Urteil des VG Köln vom 26.02.2009

VG Köln: aufschiebende wirkung, genehmigung, schüler, bedingung, zusammensetzung, eltern, leistungsfähigkeit, bedürfnis, zahl, oberstufe

Verwaltungsgericht Köln, 10 L 142/09
Datum:
26.02.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 L 142/09
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass die Klage - 10 K 619/09 - der Antragstellerin
gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.01.2009 in der
Fassung des Bescheids vom 14.01.2009 enthaltene Bedingung, dass im
Anmeldeverfahren für das Schuljahr 2009/2010 an der Gesamtschule
mindestens ein Drittel Kinder angemeldet und aufgenommen werden,
die nach der Grundschulempfehlung für die Schulform Gymnasium
geeignet oder mit Einschränkung geeignet sind, aufschiebende Wirkung
hat.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe Der Antrag
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festzustellen, dass die Klage der Antragstellerin gegen die im Bescheid der
Antragsgegnerin vom 13.01.2009 in der Fassung des Bescheids vom 14.01.2009
enthaltene Bedingung, dass im Anmeldeverfahren für das Schuljahr 2009/2010 an der
Gesamtschule mindestens ein Drittel Kinder angemeldet und aufgenommen werden, die
nach der Grundschulempfehlung für die Schulform Gymnasium geeignet oder mit
Einschränkung geeignet sind, aufschiebende Wirkung hat,
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hat Erfolg.
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Die Antragstellerin hat ein Rechtsschutzinteresse an der begehrten Feststellung. Ohne
die Feststellung ist sie durch die Antragsgegnerin daran gehindert, die erteilte
Genehmigung einstweilen auszunutzen und die Errichtung der Gesamtschule
voranzutreiben. Gegen ein Rechtsschutzbedürfnis spricht ersichtlich nicht der Einwand
der Antragsgegnerin, an bestehenden Gesamtschulen in Trägerschaft der
Antragstellerin besäßen mehr als ein Drittel der zum kommenden Schuljahr
aufgenommenen Schüler eine Gymnasialempfehlung. Das Interesse an einer
gerichtlichen Entscheidung darüber, ob ein Schulträger gegenüber der
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Genehmigungsbehörde verpflichtet ist, eine von ihm für rechtswidrig gehaltene,
belastende Nebenbestimmung zu einer Genehmigung zu befolgen, um die Errichtung
der Gesamtschule realisieren zu können, wird nicht durch Aufnahmeentscheidungen in
Frage gestellt, die Schulleiter bestehender Gesamtschulen getroffen haben.
Unabhängig davon hatte die Antragstellerin aus den von ihr vorgetragenen Gründen
keine rechtliche Handhabe, einen etwaigen Überhang von Kindern mit
Gymnasialempfehlung an anderen Schulen auf die zu errichtende Gesamtschule zu
„verlagern", um den von der Antragsgegnerin aufgestellten Anforderungen an eine
Errichtung zu genügen.
Die Klage 10 K 619/09, mit der die Antragstellerin die genannte Nebenbestimmung
angefochten hat, entfaltet gem. § 80 Abs.1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Dem
Eintritt der aufschiebenden Wirkung steht nicht entgegen, dass sich die Antragstellerin
mit der Klage gegen eine belastende Nebenbestimmung der sie begünstigenden
Genehmigung wendet. Nach gefestigter Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, ist gegen belastende
Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts unabhängig von der Art der
Nebenbestimmung die Anfechtungsklage gegeben
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- vgl. BVerwG, Urteil vom 22.11.2000 - 11 C 2.00 -, BVerwGE 112, 221; Urteil vom
21.06.2007 - 3 C 39.06 -; NVwZ-RR 2007, 776.
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Ob die Klage zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt davon
ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung bestehen
bleiben kann; dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des
Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Anfechtbarkeit offenkundig von
vornherein ausscheidet
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- vgl. BVerwG a.a.O.
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Ein solcher Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor. Die isolierte Aufhebung der
Bedingung führt nicht offenkundig dazu, dass die Genehmigung des
Errichtungsbeschlusses rechtswidrig wird und deshalb nicht bestehen bleiben kann.
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Im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der
angefochtenen Bedingung noch anordnen kann, um den Suspensiveffekt der Klage zu
beseitigen, sieht die Kammer Veranlassung zu dem Hinweis, dass die angefochtene
Bedingung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich aufzuheben sein wird.
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Die Antragsgegnerin war gegenüber der Antragstellerin nicht befugt, die Errichtung der
Gesamtschule an die Bedingung zu knüpfen, dass mindestens ein Drittel der
angemeldeten und aufgenommenen Kinder eine Gymnasialempfehlung besitzt. Diese
Nebenbestimmung ist rechtswidrig, weil die Antragstellerin nach summarischer Prüfung
einen Anspruch auf Genehmigung des Errichtungsbeschlusses hatte und die
Nebenbestimmung weder durch eine spezielle Rechtsvorschrift gedeckt noch als
Maßnahme zur Sicherstellung, dass die gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen
eingehalten werden, gerechtfertigt ist, vgl. § 36 Abs.1 Verwaltungsverfahrensgesetz für
das Land Nordrhein-Westfalen. Die Genehmigung war gem. § 81 Abs.3 Schulgesetz für
das Land Nordrhein-Westfalen - SchulG - zu erteilen. Diese Bestimmung vermittelt dem
Schulträger einen Anspruch auf Genehmigung eines Errichtungsbeschlusses, wenn
keiner der in § 81 Abs.3 Sätze 3 und 4 SchulG abschließend genannten
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Versagungsgründe eingreift
- vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache
13/5394 S.111 (Begründung zu § 81), anders noch die Vorgängerbestimmung in § 8
Schulverwaltungsgesetz, vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 07.06.1991 - 19 A 733/90 -
juris.
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Danach darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn der Beschluss den
Vorschriften des § 81 Abs.1 und der §§ 78 bis 80, 82 und 83 SchulG widerspricht oder
wenn dem Schulträger die erforderliche Verwaltungs- oder Finanzkraft fehlt. Abgesehen
von der hier streitigen Frage, ob ein Mindestanteil von Kindern mit
Gymnasialempfehlung angemeldet und aufgenommen werden muss, ist die
Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass kein Versagungsgrund vorliegt. Dagegen
sind keine Einwände zu erheben. Dass weniger als ein Drittel der angemeldeten und
zur Aufnahme vorgesehenen Kinder eine Gymnasialempfehlung besitzt, rechtfertigt die
Versagung der Genehmigung nach den genannten Vorschriften ebenfalls nicht. Diese
Bestimmungen regeln, wie das Spannungsverhältnis zwischen dem durch Art.6 Abs.2
S.1 GG und Art.8 Abs.1 S.2. der Landesverfassung gewährleisteten Recht der Eltern,
zwischen den verschiedenen Schulformen wählen zu können, einerseits und den
schulhoheitlichen Erfordernissen, insbesondere denen eines geordneten Schulbetriebs,
andererseits zu lösen ist. § 78 Abs.4 Satz 2 SchulG verpflichtet die Gemeinden, u.a.
Gesamtschulen zu errichten, wenn ein Bedürfnis besteht; bei der Ermittlung des
Bedürfnisses ist der Elternwille zu berücksichtigen, § 78 Abs.5 SchulG. In diesen
Vorschriften konkretisiert sich das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Eltern,
dass der Schulträger Schulen der gewünschten Form in zumutbarer Entfernung zur
Verfügung stellt. Die Frage, ob ein - ausreichendes - Bedürfnis besteht, das unter
Berücksichtigung der schulhoheitlichen Belange die Errichtung einer Gesamtschule
erfordert, beurteilt sich nach § 82 Abs.1 und 7 SchulG: Gesamtschulen müssen
mindestens vierzügig geführt werden, wobei 28 Schüler als eine Klasse gelten. Ein
Bedürfnis setzt dementsprechend 112 Anmeldungen voraus. §§ 78 ff. SchulG stellen
danach eindeutige Regelungen über die Mindestgröße von Gesamtschulen auf, treffen
aber keine Bestimmungen, dass die zu errichtende Gesamtschule eine besondere
Zusammensetzung der Schülerschaft in leistungsmäßiger Hinsicht oder gar einen
Mindestanteil an Schülern aufweisen muss, der eine bestimmte Schulformempfehlung
erhalten hat. Will der Staat den verfassungsrechtlich geschützten Rechten der Eltern
aus schulhoheitlichen Gründen weitere Grenzen setzen, indem er bereits die
Genehmigung zur Schulerrichtung von einem Mindestanteil an angemeldeten Schülern
mit Gymnasialempfehlung abhängig macht, ist eine entsprechende gesetzliche
Regelung angezeigt.
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Allerdings müssen 112 Schüler nicht nur angemeldet sein, sondern vom Schulleiter
auch in rechtmäßiger Weise nach § 46 Abs.1 SchulG aufgenommen werden können,
damit tatsächlich die gesetzliche Mindestgröße gewährleistet ist. Bei der Aufnahme
muss der Schulleiter einer Gesamtschule dafür sorgen, dass die Schüler in ihrer
Leistungsfähigkeit die gesamte Leistungsbreite in einem ausgewogenen Verhältnis
vertreten, denn die Gesamtschule hat den schulformspezifischen Auftrag, in einem
differenzierten Unterrichtssystem Bildungsgänge zu ermöglichen, die ohne Zuordnung
zu unterschiedlichen Schulformen zu allen Abschlüssen der Sekundarstufe I führen, und
zusätzlich die gymnasiale Oberstufe vorzuhalten (§ 17 Abs.1 und 2 SchulG). Die
Beachtung der Leistungsheterogenität bei der Schulaufnahme dient damit dem Ziel,
dass eine im Allgemeinen für die Führung der gymnasialen Oberstufe ausreichende
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Zahl (§ 82 Abs.8 SchulG) von leistungsstärkeren Schülern aufgenommen wird, bei
denen zu erwarten ist, dass sie die höheren Abschlüsse der Sekundarstufe I erreichen
werden; sie ermöglicht zum anderen, dass auch eine angemessene Zahl
leistungsschwächerer Schüler berücksichtigt wird, für die zumindest die sonstigen
Abschlüsse der Gesamtschule erreichbar sind
- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.12.2000 - 19 B 1306/00 -; Beschluss vom
19.08.2004 - 19 B 1579/04; Beschluss vom 10.08.2007 - 19 B 1085/07 - sowie die
zwischenzeitlich eingeführte Bestimmung in § 1 Abs.2 Nr.4 der Verordnung über die
Ausbildung und die Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe I.
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Geht man vor diesem Hintergrund davon aus, dass der Gesichtspunkt der
Leistungsheterogenität bereits auf der Ebene der Errichtung einer Gesamtschule in den
Blick zu nehmen ist, ändert dies jedoch nichts an der Tatsache, dass nach geltendem
Recht die Entscheidung über die Zusammensetzung der Schülerschaft auch in
leistungsmäßiger Hinsicht nach § 46 Abs.1 SchulG in die Zuständigkeit des Schulleiters
fällt. Diese Kompetenzregelung missachtet die Schulaufsichtsbehörde, wenn sie, wie
die Antragsgegnerin, die Errichtung der Schule an die Beachtung selbst gesetzter
Maßstäbe für die Zusammensetzung der Schülerschaft knüpft. Wie ein ausgewogenes
Verhältnis hinsichtlich der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Schüler zu bilden
ist, ist weder gesetzlich noch durch Rechtsverordnung festgelegt, weshalb dem
Schulleiter nach der genannten Rechtsprechung des OVG NRW, der die Kammer folgt,
ein Spielraum bei der Zuordnung in zwei oder mehrere Leistungsgruppen offensteht, bei
der er seine pädagogische Erfahrung einsetzen kann. An dieser Rechtslage hat sich
nichts dadurch geändert, dass das SchulG inzwischen den Besuch der neben der
Gesamtschule bestehenden Schulformen an verbindliche Schulformempfehlungen
knüpft. Will der Gesetz- oder Verordnungsgeber ein landeseinheitliches System
schaffen und den Spielraum des Schulleiters bei der Aufnahme etwa dahingehend
einschränken, dass mindestens ein Drittel der aufzunehmenden Schüler eine
Gymnasialempfehlung besitzen soll, muss er eine entsprechende verbindliche
Regelung schaffen. Nach der heute bestehenden Rechtslage muss die
Genehmigungsbehörde die Auswahlentscheidung des Schulleiters im Rahmen des
Errichtungsverfahrens respektieren, es sei denn, diese lässt eine Berücksichtigung
unterschiedlicher Leistungsfähigkeit der angemeldeten Schüler nicht erkennen oder
erscheint ansonsten unvertretbar. Es liegt auf der Hand, dass ein Schulleiter die künftige
schulische Entwicklung jedes einzelnen angemeldeten Schülers nicht annähernd
verlässlich prognostizieren kann. Derartige Prognosen sind regelmäßig mit
Unsicherheiten verbunden und jedenfalls dann unter Ermessensgesichtspunkten nicht
zu beanstanden, wenn der Schulleiter bei diesen Prognosen von seinem - gerichtlich
nur eingeschränkt überprüfbaren - Erfahrungswerten ausgeht
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- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 04.10.2002 - 19 B 1829/02 -.
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Daran gemessen begegnet die Auswahlentscheidung des kommissarischen Leiters der
zu errichtenden Gesamtschule bei summarischer Prüfung keinen Bedenken. Er hat das
Prinzip der Leistungsheterogenität in nachvollziehbarer Weise in Rechnung gestellt. Die
Kammer sieht keinen Anlass, die auf der Basis seiner pädagogischen Erfahrung als
Gesamtschulleiter getroffene Differenzierung in Zweifel zu ziehen. Anhaltspunkte dafür,
dass er willkürliche oder sonst zu beanstandende Erfahrungswerte zugrundegelegt hat,
sind nicht erkennbar.
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Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass offenbar auch die Antragsgegnerin
davon ausgeht, dass in der Stadt Bonn ein für vier Gesamtschulen ausreichendes
Potential leistungsstarker Schüler, die am Besuch einer Gesamtschule interessiert sind,
vorhanden ist und künftig ein geordneter Schulbetrieb der zu errichtenden Schule durch
eine bessere Abstimmung zwischen den Gesamtschulen gesichert werden kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt
aus §§ 53 Abs.3 Nr.2, 52 Abs.1 GKG.
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