Urteil des VG Köln vom 27.10.2003

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Verwaltungsgericht Köln, 2 L 2372/03
Datum:
27.10.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 2372/03
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom
08.07.2003 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des
Antragsgegners vom 10.01.2003 (Geschäftszeichen: 00-B0-0000-00000)
wird angeordnet.
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Stillegung der Baustelle auf
dem Grundstück H. -Straße 00 in M. (Gemarkung P. , Flur 00, Flurstücke
000 und 000) beizubehalten.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner. Die Beigeladene
trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der sinngemäße Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der
Beigeladenen erteilte Baugenehmigung anzuordnen und dem Antragsgegner
aufzugeben, die Baustelle auf dem Grund- stück H. -Straße 00 in M. (Gemarkung P. ,
Flur 00, Flurstücke 000 und 000) stillzulegen,
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ist nach § 80a Absatz 3, Absatz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 80 Absatz 5 VwGO zulässig
und begründet. Das Gericht ordnet die nach § 212a Absatz 1 BauGB entfallende
aufschiebende Wir- kung des Nachbarwiderspruchs an, wenn das Interesse des
Nachbarn, einstweilen zu verhindern, daß von der dem Bauherrn erteilten
Baugenehmigung Gebrauch gemacht wird, das öffentliche Interesse und das Interesse
des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzbarkeit der Baugenehmigung überwiegt. Dies ist
insbesondere dann der Fall, wenn sich in Bezug auf öffentliches Nachbarrecht konkrete
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ergeben und die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs verhindert, daß durch Schaffung vollendeter Tatsachen die
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Durchsetzung eines nachbarlichen Abwehrrechts erheblich erschwert würde oder bei
Ausnutzung der Baugenehmigung auch die Duldung des vorübergehenden Zustandes
für den Nachbarn unzumutbar wäre. Voraussetzung eines Abwehrrechts des Nachbarn
gegen das Vorhaben des Bauherrn ist, daß das Vorhaben in einer nicht durch einen
rechtmäßigen Dispens ausräumbaren Weise gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften
verstößt, die auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind, und - sofern sich
dies aus der nachbarschützenden Vorschrift ergibt - daß der Nachbar durch das
Vorhaben tatsächlich spürbar beeinträchtigt wird. Ob das Vorhaben objektiv, d. h.
hinsichtlich der Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtmäßig ist, kann im
Nachbarverfahren nicht berücksichtigt werden.
Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt offensichtlich gegen die nachbarschützende
Vorschrift des § 6 BauO NRW. Nach § 6 Absätze 1 ff. BauO NRW müssen Außenwände
oberirdischer Gebäude zur Nachbargrenze eine Abstandfläche einhalten, deren Tiefe
das 0,8fache der Wandhöhe, mindestens 3,00 m beträgt. Dieser Anforderung wird das
Vorhaben in Bezug auf die zum Grundstück des Antragstellers weisende Außenwand
der oberirdischen Geschosse nicht gerecht. Auf dem grüngestempelten amtlichen
Lageplan, der Bestandteil der Baugenehmigung ist, ist die hier erforderliche
Abstandfläche "d" unter Anwendung des Schmalseitenprivilegs nach § 6 Absatz 6 BauO
NRW zu 4,80 m berechnet. Vorhanden ist in diesem Bereich ein Grenzabstand
zwischen Wand und Nachbargrenze von 4,815 m. Zu Unrecht ist allerdings in diese
Abstandflächenberechnung als Höhe der Gelände- oberfläche (vgl. § 6 Absatz 4 Satz 2
BauO NRW) 48,75 m eingesetzt worden. Diese Höhe stellt das Mittel der im Lageplan
dargestellten "geplanten Höhen" 49,2 m bzw. 48,3 m im Bereich der Eckpunkte dieser
Außenwand dar. Es ist bereits mehr als frag- lich, ob mit der Darstellung von "geplanten
Höhen" im Lageplan die maßgebliche Ge- ländehöhe im Sinne des § 9 Absatz 3 BauO
NRW - auch für den Nachbarn verbindlich - geändert wird. Die kann hier indes
dahinstehen, denn an den fraglichen Stellen wird nach den Bauvorlagen das Gelände
nicht entsprechend den angegebenen "geplanten Höhen" modelliert. Hier befindet sich
nämlich die wesentlich tiefer gelegene abgegrabene Zufahrt zur Tiefgarage. Durch die
Zufahrt zur Tiefgarage wird das Gelände weit unter die Höhe von 48,75 m abgegraben
(an der tiefsten Stelle bis etwa 47,44 m). Die Zufahrt zur Tiefgarage kann nicht als
unselbständige Abgrabung im Sinne der Rechtsprechung,
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vgl. OVG NRW, Beschluß vom 05.09.1995 - 7 B 1886/95 -, vom 08.08.1995 - 7 B
1831/95 -, vom 26.07.1995 - 7 B 1623/95 -, und vom 25.07.1994 - 7 B 1389/94 -, sowie
OVG NRW, Urteil vom 09.05.1997 - 7 A 1071/96 -,
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angesehen werden. Unselbständig - und damit für die Berechnung der Abstandfläche
unbeachtlich - ist eine Abgrabung am Fuße der Außenwand eines Gebäudes (nur)
dann, wenn die Vertiefung lediglich einen Teil des Baukörpers selbst darstellt, diesem
unmittelbar zugeordnet ist, technisch mit ihm in Verbindung steht und der Funktion des
angrenzenden Raumes unmittelbar dient (z. B. bei einem Kellerlichtschacht oder einer
Kellertreppe). Entscheidend ist zum einen die unselbständige Funktion der Abgrabung
und zum anderen, daß durch sie das Profil des Baugrundstücks nur punktuell und im
Verhältnis zur übrigen Grundstücksfläche in untergeordnetem Umfang und nicht in
einem großräumigen Zusammenhang verändert wird. Abgrabungen auf einem
Baugrundstück in einem Maße, bei dem von einer untergeordneten und nur punktuellen
Veränderung des Niveaus des Baugrundstücks keine Rede mehr sein kann, sind
demnach bei der Ermittlung der Wandhöhe nicht außer Acht zu lassen. Eine
selbständige Abgrabung, die den maßgeblichen unteren Bezugspunkt verändert, liegt
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nach den konkreten Gegebenheiten eines Vorhabens vor, wenn beispielsweise das
Gelände von der Grundstücksgrenze bis zur Außenwand des Gebäudes als Böschung
angelegt wird. Dies ist hier der Fall, denn die Zufahrt zur Tiefgarage nimmt fast den
gesamten Raum zwischen Gebäude und Nachbargrenze über nahezu die gesamte
Breite der Außenwand ein. Die Vorstellung, durch das Zurücktreten der Außenwand
oberhalb des Kellergeschosses sei die Höhe der Zufahrt zur Tiefgarage nicht mehr der
Abstandflächenberechnung zugrundezulegen, ist unzutreffend. Die Kelleraußenwand
und die etwa 1,5 m zurückspringende Außenwand der oberirdischen Geschosse bilden
- bei natürlicher Betrachtungsweise - im abstandflächenrechtlichen Sinne eine
einheitliche, horizontal gegliederte Außenwand, für deren Teile erforderlichenfalls auch
jeweils das Schmalseitenprivileg in Anspruch genommen werden könnte. Dies wäre
wegen § 6 Absatz 6 Satz 4 BauO NRW bei der Annahme zweier Außenwände
unzulässig.
Vgl. im übrigen wegen der abstandflächenrechtlichen Zuordnung einer
Tiefgaragenzufahrt auch VG Köln, Urteil vom 04.04.2001 - 8 K 8277/99 -.
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Zur Vermeidung weiteren Rechtsstreits weist das Gericht darauf hin, daß es weitere
Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungs- oder
Bauplanungsrechts, die dem Schutz der Antragsteller dienen sollen, nicht festgestellt
hat.
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Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 154 Absatz 1, 162 Absatz 3 VwGO; es
entspricht der Billigkeit, daß die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht
erstattet werden, denn die Beigeladene steht mit dem Antragsgegner auf der
unterlegenen Seite. Sie kann an den Kosten nach § 154 Absatz 3 VwGO jedoch nicht
beteiligt werden, weil sie keinen Antrag gestellt hat.
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Der Streitwert wurde nach §§ 20 Absatz 3 und 13 Absatz 1 Satz 1 GKG festgesetzt.
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