Urteil des VG Köln vom 27.11.2009

VG Köln (aufschiebende wirkung, grenze, grenzabstand, anlage, wirkung, grundstück, bezug, höhe, verwaltungsgericht, interesse)

Verwaltungsgericht Köln, 2 L 1747/09
Datum:
27.11.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 1747/09
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 7611/09 der Antragstellerin
gegen Ziffer 3. der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom
04.05.2009 für die "Neuerrichtung von Altanen/Hinterhaus" des
Gebäudes Q.-------straße 00 in L. wird angeordnet. Dem Antragsgegner
wird aufgegeben, durch sofort vollziehbare mit einer
Zwangsgeldandrohung nicht unter 500 Euro versehene
Ordnungsverfügung die Baustelle der Beigeladenen insoweit
stillzulegen, als diese an der rückwärtigen Gebäudeseite eine
Altananlage errichten will.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und die
Beigeladenen je zur Hälfte, mit der Maßgabe, dass zwischen ihnen ein
Kostenausgleich nicht stattfindet.
2. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der sinngemäße Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 7611/09 der Antragstellerin gegen die von
dem Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 04.05.2009, Az.: 00/000/0000/0000
anzuordnen,
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ist nach § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und
begründet.
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Das Gericht ordnet die nach § 212a Abs. 1 BauGB entfallende aufschiebende Wirkung
von Nachbarwidersprüchen an, wenn das Interesse des Nachbarn, einstweilen zu
verhindern, dass von der dem Bauherrn erteilten Baugenehmigung Gebrauch gemacht
wird, das öffentliche Interesse und das Interesse des Bauherrn an der sofortigen
Ausnutzbarkeit der Baugenehmigung überwiegt.
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Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich in Bezug auf öffentliches Nachbarrecht
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konkrete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ergeben und die
aufschiebende Wirkung der Widersprüche verhindert, dass durch Schaffung vollendeter
Tatsachen die Durchsetzung eines nachbarlichen Abwehrrechts erheblich erschwert
würde oder bei Ausführung der genehmigten Bauarbeiten auch die Duldung des
vorübergehenden Zustandes für den Nachbarn unzumutbar wäre.
Die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung, die der Antragsgegner der Beigeladenen
erteilt hat, begegnet konkreten Zweifeln.
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Das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen verstößt mit der von der Antragstellerin
alleine angefochten rückwärtigen Altananlage nach summarischer Prüfung gegen den
nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nachbarschützenden § 6 BauO NRW.
Dabei kann dahinstehen, ob im vorliegenden Fall Satz 1 oder Satz 2 von § 6 Abs. 1
BauO NRW anzuwenden ist. Denn die Altananlage ist weder mit einem ausreichenden
Grenzabstand genehmigt, noch soll sie auf der Grenze errichtet werden.
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Es kann auch offen bleiben, ob auf die Altananlage der Beigeladenen § 6 Abs. 1 BauO
NRW direkt oder über die Verweisung in § 6 Abs. 10 BauO NRW anzuwenden ist. Die
Anwendung des § 6 Abs. 7 BauO NRW kommt für die Altananlage jedenfalls nicht in
Betracht. Denn zum einen ist die Anlage mit über 1,5 m zu tief und - da über die ganze
Grundstücksbreite reichend - zu breit, um die Privilegierung in Anspruch zu nehmen.
Zum anderen greift die Privilegierung des § 6 Abs. 7 Nr. 3 BauO NRW für die dort
aufgezählten Bauteile nur in Bezug auf die Außenwand ein, vor die sie vortreten.
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Ist § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW anzuwenden, muss die Altananlage der Beigeladenen
mit der Oberkante der obersten Absturzsicherung zum Grundstück der Kläger hin die
nach § 6 Abs. 2 ff. BauO NRW zu berechnende Abstandfläche, das heißt nach § 6 Abs.
5 Satz 5 BauO NRW mindestens 3 m, einhalten. Die Anlage soll indes von der
gemeinsamen Grenze nur 12 cm entfernt errichtet werden. Denn nach den genehmigten
Bauzeichnungen verläuft die Grenze in der Mitte der gemeinsamen
Grundstückseinfriedigung. Bis zu dieser Grenze erstreckt sich die Anlage nicht.
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Ist hingegen § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW anzuwenden, so ist innerhalb der
überbaubaren Grundstücksfläche eine Abstandfläche nicht erforderlich gegenüber
Grundstücksgrenzen, gegenüber denen nach planungsrechtlichen Vorschriften ohne
Grenzabstand oder mit geringerem Grenzabstand als nach den Absätzen 5 und 6
gebaut werden muss (§ 6 Abs. 1 Satz 2 lit. a BauO NRW) oder gegenüber denen nach
planungsrechtlichen Vorschriften ohne Grenzabstand gebaut werden darf, wenn
öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ohne Grenzabstand
gebaut wird (§ 6 Abs. 1 Satz 2 lit. b BauO NRW). Der Verstoß gegen § 6 BauO NRW
liegt in diesem Fall darin, dass die Altananlage nicht ohne Grenzabstand errichtet wird.
Für den Abstand von 12 cm aller drei Plattformen der Altananlage zur Grenze gibt es
keinen nachvollziehbaren Grund. Insbesondere erreicht die die als Einfriedigung
dienende Grundstückstrennmauer hinter den Gebäuden bei weitem nicht die Höhe der
unteren Plattform der Altananlage. Deren Errichtung bis an die Grenze wäre ohne
Weiteres möglich. Wird aber eine bauliche Anlage auf der Grundlage des § 6 Abs. 1
Satz 2 lit. b BauO NRW errichtet, kommt ein Verzicht auf die Einhaltung der
landesrechtlich an sich erforderlichen Abstandfläche nur in Betracht, wenn sich der
Bauherr in Ausnutzung der bauplanungsrechtlichen Möglichkeiten dafür entscheidet,
ohne Grenzabstand zu bauen. Macht der Bauherr in diesen Fällen - sei es bezüglich der
Tiefe der Bebauung, sei es bezüglich ihrer Höhe - von der Option einer grenzständigen
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Bebauung Gebrauch, müssen die nicht grenzständig errichteten Teile der Außenwand
ihrerseits die landesrechtlichen in vollem Umfang Abstanderfordernisse einhalten.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.07.2008 - 7 B 195/08 -, NVwZ-RR 2008, 760.
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Erst recht darf im Falle des § 6 Abs. 1 Satz 2 lit. a BauO NRW nicht mit Grenzabstand
gebaut werden. In jedem der beiden Fälle (lit. a oder lit. b) verletzt eine bauliche Anlage
subjektive Rechte des Nachbarn, wenn sie weder auf der Grenze errichtet ist noch die
nach § 6 Abs. 2 ff. BauO NRW zu berechnende Abstandfläche einhält.
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Vorsorglich weißt das Gericht darauf hin, dass auch dann, wenn nach einer Umplanung
der Antragsgegner eine Altananlage genehmigen sollte, die sich bis an die gemeinsame
Grundstücksgrenze erstreckt, dennoch die Rechtmäßigkeit einer solchen
Baugenehmigung aus mehreren Gründen nicht offensichtlich sein wird, so dass auch
dann eine Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren erforderlich sein dürfte.
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Das OVG NRW hat in der vorzitierten Entscheidung vom 17.07.2008 auch entschieden,
dass auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW ein Verzicht auf die
Einhaltung einer seitlichen Abstandfläche hinsichtlich untergeordneter Bauteile - wie
Balkone oder vorgebaute Treppenhäuser - nicht in Betracht komme.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.07.2008 - 7 B 195/08 -, a. a. O.
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Diese Entscheidung verhält sich zwar nur zu Bauteilen nach § 6 Abs. 7 BauO NRW also
zu privilegierten Bauteilen, um die es hier nicht geht. Dass für vergleichbare Bauteile
aber dann, wenn sie nicht einmal privilegiert sind, weil sie die höchstzulässige Tiefe
sogar überschreiten oder sich der senkrecht zur Grenze verlaufenden Außenwand sogar
nicht unterordnen, auf eine seitliche Abstandfläche sollte verzichtet werden können,
erschließt sich nicht unmittelbar und muss noch einmal rechtlich geklärt werden. Die
Überprüfung erscheint auch insbesondere deshalb erforderlich, weil es für derartige
Bauteile mangels bodenrechtlicher Relevanz keine direkten planungsrechtlichen
Vorgaben hinsichtlich der Bauweise, das heißt hinsichtlich des Bauens an der Grenze,
gibt. Denn die die Bauweise regelnde Vorschrift des § 22 BauNVO verhält sich nur zur
Grenzbebauung der Gebäude. § 6 Abs. 1 BauO NRW nimmt diese planungsrechtliche
Regelung nur für Außenwände, nicht aber für andere Bauteile in Bezug. Nicht zuletzt
deshalb, weil der Gesetzgeber durch § 6 Abs. 7 und Abs. 10 Nr. 2 BauO NRW deutlich
zum Ausdruck gebracht hat, dass er Gelegenheiten zum Aufenthalt im Freien in der
Nähe der Nachbargrenze allenfalls bis zu einer Höhe von 1 m über Gelände zulassen
will, bedarf die Zulässigkeit von Balkonen, Altanen o. ä. in Grenznähe einer erneuten
Bewertung.
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Zu einem vergleichbaren Ergebnis der Abwägung zwischen den nachbarlichen
Interessen an der Grenze gelangt im Übrigen in einem Einzelfall - wenn auch auf völlig
anderem Wege - der 10. Senat des OVG NRW.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.08.2005 - 10 A 3611/03 -, BauR 2006, 342, für einen nicht
privilegierten Balkon an einem Reihenhaus.
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Schließlich ist bei Bauteilen wie Altanen und Balkonen, die in mehreren Etagen
übereinander angebracht werden, zu prüfen, ob sie nicht aus brandschutzrechtlichen
Gründen zum Nachbargrundstück durch eine Gebäudeabschlusswand abzuschließen
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sind, wenn sie näher als 2,5 m bis zur Grenze reichen.
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 05.11.2007 - 7 E 737/07 -: Selbst für
Terrassenüberdachungen auf Erdgeschossebene, die bis zur Grenze reichen, gelten die
Anforderungen des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW.
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Zumindest dann, wenn die Balkone/Altane wie hier an einer Seite an eine Grenzwand
stoßen, unterscheidet sie von einer Loggia nur die fehlende zweite Seitenwand.
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Die Beigeladene kann sich nicht darauf berufen, auch das Gebäude der Antragstellerin
verfüge über eine rückwärtige Altananlage. Dies trifft ausweislich der Fotos, die sich bei
den Verwaltungsvorgängen befinden, zwar zu. Jedoch sind die wechselseitigen
Verstöße deshalb nicht vergleichbar, weil das Baugrundstück bereits mit den Gebäuden
eine größere Bautiefe aufweist als das Grundstück der Beigeladenen. Die zu
beanstandende Altananlage ist zudem auf dem Baugrundstück 2,00 m bzw. 1,65 m tief,
während die Anlage auf dem Grundstück der Antragstellerin die privilegierende Tiefe
des § 6 Abs. 7 BauO NRW von 1,5 m einhalten. Beides zusammen hat zur Folge, dass
die Abstandflächen der Altane sich nur zum Teil überlappen. Auf das Grundstück der
Antragstellerin fällt eine deutlich größere Abstandfläche der Altananlage der
Beigeladenen als umgekehrt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht zu erstatten, weil sie mit dem
Antragsgegner unterlegen ist.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1
GKG. Das Gericht hat den üblichen Streitwert von 7.500,00 EUR, wie er nach ständiger
Rechtsprechung für Hauptsachenverfahren im Baunachbarstreit festgesetzt wird,
halbiert.
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