Urteil des VG Köln vom 23.01.2002

VG Köln: behinderung, asthma bronchiale, steuerliche vergünstigung, ausgleichsabgabe, ermessen, härtefall, eingliederung, behörde, ausstattung, erhaltung

Verwaltungsgericht Köln, 21 K 9285/98
Datum:
23.01.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
21. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 K 9285/98
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
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Der erwerbstätige Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.
Mit Bescheid des Versorgungsamtes L. vom 28. April 1997 wurde als Behinderung u.a.
Asthma bronchiale mit Lungenfunktionseinschränkung sowie eine allergische
Disposition festgestellt und der Beginn der Anerkennung dieses Grades der
Schwerbehinderung auf den 08. August 1994 bestimmt.
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Der Kläger errichtete in B. ein Einfamilienhaus, das er am 01. Februar 1997 bezog.
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Mit Schreiben vom 20. Juni 1997 wandte sich der Kläger hinsichtlich der Gewährung
eines Zuschusses zu den Kosten für die behinderungsgerechte Gestaltung seines
Wohnhauses an den Beklagten. Er führte aus, seine Behinderung sei in erster Linie auf
sein Asthma zurückzuführen, das durch eine hohe Allergieanfälligkeit gekennzeichnet
sei. Den Bau seines Hauses habe er auf seine Behinderung ausgerichtet, indem er
unter anderem alle Ebenen im Haus - zur Vermeidung von Hausstaubmilben - mit
Bodenfliesen habe versehen lassen. Dadurch seien erhebliche Mehrkosten entstanden.
Eine Antragstellung vor Baubeginn sei nicht möglich gewesen, da erst - nach
Durchführung eines Klageverfahrens - mit Bescheid des Versorgungsamtes L. aus April
1997 der Grad der Behinderung von 50 rückwirkend ab Antragstellung zuerkannt
worden sei. Die Verzögerung habe daher das Versorgungsamt L. zu vertreten. Auch
habe es insbesondere das Versorgungsamt L. zu vertreten, dass er erst spät über die
entsprechenden Informationen hinsichtlich einer Bezuschussung verfügt habe, da diese
ihm auf seine - erste - Anfrage aus April 1997, ob es diesbezüglich steuerliche
Vergünstigung oder ähnliches gäbe, von dort nicht überlassen worden seien. Auch auf
ein an das Amt für Wohnungsbauförderung gerichtetes Schreiben vom 03. Juni 1997
habe er keine Informationen über den Nachteilsausgleich bei Schwerbehinderten
erhalten.
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Mit Schreiben vom 11. Juli 1997 teilte der Beklagte dem Kläger darauf hin mit, dass
nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 1 d Schwerbehindertengesetz - SchwbG - in
Verbindung mit § 22 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehinderten- Ausgleichsabgabeverordnung -
SchwbAV - Schwerbehinderte als Leistung zur begleitenden Hilfe im Arbeits- und
Berufsleben auch Leistungen zur Anpassung von Wohnraum und seiner Ausstattung an
die besonderen behinderungsbedingten Bedürfnisse erhalten können, dass aber nach
Ziffer 8 der Richtlinien zur Durchführung des § 22 SchwbAV - Runderlass des
Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 28. November 1991 - II B 5 -
4410.1 (MBl. NW 1992 S. 3) - Leistungen auf Antrag erbracht werden und der Antrag vor
Beginn der Maßnahme bzw. vor Abschluss des Vertrages gestellt werden müsse. Ein
Abweichen von dieser Regel käme nach Ziffer 11 der Richtlinien nur in Betracht, soweit
dies im Rahmen einer Härtefallregelung nach der Besonderheit des Einzelfalles
geboten sei. Ein Härtefall könne immer nur dann angenommen werden, wenn die
Maßnahme ohne die Unterstützung der Fürsorgestelle in ihrer Durchführung gefährdet
wäre bzw. der Antragsteller die verspätete Antragstellung nicht selbst zu vertreten habe.
Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die Maßnahme zum einen gerade ohne Unter-
stützung bereits abgeschlossen worden sei und zum anderen der Kläger die Verspä-
tung auch zu vertreten habe, da insbesondere die verspätet vom Versorgungsamt
getroffene Anerkennung der Schwerbehinderung einer fristgerechten Antragstellung
nicht entgegengestanden habe.
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Nachdem der Kläger - mit Schreiben vom 14. Juli 1997 und nach einem
Beratungsgespräch beim Beklagten vom 29. Juli 1997 - an seinem Begehren festhielt
und dieses als Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SchwbG verstanden
wissen wollte, lehnte der Beklagte diesen mit Bescheid vom 03. November 1997 ab.
Hiergegen legte der Kläger am 02. Dezember 1997 Widerspruch ein. Zur Begründung
wiederholte und vertiefte er sein Antragsvorbringen.
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Den Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Hauptfürsorgestelle - heute:
Integrationsamt - des Landschaftsverbandes Rheinland mit Widerspruchsbescheid vom
01. Oktober 1998 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass auch nach
Auffassung des Widerspruchsausschusses der Beklagte zu Recht den Antrag des
Klägers als verspätet zurückgewiesen habe. Insbesondere komme es nach den Regeln
des Schwerbehindertengesetzes primär darauf an, ob eine Behinderung vorliege, nicht
ob diese nachgewiesen werden könne. Der Kläger hätte daher unter Hinweis auf seine
Behinderung einen entsprechenden Förderungsantrag stellen können. Aus dem
Umstand, dass der Kläger fast zeitgleich mit seinem Bauantrag vom 01. August 1994
einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung gestellt habe, ergebe sich, dass
nach Auffassung des Klägers zum Zeitpunkt der Stellung des Bauantrags eine
Behinderung vorlag. Zudem hätte es nahegelegen im Rahmen der
Finanzierungsplanung auch Informationen über eine mögliche Förderung nach dem
Schwerbehindertengesetz einzuholen.
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Der Kläger hat am 11. November 1998 Klage erhoben, zu deren Begründung er
ergänzend ausführt, die Berufung auf das Fristversäumnis sei rechtsmissbräuchlich. Es
sei hier sehr wohl von einem Härtefall auszugehen, insbesondere sei auf Grund der
zahlreichen Belastungen, die im Zusammenhang mit dem Hausbau entstanden seien,
auch eine wirtschaftliche Härte anzunehmen, so dass auch ein Finanzierungsbedarf
gegeben sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 03. November 1997 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 01. Oktober 1998 zu verpflichten, den Antrag vom 20.
Juni 1997 auf Gewährung einer Hilfe gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehinderten-
Ausgleichsabgabeverordnung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu
zu bescheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Gründe der angefochtenen Bescheide.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist zulässig.
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Die Klage ist insbesondere fristgemäß, d.h. innerhalb eines Monats ab Zustellung des
Widerspruchsbescheides, erhoben worden, § 74 Abs. 2, Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -. Zwar war der Zeitpunkt der Zustellung des
Widerspruchsbescheides vom 01. Oktober 1998 an den Kläger auf Grund des Fehlens
der Postzustellungsurkunde nicht feststellbar, dies konnte sich jedoch - mangels
entgegenstehender Anhaltspunkte - nur in der Form auswirken, dass der vom Kläger
benannte Zustellungszeitpunkt, der 17. Oktober 1998, als wahr zu unterstellen war.
Damit ist die Klagefrist durch die am 11. November 1998 erhobene Klage gewahrt.
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Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 03. November 1997 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 01. Oktober 1998 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht
in seinen Rechten. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf
Neubescheidung des Antrags vom 20. Juni 1997 auf Gewährung einer Hilfe gemäß § 22
Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung zu, § 113 Abs. 5
Satz 2 VwGO.
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Gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 1 d Schwerbehindertengesetz - SchwbG - in der
hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I 1421,
1550) kann die Hauptfürsorgestelle im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die begleitende
Hilfe im Arbeits- und Berufsleben aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der
Ausgleichsabgabe auch Geldleistungen an Schwerbehinderte für die Beschaffung,
Ausstattung und Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen des
Schwerbehinderten entspricht, gewähren. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 der auf der Grundlage
des § 11 Abs. 3 Satz 3 SchwbG erlassenen Zweiten Verordnung zur Durchführung des
Schwerbehindertengesetzes, Schwerbehinderten- Ausgleichsabgabeverordnung -
SchwbAV -, vom 28. März 1988 (BGBl. I S. 484) zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.
Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998) können Schwerbehinderte insoweit auch Leistungen
zur Anpassung von Wohnraum und seiner Ausstattung an die besonderen
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behinderungsbedingten Bedürfnisse erhalten. Nach Ziffer 8 der Richtlinien zur
Durchführung des § 22 SchwbAV gemäß Runderlass des Ministeriums für Arbeit,
Gesundheit und Soziales vom 28. November 1991 - II B 5 - 4410.1 - (MBl. NW 1992 S.
3) werden die Leistungen auf Antrag erbracht; der Antrag muss vor Beginn der
Maßnahme bzw. vor Abschluss des Vertrages gestellt werden. Nach Ziffer 11 dieser
Richtlinien kann in Härtefällen u. a. von der Regelung der Ziffer 8 abgesehen werden,
soweit es nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten ist.
Die Gewährung von Geldleistungen an Schwerbehinderte, insbesondere zur Ausstat-
tung einer Wohnung, steht damit nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 1 d SchwbG i. V.
m. § 22 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV im pflichtgemäßen Ermessen der Hauptfürsorgestelle.
Die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle unterliegt von daher nur einer
eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Das Gericht prüft nach § 114
VwGO lediglich, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder
von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht ist. Dazu ist festzustellen, ob die Behörde in ihre
Ermessenserwägungen alle wesentlichen, den Streit der Beteiligten kennzeichnenden
Gesichtspunkte eingestellt hat, ob sie dabei von einem richtigen Sachverhalt
ausgegangen ist, ihre sodann vorgenommene Gewichtung der widerstreitenden
Interessen sachgerecht und vertretbar sowie das dabei gewonnene
Abwägungsergebnis nicht schlechterdings unzumutbar ist. Soweit das Gesetz nicht
entgegensteht, sind bei der Beurteilung der Frage, ob die Behörde ermessensfehlerhaft
gehandelt hat, auch sogenannte Ermessensrichtlinien zu berücksichtigen.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung der
Hauptfürsorgestelle nicht zu beanstanden.
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Die Verwendung der aus der Ausgleichsabgabe aufkommenden Beträge ist gesetzlich
vorgeschrieben. Der Verwendungszweck ist nach § 11 Abs. 3 Satz 1 SchwbG begrenzt
auf Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung sowie Vorhaben der begleitenden
Hilfe im Arbeitsleben, also auf Maßnahmen, die der Wiederherstellung oder der
Erhaltung der Arbeitskraft der Schwerbehinderten oder Gleichgestellten dienen, soweit
Mittel für denselben Zweck nicht von anderer Seite zu gewähren sind oder gewährt
werden. Welche Verwendungszwecke im Einzelnen bestehen, bestimmt die SchwbAV.
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Die hier relevante begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben umfasst, entsprechend
dem Zweck, die Eingliederung in das Arbeits- und Berufsleben zu sichern, nur Hilfen,
die in engem Zusammenhang mit der Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in Arbeit
und Beruf stehen oder Bezug zum Arbeits- und Berufsleben haben, nicht allgemein
Hilfen zur Eingliederung in die Gesellschaft und zur Teilnahme am Leben in der
Gemeinschaft. Eine entsprechende Förderung, ist daher überhaupt nur möglich, wenn
die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 18 SchwbAV, insbesondere auch des
§ 18 Abs. 2 Nr. 1 SchwbAV vorliegen, d.h. wenn die Eingliederung in das Arbeits- und
Berufsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung von Art und
Schwere der Behinderung auf besondere Schwierigkeiten stößt und durch die
Leistungen, hier nach § 22 SchwbAV, ermöglicht, erleichtert oder gesichert werden
kann. Eine allgemeine Wohnfürsorge, ohne dass sie mit der Beschäftigung im
Zusammenhang stünde, ist aus Mitteln der Ausgleichsabgabe danach nicht möglich.
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Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Inwieweit sich
aber durch die vom Kläger bei der Innenausstattung seines Hauses verwendeten
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Bodenfliesen, im Verhältnis zu einer ansonsten vorgenommenen Bodenausstattung,
tatsächlich und behinderungsbedingt Mehraufwendungen ergeben haben und inwieweit
hier ein Zusammenhang mit einer Beschäftigung des Klägers besteht, ist bislang
ungeklärt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann jedoch dahinstehen, denn die
vom Be- klagten nach Maßgabe von Ziffer 8 und 11 der Richtlinien zur Durchführung
des § 22 SchwbAV getroffene ablehnende Entscheidung ist ermessensfehlerfrei und
damit nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat insoweit zutreffend berücksichtigt, dass es
bereits an der Erfüllung des in Ziffer 8 der Richtlinien enthaltenen Erfordernisses der
vorausgehenden Antragstellung fehlt. Denn der Kläger, der sein Haus am 01. Februar
1997 bezogen hat, hat einen Antrag auf Leistungen nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV
beim Antragsgegner erstmals am 20. Juni 1997 und damit - entgegen Ziffer 8 der
Richtlinien - erst nach Abschluss der Maßnahme gestellt.
Die Richtlinien zur Durchführung von § 22 SchbAV sind nach Auffassung der Kammer
insoweit auch nicht zu beanstanden und daher hier auch anwendbar mit der Folge, dass
das Ermessen des Beklagten für den Regelfall dergestalt gebunden ist, dass ein
Verstoß gegen das Antragserfordernis aus Ziffer 8 der Richtlinien zur Ablehnung des
Antrags zu führen hat.
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Im Rahmen der im Ermessen stehenden Leistungsgewährung nach § 31 Abs. 1 Nr. 3
und Abs. 3 Nr. 1 d SchwbG i. V. m. § 22 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV sind die zuständigen
Stellen, zur Gewährleistung einer einheitlichen Durchführung der Gewährung von Hilfen
zur Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behindertengerechten Wohnung
durch die Hauptfürsorgestellen, befugt entsprechende Richtlinien, sogenannte
Ermessensrichtlinien, zu erlassen. Das Land Nordrhein-Westfalen ist insoweit - durch
den Runderlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 28.
November 1991 - einer entsprechenden Empfehlung der gemeinsamen Kommission der
Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Hautpfürsorgestellen und der Bundesländer
(Länderreferenten), die eine bundeseinheitliche Verwaltungspraxis gewährleisten soll,
gefolgt. Es handelt sich dabei um ermessensbindende Verwaltungsvorschriften, an die
die Verwaltung im Außenverhältnis auf Grund des Gleichheitssatzes des Art 3 Abs. 1
GG in der Weise gebunden ist, dass alle in dieser Verwaltungsvorschrift
angesprochenen Fälle der Gewährung von Hilfen nach § 22 SchwbAV grundsätzlich
nach diesen Richtlinien behandelt werden müssen.
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Es ist auch nicht zu beanstanden, dass im Rahmen dieser Ermessensrichtlinien ein
Antragserfordernis bestimmt wurde, ohne dass dieses bereits im
Schwerbehindertengesetz für den hier relevanten Bereich der Gewährung von
Fördermitteln aus der Ausgleichsabgabe ausdrücklich genannt worden ist. Denn zur
Ausgestaltung des Ermessens können auch im Rahmen von Richtlinien materielle
Verfahrensvoraussetzungen, hier ein vorheriges Antragserfordernis, für den Regelfall
verbindlich bestimmt werden, mit der Folge, dass die Nichteinhaltung dieser
Verfahrensvoraussetzung in der Regel zum Anspruchsausschluss führt, wenn dies nur
mit dem zugrundeliegenden Gesetz im Einklang steht. Denn Ermessensrichtlinien
haben sich an dem Zweck der Ermächtigung zu orientieren und müssen sachgerecht
sein. Bei einer Divergenz von Richtlinie und Gesetz ist nur das Gesetz maßgeblich,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 30. November 1982 -1 C 25/78 -,
BVerwGE 66, 268; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -, 6. Auflage, § 40
Rdnr. 26, 95 m. w. N.; Kopp/Schenke, VwGO, 11. Auflage, § 114 Rdnr. 10 a.
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Das hier in Rede stehende Antragserfordernis zielt darauf ab, die zweckentsprechende
Verwendung des Ertrages aus der Ausgleichsabgabe im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1
SchwbG zu gewährleisten; es steht damit im Einklang mit der eingangs dargelegten
Zielrichtung dieser Regelung, die eine Verwendung begrenzt auf Maßnahmen, die der
Wiederherstellung oder der Erhaltung der Arbeitskraft der Schwerbehinderten oder
Gleichgestellten dienen, vorsieht. Zu diesem Zweck soll Ziffer 8 der Richtlinien für den
Regelfall die vorherige Prüfungsmöglichkeit der Behörde sicherstellen, denn eine
Entscheidung darüber, ob und inwieweit ein behinderungsbedingter (Mehr-)Bedarf
überhaupt besteht, ob die Verwendung der Mittel dem Schwerbehinderten auch in dem
geforderten Maß nützt, sie im Zusammenhang mit seiner Arbeits- bzw. Berufstätigkeit
steht und ob Maßnahmen in der begehrten Form und insbesondere in dem begehrten
Ausmaß im Einzelfall notwendig und erforderlich und damit auch verhältnismäßig sind,
kann sinnvoll nur vor Durchführung der jeweiligen Maßnahme getroffen werden. Dazu
darf das behördliche Ermessen dann auch durch entsprechende Verwaltungsrichtlinien
gelenkt und gebunden werden.
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Dem steht vorliegend auch nicht eine anderslautende - im Zusammenhang mit der
Gewährung von Leistungen zur Anschaffung eines Kraftfahrzeuges als Hilfe zur
Erreichung des Arbeitsplatzes ergangene - Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1987,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 02. Juli 1987 - 5 C 126/83 -, BVerwGE 78, 13- 23,
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entgegen, denn diese dürfte durch die erst nachfolgend auf der Grundlage von § 11 Abs.
3 Satz 3 SchwbG ergangene und am 01. Oktober 1987 inkraftgetretene Verordnung
über Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation (Kraftfahrzeug- Hilfeverordnung) -
Kfz-HV - überholt sein. Mit § 10 der Kfz-HV wurde gerade für den in der Entscheidung
benannten Bereich der Kraftfahrzeughilfe das Erfordernis einer dem
Kaufvertragsabschluss vorausgehenden Antragstellung bestimmt und nachfolgend auch
von der Rechtsprechung nicht beanstandet,
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vgl. VG Berlin, Urteil vom 03. August 1993 - 8 A 365/90 -, aus JURIS;
Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 04. Juni 1997 - 5 L
33/96 -, aus JURIS.
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Dass aus dem Fehlen einer entsprechenden materiell-rechtlichen Regelung unmittelbar
im Rahmen des § 22 SchwbAV auf einen dementsprechend anderslautenden Willen
des Gesetzgebers zu schließen ist, kann nicht zwingend angenommen werden. Sowohl
Maßnahmen nach § 20 SchwbAV als auch solche nach § 22 SchwbAV fallen in den
nach § 14 Abs. 2 SchwbAV vorrangig zu fördernden Bereich; auch handelt es sich bei
diesen unter Umständen jeweils um sehr kostenaufwendige Maßnahmen, so dass kein
erkennbarer Grund besteht, gerade und nur den Bereich der Kraftfahrzeughilfe
verfahrensrechtlich anders zu gestalten.
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Der Beklagte hat im übrigen zutreffend und beanstandungsfrei von seinem verbliebenen
Einzelfallermessen Gebrauch gemacht, indem er geprüft hat, ob vorliegend die
Versagung der Leistung und damit die Regelanwendung von Ziffer 8 der Richtlinien
einen schwerbehindertenrechtlich relevanten Härtefall darstellt. Denn Richtlinien
entbinden die Behörde nicht von der Verpflichtung, den besonderen Gegebenheiten des
jeweiligen Einzelfalles hinreichend Rechnung zu tragen. Dieser Aspekt hat vorliegend
mit Ziffer 11 in den genannten Richtlinien sogar ausdrücklich seinen Niederschlag
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gefunden, indem danach in Härtefällen nach der Besonderheit des Einzelfalles eine u.a.
von Ziffer 8 der Richtlinien abweichende Entscheidung getroffen werden kann. Die
Erwägungen des Beklagten zur Frage der Anforderungen an einen Härtefall und des
Vorliegens eines solchen sind nicht zu beanstanden.
Bei der Annahme, der Kläger sei ohne die Mittel aus der Ausgleichsabgabe
wirtschaftlich nicht erheblich belastet bzw. auch ohne diese Unterstützung sei seine
Eingliederung nicht in Frage gestellt, hat der Beklagte zutreffend berücksichtigt, dass die
Maßnahme auch ohne die Unterstützung der Fürsorgestelle in ihrer Durchführung nicht
gefährdet war und eine Versagung der Gewährung infolge verspäteter Antragstellung für
den Kläger keine wirtschaftliche Härte bedeutet. Der Kläger selbst hat in der mündlichen
Verhandlung vom 23. Januar 2002 den Mehraufwand erstmals konkret mit 2000,00 DM
bis 3000,00 DM beziffert. Der Beklagte hat ferner in die Überlegungen einbezogen, dass
in Fällen der nicht selbst zu vertretenden verspäteten Antragstellung ein Härtefall
vorliegen kann. Der Annahme, dass ein solcher Fall hier nicht vorliegt, da es dem
Kläger zumutbar und möglich gewesen wäre, vor Beginn der Baumaßnahme bzw. vor
Abschluss des darauf gerichteten Vertrages bereits vorsorglich einen Antrag auf
Leistungen nach § 22 SchwbAV zu stellen, obwohl dem Antrag auf Feststellung der
Schwerbehinderteneigenschaft erst nach dem Bezug des Hauses entsprochen worden
ist, stimmt die Kammer zu. Sie teilt die Überlegung, dass der Kläger, der nach eigener
Überzeugung bereits zum Zeitpunkt der Bauantragstellung schwerbehindert war und
dies durch seinen Antrag beim Versorgungsamt und das anschließende Klageverfahren
durch das Versorgungsamt auch festgestellt wissen wollte, gleichermaßen gehalten war
"vorsorglich" einen entsprechenden Antrag zu stellen, wenn er zu diesem Zeitpunkt
gestützt auf diese Schwerbehinderung Aufwendungen tätigen und dementsprechende
Leistungen erhalten wollte. Der Umstand, dass der Kläger die entsprechenden
Bestimmungen, insbesondere die hier maßgeblichen Richtlinien, nicht kannte, hat den
Beklagten zu keiner anderen Beur- teilung bewogen, da der Kläger, nach seinem
Selbstverständnis als Schwerbehinderter, verpflichtet gewesen wäre sich bereits vor der
Verwirklichung bauseitiger Maßnahmen beim Versorgungsamt oder beim Beklagten
über entsprechende Förderungsmöglichkeiten zu informieren. Auch dies ist nicht zu
beanstanden.
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Darüber hinaus sind Umstände, die ein Absehen von dem Antragserfordernis - als die
hier einzig zutreffende Entscheidung - erforderlich machen würden, weder erkennbar
noch vorgebracht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2, 1. Halbsatz VwGO.
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