Urteil des VG Köln vom 26.02.2010

VG Köln (kläger, blutalkoholkonzentration, anordnung, wiedererteilung, trunkenheit, verkehr, ordnungswidrigkeit, betrug, gutachten, verwaltungsgericht)

Verwaltungsgericht Köln, 11 K 5100/09
Datum:
26.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 5100/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d Der Kläger war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse 1 und 3. Am
04.09.1998 führte der Kläger in Tübingen unter dem Einfluss von Alkohol ein
Kraftfahrzeug im Straßenverkehr. Das Amtsgerichts Tübingen verurteilte den Kläger am
11.11.1998 - rechtskräftig seit 04.02.1999 - wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr
zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 25 DM; dem Kläger wurde zugleich die
Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Wiedererteilung von 6 Monaten
angeordnet, (33 Js 17291/98, StA Tübingen). Die beim Kläger am Tattag entnommene
Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,28 Promille. Nach den
Feststellungen der Polizei stand der Kläger seinerzeit äußerlich leicht unter
Alkoholeinfluss.
1
Unter dem 16.03.1999 wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis wieder erteilt.
2
Am 05.02.2002 führte der Kläger in Köln ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss im
Straßenverkehr. Wegen dieses Verstoßes verurteilte das Amtsgericht Köln den Kläger
am 02.08.2002 - rechtskräftig seit 04.01.2003 - zu einer Geldbuße in Höhe von 250 Euro
und verhängte ein Fahrverbot von drei Monaten (814 Owi 515 Js 382/02 (2436/02). Am
13.03.2007 führte der Kläger in Tübingen ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr unter
Alkoholeinfluss; die Atemalkoholkonzentration betrug 0,41 mg/l (= 0,82 Promille BAK).
Das Amtsgerichts Tübingen verurteilte den Kläger am 22.10.2007 zu einer Geldbuße
von 600 Euro und ordnete ein Fahrverbot von drei Monaten an (5 Owi 15 Js
17298/2007).
3
Unter dem 20.06.2008 wurde mit psychiatrischem Gutachten von Dr. med. L. vom
20.06.2008 - anlässlich des Strafverfahrens 84 Js 57/07 - ausgeführt, dass beim Kläger
ein langjähriger Alkoholkonsum bereits zu einer psychischen Labilisierung geführt habe.
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Am 03.07.2008 führte der Kläger in Köln ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss und
überfuhr eine rote Ampel; die Blutalkoholkonzentration des Klägers betrug 1,60
Promille. Das Amtsgericht Köln verurteilte den Kläger am 16.02.2009 - rechtskräftig seit
24.02.2009 - wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 50
Tagessätzen zu je 10 Euro, entzog den Kläger die Fahrerlaubnis und verhängte eine
Sperre für die Wiedererteilung von drei Monaten (84 Js 224/08 StA Köln).
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Unter dem 18.05.2009 beantragte der Kläger die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.
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Mit Schreiben vom 15.06.2009 ordnete der Beklagte - wegen wiederholter
Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss - die Beibringung eines
medizinisch-psychologischen Gutachtens an, setzte dem Kläger hierfür eine Frist von
sechs Wochen ab Zustellung der Anordnung und wies ihn auf die Folgen der nicht
fristgerechten Beibringung hin.
7
Der Kläger lehnte die Beibringung des Gutachtens ab.
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Darauf hin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.07.2009 die Wiedererteilung einer
Fahrerlaubnis wegen nicht erfolgter Beibringung des unter dem 15.06.2009 geforderten
Gutachtens ab.
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Der Kläger hat am 10.08.2009 Klage erhoben. Zur Klagebegründung führt er aus, dass
hinsichtlich der Trunkenheitsfahrt am 03.07.2008 die Abbauphase nicht berücksichtigt
worden sei; der Promillewert sei bei diesem Vorfall tatsächlich niedriger gewesen. Die
Fahrt unter Alkoholeinfluss vom 05.02.2002 liege schon 7 Jahre zurück. Bei der Fahrt
vom 05.02.2002 und der vom 13.03.2007 habe die Blutalkoholkonzentration zudem
deutlich unter 1,1 Promille gelegen. Das Gutachten vom 20.06.2008 sei nicht im
Zusammenhang mit einem Verkehrsdelikt erstellt worden.
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Der Kläger beantragt, die Verfügung des Beklagte vom 22.07.2009 aufzuheben und den
Beklagten zu verpflichten, ihm die Fahrerlaubnis wieder zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt der Beklagte vertiefend aus, die Voraussetzungen für die
Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 S. 1 Nr. 2 b) FeV
lägen vor. Die mehrfachen Alkoholfahrten ließen vermuten, dass der Kläger auch künftig
nicht zwischen Fahren und Alkohol trennen könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Vorgänge Bezug genommen.
14
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15
Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 22.07.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuerteilung der
beantragten Fahrerlaubnis, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Gemäß § 20 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV), § 2 Abs. 2 Nr. 3
Straßenverkehrsgesetz (StVG) darf eine Fahrerlaubnis nach vorangegangener
Entziehung nur dann wieder erteilt werden, wenn der Bewerber zum Führen von
Kraftfahrzeugen geeignet ist. Nach Maßgabe der §§ 11, 13 und 14 FeV sind mögliche
Eignungsmängel mit Hilfe der notwendigen Begutachtungen aufzuklären. Eine solche
Anordnung ist hier unter dem 15.06.2009 ergangen.
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Der Beklagte durfte im vorliegenden Fall auch auf die Nichteignung des Klägers
schließen, da dieser das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat und die
Anforderung des Gutachtens vom 15.06.2009 rechtmäßig war.
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Die Anordnung genügt den formellen Anforderungen, § 11 Abs. 6 S. 2 FeV. Der
Beklagte teilte dem Kläger mit, dass wegen wiederholten Führens eines Kraftfahrzeuges
im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss erhebliche Bedenken an seiner
Kraftfahreignung bestünden. Die Anordnung enthält auch die erforderliche Fristsetzung,
einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht des Betroffenen und die Angabe, dass das
Gutachten von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Kraftfahreignung zu
erstellen ist. Zudem ist der Kläger auf die Folgen einer Weigerung, sich untersuchen zu
lassen bzw. einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen worden, §
11 Abs. 8 S. 2 FeV.
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Die materiellen Voraussetzungen für die Gutachtenanordnung lagen ebenfalls vor.
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Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 b) FeV die Beibringung eines
medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im
Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Vorausgesetzt werden
mindestens zwei Zuwiderhandlungen. Zuwiderhandlungen im Sinne von Nr. 2 b) sind
nicht nur Straftaten, sondern auch Ordnungswidrigkeiten, so dass die
Gutachtenanforderung schon nach wiederholter Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a StVG
zwingend vorgeschrieben ist, auch wenn jeweils nur eine Blutalkoholkonzentration von
nur 0,5 Promille (oder 0,25 mg/l AAK) festgestellt worden ist. Eine Prüfung, ob trotz
Vorliegens der Voraussetzungen besondere Umstände für eine dennoch gegebene
Eignung sprechen, unterbleibt.
22
Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage 2009, § 13 FeV Rn. 4, 22.
23
Die Voraussetzungen des § 13 S. 1 Nr. 2 b) FeV liegen vor.
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Der Antragsteller hat am 04.09.1998 in Tübingen unter dem Einfluss von Alkohol ein
Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt, die Blutalkoholkonzentration betrug seinerzeit
1,28 Promille. Weiter führte der Kläger am 05.02.2002 in Köln ein Fahrzeug unter
Alkoholeinfluss im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens
0,5 Promille (oder 0,25 mg/l AAK) und am 13.03.2007 in Tübingen mit einer
Atemalkoholkonzentration von 0,41 mg/l (= 0,82 Promille BAK). Und auch am
03.07.2008 führte der Kläger ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss, wobei seine
Blutalkoholkonzentration 1,60 Promille betrug. All diese vier Verkehrsverstöße können
und müssen hier auch weiterhin Berücksichtigung finden. Wie lange einem Betroffenen
ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten entgegengehalten werden darf richtet
sich allein nach den Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen.
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Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage 2009, § 13 FeV Rn. 22.
26
Allein die Alkoholfahrten vom 13.03.2007 und vom 03.07.2008 reichen aus um die
Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 S. 1 Nr. 2 b)
FeV zu begründen. Dazu ist anzumerken, dass die strafgerichtlichen Entscheidungen
die genannten Alkoholkonzentrationen ausdrücklich festgestellt haben. Einwendungen
gegen rechtskräftige Urteilsfeststellungen sind aber im verwaltungsbehördlichen
Entziehungsverfahren bzw. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr zu prüfen.
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Nach § 3 Abs. 4 StVG muss der Fahrerlaubnisinhaber durch rechtskräftige
strafgerichtliche Urteile festgestellte Sachverhalte gegen sich gelten lassen; dies gilt
auch für Bußgeldentscheidungen, soweit sie sich auf die Feststellung des Sachverhalts
und die Beurteilung der Schuldfrage beziehen. Aus diesem Grund kann der Kläger im
vorliegenden Verfahren mit seinem Vorbringen hinsichtlich der zugrundegelegten
Promillewerte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr durchdringen. Etwaige
Einwände gegen die Berechnung hätten im jeweiligen Straf- bzw.
Ordnungswidrigkeitenverfahren geltend gemacht werden müssen.
Muss danach hinsichtlich der Tat vom 03.07.2008 aufgrund des dahingehenden
rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichts Köln vom 16.02.2009 hier eine Fahrt unter
Alkoholeinfluss mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,60 Promille angenommen
werden, so ist festzustellen, dass diese für sich genommen nach § 13 S. 1 Nr. 2 c) FeV
ausreicht die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu
rechtfertigen. Darüber hinaus hat aufgrund der mit Strafurteil vom 16.02.2009 zugleich
vorgenommenen Entziehung der Fahrerlaubnis die Anordnung der medizinisch-
psychologischen Untersuchung hier nicht zuletzt auch nach § 13 S. 1 Nr. 2 d) FeV zu
erfolgen.
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Der Kläger muss sich im Weiteren hier aber auch die Alkoholfahrten vom 04.09.1998
und vom 05.02.2002 weiterhin entgegenhalten lassen.
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Bei der Alkoholfahrt vom 05.02.2002 handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit. Zwar
werden nach § 29 Abs. 6 S. 4 StVG Ordnungswidrigkeiten spätestens nach Ablauf von
fünf Jahren - ab dem Tag der Rechtskraft - getilgt, auch wenn zwischenzeitlich weitere
Eintragungen hinzu gekommen sind (absolute Tilgungsfrist). Ausgenommen von diesem
Grundsatz sind jedoch gerade Eintragungen - wie die vorliegende - wegen einer
Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG, d.h. Fahrten unter Alkoholeinfluss, die noch als
Ordnungswidrigkeit zu werten sind. Grund dafür ist das erhebliche Gewicht derartiger
Verkehrsverstöße und der mögliche besondere Indizcharakter für die Fahreignung. Für
sie gilt also die allgemeine Regelung des § 29 Abs. 6 S. 1 StVG. Danach ist bei
Eintragung mehrerer Entscheidungen im Register die Tilgung einer Eintragung erst
zulässig, wenn für alle Eintragungen die Tilgungsvoraussetzungen vorliegen.
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Weiterhin verwertbar ist auch die Verurteilung vom 11.11.1998 wegen fahrlässiger
Trunkenheit im Verkehr aufgrund der Alkoholfahrt vom 04.09.1998. Dies ergibt sich aus
der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG und den in diesem
Zusammenhang anzuwendenden Bestimmungen des § 29 Abs. 5 und 6 StVG.
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Die Verwertbarkeit von Entscheidungen, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes
zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998
(BGBl. I S. 747) am 01.01.1999 in das Verkehrszentralregister eingetragen waren,
bestimmt sich nach der Übergangsregelung des § 65 Abs. 9 StVG. Der in § 65 Abs. 9 S.
1 Halbs. 2 StVG enthaltenen Verweis auf die Geltung der Verwertungsvorschriften nach
altem Recht (§ 13a StVZO, § 52 Abs. 2 BZRG) ist beschränkt auf die Verwertbarkeit bis
längstens zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist "entspricht". Was einer
zehnjährigen Tilgungsfrist in diesem Sinne "entspricht", ergibt sich aber aus § 29 StVG
n.F. einschließlich der Regelung über den Beginn der Tilgungsfrist in § 29 Abs. 5 Satz 1
StVG,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.2005 - 3 C 21/04 -, juris.
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Bei der Berechnung des Zehnjahreszeitraumes nach § 65 Abs. 9 S. 1 Halbs. 2 StVG
sind danach sowohl § 29 Abs. 5 StVG (Anlaufhemmung) als auch § 29 Abs. 6 StVG
(Ablaufhemmung) zu berücksichtigen.
34
Vgl. dazu VGH Baden Württemberg, Urteil vom 20.03.2009 - 10 S 95/08 - m.w.N., juris.
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Nach § 29 Abs. 5 StVG begann die zehnjährige Tilgungsfrist hier mit der
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, d.h. am 16.03.1999 und endete am 16.03.2009. Geht
man jedoch davon aus, dass auch § 29 Abs. 6 StVG anwendbar ist, so ist nach S. 1
(Ablaufhemmung) die Tilgung der Entscheidung vom 11.11.1998 gehemmt durch die
vorherige Eintragung des Urteils vom 16.02.2009 über die fahrlässige Trunkenheit im
Verkehr vom 03.07.2008.
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Da der Kläger sich geweigert hat, sich der Begutachtung zu unterziehen und
anerkennenswerte Gründe hierfür auch nicht ersichtlich sind, hat der Beklagte zu Recht
auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen (§ 11
Abs. 8 FeV) und die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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