Urteil des VG Köln vom 19.05.2004

VG Köln: aufschiebende wirkung, überwiegendes interesse, öffentliches interesse, privates interesse, vollziehung, verfügung, hauptsache, interessenabwägung, aufschub, rufnummer

Verwaltungsgericht Köln, 11 L 801/04
Datum:
19.05.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 L 801/04
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die
Antragstellerin. Der Streitwert wird auf 100.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14. Januar 2004 und einer
nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.
Januar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2004
anzuordnen,
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hat keinen Erfolg. Der nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
zulässige Antrag ist nicht begründet.
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Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Verwaltungsgericht die gemäß § 80 Abs. 2 TKG
entfallende aufschiebende Wirkung einer Klage gegen den von der Antragstellerin
angefochtenen Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides anordnen, wenn
das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der Vollziehung das öffent-
liche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung des Bescheids
überwiegt. Dies ist der Fall, wenn sich der Bescheid bei der im Rahmen des Verfahrens
nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechts-
widrig erweist. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, da die Erfolgsaussichten
in der Hauptsache derzeit offen sind und ein überwiegendes privates Interesse der
Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung nicht be- steht.
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Rechtsgrundlage für die Verfügung ist § 43c Abs. 1 Satz 1 des
Telekommunikationsgesetzes (TKG) vom 25. Juli 1996 (BGBl. I S. 1120), zuletzt
geändert durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von 0190er-/0900er-
Mehrwertdiensterufnummern vom 9. August 2003, BGBl. I, S. 1590. Nach dieser Norm
kann die Antragsgegnerin im Rahmen der Nummernverwaltung Anordnungen treffen,
um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und der von ihr erteilten Bedingungen über
die Zuteilung von Nummern sicherzustellen. Bedenken gegen die Anwendbarkeit des
TKG ergeben sich nicht daraus, dass die Antragstellerin ihren Sitz in den Niederlanden
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hat und von dort aus Anrufe tätigt. Denn Anknüpfungspunkt für die Verfügung sind zu
Recht nicht diese Kriterien, sondern die Tatsache, dass diese Anrufe in Deutschland
auflaufen, bei den Angerufenen (nach Leiten des Rufes über eine besondere technische
Plattform) die Absenderkennung einer deutschen Mehrwertdienstrufnummer erscheint
und die Angerufenen (in Deutschland) zum Rückruf dieser (deutschen) Nummer
veranlasst werden sollen. Die rechtliche Beurteilung dieses Sachverhaltes fällt in den
Regelungsbereich des TKG.
Die Verfügung ist formell nicht zu beanstanden; insbesondere konnte die
Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid eine Änderung des Tenors der
Ausgangsverfügung vornehmen.
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Ob auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 43c Abs. 1 Satz 1 TKG
gegeben sind, hängt von der Beantwortung schwieriger, bislang von der
Verwaltungsrechtsprechung noch nicht entschiedener Rechtsfragen ab, deren Klärung
einem Haupt- sacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Dies gilt um so mehr, als der
Widerspruchsbescheid bereits ergangen ist und eine Hauptsachenentscheidung daher
zeitnah herbeigeführt werden kann. Dieser Klärung muss auch vorbehalten bleiben,
welche Verhaltensweise mit dem geänderten Unterlassungstenor im
Widerspruchsbescheid konkret untersagt werden soll, ob darunter also insbesondere
jeder Anruf unter der Absenderkennung einer 0190er- oder 0900er-
Mehrwertdiensterufnummer fallen soll (auch wenn die Verbindung aufrechterhalten wird,
bis der Angerufene den Anruf entgegennimmt) oder ob dies nur die Fälle von
unmittelbar nach dem Zustandekommen einer Verbindung unterbrochenen Anrufen
erfasst. Offensichtlich rechtswidrig ist die Verfügung in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides im Hinblick auf diese Frage jedoch nicht, da die Antrags-
gegnerin jedenfalls letztere Fallgruppe untersagen wollte und zumindest diese in dem
Tenor des Widerspruchsbescheides auch enthalten ist. Auch im übrigen ist die
Verfügung im Hinblick auf die angesprochenen bislang nicht geklärten schwierigen
Rechtsfragen weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig.
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Da die Erfolgsaussichten somit zum derzeitigen Verfahrensstand als offen zu beurteilen
sind, überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin nicht das in § 80
Abs. 2 TKG zum Ausdruck kommende (besondere) öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung der Unterlassungsverfügung.
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Darüber hinaus geht die Interessenabwägung auch unabhängig von der Entscheidung
in der Hauptsache zu Lasten der Antragstellerin aus.
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Das Interesse der Antragstellerin an der Fortführung ihrer bisherigen Praxis und ihr
daraus resultierendes Interesse am vorläufigen Aufschub der Vollziehung hat
gegenüber dem Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung des
Bescheids bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren
zurückzutreten. Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der weiteren
Tätigung von Anrufen der untersagten Art ist dabei bereits deswegen weniger
schutzwürdig, weil als Gegenstand dieser Anrufe beim Angerufenen nicht die eigentlich
zu erwartende niederländische Rufnummer mit internationaler niederlän- discher
Landeskennung erscheint, sondern eine deutsche 0190er- Mehrwertdiensterufnummer.
Dies wird erst möglich, indem der Anruf über eine besondere technische Plattform
geleitet wird. Da nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin ein Anruf
von einer 0190er-Mehrwertdiensterufnummer technisch grundsätzlich nicht möglich ist
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(sondern dies erst durch die genannte besondere Plattform verwirklicht wird), besteht
kein überwiegendes Interesse der Antragstellerin daran, dass solche grundsätzlich
technisch nicht vorgesehenen Ver- bindungen vor einer abschließenden Klärung ihrer
rechtlichen Zulässigkeit ermöglicht werden. Zugleich besteht ein besonderes
öffentliches Interesse daran, den Teilnehmer bis zur genannten abschließenden
Klärung vor solchen Anrufen zu schüt- zen. Dies gilt um so mehr, als nach den
vorliegenden Kundenbeschwerden derartige Anrufe auch zur Nachtzeit und dort
teilweise mit 70-80 Wiederholungen erfolgt sind, so dass die Ange- rufenen sich
gezwungen sahen, ihr Telefon vorübergehend außer Betrieb zu nehmen.
Es versteht sich danach von selbst, dass das Interesse der Antragstellerin an der
Fortführung dieses fragwürdigen Geschäftsmodells bei der Interessenabwägung im
Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht schutzwürdig ist. Es überwiegt
daher auch bei einer nicht an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientierten
Interessenabwägung das Interesse der Allgemeinheit an einem effektiven Schutz der
Verbraucher vor der geschilderten geschäftlichen Betätigung der Antragstellerin.
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Die zeitliche Verzögerung bis zum
Abschluss des Hauptsacheverfahrens muss von der Antragstellerin hingenommen
werden. Unzumutbare Nachteile für die Antragstellerin sind nicht ersichtlich; sie hat
vielmehr selbst vorgetragen, dass Geschäftsmodelle gerade in der
Telekommunikationsbranche schnelllebig sind und seit Ende Januar 2004 bereits ein
Alternativmodell in Betrieb genommen ist (vgl. Bl. 39 und 40 des Verwal-
tungsvorgangs).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Bei der Streitwertfestset-
zung geht das Gericht gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG vom wirtschaftlichen
Interesse der Antragstellerin (vorgetragene finanzielle Einbußen in Höhe von mehreren
100.000,00 EUR, vgl. Antragsschriftsatz vom 23. März 2004) aus und hat diesen Wert im
vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte reduziert.
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