Urteil des VG Köln vom 23.09.2005

VG Köln: aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, ärztliches gutachten, approbation, interessenabwägung, strafverfahren, wahrscheinlichkeit, straftat, anwendungsbereich, verdacht

Verwaltungsgericht Köln, 9 L 1528/05
Datum:
23.09.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 L 1528/05
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers
vom 16. September 2005 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom
14. September 2005 (Anordnung des Ruhens der zahnärztlichen
Approbation des Antragstellers) wird wiederhergestellt.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 17.500,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches vom 16. September 2005 gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. September 2005 (Anordnung des Ruhens der
zahnärztlichen Approbation des Antragsteller) wiederherzustellen,
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hat Erfolg.
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Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -
vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der
sofortigen Vollziehung der Ruhensanordnung und dem Interesse des Antragstellers an
der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches fällt zugunsten des Antragstellers
aus.
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Dabei sind in die Interessenabwägung die Erfolgsaussichten in der Hauptsache
einzustellen. Bei der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen
Überprüfung der Ruhensanordnung vom 14. September 2005 zeigen sich nach
derzeitigem Stand ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.
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Unabhängig davon, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine
Ruhensanordnung gemäß § 5 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde -
ZHG - vorliegen, leidet der Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. September 2005
bereits unter einem erheblichen Ermessensfehler. Bei Ausübung ihres Ermessens im
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Rahmen von § 5 Abs. 1 ZHG hat die Behörde zu beachten, dass das Ruhen der
Approbation nicht eine bloße Einschränkung der Berufsausübung, sondern ein Eingriff
in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl ist, der nur zum
Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit statthaft ist. Denn die freie Berufswahl umfasst nicht nur die
Entscheidung über den Eintritt in den Beruf, sondern auch darüber, ob und wie lange
der Beruf fortgesetzt werden soll.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juli 1991 - 9 S 1227/91 -, NJW 1991,
2366.
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Vorliegend ist ein Ermessensausfall gegeben, der in einem Hauptsacheverfahren zu
einer Aufhebung des Bescheides führen würde. Die Antragsgegnerin stellt in ihrer
Ruhensanordnung allein den ihr bekanntgewordenen Sachverhalt dar und subsumiert
diesen sodann unter die Tatbestandsmerkmale der Unzuverlässigkeit und Unwürdigkeit
im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 ZHG. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass „Die Art, die
Dauer und die Schwere der Verfehlungen (...) dabei auf eine schwere charakterliche
Fehlhaltung Ihrerseits schließen (lassen), so dass davon ausgegangen werden muss,
dass Sie auch künftig gegen Ihre Berufspflichten verstoßen werden." Anschließend
begründet die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Die
Antragsgegnerin hat in ihrer Ruhensanordnung vom 14. September 2005 insoweit nicht
einmal zu erkennen gegeben, dass sie das ihr im Rahmen des § 5 ZHG zustehende
Ermessen überhaupt erkannt hat. Ein Nachschieben von Ermessenerwägungen im
vorliegenden gerichtlichen Verfahren gemäß § 114 Satz 2 VwGO kommt insoweit nicht
in Betracht.
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Ein das private Aussetzungsinteresse überwiegendes öffentliches Interesse kann
insoweit auch nicht mit Blick darauf angenommen werden, dass im
Widerspruchsverfahren der zur Rechtswidrigkeit führende Ermessensausfall noch
„geheilt" werden könnte. Es obliegt nämlich nicht dem Gericht, diese möglichen
Ermessenserwägungen zu prognostizieren, sofern - wie im vorliegenden Falle - eine
Ermessensreduzierung auf Null nicht gegeben ist.
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Im Übrigen bestehen Zweifel am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des §
5 Abs. 1 ZHG.
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Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 - ZHG -, auf den sich die Antragsgegnerin in erster Linie stützt,
kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn gegen den Zahnarzt wegen
des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur
Ausübung des zahnärztlichen Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet ist.
Dabei muss eine Verurteilung des betroffenen Arztes wegen der ihm zur Last gelegten
Straftat hinreichend wahrscheinlich sein.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Mai 1996 - 13 B 350/96 -, NJW 1997, 2470.
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Nach Auswertung des vorliegenden Aktenmaterials kann die Kammer die erforderliche
hohe Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung des Antragstellers derzeit nicht
feststellen. Vorliegend ist gegen den Antragsteller ein Strafverfahren wegen der Abgabe
von Betäubungsmitteln an Minderjährige (§ 29a BtMG) und wegen Förderung sexueller
Handlungen Minderjähriger (§ 180 StGB) eingeleitet worden. Dieses befindet sich noch
im Stadium staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen; eine Anklageschrift ist noch nicht
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erstellt worden. Der Tatvorwurf stützt sich in erster Linie auf die Aussage der
(minderjährigen) Frau L. und ihrer Bekannten, Frau L1. . Der Antragsteller bestreitet
insbesondere, sexuellen Kontakt mit Frau L. gehabt zu haben, nachdem er von deren
Minderjährigkeit erfahren haben will. Auch habe er an sie keine Drogen abgegeben. Auf
dem sichergestellten Filmmaterial ist - nach den Feststellungen der
Ermittlungsbehörden - zwar „diverser Geschlechtsverkehr mit der 17-jährigen J. L. , E. H.
und I. O. „ erkennbar. Nicht ersichtlich ist jedoch, ob es sich um einen einmaligen Vorfall
handelt und von wann die Filmaufnahme stammt. Ein gemeinsamer Kokainkonsum mit
der Minderjährigen ist auf dem sichergestellten Filmmaterial - nach den Feststellungen
der Ermittlungsbehörden - nicht festgehalten. Die in der Praxis des Antragstellers
sichergestellten Substanzen - unterstellt es handelte sich um Kokain und Ecstacy (das
Ergebnis des Behördengutachtens beim LKA NRW steht noch aus) - reichten allein
noch nicht aus, den Tatvorwurf der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige zu
bestätigen. Die Ermittlungen befinden sich nach derzeitigem Erkenntnisstand insgesamt
noch in einem zu frühen Stadium, um hieraus eine hohe Wahrscheinlichkeit einer
Verurteilung des Antragstellers ableiten zu können.
Soweit die Antragsgegnerin sich bei der Ruhensanordnung zusätzlich darauf stützt,
dass Zweifel an dem Fortbestand der gesundheitlichen Eignung des Antragstellers zur
Ausübung des zahnärztlichen Berufs bestünden (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 ZHG) ist hierzu
Folgendes anzumerken:
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Das Ruhen der Approbation kann gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 ZHG angeordnet werden,
wenn nachträglich die Voraussetzung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ZHG (Geeignetheit in
gesundheitlicher Sicht) weggefallen ist bzw. gemäß § 5 Abs.1 Nr. 3 ZHG, wenn Zweifel
bestehen, ob die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 noch erfüllt ist und der
Zahnarzt sich weigert, sich einer von der zuständigen Behörde angeordneten amts- oder
fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Da die Anordnung des Ruhens der
Approbation insbesondere die Fälle erfasst, in denen eine gesundheitliche
Ungeeignetheit zur Ausübung des ärztlichen Berufs (noch) nicht endgültig feststeht,
erscheint eine Auslegung der genannten Bestimmungen zwar in der Weise
gerechtfertigt, dass auch nach einer ärztlichen Untersuchung (weiter) bestehende
Zweifel an der gesundheitlichen Eignung eines Zahnarztes zur Ausübung seines
Berufes dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 2 ZHG unterfallen, während dann,
wenn die fehlende gesundheitliche Eignung definitiv feststeht, der Anwendungsbereich
des § 4 Abs. 2 ZHG eröffnet ist.
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Vgl. insoweit zum Ruhen der Approbation als Apotheker, OVG NRW, Beschluss vom
27. Dezember 2004 - 13 B 2314/04 -.
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Vorliegend sind jedoch entsprechende Zweifel an der gesundheitlichen Eignung des
Antragstellers noch nicht ausreichend fundiert ermittelt. Zwar begründen das Ergebnis
der Vernehmung der Frau L. , die in der Praxis sichergestellten Substanzen, das
Ergebnis des Vortests des beim Antragstellers durchgeführten Drogenscreenings
(„positiv für: Kokain/Amphetamin/Ecstacy") und der positive Drug- Wipe-Test den
Verdacht eines entsprechenden Drogenkonsums des Antragstellers. Ausmaß und
Regelmäßigkeit des Konsums, insbesondere eine eventuelle Abhängigkeit des
Antragstellers, sind indes bislang nicht nachgewiesen. Es liegen bislang weder das
abschließende Ergebnis des Drogenscreenings, noch ein sonstiges ärztliches
Gutachten vor, aus dem der Umfang des Drogenkonsums des Antragstellers
nachvollziehbar hervorgeht. Auch sonstige Aussagen (neutraler Personen, z.B. des
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Personals des Antragstellers) zu möglicherweise körperlichen und oder geistigen
Beeinträchtigungen des Antragstellers, die den Verdacht auf eine
Betäubungsmittelabhängigkeit oder einen Konsum auch während der Arbeitszeit
begründen könnten, liegen (bislang) nicht vor. Bei dieser Sachlage wäre es geboten
gewesen, zumindest das endgültige Ergebnis des Drogenscreenings abzuwarten und
gegebenenfalls weitere Ermittlungen durchzuführen (Haarprobe u.ä.) und danach über
den Erlass der Ruhensanordnung zu entscheiden.
Bestehen nach derzeitigem Stand gute Erfolgsaussichten des Antragstellers in der
Hauptsache, so sind bei der Interessenabwägung im Übrigen an die Begründung des
öffentlichen Vollzugsinteresses entsprechend höhere Anforderungen zu stellen. Es sind
jedoch keine Gefahren für die Patienten des Antragstellers von einem solchen Ausmaß
festzustellen, dass sie angesichts der dargestellten ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der Ruhensanordnung den mit der sofortigen Unterbindung der
ärztlichen Tätigkeit verbundenen erheblichen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen
vermögen. So liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass es in der
Vergangenheit bereits zu einer Schädigung von Patienten gekommen wäre.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertentscheidung
beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Bei Klageverfahren, die das Ruhen der
Approbation betreffen, geht die Kammer in Anlehnung an die Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen von einem Streitwert in
Höhe von 35.000,00 Euro aus. Dieser Wert ist im Hinblick auf den vorläufig regelnden
Charakter des vorliegenden Verfahrens zu halbieren.
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