Urteil des VG Köln vom 27.08.2008

VG Köln: gesellschaft, geschäftsführer, gesetzlicher vertreter, gewerbesteuer, fälligkeit, zahlungsfähigkeit, behörde, auskunft, verschulden, rechtsgrundlage

Verwaltungsgericht Köln, 23 K 2853/06
Datum:
27.08.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 2853/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
1
Die Beteiligten streiten um die Haftung der Klägerin als Liquidatorin für
Gewerbesteuerrückstände einer GmbH.
2
Der Sohn der Klägerin, B. D. , war zunächst Geschäftsführer der F. GmbH mit einem
Stammkapital von 25.500,00 Euro. Mit dem 03.12.2001 wurde die Klägerin die alleinige
Geschäftsführerin der F. GmbH. Am 07.08.2002 wurde die Gesellschaft aufgelöst und
die Klägerin zur Liquidatorin bestellt.
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Mit Bescheiden vom 31.08.2004 setzte das Finanzamt Köln-Ost die
Gewerbesteuermessbeträge für die Jahre 2001 und 2002 für die F. GmbH in Liquidation
(i.L.) fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Besteuerungsgrundlagen seien
geschätzt worden, weil die Klägerin trotz Aufforderung keine Steuererklärung
abgegeben habe.
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Mit an die Klägerin als Liquidatorin der F. GmbH gerichteten Bescheiden vom
31.08.2004 setzte der Beklagte für die F. GmbH i.L. die Gewerbesteuer für das Jahr
2001 auf 1.840,65 Euro nebst 153,00 Euro Nachzahlungszinsen (Zinslauf vom
01.04.2003 bis 03.09.2004) und die Gewerbesteuer für das Jahr 2002 auf 3.600,00 Euro
nebst 90,00 Euro Nachzahlungszinsen (Zinslauf vom 01.04.2004 bis 03.09.2004) fest,
alle Beträge fällig am 04.10.2004. Zahlungen erfolgten hierauf nicht. Die Beitreibung bei
der Gesellschaft blieb erfolglos.
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Unter dem 12.08.2005 schrieb der Beklagte die Klägerin zur Prüfung der
Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme an. Der Haftungszeitraum sei auf
die Zeit vom 01.04.2003 (fiktive Fälligkeit bei fristgerechter Erklärungsabgabe) bis heute
festgelegt. Die Klägerin werde gebeten, den Bestand an Eigen- und Fremdmitteln bei
der Gesellschaft zu Beginn des Haftungszeitraumes, Art und Umfang der Zahlungsein-
und -ausgänge der Gesellschaft im Haftungszeitraum, das Verhältnis der Tilgung der
Steuerschulden im Vergleich zu sonstigen Verbindlichkeiten, Gründe für eine
gegebenenfalls vorzugsweise Befriedigung anderer Gläubiger und die Höhe im
Haftungszeitraum gezahlter Geschäftsführerbezüge oder sonstiger Vergütungen
anzugeben. Es sei zu ermitteln, in welchem Umfange der Steuergläubiger hätte
befriedigt werden müssen. Verletze ein zur Auskunft Verpflichteter seine
Mitwirkungspflicht, indem er keine oder eine unzureichende Auskunft erteile, sowie
angeforderte Unterlagen nicht vorlege und so eine erforderliche Überprüfung
verhindere, sei der Steuergläubiger berechtigt, diesen Umstand frei zu würdigen.
Mangels weiterer Anhaltspunkte könne der Steuergläubiger insoweit die mangelnde
Mitwirkung eines Geschäftsführers/Liquidators bei Sachverhalten, die in dessen
Wissens- bzw. Einflussbereich lägen, gegen diesen verwerten. Er könne dabei von
einem für diesen ungünstigen Sachverhalt ausgehen, sofern jener einen gewissen Grad
an Wahrscheinlichkeit für sich habe. Die Klägerin äußerte sich nicht.
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Mit Haftungsbescheid vom 22.12.2005 nahm der Beklagte die Klägerin als Liquidatorin
der F. GmbH i.L. auf Zahlung einer Haftungsforderung in Höhe von 6.005,65 Euro in
Anspruch - 5.683,65 Euro aus den Bescheiden vom 31.08.2004 sowie als
Nebenforderungen bezeichnete 322,00 Euro -, aufgrund der Vorschrift des § 191 Abs. 1
Abgabenordnung (AO) i. V. m. den §§ 34 und 69 AO. Zudem forderte er sie zur Zahlung
dieses Betrages bis zum 30.01.2006 auf. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin
habe als Liquidatorin u. a. persönlich dafür Sorge zu tragen gehabt, dass die
Erklärungen 2001 und 2002 termingerecht eingereicht und die fälligen
Steuerforderungen aus den Gesellschaftsmitteln gezahlt würden. Die
Pflichtverletzungen seien zumindest grob fahrlässig erfolgt. Da die F. GmbH bis heute
nicht im Handelsregister gelöscht sei, bestehe die Vermutung, dass die Schuldnerin
voraussichtlich über genügend finanzielle Mittel verfügt habe, um die Forderungen des
Beklagten vollständig zu begleichen. Die schuldhafte Rechtspflichtverletzung sei auch
ursächlich für den entstandenen Schaden, da nicht zum fiktiven Fälligkeitstermin gezahlt
worden sei. Die Inanspruchnahme der Klägerin sei ermessensgerecht. Sie sei geboten,
weil Vollstreckungsversuche in das Vermögen der Gesellschaft ergebnislos verlaufen
seien. Die Voraussetzungen des § 219 AO seien erfüllt. Die Ermessensabwägung habe
im Interesse der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen und unter Berücksichtigung
der Schwere der aufgezeigten Pflichtverletzungen zur Erteilung des
Haftungsbescheides führen müssen. Zur Haftungshöhe müsse jeweils der Umfang der
im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren Mittel festgestellt werden. Von der Möglichkeit,
im Rahmen der Haftungsanhörung eine eingeschränkte Zahlungsfähigkeit während des
Haftungszeitraumes nachzuweisen, habe die Klägerin keinen Gebrauch gemacht.
Umstände, die gegen eine Haftungsinanspruchnahme sprächen, hätten nicht festgestellt
werden können.
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Die Klägerin legte Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen.
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Auf eine Mahnung vom 10.04.2006 baten die Klägerin und ihr Sohn mit Schreiben vom
27.04.2006 darum, von Forderungen gegenüber der F. GmbH und der Klägerin
abzusehen. Weder die Klägerin noch ihr Sohn hätten irgendwelche Einkünfte erzielt.
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Die F. GmbH sei nie in Betrieb gewesen. Das vermeintliche Steuerbüro OCT GmbH
habe bei der Steuerprüfung „alles durcheinander gebracht", nämlich ein Einzelgewerbe
mit der F. GmbH. Leider existierten keine Unterlagen mehr, weil das Steuerbüro
verschwunden sei. Der Beklagte bearbeitete dies als Erlassantrag.
Den Widerspruch gegen den Haftungsbescheid hingegen wies er mit
Widerspruchsbescheid vom 08.05.2006, zugestellt am 10.05.2006, zurück. Der
Widerspruch sei nicht begründet. Er habe seinen Haftungsbescheid nochmals überprüft.
Fehler/Gründe, die dessen Aufhebung bzw. Änderung rechtfertigen könnten, seien nicht
festgestellt worden.
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Am Montag, dem 12.06.2006, hat die Klägerin Klage erhoben.
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Sie macht geltend, sie habe ihre Pflichten nicht grob fahrlässig verletzt. Sämtliche
Geschäftsunterlagen seien an die Firma OCT als Wirtschafts- und Steuerkanzlei zur
Bearbeitung abgegeben worden. Diese habe zugesagt, sich um alles zu kümmern. Dies
habe sie nicht getan. Die Unterlagen habe die Klägerin nicht zurück erlangen können.
Die Klägerin habe sich auf die Auskunft, es werde alles erledigt, verlassen dürfen. § 278
BGB gelte nicht. Die Gesellschaft habe niemals Umsätze getätigt. Die Gesellschaft habe
zu keiner Zeit Gewinne erwirtschaftet. Die Messbeträge seien nicht nachvollziehbar.
Das Finanzamt habe zudem die Umsatzsteuer herabgesetzt, da die Gesellschaft zum
29.07.2002 aufgelöst worden sei. Der Haftungsbescheid sei außerdem aufzuheben, da
der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensentscheidung habe in Erwägung ziehen
müssen, ob er nicht den Sohn der Klägerin in Anspruch zu nehmen habe. Im Zeitraum
der Veranlagung 2001/2002 sei der Sohn der Klägerin Geschäftsführer gewesen.
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Die Klägerin beantragt (schriftsätzlich),
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den Haftungsbescheid des Beklagten vom 22.12.2005 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 08.05.2006 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er führt aus, offen bleibe, ob der Klägerin als Liquidatorin zum Zeitpunkt der Fälligkeit
der Steuerforderung bzw. zu einem fiktiven früheren Fälligkeitszeitpunkt (bezogen auf
die gesetzlichen Erklärungstermine) ausreichend Mittel zur Verfügung gestanden hätten,
um die Forderungen ganz oder teilweise begleichen zu können, und ob eventuell
andere Gläubiger bevorzugt befriedigt worden seien. Dieser bereits mit dem
Anhörungsschreiben vom 12.08.2005 geforderte Nachweis obliege jedoch allein der
Klägerin. Die Klägerin sei nach § 166 AO mit Einwendungen gegen die
bestandskräftige Steuerfestsetzung ausgeschlossen. Ihr Sohn sei weder für die Abgabe
der Steuererklärungen 2001 oder 2002 noch für die Zahlung zum Fälligkeitszeitpunkt
am 04.10.2004 zuständig gewesen.
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In der mündlichen Verhandlung, zu der die Klägerin trotz Ladung unter Hinweis darauf,
dass auch beim Ausbleiben eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden
könne, weder erschienen ist, noch sich hat vertreten lassen, hat der Beklagte zu
Protokoll erklärt, den angefochtenen Haftungsbescheid vom 22.12.2005 insoweit
aufzuheben, als darin Nebenforderungen in Höhe von 322,00 EUR gegen die Klägerin
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festgesetzt worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20
Das Gericht konnte in Abwesenheit der Klägerin über deren Klage entscheiden, da die
Klägerin mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war, § 102 Abs. 2
VwGO.
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Die Klage hat keinen Erfolg.
22
Soweit die Klägerin mit der vollständigen Aufhebung des Haftungsbescheides vom
22.12.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2006 die Aufhebung des
Haftungsbescheides auch insoweit begehrt, als darin Nebenforderungen in Höhe von
322,00 EUR festgesetzt worden waren und sie zur Zahlung derselben aufgefordert
worden war, ist die Klage bereits unzulässig. Insoweit fehlt es der Klägerin für die
vorliegende Klage an einem Rechtsschutzbedürfnis. Ein solches fehlt, wenn ein
rechtlich anerkennenswertes Interesse eines Klägers an der erstrebten gerichtlichen
Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht kommt. Dies ist
insbesondere der Fall, wenn ein Kläger klaglos gestellt wird, Rennert in Eyermann,
VwGO, 12. Aufl., vor § 40 Rn 11.
23
So verhält es sich hier. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung den
angefochtenen Haftungsbescheid insoweit aufgehoben, als darin Nebenforderungen in
Höhe von 322,00 EUR gegen die Klägerin festgesetzt worden waren. Konkludent
umfasst diese Aufhebung auch die Aufforderung zur Zahlung in gleicher Höhe,
Rechtsgedanke der §§ 133, 157 S. 1 BGB. In Höhe dieses Teilbetrages hat die Klägerin
ihr Klageziel bereits erreicht und bedarf keiner gerichtlichen Entscheidung mehr. Dies
gilt unabhängig davon, ob die Aufhebung des Haftungsbescheides, mangels
Vernehmens derselben durch die abwesende Klägerin, im Zeitpunkt der Entscheidung
des Gerichts bereits wirksam geworden ist i.S.v. § 124 Abs. 1 S. 1 AO i.V.m. § 122 AO
(als actus contrarius stellt sie ebenfalls einen Verwaltungsakt dar). Denn als
Prozesshandlung, die einen Prozessvorgang endgültig feststellen soll (hier: die
Klaglosstellung der Klägerin in Höhe von 322,00 EUR), ist die zu Protokoll gegebene
Aufhebung unwiderruflich, vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach,
Zivilprozessordnung, 63. Aufl., Grundzüge § 128 Rn 58 f. m.w.N.
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Die weitergehende Anfechtungsklage ist zulässig. Die Klagefrist ist durch die
Klageerhebung am Montag, dem 12.06.2006, gewahrt, da das rechnerische Fristende
mit dem 10.06.2006 auf einen Sonnabend fiel, § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. den §§
57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 und 2 ZPO, 188 Abs. 2 BGB.
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Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Der angefochtene Haftungsbescheid
des Beklagten vom 22.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2006
ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO,
soweit die Klägerin darin auf Zahlung von 5.683,65 EUR (6.005,65 EUR abzüglich
Nebenforderungen in Höhe von 322,00 EUR) in Anspruch genommen und zur Zahlung
derselben aufgefordert wird.
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Die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid findet ihre Rechtsgrundlage in den §§
191 Abs. 1 S. 1 1. Alt., 69, 34 Abs. 1 AO.
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Im Umfange von 5.683,65 EUR ist der Haftungsbescheid formell rechtmäßig.
Insbesondere ist er insoweit hinreichend bestimmt, § 119 Abs. 1 AO, da er die
Steuerschuld, für die die Klägerin haftet, sowohl nach Art der Steuer,
Erhebungszeitraum als auch Steuerschuldnerin präzise angibt.
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Der Haftungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig. Nach § 191 Abs. 1 S. 1 1. Alt. AO
kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für
eine Steuer haftet. Dies ist bei der Klägerin der Fall. Sie verwirklicht den
Haftungstatbestand des § 69 AO (Vertreterhaftung). Nach S. 1 dieser Vorschrift haften
die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen u.a., soweit Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen
auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Diese
Voraussetzungen für eine Haftung sind gegeben.
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Die Klägerin gehört zu den in § 34 Abs. 1 S. 1 AO genannten Personen, denn dies sind
insbesondere die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen. Die Klägerin war ab dem
03.12.2001 als deren alleinige Geschäftsführerin gesetzliche Vertreterin der F. GmbH, §
35 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
(GmbHG), und ab dem 07.08.2002 fortlaufend Vertretungsorgan der GmbH i.L. als
Liquidatorin, § 70 S. 1 a.E. GmbHG.
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Die Klägerin hat die ihr auferlegten Pflichten auch verletzt. Nach § 34 Abs. 1 S. 1 AO
haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen deren steuerliche Pflichten zu
erfüllen. Gemäß § 149 Abs. 2 S. 1 AO i.V.m. § 14 a Gewerbesteuergesetz war die F.
GmbH bzw. die F. GmbH i.L. verpflichtet, die Gewerbesteuererklärung für das Jahr 2001
bis zum 31.05.2002 abzugeben und die Gewerbesteuererklärung für das Jahr 2002 bis
zum 31.05.2003. Zudem haben nach § 34 Abs. 1 S. 2 AO die gesetzlichen Vertreter
juristischer Personen insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln
entrichtet werden, die sie verwalten. Beiden Verpflichtungen, auf die der Beklagte
abstellt, ist die Klägerin nicht nachgekommen. Die Klägerin als gesetzliche Vertreterin
der GmbH (i.L.) hat weder Gewerbesteuererklärungen für die Jahre 2001 und 2002
abgegeben, noch die mit Steuerbescheiden vom 31.08.2004 festgesetzten
Gewerbesteuer- und Zinsbeträge für die Jahre 2001 und 2002 zum Fälligkeitszeitpunkt
04.10.2004 oder später aus den Mitteln der F. GmbH i.L. entrichtet.
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Die Klägerin hat die ihr auferlegten Pflichten auch zumindest grob fahrlässig verletzt.
Hinsichtlich der nicht erfolgten Entrichtung der festgesetzten Steuern handelte sie sogar
vorsätzlich. Sie hat die Bescheide selbst erhalten und wusste sicher, dass sie die
fälligen Steuern nicht entrichtete. Hinsichtlich der Nichtabgabe der
Gewerbesteuererklärungen 2001 und 2002 handelte sie zumindest grob fahrlässig. Sie
hat insoweit die gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, mit anderen
Worten das missachtet, was jedem Geschäftsführer/Liquidator ohne Weiteres
einleuchten muss. Es kann dahinstehen, ob sich eine beauftragte
Steuerberatungsgesellschaft gegenüber der F. GmbH (i.L.) pflichtwidrig verhalten hat.
Zwar trifft es zu, dass dem Geschäftsführer einer GmbH ein Verschulden des
steuerlichen Beraters bei Anfertigung von Steuererklärungen hinsichtlich seiner Haftung
nicht zugerechnet werden kann, da die Haftung für Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB
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insoweit nicht einschlägig ist, BFH, Beschluss vom 12.10.1999, Az.: VII B 54/99; Urteil
vom 30.06.1995, Az.: VII R 85/94; Urteil vom 30.08.1994, Az.: VII R 101/92. Doch bedarf
es vorliegend gar keiner Zurechnung des Verschuldens Dritter. Denn die Klägerin hat
sich auch selbst zumindest grob fahrlässig verhalten. Ein Geschäftsführer einer GmbH
muss sich nämlich so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter
normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen
kann und ihm ein Fehlverhalten des Beauftragten rechtzeitig erkennbar wird. Nur bei
ordnungsgemäßer Auswahl und Überwachung eines steuerlichen Beraters beruhen ggf.
fehlerhafte Angaben desselben bei Anfertigung von Steuererklärungen nicht auf einem
Verschulden des Geschäftsführers, BFH aaO; Rüsken in Klein, AO, 9. Aufl., § 69 Rn 128
m.w.N.
Hierzu gehört insbesondere die Überwachung der pünktlichen Erledigung der
steuerlichen Angelegenheiten einschließlich der Zahlung, im Umkehrschluss: BFH,
Urteil vom 27.11.1990, Az.: VII R 20/89, juris-Dokument Rn 26.
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Dem ist die Klägerin in keinster Weise gerecht geworden. Vielmehr verletzte sie die
objektiv gebotene Sorgfalt in besonderem Maße. Die Klägerin hätte jedenfalls
kontrollieren müssen, dass überhaupt Steuererklärungen abgegeben werden. Die
pauschale Erklärung eines Steuerberaters, man kümmere sich, genügt nach den
dargestellten Grundsätzen gerade nicht. Insofern kann dahinstehen, zu welchem
Zeitpunkt sie der behaupteten Probleme mit den steuerlichen Beratern gewahr wurde
und ohnehin die gesamten steuerlichen Belange hätte wieder in ihre Hände nehmen
oder neu vergeben müssen. Es ist unerheblich, ob die Klägerin derartigen
Anforderungen an die Überwachungstätigkeit eines Geschäftsführers bzw. Liquidators
von ihren subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten her gewachsen, ihr die Einhaltung
der entsprechenden Sorgfaltspflichten in der konkreten Situation subjektiv möglich war.
Der grundsätzlich individuelle Haftungsmaßstab ist beim Geschäftsführer einer GmbH
nämlich verobjektiviert. Die für die Geschäftsführung erforderlichen Fähigkeiten hat er
sich anzueignen. Andernfalls liegt ein Übernahmeverschulden hinsichtlich der Tätigkeit
als Geschäftsführer vor, Rüsken in Klein, AO, 9. Aufl., § 69 Rn 96.
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Es liegt auch ein Haftungsschaden i.S.v. § 69 S. 1 AO vor. Denn Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis der F. GmbH (i.L.) zum Beklagten sind nicht erfüllt. Der Umfang
von 5.683,65 Euro ergibt sich durch die bestandskräftigen Gewerbesteuer- und
Zinsbescheide vom 31.08.2004. Mit inhaltlichen Einwendungen gegen deren Richtigkeit
ist die Klägerin ausgeschlossen. Nach § 166 AO hat, wenn die Steuer dem
Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt ist, dies auch derjenige gegen
sich gelten zu lassen, der in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen
erlassenen Bescheid als dessen Vertreter anzufechten. Mangels Einlegung von
Rechtsbehelfen sind die Steuerfestsetzungen gegenüber der steuerpflichtigen GmbH
i.L. bestandskräftig. Die Klägerin als Liquidatorin wäre in der Lage - bei deren
inhaltlicher Unrichtigkeit gegenüber der Gesellschaft sogar verpflichtet - gewesen, diese
anzufechten. Der Steuerschaden beruht auch auf den Pflichtverletzungen der Klägerin.
Insoweit ist maßgeblich, ob der Vertreter in dem Zeitpunkt, in dem bei Pflichterfüllung
die Steuerschuld des Erstschuldners fällig geworden wäre, über Mittel zur - wenigstens
anteiligen - Tilgung der Steuerschuld verfügt hat. Davon ist vorliegend auszugehen. Der
maßgebliche Zeitpunkt richtet sich nach der jeweiligen Pflichtverletzung. Soweit die
Klägerin die Gewerbesteuererklärungen nicht abgegeben hat, ist maßgeblich, dass bei
fristgerechter Erklärungsabgabe die Fälligkeit für das Jahr 2001 spätestens mit dem
01.04.2003 und für das Jahr 2002 spätestens mit dem 01.04.2004 eingetreten wäre.
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Grundsätzlich ist die Steuererklärung 5 Monate nach dem Jahresende einzureichen (vgl.
§ 149 Abs. 2 S. 2 AO). Auch wenn bei Einschaltung eines Steuerberaters die
Steuerbehörden diese Frist regelmäßig auf 9 Monate ab Jahresende verlängern und
dort eine Bearbeitungsfrist von 6 Monaten (vgl. § 46 Finanzgerichtsordnung) für die
Festsetzung durch die Behörde hinzugerechnet wird, ist die Gewerbesteuer eines
Jahres bei ordnungsgemäßem Ablauf spätestens zum 01.04. des übernächsten Jahres
fällig (fiktive Fälligkeit). Bezüglich der im Haftungsschaden enthaltenen Zinsen kommt
es auf den jeweiligen Entstehungszeitpunkt im Zinslauf von fiktiver Fälligkeit bis
03.09.2004 an. Soweit hingegen auf die Nichtzahlung der festgesetzten Steuern
abgestellt wird, ist der tatsächliche Fälligkeitszeitpunkt bezüglich der mit Bescheiden
vom 31.08.2004 festgesetzten Beträge maßgeblich, der 04.10.2004. Für alle genannten
Zeitpunkte ist davon auszugehen, dass hinreichende Mittel zur Tilgung der
Steuerschuld verfügbar waren. Grundsätzlich hat die Behörde diesen Punkt aufzuklären
(vgl. § 88 AO), wobei den Haftungsschuldner Mitwirkungspflichten treffen (vgl. §§ 90, 93
AO). Das Beweismaß für die die Beweislast tragenden Finanzbehörden ist verringert,
wenn Mitwirkungspflichten unzureichend erfüllt werden. Auch zum Nachteil des
Mitwirkungsverpflichteten kann dann ein Sachverhalt zugrundegelegt werden, für den
eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, Brockmeyer in Klein, AO, 9. Aufl., § 90 Rn 10
m.w.N.
Die Behörde muss nach erfolgloser Bitte um Vorlage der maßgeblichen Unterlagen
nicht weiter ermitteln, solange kein konkreter Ermittlungsansatz sich mehr aufdrängt,
BFH, Urteil vom 26.09.1989, Az.: VII R 99/87.
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So verhält es sich hier. Die Klägerin hat, obwohl als Liquidatorin nach wie vor für die
finanziellen Geschicke der F. GmbH (i.L.) verantwortlich, weder auf die ausführliche
Anhörung hin irgendwelche Angaben zur Zahlungsfähigkeit der Steuerschuldnerin im
Haftungszeitraum getätigt, noch auf die diesbezüglichen Hinweise des Beklagten im
Bescheid sowie im Klageverfahren reagiert. Vorliegend kann darauf abgestellt werden,
dass die F. GmbH (i.L.) bislang nicht gelöscht ist. Es ist nicht ersichtlich, dass das
Stammkapital von 25.500,00 EUR vollständig verbraucht wäre. Derartiges hätte die
Klägerin, wenn es denn der Fall wäre, auch unabhängig von etwaigen bei einem
Steuerberater befindlichen Unterlagen betreffend die gewerbesteuerrelevanten
Vorgänge 2001/2002 detailliert ausführen können müssen. Denn ihre Pflichten als
Liquidatorin bestehen gerade darin, schwebende Geschäfte zu beenden, Forderungen
der Gesellschaft einzuziehen, deren Vermögen in Geld umzusetzen und zu verteilen
sowie die Löschung der Gesellschaft im Handelsregister herbeizuführen (§§ 70, 72, 74
GmbHG). Für hinreichende Zahlungsfähigkeit spricht auch, dass die Gesellschaft nicht
die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt hat.
37
Die vom Beklagten im angefochtenen Haftungsbescheid in Gestalt des
Widerspruchsbescheides getroffene Ermessensentscheidung lässt keine Rechtsfehler
i.S. des § 5 AO erkennen. Die vom Beklagten zur Grundlage seiner
Ermessensentscheidung gemachten schuldhaften Pflichtverletzungen liegen beide vor.
Bei Uneinbringlichkeit der Steuer durch den Erstschuldner ist die
Haftungsinanspruchnahme zudem die Regel, weil Steuerausfälle nach Möglichkeit
vermieden werden sollen, Gersch in Klein, AO, 9. Aufl., § 5 Rn 13 m.w.N.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin hatte der Beklagte auch überhaupt kein
Auswahlermessen auszuüben. Er hatte keine Auswahl zwischen mehreren potentiellen
Haftungsschuldnern zu treffen. Der Sohn der Klägerin kam nämlich als solcher nicht in
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Betracht, da er bereits am 03.12.2001 als Geschäftsführer der F. GmbH ausgeschieden
war. Zu diesem Zeitpunkt war die F. GmbH weder verpflichtet, eine
Gewerbesteuererklärung für das Jahr 2001 abzugeben - geschweige denn für das Jahr
2002 - (§ 149 Abs. 2 S. 1 AO), noch wäre dies überhaupt schon möglich gewesen. Eine
das gesamte Jahr 2001 umfassende Gewerbesteuererklärung konnte nicht vor
Jahresende 2001 erstellt werden. Umso weniger war der Sohn der Klägerin verpflichtet,
die erst zum 04.10.2004 fällig werdenden Steuerschulden der Gesellschaft zu
begleichen. Er war zu diesem Zeitpunkt schon knapp 3 Jahre nicht mehr deren
gesetzlicher Vertreter.
Die im angefochtenen Haftungsbescheid weiter ausgesprochene Zahlungsaufforderung
findet ihre Rechtsgrundlage in § 219 S. 1 AO und erfüllt die Voraussetzungen dieser
Vorschrift. Wie dargestellt existiert ein rechtmäßiger Haftungsbescheid. Der Beklagte hat
mit der teilweisen Aufhebung des Haftungsbescheides konkludent auch die
Zahlungsaufforderung betragsmäßig beschränkt. Unabhängig davon, dass nach der
Ausnahmevorschrift des § 219 S. 2 AO bei Haftungsfällen nach § 69 AO - die Klägerin
war gesetzlich verpflichtet, die Steuern der F. GmbH (i.L.) rechtzeitig und
ordnungsgemäß abzuführen - die in § 219 S. 1 AO normierte Subsidiarität aufgehoben
ist, ist der Beklagte zunächst gegen den Erstschuldner vorgegangen. Die Beitreibung
bei der F. GmbH i.L. war jedoch erfolglos. In einem solchen Fall muss die durch § 219
AO eröffnete Ermessensentscheidung, ob zur Zahlung aufgefordert wird, nicht gesondert
begründet werden. Bei der anderweitigen Uneinbringlichkeit einer Steuerforderung ist
das Zahlungsaufforderungsermessen zur Vermeidung von Steuerausfällen intendiert,
VG Oldenburg, Beschluss vom 21.05.2007, Az.: 2 B 4958/06, juris-Dokument Rn 40;
Rüsken in Klein, AO, 9. Aufl., § 219 Rn 3.
40
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
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