzwerte nur an den
thermischen Auswirkungen orientieren, beruht - wie die Empfehlungen der
Strahlenschutzkommission deutlich machen - darauf, dass thermisch bedingte
Reaktionen bei geringeren Feldstärken eintreten als nachgewiesene athermische
Reaktionen. Der Verordnungsgeber konnte sich daher auf die Bestimmung von
Grenzwerten beschränken, die an thermischen Reaktionen anknüpfen; nachweisbare
athermische Reaktionen waren so in jedem Fall miterfasst.
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Vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2004, - V ZR 217/03 und V ZR 218/03 -, NJW 2004, 1317.
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Dem Verordnungsgeber steht bei der Festsetzung der Grenzwerte ein weiter
Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der Raum lässt, konkurrierende
öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. Die verfassungsrechtliche
Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet es nicht, alle nur erdenkbaren
Schutzmaßnahmen zu treffen. Die Verletzung der Schutzpflicht kann nur dann
festgestellt werden, wenn die öffentliche Gewalt überhaupt keine Schutzvorkehrungen
getroffen hat oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig
unzulänglich sind, so dass das gebotene Schutzziel nicht erreicht wird. Diese
Voraussetzungen treffen im Hinblick auf die Regelungen in der 26. BImSchV und die in
Anhang 1 zu § 2 dieser Verordnung festgesetzten Grenzwerte nicht zu.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. 1. 2007 - 1 BVR 382/05 -, NVwZ 2007, 805, und vom
28. 2. 2002 - 1 BvR 1676/01 -, NJW 2002, 1638; BVerwG, Urteil vom 10.12.2003 - 9 A
73/02 -, DVB 2004, 633; OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2007 - 13 A 641/07 und
vom 12. 10. 2004 - 7 B 2073/04 -; BayVGH, Beschluss vom 30.03.2004 - 21 CS 03.1053
-, BayVBl. 2004, 660, und vom 25. 9. 2006 - 21 ZB 06.1032 -.
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Deshalb ist weiterhin von der Anwendbarkeit der in der 26. BImSchV festgelegten
Grenzwerte auszugehen. Die Beklagte musste daher bei Einhaltung der Grenzwerte der
26. BImSchV die Standortbescheinigung erteilen; sie unterliegt darüber hinaus keinen
weiteren Darlegungspflichten, etwa dahingehend, dass es trotz Einhaltung der
Grenzwerte der 26. BImSchV zu keinen Gesundheitsbeeinträchtigungen Dritter kommt.
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Die vom Kläger beantragte Beweiserhebung durch Einholung von
Sachverständigengutachten bzw. Einvernahme von Sachverständigen war nicht
geboten. Einzelne wissenschaftliche Studien, die kein vollständiges Bild über die
Gefährdungslage geben, spiegeln nur den bestehenden Zustand der Ungewissheit
wieder und machen deutlich, dass eine wissenschaftlich nicht verlässlich explorierte,
komplexe Gefährdungslage besteht. Selbst die vom Kläger vorgelegten Gutachten
zeigen den wissenschaftlichen Meinungsstreit. Die Wiener Studie von
Hutter/Wallner/Moshammer/Kundi (Zur Ableitung von Richtwerten für hochfrequente
elektromagnetische Felder, Bundesgesundheitsblatt 2001, 408 (502)) kommt zu dem
abschließenden Fazit: „Jede der hier erwähnten Studien lässt noch keinen Schluss auf
eine gesundheitliche Gefährdung durch HF-Felder zu. Hyland (How Exposure to GMS &
tetra Base-stations Radiation can Adversely Affect Humans, May 2003, Bl. 128 (138) der
Verwaltungsakten) erklärt abschließend: „The international scientific community is at
present deeply divided even as to the reality of non-thermal effects of the hind of
radiation utilised in GMS/Tetra telecommunications, let alone as to the implication of
such effects for human health". Die von Franz Adlkofer (Verum-Stiftung München)
koordinierte „REFLEX-Studie" kommt zu dem Ergebnis: „Considering the available
knowlegde, the established exposure standards for ELF- and RF-EMF can be accepted
form the scientific point of view… it might be necessary one day to adjust these
standards… . Darüber hinaus zeigt ein neuerer Bericht über gefälschte Laborwerte von
Manfred Dworschak (2008, http://www.spiegel.de/ online/0,1518,555365,00.html)
gerade bei der von den Kläger als Beweis ihrer Behauptungen zitierten REFLEX-
Studie, wie unzuverlässige einzelne Studien sein können. Schon das Bundesamt für
Strahlenschutz hatte in der Stellungnahme zu der REFLEX-Studie (Bl. 188 (198) der
Verwaltungsakten) darauf hingewiesen, dass einzelne Forschungsergebnisse der
Arbeitsgruppe Wien in einem zweiten Labor reproduziert werden müssten, bevor sie als
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wissenschaftlich bestätigt angesehen werden könnten.
Mit Rücksicht auf diese von den Klägern selbst vorgelegten wissenschaftlichen
Äußerungen war das Einholen von weiteren Sachverständigengutachten nicht mehr
notwendig. Die Durchsetzung des Justizgewährungsgebots verlangt in solch einem Fall
keine Beweisaufnahme.
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Vgl. BGH, U.v. 13.02.2004 - V ZR 217/03 -, NJW 2004, 1317, 1319.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht
der Billigkeit, die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
anzuordnen, weil diese einen eigenen Antrags gestellt und sich damit nach § 154 Abs. 3
VwGO einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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