Urteil des VG Köln vom 19.10.2005

VG Köln: bundesamt für migration, genfer flüchtlingskonvention, widerruf, irak, anerkennung, abschiebung, integration, staatsangehörigkeit, veröffentlichung, amtsblatt

Verwaltungsgericht Köln, 18 K 5073/05.A
Datum:
19.10.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 K 5073/05.A
Tenor:
Der Bescheid vom 22.08.2005 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
T a t b e s t a n d
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Der am 00.00.0000 in Kerkuk geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger
kurdischer Volkszugehörigkeit.
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Am 20.04.2001 beantragte der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mit
Bescheid vom 08.05.2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (seit dem 01.01.2005 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, im folgenden
Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab, stellte aber fest, dass die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Die Feststellung hinsichtlich der
Voraussetzungen des § 51 AuslG wurde am 04.08.2001 bestandskräftig.
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Am 17.11.2004 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren nach § 73 Abs. 1 S. 1
AsylVfG mit der Begründung ein, die Voraussetzungen für die
Anerkennungsentscheidung lägen nicht mehr vor. Nach dem Sturz des Regimes von
Saddam Hussein sei mit einer politischen Verfolgung nicht mehr zu rechnen. Der Kläger
wurde hierzu mit Schreiben vom 06.06.2005 angehört. Zu dem beabsichtigten Widerruf
hat der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers Stellung genommen; wegen der
Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 08.06.2005 Bezug genommen (Bl. 9 Beiakte
1).
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Mit Bescheid vom 22.08.2005 widerrief das Bundesamt die Feststellung nach § 51 Abs.
1 AuslG und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG
noch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Zur
Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe nach dem Sturz des
Regimes von Saddam Hussein nicht mehr mit asylrelevanter Verfolgung zu rechnen.
Der Bescheid wurde am 23.08.2005 zwecks Zustellung an den Kläger zur Post
gegeben.
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Am 24.08.2005 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Wegen der Begründung
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wird auf den Inhalt der Klageschrift Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
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den Widerrufsbescheid vom 22.08.2005 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 14.09.2005 der Berichterstatterin
als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen, § 76 Abs. 1 AsylVfG.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Widerruf der Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG 1990) vorliegen, ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage des Widerrufsbescheides des Bundesamtes vom 22.08.2005 ist § 73
Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG 2005) in der seit dem Inkrafttreten des
Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des
Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.07.2004
(Zuwanderungsgesetz) zum 01.01.2005 geltenden Fassung. § 73 AsylVfG 2005 ist
gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG bei der vorliegenden Entscheidung anzuwenden; eine
Übergangsregelung hat der Gesetzgeber nicht geschaffen, vgl. BVerwG, Urteil vom
08.02.2005 - 1 C 29.03 - zitiert nach Juris. Mit Inkrafttreten von Art. 1 des
Zuwanderungsgesetzes am 01.01.2005 ist das Gesetz über den Aufenthalt, die
Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet
(Aufenthaltsgesetz - AufenthG -) in Geltung gesetzt worden; das bisherige
Ausländergesetz vom 09.07.1990 ist gleichzeitig außer Kraft getreten. Verbote der
Abschiebung politisch Verfolgter werden nunmehr in § 60 Abs. 1 AufenthG,
Abschiebungshindernisse in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG geregelt. Die vorübergehende
Aussetzung der Abschiebung (Duldung) findet sich in § 60a AufenthG.
Übergangsvorschriften für anhängige verwaltungsgerichtliche Verfahren enthält das
Zuwanderungsgesetz nicht, so dass es mit Inkrafttreten in diesen Verfahren
anzuwenden ist, vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29.03 - a.a.O. Bei der
Anwendung des § 73 AsylVfG in der durch das Zuwanderungsgesetz geänderten
Fassung ist ebenso die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über
Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder
Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz
benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie)
zu berücksichtigen, die am 30.09.2004 im Amtsblatt der Europäischen Union
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veröffentlicht und nach ihrem Art. 39 am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung in
Kraft getreten ist. Die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Widerrufsbescheides maßgebliche Rechtslage hat sich demnach gegenüber der noch
der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Widerrufsbescheiden betreffend
irakische Flüchtlinge, vgl. BVerwG, Urteil vom 25.08.2004 - 1 C 22/03 - NVwZ 2005, 89-
90, zugrundeliegenden Rechtslage entscheidungserheblich verändert. Die
Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG 2005 für einen Widerruf der
Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 vorliegen, sind im
Falle des Klägers nicht erfüllt.
Die Frage, wann eine entscheidungserhebliche Veränderung der politischen
Verhältnisse im Herkunftsstaat im Sinne von § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG 2005
angenommen werden kann, ist in Übereinstimmung mit der sogenannten Wegfallder-
Umstände-Klausel in Artikel 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention zu beurteilen, die
nunmehr wörtlich von Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) der Qualifikationsrichtlinie übernommen
worden ist. Die Feststellung des Wegfalls der Verfolgungsgefahr setzt daher einen
grundlegenden, stabilen und dauerhaften Charakter der Veränderungen voraus; sie ist
nicht nur spiegelbildlich auf den Wegfall der ursprünglich die Verfolgung begründenden
Umstände beschränkt.
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Angesichts der hochgradig instabilen Lage im Irak kann von einer dauerhaften und
stabilen Änderung der politischen Verhältnisse in diesem Sinne gegenwärtig nicht
ausgegangen werden. Der Sturz des Regimes von Saddam Hussein alleine reicht für
eine solche Annahme nicht aus. Dies gilt für den gesamten Irak.
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vgl. hierzu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - Juris.
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Bei der Anwendung des § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG 2005 ist darüber hinaus entsprechend
Art. 1 C (5) GFK und Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) der Qualifikationsrichtlinie erforderlich,
dass der Flüchtling es aufgrund des Wegfalls der Umstände nicht mehr ablehnen kann,
den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Die Berücksichtigung dieser Schutzklausel im Rahmen des § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG
2005 ist auch bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist im Wege gemeinschaftskonformer
Auslegung gefordert.
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Anerkannten Flüchtlingen irakischer Staatsangehörigkeit ist aufgrund der
gegenwärtigen Situation im Irak eine Rückkehr unzumutbar im Sinne dieser
Schutzklausel, da schon ihre physische Sicherheit im Falle einer Rückkehr nicht
gewährleistet ist. Sie können es daher ablehnen, den Schutz ihres Herkunftslandes in
Anspruch zu nehmen,
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vgl. hierzu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - Juris.
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Der Widerrufsbescheid vom 22.08.2005 erweist sich daneben auch deshalb als
rechtswidrig, weil er unter Verstoß gegen § 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 als gebundene
Entscheidung ergangen ist.
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§ 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 ist auf Grund des § 77 Abs. 1 AsylVfG und mangels einer
hiervon abweichenden Übergangsvorschrift im Zuwanderungsgesetz auch auf solche
Widerrufsverfahren anwendbar, in denen das Bundesamt nach dem 31.12.2004 über
den Widerruf von vor dem 01.01.2005 ergangenen Statusentscheidungen entschieden
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hat.
Gemäß § 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 ist nach Ablauf von drei Jahren nach
Unanfechtbarkeit der positiven Statusentscheidung ein Widerruf nur noch im Wege der
Ermessensentscheidung möglich. Dies folgt unter Berücksichtigung der
integrationspolitischen Zielsetzungen daraus, dass Kern der Neuregelung in § 73 Abs.
2a AsylVfG 2005 ist, eine Verbindung zwischen der Aufenthaltsposition des
Asylberechtigten und den Möglichkeiten einer Widerrufsentscheidung herzustellen,
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vgl. Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - Juris.
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Hier sind seit der Unanfechtbarkeit der anerkennenden Entscheidung betreffend den
Kläger mehr als drei Jahre vergangen; ein Widerruf könnte deshalb wegen der bereits
eingetretenen Verfestigung der Aufenthaltsposition des Klägers gemäß § 73 Abs. 2a S.
2 AsylVfG 2005 nur noch nach Ermessen als Einzelfallentscheidung erfolgen. Hierauf
kann sich der Kläger auch berufen, da die Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2a AsylVfG
2005 nicht lediglich im öffentlichen Interesse besteht, sondern auch den Interessen des
Asylberechtigten dient,
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vgl. hierzu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A - Juris.
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Aus der Rechtswidrigkeit von Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides folgt, dass die
Feststellung zu dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ebenso
wie die Regelung zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegenstandslos ist,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.2002 - 1 C 17.01 - BVerwGE 116, 326, 331.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
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