Urteil des VG Köln vom 07.02.2008

VG Köln: in den verkehr bringen, schutz der gesundheit, mitgliedstaat, europäischer gerichtshof, öffentliche sicherheit, parallelimport, behörde, verbraucherschutz, importeur, warenverkehrsfreiheit

Verwaltungsgericht Köln, 13 K 190/07
Datum:
07.02.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 190/07
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 26. September
2006 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember
2006 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das Pflanzenschutzmittel "S. S1.
ooo", zugelassen in den Niederlanden als Parallelimport unter der
Bezeichnung "U. ", im Hinblick auf das Referenzmittel "U. " unter
Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin vertreibt von ihr importierte Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik
Deutschland. Für die Einfuhr eines anderweit in einem Staat der Europäischen Union
zugelassenen Pflanzenschutzmittels benötigt der Importeur eine
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung.
2
Am 17. Mai 2006 beantragte die Klägerin die Erteilung einer
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das Pflanzenschutzmittel "U. ", das sie aus den
Niederlanden importieren und unter der Bezeichnung "S. S1. ooo" in der
Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr bringen wollte. Als Referenzmittel wurde
das in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Pflanzenschutzmittel "U. "
benannt.
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Mit Bescheid vom 26. September 2006 lehnte das für die Erteilung der
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit (BVL) den Antrag ab, weil "U. " in den Niederlanden über keine
Vollzulassung verfüge, sondern lediglich als Parallelimport im Verkehr sei. Ein
Parallelimport sei aber nur zulässig, wenn das zu importierende Pflanzenschutzmittel
eine den Anforderungen der maßgeblichen Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15.
Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (im Folgenden:
Richtlinie 91/414/EWG) genügende Zulassung besitze.
4
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie an, dass es
ausreiche, wenn das zu importierende Mittel in dem Herkunftsstaat eine auch nur
abgeleitete Zulassung nach der Richtlinie 91/414/EWG besitze, weil sich diese
zwingend auf eine in einem anderen in Frage kommenden Herkunftsstaat existierende
Vollzulassung zurückführen lasse. Die abweichende Rechtsauffassung des BVL sei mit
der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG nicht vereinbar, was jedenfalls eine
gemeinschaftskonforme Auslegung des nationalen Rechts erforderlich mache.
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Mit Bescheid vom 14. Dezember 2006 wies das BVL den Widerspruch der Klägerin
zurück. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, es reiche nicht aus, wenn das zu
importierende Mittel im Herkunftsstaat nur über eine Parallelzulassung verfüge. Dies
wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn sämtliche Mitgliedstaaten Parallelimporte
einheitlich handhabten. Insbesondere wäre es erforderlich, dass einheitlich jeder
Mitgliedstaat an Parallelimporte die Anforderung stelle, dass das einzuführende Produkt
über eine eigene Zulassung gemäß der Richtlinie 91/414/EWG verfügt. Sowie ein
Mitgliedstaat im Hinblick auf importierte Mittel nur prüfe, ob diese stofflich mit einem
inländischen Referenzmittel übereinstimmten und der Frage, ob sie zugelassen seien
oder nicht, keine Beachtung schenke, sei dies schon nicht mehr der Fall. In diesem
Falle könne nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass am Anfang der Kette zwangsläufig
ein gemäß der Richtlinie 91/414/EWG zugelassenes Pflanzenschutzmittel stehe. Die
Klägerin habe nicht angegeben, in welchem möglichen Exportland das
Pflanzenschutzmittel eine Vollzulassung besitze.
6
Am 17. Januar 2007 hat die Klägerin Klage erhoben.
7
Zur Begründung ihrer Klage wiederholt sie zunächst ihre Darlegungen aus dem
Verwaltungsverfahren und verweist darauf, dass ihre Rechtsauffassung auch durch ein
Rechtsgutachten von Prof. Dr. T. gestützt werde. Weiter trägt sie vor, dass eine
Vollzulassung für das zu importierende Pflanzenschutzmittel im Sinne der Richtlinie
91/414/EWG gegeben sei. Es handele sich um das zugunsten der Firma E. de O. in den
Niederlanden angemeldete Produkt "U. ".
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit vom 26. September 2006 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2006 zu verpflichten, der Klägerin eine
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das Pflanzenschutzmittel "S. S1. ooo", zugelassen
in den Niederlanden als Parallelimport unter der Bezeichnung "U. ", im Hinblick auf das
Referenzmittel "U. " zu erteilen,
10
hilfsweise,
11
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit vom 26. September 2006 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2006 zu verpflichten, über den Antrag der
Klägerin auf Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das
Pflanzenschutzmittel "S. S1. ooo", zugelassen in den Niederlanden als Parallelimport
unter der Bezeichnung "U. ", im Hinblick auf das Referenzmittel "U. " unter
Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
12
Die Beklagte beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung beruft sie sich auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide und vertieft
ihre Auffassung.
15
Das Gericht hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss
vom 27. Februar 2007 abgelehnt, weil die Klägerin einen Anordnungsgrund nicht
glaubhaft gemacht hatte (13 L 75/07).
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gleichen Rubrums (13 L
75/07) sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
18
I. Die zulässige Klage hat nur mit ihrem Hilfsantrag Erfolg.
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1. Mit dem Hauptantrag ist die Klage unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
die Erteilung der Verkehrsfähigkeitsbescheinigung nach § 16c Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 des
Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz - PflSchG) in der
Fassung der Bekanntmachung vom 14. Mai 1998 (BGBl. I S. 971, 1527, 3512), zuletzt
geändert durch Artikel 1 § 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S.
2930).
20
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 PflSchG dürfen Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik
Deutschland grundsätzlich nur in den Verkehr gebracht oder eingeführt werden, wenn
sie vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)
zugelassen sind. Nach Satz 2 gilt als zugelassen auch ein Pflanzenschutzmittel, für das
die Verkehrsfähigkeit nach § 16c PflSchG festgestellt worden ist. Die Feststellung der
Verkehrsfähigkeit durch das BVL setzt nach § 16c Abs. 1 Satz 1 PflSchG voraus, dass
das Pflanzenschutzmittel in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen ist und mit einem in
Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel - dem so genannten Referenzmittel -
übereinstimmt. Erst nach der Prüfung der Übereinstimmung kann dem Antragsteller eine
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung ausgestellt werden, § 16c Abs. 4 PflSchG.
21
Eine Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Verkehrsfähigkeitsbescheinigung an
die Klägerin für das Pflanzenschutzmittel "U. ", das sie aus Irland importieren und unter
der Bezeichnung "S. S1. 250" vertreiben will, kann schon deswegen nicht erfolgen, weil
22
bislang die Übereinstimmung des Importmittels mit dem in der Bundesrepublik
Deutschland zugelassenen Referenzmittel "U. " durch das BVL nicht festgestellt worden
ist. Zwar ist im Rahmen des § 113 Abs. 5 VwGO bei gebundenen Entscheidungen - wie
hier nach § 16 Abs. 1 PflSchG - das Gericht grundsätzlich gehalten, die Spruchreife
herbeizuführen. Dies gilt aber - abgesehen von Beurteilungs- und
Ermessensspielräumen - dann nicht, wenn eine bestimmte sachliche Prüfung
besonderen Behörden übertragen ist oder wenn es zur abschließenden Aufklärung
einer mit den erforderlichen Mitteln ausgerüsteten Behörde bedarf. Dann ist eine bloße
Bescheidungsverpflichtung im Urteilsausspruch bei weitergehendem
Verpflichtungsantrag zulässig.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 20. Februar 1992 - 3 C 51.88 -,
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 90, 18 (24); s. auch
BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
(NVwZ) 2007, 1054 (1066 - Rn. 107) für hochkomplexe Fragen bei der Ausweisung
eines FFH-Gebietes.
23
Auch hier muss das Gericht die Spruchreife nicht herbeiführen. Dazu ist das Gericht
schon nicht in der Lage, weil ihm zum einen die gegebenenfalls dem Geheimnisschutz
unterliegenden Formulierungen von Import- und Referenzmittel nicht bekannt sind.
Daher ist auch die Beauftragung eines Sachverständigen ausgeschlossen. Des
Weiteren ist die im Einzelfall umfangreiche, besondere Sachkunde und Mittel
erfordernde Prüfung der originären Zulassung wie Übereinstimmung eines
Pflanzenschutzmittels mit dem Referenzmittel nach §§ 11, 15 und 16c PflSchG dem
BVL übertragen. Auch die Vergleichsprüfung erfordert gegebenenfalls besondere
Sachkunde und - etwa im Fall des § 16c Abs. 3 PflSchG - unter Umständen technische
Einrichtungen, die nur dem BVL im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen.
24
2. Der damit zur Entscheidung des Gerichts gestellte Hilfsantrag ist hingegen begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf erneute Bescheidung ihres
Antrags auf Feststellung der Verkehrsfähigkeit, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Das BVL
durfte die Erteilung der Verkehrsfähigkeitsbescheinigung nicht mit der Begründung
ablehnen, dass die Klägerin nicht angegeben habe, wo das zu importierende
Pflanzenschutzmittel eine Vollzulassung nach der Richtlinie 91/414/EWG besitzt.
25
a) Zutreffend gehen der Bescheid vom 26. September 2006 und der
Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2006 allerdings davon aus, dass unter
Zulassung im Sinne von § 16c Abs. 1 PflSchG grundsätzlich die Vollzulassung nach der
maßgeblichen Richtlinie 91/414/EWG zu verstehen ist. Der alleinige Verweis der
Klägerin auf die Parallelzulassung des Importmittels im Ausfuhrstaat kann daher
zunächst nicht ausreichen. Zwar spricht der Wortlaut des § 16c Abs. 1 PflSchG nur von
"Zulassung", so dass auf den ersten Blick auch eine Parallelzulassung im Ausfuhrstaat
erfasst sein könnte. Dem steht aber zum einen schon entgegen, dass der ansonsten im
Gesetz einheitlich verwendete Begriff der "Zulassung" oder "zugelassen" im Sinn einer
Vollzulassung nach der Richtlinie 91/414/EWG zu verstehen ist: Im das grundsätzliche
Erfordernis der Zulassung regelnden § 11 Abs. 1 PflSchG wird der Begriff ebenfalls
verwendet. Die Zulassungsvoraussetzungen selbst sind zentral in § 15 PflSchG
aufgeführt, in dessen einzelnen Absätzen entweder auf die Richtlinie 91/414/EWG direkt
abgestellt oder aber die Anforderungen der Richtlinie wortgetreu in nationales Recht
übernommen worden sind. Angesichts dieses Befundes kann nicht davon ausgegangen
werden, dass der in einem derartig engem Normierungszusammenhang gebrauchte
26
Begriff unterschiedlich verstanden werden soll.
Deutlich wird das Verständnis von Zulassung als "Vollzulassung" auch in § 11 Abs. 1
Satz 2 PflSchG. Danach "gilt" als zugelassen ein Pflanzenschutzmittel, für das die
Verkehrsfähigkeit nach § 16c PflSchG festgestellt worden ist. Schon die Notwendigkeit
einer Fiktion macht deutlich, dass die im vereinfachten Verfahren erlangte Zulassung -
wie etwa nach nationalem Recht nach § 16c PflSchG bzw. nach den entsprechenden
Regelungen anderer Mitgliedstaaten - keine Vollzulassung darstellt, mithin auch die
Parallelzulassung im Ausfuhrstaat - wie hier - keine Zulassung im Sinne der Richtlinie
91/414/EWG und damit der § 11 Abs. 1, § 16c Abs. 1 PflSchG darstellt. Denn ein
lediglich als zugelassen geltendes Pflanzenschutzmittel ist gerade kein zugelassenes.
Auch wird in § 11 Abs. 1 Satz 3 PflSchG ausdrücklich klargestellt, dass ein
Pflanzenschutzmittel, das in keinem Staat der Europäischen Union oder des
Europäischen Wirtschaftsraums nach der Richtlinie 91/414/EWG "zugelassen" ist, die
Fiktion nicht beanspruchen kann. Die identische Verwendung des Begriffs Zulassung in
den genannten Vorschriften lässt mithin nur den Schluss darauf zu, dass er innerhalb
eines Gesetzes einheitlich, und zwar als Vollzulassung im Sinne der Richtlinie
91/414/EWG zu verstehen ist,
27
ebenso Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW),
Beschluss vom 12. Februar 2007 - 13 B 67/07 -, Beschlussabdruck S. 4 f.,
28
die gerade nur Regelungen über "Zulassungen" enthält, sich aber nicht zur
Durchführung von Parallelimporten verhält.
29
Dieses Ergebnis wird gestützt durch die Beweggründe des Gesetzgebers für die
Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes, insbesondere auch der Einführung und
Anpassung der §§ 15 und 11 PflSchG. Denn mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des
Pflanzenschutzgesetzes aus dem Mai 1998 sollte gerade auch die Richtlinie
91/414/EWG in nationales Recht umgesetzt werden,
30
vgl. Bundestagsdrucksache 13/8843, S. 4 und 24,
31
wobei - wie ausgeführt - auch wesentliche Teile der Richtlinie in nationales Recht
transformiert worden sind.
32
Maßgeblich bekräftigt wird diese Auslegung, wenn weiter Sinn und Zweck der Richtlinie
91/414/EWG und des § 16c PflSchG in den Blick genommen werden. Neben der
Beseitigung von Handelshemmnissen (5. und 6. Begründungserwägung der Richtlinie
91/414/EWG) soll diese auch insbesondere der Vereinheitlichung des
Zulassungsverfahrens (7. Begründungserwägung) dienen, wobei die
Zulassungsbestimmungen ein hohes Schutzniveau gewährleisten müssen, damit vor
allem die Zulassung vom Pflanzenschutzmitteln verhindert wird, die nicht ausreichend
auf ihre Gesundheits-, Grundwasser- und Umweltgefährdung untersucht worden sind (9.
Begründungserwägung). Damit ist jedenfalls einmal vor der Erteilung einer Zulassung
das Durchlaufen eines der Richtlinie 91/414/EWG genügenden Verfahrens erforderlich.
33
§ 16c PflSchG selbst hat ersichtlich den Zweck, eine unnötige Doppelprüfung nach der
Richtlinie 91/414/EWG in jedem Mitgliedstaat zu vermeiden,
34
vgl. Bundestagsdrucksache 16/645, S. 6,
35
weil eine solche Doppelprüfung auch europarechtlich eine unverhältnismäßige
Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG wäre,
36
Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 11. März 1999, Rs. C-100/96 -
Agrochemicals, Slg. 1999, S. I-1499 (1532 f. - Rn. 32); Siegel, NVwZ 2007, 906 (907).
37
Eine unnötige Doppelprüfung liegt aber nur dann vor, wenn das Pflanzenschutzmittel
entweder im Herkunftsstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums schon einmal entsprechend den hohen
Anforderungen der Richtlinie geprüft worden ist. Auch der im Lichte des
Gemeinschaftsrechts zu ermittelnde Zweck des § 16c PflSchG kann daher nur erreicht
werden, wenn unter Zulassung im Sinne der Norm eine Vollzulassung zu verstehen ist.
38
b) Ist danach für die Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung eine
Vollzulassung für das Importmittel erforderlich, bedeutet dies jedoch nicht, dass von
einem Importeur in jedem Fall verlangt werden kann anzugeben, in welchem
Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums für das
Importmittel diese Vollzulassung erteilt worden ist. Zwar muss der Importeur als
derjenige, der sich auf eine Vollzulassung für sein Importmittel beruft, grundsätzlich
darlegen, dass diese anspruchsbegründende Tatsache erfüllt ist. Dem hat die Klägerin
hier zunächst nicht Genüge getan. Soweit sie generell geltend macht, wenn das
Pflanzenschutzmittel im Ausfuhrstaat eine Parallelimporterlaubnis besitze, müsse dem
aus rechtlichen Gründen stets (am Ende der Kette) eine Vollzulassung zugrunde liegen,
sind dem die von der Beklagten dargestellten Gründe der Ungewissheit über die Praxis
anderer Mitgliedstaaten bei der Erteilung von Parallelimporterlaubnissen
entgegenzuhalten. Auch hat die Klägerin im vorliegenden Fall nicht konkret angegeben,
in welchem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen
Wirtschaftsraums für das Importmittel eine Vollzulassung erteilt worden ist. Denn in der
mündlichen Verhandlung hat sie klargestellt, dass sich aus der insoweit vorgelegten
eidesstattlichen Versicherung ihrer Angestellten nur die Vollzulassung des
Referenzmittels im Ausfuhrstaat entnehmen lässt. Dies berechtigt die Behörde aber
noch nicht, die begehrte Verkehrsfähigkeitsbescheinigung zu versagen. Denn die
Angabe, in welchem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen
Wirtschaftsraums für das Importmittel eine Vollzulassung erteilt worden ist, kann dann
nicht verlangt werden, wenn sie dem Importeur nicht bekannt ist und von ihm auch nicht
mit zumutbarem Aufwand beschafft werden kann.
39
Hier kann eine derartige Angabe - von Ausnahmefällen abgesehen - in der Regel von
einem Importeur, der - wie die Klägerin - als so genannter "Arbitrage-Händer" ein in
einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen
Wirtschaftsraums als Parallelimport zugelassenes Pflanzenschutzmittel von einem
Zwischenhändler erwirbt und einführen will, nicht verlangt werden.
40
Dahinstehen kann, ob sich dies bei alleiniger Betrachtung nach nationalem Recht
ergibt. Nach § 16c Abs. 2 Satz 2 PflSchG, der sich im Kontext der Anforderungen an die
Vergleichbarkeit von Import- und Referenzmittel (Satz 1) findet, hat der eine
Bescheinigung nach Abs. 1 und 4 begehrende Antragsteller die zur Feststellung der
Verkehrsfähigkeit erforderlichen Unterlagen, zu denen er Zugang hat oder deren
Beschaffung ihm zugemutet werden kann, sowie die erforderlichen Proben nach
weiterer Maßgabe einer Rechtsverordnung zu übermitteln. Selbst wenn diese Regelung
41
(erforderliche "Unterlagen") auch auf die Angabe des Staates der Vollzulassung
anzuwenden sein sollte, so wird von der Klägerin (regelmäßig) etwas Unzumutbares
verlangt. Denn wie sie in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat und auch ohne
weiteres plausibel ist, kennt die Klägerin diese Angaben - von Ausnahmefällen
abgesehen - nicht. Auch wird ihr Handelspartner, von dem sie das zu importierende,
parallel zugelassene Pflanzenschutzmittel erwerben will, ihr auf Anfrage regelmäßig
nicht mitteilen, wo er seinerseits seine Ware bezieht, und ihr so die Möglichkeit geben,
gegebenenfalls über mehrere Schritte den Staat der Vollzulassung festzustellen. Denn
dann hätte die Klägerin die Möglichkeit, sich unter Übergehung ihres Handelspartners
direkt an dessen Verkäufer zu wenden und ihr Produkt entsprechend günstiger zu
erwerben. Die Klägerin hat damit glaubhaft dargelegt, dass es ihr mit zulässigen und
zumutbaren Mitteln unter solchen Umständen nicht möglich ist, den Staat der
Vollzulassung zu ermitteln. Sie hat - wie die Vertreter des BVL in der mündlichen
Verhandlung grundsätzlich bestätigt haben - damit weder nach § 16c Abs. 2 Satz 2
PflSchG Zugang zu diesen Informationen noch kann ihr die Beschaffung zugemutet
werden, weil es eine letztlich kaum zu erfüllende Anforderung darstellt.
Unabhängig davon ist dieses Ergebnis auch aus dem Blickwinkel des
Gemeinschaftsrechts gefordert. Sowohl das Erfordernis einer erneuten Zulassung eines
in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen
Wirtschaftsraums bereits nach der Richtlinie 91/414/EWG zugelassenen
Pflanzenschutzmittels ("Doppelprüfung") wie auch das vereinfachte Verfahren für eine
Parallelzulassung - wie hier der Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung -
stellen eine die Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG beschränkende Maßnahme
gleicher Wirkung dar. Als den Warenverkehr einschränkende Maßnahme gleicher
Wirkung im Sinne des Art. 28 EG ist jede Maßnahme oder Regelung der Mitgliedstaaten
zu verstehen, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder
mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern,
42
EuGH, Urteil vom 11. Juli 1974, Rs. 8/74 - Dassonville, Slg. 1974, S. 837 - Rn. 5.
43
Selbst das vereinfachte Verfahren der Parallelzulassung ist nur unter den eine
Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit im Einzelfall rechtfertigenden
Voraussetzungen des Art. 30 EG zulässig. Insoweit hat es der Europäische Gerichtshof
im Hinblick auf die Schutzgüter der Richtlinie 91/414/EWG allerdings für rechtmäßig
erachtet, dass die zuständige Behörde prüft, ob Import- und Referenzmittel, ohne in allen
Punkten übereinzustimmen, zumindest nach der gleichen Formel und unter
Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt wurden und überdies die gleichen
Wirkungen haben, wobei etwaige Unterschiede bei den für die Anwendung des Mittels
relevanten Bedingungen in bezug auf Landwirtschaft, Pflanzenschutz und Umwelt -
einschließlich der Witterungsverhältnisse - zu berücksichtigen sind.
44
EuGH, Urteil vom 11. März 1999, Rs. C-100/96 - Agrochemicals, a.a.O., S. I-1533 - Rn.
33.
45
Gleichzeitig hat der Gerichtshof betont, dass die zuständige Behörde des
Einfuhrmitgliedstaats über legislative und administrative Mittel verfügt, mit denen der
Hersteller des Pflanzenschutzmittels, für das bereits eine Genehmigung für das
Inverkehrbringen erteilt wurde, der offizielle Vertreter des Herstellers oder der
Lizenzinhaber gezwungen werden können, die Angaben zu machen, über die sie
verfügen und die die Behörde für notwendig hält. Die zuständige Behörde könne ferner
46
auf die Unterlagen zurückgreifen, die im Rahmen des Antrags auf Erteilung der
Genehmigung für das Inverkehrbringen des bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittels
eingereicht wurden. Auch müsste der in Art. 12 der Richtlinie 91/414/EWG
vorgeschriebene Informationsaustausch der zuständigen Behörde des
Einfuhrmitgliedstaats die Möglichkeit bieten, sich die für die Prüfung notwendigen
Unterlagen zu verschaffen.
EuGH, wie vor, S. I-1533 - Rn. 34 f.
47
Die Forderung, die Klägerin müsse zumindest auch den Staat der Vollzulassung
benennen, stellt vor diesem Hintergrund jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung
eine weitergehende Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG in Gestalt
einer Maßnahme gleicher Wirkung dar, die nicht nach Art. 30 EG gerechtfertigt ist. Eine
Maßnahme gleicher Wirkung in Form einer Behinderung ist jede negative
Beeinflussung der Handelsströme durch Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit
bestimmter Marktteilnehmer
48
EuGH, Urteil vom 20. Mai 1976, Rs. 104/75 - De Peijper, Slg. 1976, S. 613 - Rn. 12 f.
49
Mit der genannten Forderung wird der Handel der Klägerin offenkundig behindert. Diese
Behinderung ist jedenfalls unverhältnismäßig nach Art. 30 EG, wobei offen bleiben
kann, ob die fraglichen Angaben überhaupt aus den Gründen des Art. 30 EG (öffentliche
Sicherheit, Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder
Pflanzen) als reine Ausgestaltung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Darlegungslast
von der Klägerin gefordert werden können. Denn jedenfalls ist die Maßnahme nicht
gerechtfertigt im Sinne der Vorschrift, weil nicht verhältnismäßig.
50
Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen des Art. 30 EG vgl. nur Streinz,
EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rn. 49 f. m. w. Nachw.
51
Eine derartige Forderung ist nicht erforderlich und im Übrigen auch unangemessen.
Denn - wie dargelegt - wird von der Klägerin regelmäßig etwas Unmögliches verlangt,
was nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen kann.
52
Dagegen hat das BLV, wie in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert, als
milderes Mittel die Möglichkeit, sich die notwendige Kenntnis über die Existenz einer
Vollzulassung für das zu importierende Pflanzenschutzmittel zu verschaffen, das im
Ausfuhrstaat (nur) über eine Parallelzulassung verfügt. Denn zum einen verfügt es
schon aufgrund der eigenen, bei ihm als zentraler
Pflanzenschutzmittelzulassungsbehörde der Bundesrepublik Deutschland
vorhandenen, teilweise nach Art. 12 Richtlinie 91/414/EWG erlangten Informationen
über weitergehende Informationsmöglichkeiten als der Importeur. Zum anderen besteht
für das BLV, wie sich auch aus dem hier geführten Verwaltungsverfahren ergibt, die
Möglichkeit, sich an die jeweils zuständigen Behörden des Ausfuhrstaates mit der Bitte
um weitergehende Informationen zu wenden und notfalls den Weg der Zulassungen bis
zur Vollzulassung nach der Richtlinie 91/414/EWG zurückzuverfolgen - eine
Möglichkeit, die der Klägerin als im Wettbewerb stehender (Zwischen-)Händlerin aus
den oben dargelegten Gründen nicht offen steht. Dies entspricht auch dem üblichen
Verlauf eines Verwaltungsverfahrens, nachdem der Antragsteller seiner Darlegungslast
nachgekommen ist. Nur um letztlich dieses Verwaltungsverfahren abzukürzen, können
an die Klägerin als Importeurin keine unzumutbaren, weil unerfüllbaren Anforderungen
53
gestellt werden.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das BVL in einer
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung das vollzugelassene Produkt und den Staat der
Vollzulassung benennen und damit gegebenenfalls Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse des Zulassungsinhabers offenbaren müsste. Denn eine solche
Verpflichtung besteht nicht. Insoweit haben die Vertreter des BVL in der mündlichen
Verhandlung ausdrücklich bestätigt, dass eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung nur
Import- und Referenzmittel ausdrücklich benennen müsse und im Übrigen die alleinige
Feststellung ohne genauere Angaben enthalten könne, dass das sich als Parallelimport
im Ausfuhrstaat im Verkehr befindliche Pflanzenschutzmittel über eine Vollzulassung in
einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums
verfüge. Damit kann dahinstehen, ob und auf welcher Stufe dieser Einwand überhaupt
die Beschränkung des freien Warenverkehrs rechtfertigen könnte.
54
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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III. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 ZPO.
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IV. Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Sie wirft die
Frage der Anforderungen an einen Parallelimport von Pflanzenschutzmitteln auf, die für
die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit der
Klärung bedarf.
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