Urteil des VG Köln vom 05.04.2006

VG Köln: grobe fahrlässigkeit, rückwärtsfahren, im bewusstsein, beifahrer, dienstfahrzeug, sorgfalt, geschwindigkeit, haus, vertrauensperson, dienstvorschrift

Verwaltungsgericht Köln, 27 K 7600/04
Datum:
05.04.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
27. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 K 7600/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Der Kläger steht als Berufssoldat im Rang eines Hauptmanns im Dienst der Beklagten.
Er hat seit 1977 seinen Führerschein und ist nach eigenen Angaben bisher unfallfrei
gefahren.
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Am 25. August 2004 hatte er den Auftrag, mit dem Dienstfahrzeug Opel Astra Kombi,
Kennzeichen 0-000 000 bzw. BN-00 000 (Wechselkennzeichen) den ruhenden Verkehr
auf dem Gelände des Bundesverteidigungsministeriums zusammen mit einem anderen
Soldaten zu überwachen. Seitlich vor dem Haus 207 fiel ihnen ein verbotswidrig
abgestelltes Fahrzeug auf. Sie fuhren ebenfalls seitlich neben das Haus 207. Nachdem
der Beifahrer des Klägers das andere Fahrzeug kontrolliert, eine schriftliche
Verwarnung daran angebracht und wieder in das Fahrzeug des Klägers gestiegen war,
wollte der Kläger sein Fahrzeug wenden, um die Fahrt fortzusetzen. Hierzu fuhr er
zunächst rückwärts um eine Ecke des Hauses 207 herum, vor der auf der aus
Fahrtrichtung abgewandten Seite eine Lichtsäule steht, die das Haus ausleuchtet. Vor
Beginn des Wendemanövers war diese Säule durch einen Pfeiler, auf dem das Haus
steht, verdeckt und durch Schulterblick zu Beginn der Rückwärtsfahrt nicht zu sehen.
Nach kurzer Rückwärtsfahrt stieß er mit der hinteren Heckseite etwas rechts von der
Mitte gegen die Lichtsäule und beschädigte das Fahrzeug an der Stoßstange und der
Heckklappe. Die Instandsetzungskosten beliefen sich nach der von der Beklagten
vorgelegten Reparaturrechnung auf 2.635,57 Euro. Die Lichtsäule wurde nicht
beschädigt. Wegen der Einzelheiten der Örtlichkeit und des Unfallhergangs wird auf die
vorgelegten Fotos und die Unfallmeldung Bezug genommen.
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Der Disziplinarvorgesetzte des Klägers nahm zu dem Unfall nach Ortsbesichtigung und
Schilderung des Unfallgeschehens vor Ort dahingehend Stellung, dass sich die
Lichtsäule beim Rückwärtsfahren im toten Winkel befunden habe und daher kein
Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorlägen. Eine Disziplinarmaßnahme wurde nicht ergriffen.
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In einer dienstlichen Vernehmung vom 6. September 2004 gab der Kläger an, er habe
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sich vor dem Rückwärtsfahren umgedreht und sich vergewissert, dass das
Rückwärtssetzen möglich sei. Dabei habe er die Laterne nicht erkennen können, da sie
sich im toten Winkel befunden habe. Der als Zeuge vernommene Beifahrer des Klägers
gab an, dass der Kläger bei der Rückwärtsfahrt über die Schulter nach hinten gesehen
habe. Die Laterne müsse sich anscheinend im toten Winkel befunden haben. Er selbst
habe sich bei der Rückwärtsfahrt nicht umgesehen. Auch beim Einsteigen vor dem
Fahrmanöver habe er die Laterne nicht bemerkt. Wegen der weiteren Einzelheiten
sowie wegen der Zeugenaussage wird auf die in den Akten befindlichen Niederschriften
Bezug genommen.
Nach vorheriger Anhörung forderte die Wehrbereichsverwaltung West den Kläger mit
Leistungsbescheid vom 28. September 2004 zur Zahlung von 2.635,57 Euro auf. Er
habe unter Würdigung aller Umstände grob fahrlässig den Schaden verursacht.
Ausgehend von seiner eigenen Darstellung, dass sich die Lichtsäule beim Blick über
die Schulter im toten Winkel befunden habe, d.h. durch die Hecksäule des Fahrzeugs
verdeckt gewesen sei, könne sie nur bei einem bestimmten Winkel des Fahrzeugs beim
Wenden verdeckt gewesen sein. Davor und danach müsse sie durch die Scheiben
erkennbar gewesen sein. Weiter sei der Unfall bei Tageslicht und uneingeschränkt
guten Sichtverhältnissen erfolgt, er sei ortskundig gewesen und habe die Stelle, die er
zum Wenden gewählt habe, vor dem Fahrmanöver in Augenschein nehmen können.
Auch entlastende Umstände wie z.B. besondere Eilbedürftigkeit der Fahrt seien nicht
vorgetragen.
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Der Kläger legte hiergegen am 6. Oktober 2004 Beschwerde ein. Er machte geltend,
dass er nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Schon beim Einfahren in die Straße, in der
das Fahrzeug verbotswidrig geparkt war, habe er sich im Bewusstsein, dass er zur
Weiterfahrt auf dem Vorplatz des Hauses 207 wenden musste, vergewissert, ob dort
Hindernisse ein Wenden beeinträchtigen könnten. Dabei habe er die Lichtsäulen
gesehen, aber nicht bewusst wahrgenommen. Er habe er auch nicht davon ausgehen
können, dass an dieser Stelle Lichtsäulen stehen, da der Vorplatz keine Verkehrsfläche
sei. Vor der Einleitung des Wendemanövers habe er sich durch Blick in den Innen - und
Außenspiegel und Schulterblick vergewissert, dass kein Hindernis im Weg stehe. Dabei
wie auch während des gesamten sehr kurzen Fahrmanövers sei die Lichtsäule nicht
erkennbar gewesen, weil sie nicht nur durch den durch den sehr breiten Karosserieholm
zwischen hinterem rechten Seitenfenster und der Rückfenster verdeckt worden. Er sei
zwar ortskundig, kenne jedoch nicht den genauen Standort jeder Laterne und
Lichtsäule. Sein Verhalten sei auch von den nächsthöheren Vorgesetzen nicht als grob
fahrlässig angesehen worden und deshalb eine Disziplinarmaßnahme gegen ihn
unterblieben. Auch seine Haftpflichtversicherung bewerte das Verhalten nicht als grob
fahrlässig. Dies stehe in Einklang mit einer Reihe zivilrechtlicher Urteile. Letztlich sei bei
einem äußerst vergleichbaren Unfall im Unterkunftsbereich Hardthöhe Mitte 2004 der
Betroffene nicht zum Schadensersatz herangezogen worden.
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Mit Beschwerdebescheid vom 8. Oktober 2004 - zugestellt am 19. Oktober 2004 - wies
die Wehrbereichsverwaltung West die Beschwerde unter Wiederholung und Vertiefung
der Gründe des Ausgangsbescheides zurück. Ergänzend führte sie aus, dass die
angeführten Umstände den Kläger nicht entlasten könnten. Da ihm der tote Winkel des
Fahrzeugs bekannt gewesen sei, hätte er im Abbiegemoment in besonderem Maß
aufmerksam sein müssen. Soweit die Dienstvorgesetzten im Rahmen eines
Disziplinarverfahrens sein Verhalten nicht als grob fahrlässig angesehen hätten, binde
dies ebenso wenig wie der Umstand, dass in einem möglicherweise vergleichbaren Fall
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der Betroffene nicht zum Schadensersatz herangezogen worden sei.
Der Kläger hat am 23. Oktober 2004 Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft unter
Vorlage von Fotografien der Örtlichkeit seinen Vortrag, dass weder zu Beginn des
Rückwärtsfahrens noch bis zum Zusammenstoß mit der Lichtsäule eine der Lichtsäulen
für ihn im Spiegel noch durch Schulterblick erkennbar gewesen seien. Einen Einweiser,
wie dies Nr. 616 der ZdV 42/3 vorsehe, habe er schon deshalb nicht einsetzen müssen,
weil für diesen Fahrzeugtyp kein Beifahrer vorgeschrieben sei, der als Einweiser
eingesetzt werden könne. Außerdem lägen die Voraussetzungen der Bestimmung nicht
vor, weil ihm die Sicht nicht nach hinten versperrt gewesen sei; durch das Heckfenster
habe er freie Sicht gehabt. Die Lichtsäule sei nur im toten Winkel gewesen. Er sei beim
Rückwärtsfahren auch nicht zu schnell gefahren. Dagegen spreche schon, dass die
Lichtsäule mit ihrer filigranen Konstruktion völlig unbeschädigt geblieben sei. Er sei
entgegen der Annahme der Beklagten nicht als Militärkraftfahrer ausgebildet, noch
verwendet oder weitergebildet worden. Die streitgegenständliche Fahrt sei die erste
gewesen, auf der er einen Dienstwagen gefahren habe. Daher dürften die
Anforderungen an seine Pflichten nicht überspannt werden. Sein Fahrfehler sei auch mit
den in der Zivilrechtsprechung genannten Beispielen für grobe Fahrlässigkeit nicht
vergleichbar. Im übrigen sei die Entscheidung seines Disziplinarvorgesetzten, der als
ziviler Abteilungsleiter im BMVg Angehöriger der Wehrverwaltung sei und das Verhalten
nicht als grob fahrlässig angesehen habe, bindend für die Frage des
Schadensersatzpflicht. Weiterhin werde die Höhe der geltend gemachten
Reparaturkosten bestritten. Insbesondere die Reparatur des Bodenblechs sei mit dem
Unfallhergang nicht in Einklang zu bringen. Letztendlich werde gerügt, dass vor Erlass
des Leistungsbescheids die Vertrauensperson der Soldaten nicht angehört worden sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 28. September 2004 in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom
8.Oktober 2004 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, dass es sich beim Rückwärtsfahren um eine Gebäudeecke um ein
typischerweise unfallträchtiges Fahrmanöver handele. Dabei habe der Kläger die
Bestimmungen der Nr. 616 Abs. 1 und Nr. 621 der Kraftfahrvorschriften für die
Bundeswehr (ZDv 43/2) beachten müssen. Wegen der durch die Gebäudeecke
versperrten Sicht nach hinten habe es sich einem umsichtig und sorgfältig handelnden
Dienstkraftfahrer in der Situation des Klägers aufdrängen müssen, jedenfalls äußerst
langsam mit schleifender Kupplung zurückzusetzen, um notfalls sofort anhalten zu
können und Schäden auszuschließen. Die beträchtliche Höhe des Schadens und die
Fotos des beschädigten PKWs belegten, dass der Kläger mit deutlich überhöhter
Geschwindigkeit rückwärts gefahren sei. Die Aufprallgeschwindigkeit könne notfalls
durch ergänzendes Sachverständigengutachten bestimmt werden. Der Kläger verfüge
über eine Dienstfahrerlaubnis und sei damit auch ausgebildeter Kraftfahrer im Sinn der
Kraftfahrvorschriften.
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In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte auf die Geltendmachung des
Schadens bezüglich der Position „Bodenblech H instandsetzen" aus der Rechnung der
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Fa. L. vom 1. September 2004 verzichtet und den angefochtenen Leistungsbescheid um
24,18 Euro herabgesetzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten (1 Heft)
ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Anfechtungsklage ist, soweit die Beklagte den Bescheid der
Wehrbereichsverwaltung West vom 28. September 2004 in der Gestalt des
Beschwerdebescheides vom 8. Oktober 2004 durch ihre Erklärung in der mündlichen
Verhandlung vom 5. April 2006 herabgesetzt und insoweit den Kläger klaglos gestellt
hat, unzulässig (geworden), im übrigen zulässig, aber nicht begründet. Der angegriffene
Leistungsbescheid in der in der mündlichen Verhandlung geänderten Form ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO).
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Rechtsgrundlage für den Leistungsbescheid der Beklagten vom 28. September 2004,
mit dem der Kläger zum Ersatz des von ihm an einem Dienstfahrzeug verursachten
Schaden herangezogen wurde, ist § 24 Satz 1 SG. Danach hat ein Soldat, der
vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn,
dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu
ersetzen.
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Der Kläger handelte bei der Überwachungsfahrt am 25. August 2004 in Ausübung der
ihm anvertrauten hoheitlichen Aufgaben. Er hat dabei in mehrfacher Hinsicht gegen
seine (Dienst-)Pflichten verstoßen.
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Zum einen hat er gegen Nr. 616 der ZDv 43/2 verstoßen. Danach ist der Kraftfahrer
„beim Rückwärtsfahren und Zurücksetzen von Rad- und Kettenkraftfahrzeugen vom
Beifahrer, von einem Einweiser oder Sicherungsposten einzuweisen oder zu
unterstützen, wenn ihm die unmittelbare Sicht nach hinten durch die Bauart oder durch
die Beladung des Dienstfahrzeugs oder durch andere Umstände versperrt oder
erschwert ist. Die Beobachtung der Fahrbahn nach hinten allein durch den Rückspiegel
genügt in diesen Fällen nicht."
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Entgegen der Ansicht des Klägers ist diese Dienstvorschrift einschlägig, auch wenn er
durch den Rückspiegel und die Heckscheibe „ungehinderte Sicht" hatte. Denn das
Sichtfeld hinter seinem Kraftfahrzeug war vor Beginn der Rückwärtsfahrt in der
Richtung, in die der Kläger fahren wollte, nicht unmittelbar einzusehen. Ein erheblicher
Teil war durch den Pfeiler des Hauses 207 verdeckt, um den herum der Kläger das
Fahrzeug zurücksetzen wollte. Dieser „tote Winkel" stellt einen „anderen Umstand" i.s.d.
Vorschrift dar, der die in der Dienstvorschrift beschriebenen gesteigerten
Sorgfaltspflichten auslöst. Denn diese Sichteinschränkung kann gerade nicht durch das
Benutzen der Rückspiegel oder den Schulterblick kompensiert werden, sondern erst
und gerade durch die Inanspruchnahme eines Einweisers bei der Rückwärtsfahrt.
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Ebenso wenig steht der Anwendung entgegen, dass für den gefahrenen Fahrzeugtyp
beim Führen des Autos ein Beifahrer nicht zwingend vorgesehen ist. Dies ergibt sich
nicht nur aus ihrem eindeutigen Wortlaut, der für eine derartige Einschränkung des
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Anwendungsbereichs nichts hergibt, sondern auch daraus, dass diese Dienstvorschrift
lediglich den in § 9 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung niedergelegten allgemeinen
Grundsatz konkretisiert, dass die beim Rückwärtsfahren geschaffene besondere
Gefahrenlage auch über das allgemeine Maß hinausgehende Sorgfaltspflichten auslöst.
Weiter hat der Kläger bei der Unfallfahrt auch gegen Nr. 621 der ZDv 43/2 verstoßen.
Danach hat der Kraftfahrer für das Rückwärtsfahren die nach den Umständen
erforderliche geringste Geschwindigkeit zu wählen. Das Rückwärtsfahrmanöver stellt
einen atypischen Verkehrsvorgang dar, dem schon wegen des rückwärts sich
fortbewegenden Fahrzeugs eine erhöhte Gefährlichkeit anhaftet. Kommt wie hier hinzu,
dass trotz des toten Winkels und damit eingeschränktem Sichtfeld rückwärts gefahren
wird, ohne einen Einweiser in Anspruch zu nehmen, hätte der Kläger sich diesem Teils
des Raumes nur mit äußerster Vorsicht und mit einer solchen Geschwindigkeit nähern
dürfen, die ihm sofortiges Anhalten bei Auftauchen von Hindernissen im Blickfeld
ermöglicht hätte. Dies hat er offenkundig nicht getan, da er mit unverminderter
Geschwindigkeit gegen den Laternenpfahl gefahren ist.
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Letztlich hat der Kläger die allgemeine Pflicht jedes Soldaten, im Eigentum seines
Dienstherrn stehende Gegenstände pfleglich zu behandeln und nicht zu beschädigen,
durch den Unfall, bei dem das Dienstfahrzeug beschädigt wurde, verletzt.
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Vgl. dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW),
Urteil vom 5. Februar 1986 - 1 A 851/84 -, NZWehrR 1986, S. 171 ff..
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Dem Kläger fällt hinsichtlich der Verletzung dieser Pflichten auch grobe Fahrlässigkeit
zur Last.
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Wann grobe Fahrlässigkeit vorliegt, bestimmt sich im Verwaltungsrecht regelmäßig
nach den im Bürgerlichen Recht entwickelten Maßstäben.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 28. April 1966 - II C 6.63 -, DÖD
1966, S. 233; Urteil vom 23. Oktober 1979 - 1 C 39.78 -, NJW 1980, S. 1246; OVG NRW,
a.a.O.
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Der Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit ist dann gerechtfertigt, wenn der Soldat im
konkreten Einzelfall die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in
ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt und dasjenige nicht beachtet, was im
gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
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Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 17. September 1964 - II C 147.61 -, BVerwGE 19,
S. 243 (248); Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 18. Dezember 1996 - IV ZR 321/95 -,
NJW 1997, 1012 (1013).
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Im Straßenverkehr liegt regelmäßig grobe Fahrlässigkeit vor, wenn Sicherheitsregeln
vernachlässigt werden, deren Einhaltung für die Vermeidung von Unfällen besonders
wichtig ist und deren Beobachtung vom Verkehrsteilnehmer besondere Aufmerksamkeit
erheischt.
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Vgl. OVG NRW, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Dezember 1970 - I
846/69 -, RiA 1971, S. 235 (236).
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Hierzu zählt gemäß § 9 Abs. 5 StVO auch die Verpflichtung eines Fahrzeugführers, sich
beim Rückwärtsfahren so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, und sich erforderlichenfalls einweisen zu
lassen.
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Vgl. OVG NRW, a.a.O.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15. Dezember 2004 -
2 LA 943/04 -, NVwZ-RR 2005,328
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Die Einhaltung dieser Verpflichtung ist für die Vermeidung von Unfällen besonders
wichtig und muss wegen der mit dem Rückwärtsfahren verbundenen erhöhten Gefahren
besonders sorgfältig beachtet werden. Dies gilt in erster Linie gegenüber dem
fließenden Verkehr, beansprucht aber auch außerhalb des fließenden Verkehrs
insoweit Geltung, als nur überblickbarer und mit Gewissheit freier Raum ohne Einweiser
rückwärts befahren werden darf.
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OLG Karlsruhe, Urteil vom 24. Juni 1988 - 10 U 216/87 -, Leitsatz nachgewiesen bei
juris unter Hinweis auf BGH.
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Wer ein Kfz rückwärts fährt, muss auch außerhalb der öffentlichen Verkehrsfläche
besondere Sorgfalt walten lassen; insbesondere entbindet ihn dies nach den jeweiligen
Umständen des Einzelfalls nicht von den besonderen Sorgfaltspflichten in Bezug auf
das eigene, von ihm gelenkte Fahrzeug.
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Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - 2 LA 943/04 -, a. a.
O.; zur Rückwärtsfahrt auf privatem Garagenhof OLG Hamm, Urteil vom 5. Mai 1980 - 3
U 42/80 -, Leitsatz nachgewiesen bei juris.
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Für den militärischen Dienstbereich ist diese Sicherheitsregel des allgemeinen
Straßenverkehrs in Nr. 616 der ZDv 43/2 konkretisiert worden. Ihre Nichtbeachtung ist
daher in der Regel grob fahrlässig.
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Vgl. OVG NRW, a.a.O.
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Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger grob fahrlässig gehandelt, als er sich
beim Zurücksetzen und Einleitung des Wendevorgangs um den Pfeiler des Hauses 207
herum nicht von seinem Beifahrer hat unterstützen lassen. Obwohl ihm bewusst war,
dass die Sicht in den Raum, in den er zurücksetzen wollte, durch den Hauspfeiler
jedenfalls teilweise versperrt war und er so in einen für ihn teilweise nicht einsehbaren
Bereich („Toten Winkel") einfahren wollte, richtete er sein Verhalten nicht an diesen
Besonderheiten der Örtlichkeit aus, sondern verließ er sich darauf, dass der Blick in die
Rückspiegel bzw. durch die Heckscheibe und die Seitenfenster während der
Rückwärtsfahrt ausreichten. Er ließ damit eine ganz einfache und naheliegende
Überlegung außer Acht, die jedem einleuchten musste, auch wenn er nicht als
Militärkraftfahrer ausgebildet ist.
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Soweit er hierzu vorträgt, er habe die Lichtsäule auch deshalb nicht wahrgenommen,
weil sie durch die hintere Fahrzeugsäule verdeckt gewesen sei, rechtfertigt dies keine
andere Bewertung. Bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt - Inanspruchnahme eines
Einweisers - hätte dieser die Lichtsäule erkennen und den Kläger entsprechend
dirigieren können.
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Im Übrigen hätte der Kläger bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt die Lichtsäule so
frühzeitig erkennen müssen, dass er rechtzeitig vor ihm zum Halten hätte kommen
können. Gerade bei einer von ihm vorgetragenen doppelten Rückschau durch die
Innen- und Außenspiegel und durch Umdrehen sowie der ständigen Veränderung des
Sichtwinkels beim Umfahren des Hauspfeilers ist es nur schwer nachvollziehbar, dass
der Kläger die Lichtsäule erst durch die Berührung beim Auffahren bemerkt hat. Dies
lässt nur den Schluss zu, dass der Kläger unter den gegebenen Umständen zu schnell
gefahren ist, ohne dass es auf die exakte Geschwindigkeit ankommt. Auch unter diesem
Aspekt stellt sich das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig dar.
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Das Verhalten des Klägers ist auch subjektiv unentschuldbar. Im Gegensatz zum rein
objektiven Maßstab bei einfacher Fahrlässigkeit sind bei grober Fahrlässigkeit auch
subjektive Umstände zu berücksichtigen. Es kommt also nicht nur darauf an, was von
einem durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen
Verkehrskreises in der jeweiligen Situation erwartet werden konnte, ob also die Gefahr
erkennbar und der Erfolg vorhersehbar und vermeidbar war, sondern auch darauf, ob
der Schädigende nach seinen individuellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt
erkennen und erbringen konnte. Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben ein
erfahrener Fahrer und verfügt über genügend Fahrerfahrung (Führerschein seit 1977,
ca. 1 Mio. km Fahrleistung). Darüber hinaus hatte er nach eigenen Angaben die
Lichtsäule beim Heranfahren gesehen, aber nicht bewusst in seine Überlegungen
einbezogen. Der Fahrvorgang erfolgte zudem in einer Situation, in der der Kläger nicht
unter zeitlichem Druck stand, sondern er genügend Überlegungszeit zur Verfügung
hatte. Auch bot nach den vorgelegten Lichtbildern die räumliche Situation genügend
Platz, um in mehreren Zügen das Fahrzeug zu wenden, ohne um die nur teilweise
einsehbare Hausecke herum fahren zu müssen. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen,
dass das gefahrene Fahrzeug nicht Eigentum des Klägers und nahezu neuwertig war.
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Dass er das erste Mal ein Dienstfahrzeug fuhr, vermag ihn nicht zu entlasten. Denn der
Unfall hängt nicht mit der konkreten Handhabung des ihm möglicherweise unbekannten
Fahrzeugs zusammen, sondern beruht auf seinem Fehlverhalten als Fahrer, in der
konkreten Situation nicht auf seinen Beifahrer als Einweiser zur Kompensation des nicht
voll zu überblickenden Rückraums zurückzugreifen.
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Ebenso wenig kann ihn entlasten, dass sein Disziplinarvorgesetzter im Rahmen seiner
Stellungnahme das Verhalten nicht als vorsätzlich oder fahrlässig bewertet hat. Es
handelt sich um eine Bewertung, die im Rahmen des hier vorliegenden Verfahrens um
die Frage der Haftung keine Bindungswirkung entfaltet. Das Gericht hat vielmehr diese
Frage nach den für dieses Verfahren geltenden Verfahrens- und Beweisgrundsätzen
selbstständig zu prüfen und kann dabei wegen der unterschiedlichen Zielsetzung des
Disziplinarverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auch zu einem
anderen Ergebnis gelangen.
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So zur fehlenden Bindungswirkung von Entscheidungen des Truppendienstgerichts im
Disziplinarverfahren BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1984 - 6 C 78/82 -, BVerwGE 69, 334-
340; Beschluss vom 17. Januar 1990 - 1 DB 35/89 -, nachgewiesen bei juris.
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Da der Kläger den Schaden an dem Dienstfahrzeug mithin grob fahrlässig herbeigeführt
hat, ist er dem Grunde nach gemäß § 24 SG der Beklagten zum Ersatz des gesamten
daraus entstandenen Schadens verpflichtet.
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Zur Überzeugung des Gerichts steht auch fest, dass der Schaden in der nunmehr noch
geltend gemachten Höhe von 2. 611,38 Euro entstanden ist.
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Ob und in welcher Höhe der ersatzberechtigten Beklagten ein Schaden entstanden ist,
den der Kläger nach § 249 Satz 1, § 252 Satz 1 BGB zu ersetzen hat, ist nach § 173
VwGO i.V.m. § 287 Abs. 1 ZPO zu entscheiden. Danach reicht bei der Entscheidung
über die Schadenshöhe eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende
Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung aus. Darüber hinaus ist die
Beweiserhebung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt.
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Die Beklagte hat durch Vorlegen der Reparaturrechnung der Fa. L. vom 1. September
2004 substantiiert die Schadenshöhe dargetan und damit eine gesicherte Grundlage für
die Überzeugungsbildung des Gerichts geschaffen. Demgegenüber hat der Kläger in
Kenntnis dieser Rechnung lediglich hinsichtlich der Reparatur des Bodenblechs
Einwendungen geltend gemacht, im Übrigen jedoch nur pauschal bestritten, dass der
Schaden in der geltend gemachten Höhe entstanden ist. Weder dieser Vortrag des
Klägers noch der Akteninhalt geben Anlass daran zu zweifeln, dass die in der
Reparaturrechnung im Einzelnen aufgeführten Reparaturen in Zusammenhang mit der
Beschädigung stehen, die der Kläger bei dem Unfall an dem Dienstfahrzeug verursacht
hat, und dass sie in der ausgewiesenen Höhe der Beklagten in Rechnung gestellt
worden sind. Sie stehen zum einen in Einklang mit dem Schadensbild, wie es sich aus
den vorgelegten Fotos des beschädigten Fahrzeugs und der Unfallskizze im
Unfallbericht ergibt. Zum anderen hat der Kläger im Unfallbericht den Schaden selbst
auf 3.000 bis unter 10.000 Euro geschätzt. Das Gericht sieht daher auch keine
Veranlassung, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe
einzuholen. Dies um so weniger, als die Beklagte die Kosten für die Reparatur des
Bodenblechs in der mündlichen Verhandlung nicht mehr geltend und den
Leistungsbescheid entsprechend herabgesetzt hat.
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Die Inanspruchnahme in der vollständigen Schadenshöhe entspricht den „Richtlinien
über die Einziehung von Schadensersatzforderungen aus dem Dienstverhältnis der
Angehörigen der Bundeswehr" (Einziehungsrichtlinien- EZR) (vgl. Ziffer 2 Abs. 4 EZR
n.F.), ist im Übrigen aber auch nicht mehr angegriffen.
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Der Leistungsbescheid ist letztendlich auch nicht deswegen rechtswidrig, weil - wie der
Kläger geltend gemacht hat - vor seinem Erlass nicht die Vertrauensperson der
Soldaten angehört worden ist. Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Soldatenbeteiligungsgesetz
haben die Soldatenvertreter in Angelegenheiten, die nur die Soldaten betreffen, die
Befugnisse der Vertrauensperson. Um eine solche Angelegenheit handelt es sich bei
dem auf § 24 Abs. 1 SG gestützten Leistungsbescheid, der als Einzelmaßnahme an den
Kläger als Soldat gerichtet ist. Während das Soldatenbeteiligungsgesetz (SBG) bei der
Ahndung von Dienstvergehen im Wege einer Disziplinarmaßnahme die Beteiligung der
Vertrauensperson nach § 27 SBG ausdrücklich vorsieht, ist sie bei der Geltendmachung
des Ersatzanspruchs nach § 24 SG (anders als nach § 76 Abs. 2 Nr. 9
Bundespersonalvertretungsgesetz) nicht vorgesehen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2000 - 2 A 4/99 -, nachgewiesen bei juris.
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Ist nach alledem die Klage insgesamt abzuweisen, trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1
VwGO die Kosten des Verfahrens.
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