Urteil des VG Köln vom 29.02.2000
VG Köln: vorgarten, befreiung, gebäude, erlass, grundstück, härte, einfahrt, terrain, zahl, satzung
Verwaltungsgericht Köln, 2 K 8507/97
Datum:
29.02.2000
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 8507/97
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
T a t b e s t a n d :
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Nachdem der Beklagte bei einer Ortsbesichtigung festgestellt hatte, dass die Klägerin
im Vorgartenbereich ihres Grundstückes I. straße 00 in L. zwei Stellplät- ze errichtet
hatte, wies er sie darauf hin, dass das Grundstück im Bereich des Flucht- linienplanes
Nr. 000 liege und daher eine entsprechende Befreiung beantragt werden müsse. Zwei
Stellplätze könnten in der I. straße zwar durchaus als zulässig be- trachtet werden,
allerdings müsse noch Vorgartenfläche übrig bleiben; die komplette Versiegelung des
Vorgartens sei nicht zulässig.
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Die Klägerin stellte daraufhin unter dem 06.02.1995 einen entsprechenden Bau- antrag,
den der Beklagte als Antrag auf Erteilung einer Befreiung von den Festset- zungen des
Fluchtlinienplanes auffasste. Er lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 23.10.1996 ab.
Das Vorhaben verstoße gegen den Fluchtlinienplan Nr. 000. Die zwei Stellplätze
würden zusammen mit der Zuwegung zum Gebäude dazu führen, dass nahezu der
gesamte Vorgarten versiegelt werde, obwohl die Fläche im Fluchtlinien- plan als
"private Grünfläche (Vorgarten)" ausgewiesen sei. Die Voraussetzungen für eine
Befreiung lägen nicht vor. Außerdem sei die Breite der Zufahrten zu den beiden
Stellplätzen im Verhältnis zur gesamten Grundstücksbreite unverhältnismäßig; hierin
liege ein Verstoß gegen § 14 StrWG NW.
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Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Unbeschadet der Frage der Wirk- samkeit
des Fluchtlinienplanes bestünden jedenfalls vorrangige Interessen für die Umwandlung
der Vorgärten in Einstellplätze. So erforderten zunächst Gründe des Wohls der
Allgemeinheit eine entsprechende Befreiung, da nur eine ganz geringe Zahl von
Garagen und Stellplätzen vorhanden sei. Es bestehe ein Parkchaos, die Stadt L.
unternehme nichts dagegen, sondern sperre sogar noch Flächen, die zum Abstellen von
Fahrzeugen geeignet sind. Das Vorhaben sei auch städtebaulich ver- tretbar, berühre
nicht die Grundzüge der Planung. Obwohl der Boden im wesentli- chen befestigt sei, sei
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der Vorgarten bepflanzt. Zudem seien Blumen- und Pflanzkü- bel vorhanden. Die
Durchführung des Fluchtlinienplanes führe auch zu einer nicht beabsichtigten Härte. Die
Klägerin und die im Hause lebenden Kinder und Verwand- ten benötigten die
Abstellplätze dringend. Vor deren Einrichtung habe man nur quer zum Grundstück - halb
auf dem Bürgersteig, halb auf der Straße - einen Pkw abstel- len können, nunmehr seien
drei Stellplätze geschaffen worden, wodurch die öffentli- chen Flächen entsprechend
entlastet würden. Der Widerspruch wurde mit Bescheid der Bezirksregierung L. vom
21.08.1997 zu- rückgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Klage erhoben, mit der sie weiterhin eine
Befreiung vom Fluchtlinienplan erstrebt sowie die Rückerstattung der erhobenen
Verwaltungsgebühr von 150,-- DM erreichen will. Zur Begründung führt sie aus, zwar sei
vor Einrichtung der Stellplätze der Vorgarten zu ca. 67 % begrünt gewesen, gleichwohl
bleibe auch nach Einrichtung der Stellplätze noch eine begrünte Fläche von ca. 29 %
übrig. Die Festsetzung des Fluchtlinienplanes fordere nicht, dass der gesamte
Vorgarten begrünt werden müsse. Schon nach dem Fluchtliniengesetz vom 02.07.1875
habe der Vorgarten lediglich die Funktion gehabt, dem Gebäude bzw. Baugrundstück
Licht und Luft zuzuführen und den Zugang zur Straße zu vermitteln. Der Fluchtlinienplan
schreibe hier zwar eine Begrünung vor, was aber die Nutzung zu anderen notwendigen
Zwecken nicht ausschließe. Es sei anerkannt, dass ein Zu- gang zum Haus bzw. eine
Zufahrt zu Garagen zulässig sei; es dürften auch Versor- gungsleitungen gelegt sowie
der Vorgarten eingefriedet werden. Nichts Anderes könne aus heutiger Sicht für die
Einrichtung von Stellplätzen gelten, weil bei Erlass des Fluchtlinienplanes im Jahre
1902 völlig andere Verkehrsverhältnisse geherrscht hätten. Wie der Beklagte auch der
Klägerin seinerzeit mitgeteilt habe, sei die Anle- gung von Stellplätzen in der I. straße
ortsüblich; bei mindestens 12 weiteren Grundstücken seien mindestens zwei Stellplätze
im Vorgartenbereich vorhanden. Diese seien entweder vom Beklagten genehmigt oder
er dulde sie zumindest. Soweit mittlerweile für den fraglichen Bereich eine
Gestaltungssatzung erlassen worden sei, zeige schon der Erlass dieser Satzung, dass
nach Auffassung des Beklagten selbst zuvor offenbar keine rechtliche Grundlage
bestanden habe, Stellplätze im Vorgarten- bereich zu untersagen. § 2 der Satzung stehe
- jedenfalls in Bezug auf das Grund- stück der Klägerin - im Widerspruch zur Präambel,
wonach die Regelungen nur gel- ten sollten, um weitere Umwandlungen von Vorgärten
der I. straße zu Stellplätzen zu verhindern, nicht aber solle damit die Beseitigung bereits
vorhandener Stellplätze ermöglicht werden. Insoweit läge auch ein Verstoß gegen das
Rückwirkungsverbot vor.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 23.10.1996 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 21.08.1997 zu verpflich- ten, der
Klägerin eine Befreiung von den Vorschrif- ten des Fluchtlinienplanes 000 zur
Errichtung von zwei Abstellplätzen vor dem Gebäude I. straße 00 in L. zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertieft die Gründe der angefochtenen Bescheide und weist darauf hin, dass
bezüglich der übrigen, in der I. straße vorhandenen Stellplätze ordnungsbehördliche
Verfahren eingeleitet worden seien; um unnötige Klageverfahren zu vermeiden, sei es
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bisher jedoch zunächst nur zu entsprechenden Anhörungen gekommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Befreiung, da dem
Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen.
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Das Vorhaben verstößt gegen die Festsetzungen des Fluchtlinienplanes Nr. 000.
Bedenken gegen die Wirksamkeit des Planes ergeben sich nicht, Hinweise auf ein
fehlerhaftes Zustandekommen sind nicht ersichtlich. Von einer Funktionslosigkeit im
Hinblick auf die Zahl der in der I. straße und in anderen Straßen vorhandenen
Stellplätze im Vorgartenbereich kann nicht ausgegangen werden. Denn derartige
Stellplätze können - anders als etwa Gebäude - ohne größeren Aufwand wieder entfernt
werden; der Beklagte hat auch unmissverständlich klargemacht, dass er die Existenz
der Stellplätze nicht weiter hinnehmen will, sondern deren Entfernung fordern und
durchsetzen will.
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Die Anlegung von Stellplätzen im Vorgartenbereich ist aufgrund der Planfestsetzungen
rechtlich nicht zulässig. Mit der Festsetzung einer von der Straßenfluchtlinie
abweichenden Baufluchtlinie ist nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und
Literatur zum Fluchtliniengesetz vom 2.07.1875 die Verpflichtung der Anlieger zur
Errichtung von Vorgärten in dem geschaffenen Zwischenraum begründet.
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Vgl. Saran, Baufluchtliniengesetz, Kommentar, 2. Aufl. 1921 (Nachdruck 1954), S. 57.
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Das als Vorgarten bestimmte Terrain ist als Gartenland mit entsprechender Bepflanzung
anzulegen. Auch kann die Einfriedung vorgeschrieben werden. In der Ausnutzung zu
anderen Zwecken ist der Eigentümer nicht frei. Er darf das Terrain nicht bebauen, und
ihm steht auch keine andere Art der Benutzung zu, die mit der Bestimmung als
Vorgarten in Widerspruch steht.
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Vgl. ebd., S. 68.
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Zulässig ist die Herstellung von Wegen zu den Hauseingängen oder zu einer Einfahrt
insoweit, als der Gesamtanlage der Charakter als Vorgarten nicht genommen wird.
20
Vgl. ebd., S. 71.
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Meyer/Saß,
22
Straßen- und Baufluchtengesetz, Kommentar, 7. Aufl. 1934, S. 65,
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verweisen auf die Baupolizeiverordnung für die Vororte von Berlin vom 10.05.1918,
nach der für die Wege zu den Hauseingängen eine Breite von 2,0 m und für Einfahrten
bis zu 2,5 m zugelassen sind. Einigkeit besteht indes, dass die Benutzung einer
innerhalb der Vorgartenfläche liegenden Einfahrt als "Halte- und Futterplatz für
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Fuhrwerke und Zugtiere",
vgl. ebd., S. 66; Saran, a.a.O., S. 69 m.w.N.,
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bzw. zum "Aufstellen von Wagen",
26
vgl. Saran ebd., S. 71,
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nicht zulässig ist. Diese Gesetzesauslegung wird man auf die Verhältnisse heutiger
Tage mit dem Ergebnis übertragen müssen, dass Stellplätze nicht in den Vorgärten
angelegt werden dürfen.
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Die Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 31 BauGB liegen ersichtlich nicht vor.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, die eine Befreiung erfordern könnten, sind nicht
gegeben. Zum einen liegt die Anlegung der Stellplätze vorrangig im Privatinteresse der
Klägerin; das allgemein im fraglichen Bereich bestehende Parkproblem kann durch die
Anlegung einzelner Stellplätze im Vorgartenbereich ohnehin nicht wirksam beseitigt
werden. Zum anderen hat der Rat der Stadt L. durch den Erlass der Gestaltungssatzung
deutlich gemacht, dass er an der seinerzeit im Rahmen des Fluchtlinienplanes
getroffenen Festsetzung für den Vorgartenbereich auch unter den heutigen
verkehrlichen Gegebenheiten ausdrücklich festhalten will, um das Ortsbild zu schützen.
Dass daran gemessen kein vorrangiges Interesse an der Einrichtung der Stellplätze
bejaht werden kann, liegt auf der Hand.
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Das Vorhaben ist auch städtebaulich nicht vertretbar. Mit seiner Zulassung würden die
Grundzüge der Planung berührt, da man dann auf sämtlichen anderen Grundstücken im
Vorgartenbereich ebenfalls Stellplätze zulassen müsste. Damit würde aber die im Plan
vorgesehene durchgehende Ausweisung von nicht überbaubaren Vorgartenflächen
vollständig unterminiert.
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Die Durchführung des Fluchtlinienplanes führt auch nicht zu einer offenbar nicht
beabsichtigten Härte. Eine solche kann nur bejaht werden, wenn im Einzelfall eine
besondere Grundstückskonstellation gegeben ist, bei deren Kenntnis der Plangeber
voraussichtlich in Bezug auf das fragliche Grundstück von der Festsetzung abgesehen
hätte. Diese Voraussetzung liegt hier aber ersichtlich nicht vor, weil die vorliegende
Grundstückssituation sich in keiner Weise von der der Nachbargrundstücke
unterscheidet. Auf den Aspekt, dass bei Erlass des Fluchtlinienplanes die verkehrlichen
Gegebenheiten völlig anders waren als sie heute sind, kommt es demgegenüber nicht
an. Denn insoweit muss ggf. der Rat den entsprechenden Plan aufheben, falls er die
planerischen Festsetzungen heute nicht mehr für angebracht hält.
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Bezüglich der Gebührenfestsetzung bestehen ebenfalls keine Bedenken. Nach Ziff.
2.5.3.1 der 16. Verordnung zur Änderung der allgemeinen
Verwaltungsgebührenordnung vom 05.12.1995 besteht bei Entscheidungen über die
Erteilung von Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB ein Gebührenrahmen von 100 bis
1000,-- DM. Der Beklagte hat hier eine Gebühr von 200,-- DM angesetzt und diese
gemäß § 15 Abs. 2 GebG NRW um 1/4 ermäßigt. Gründe für eine weitere Ermäßigung
sind nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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