Urteil des VG Köln vom 21.04.2010
VG Köln (zulassung, arzneimittel, bundesrepublik deutschland, unterlagen, berechnung der frist, ddr, verkehr, datum, zeitpunkt, verlängerung)
Verwaltungsgericht Köln, 24 K 2381/09
Datum:
21.04.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 K 2381/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten um die Zulassung der oralen Kontrazeptiva "T. I. " (0000000), "B.
" (0000000), "M. " (0000000) und "D. " (0000000) mit der Wirkstoffkombination 2 mg
Dienogest und 30 µg Ethinylestradiol.
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Unter dem 31.03.2006 beantragte die Klägerin parallel die Zulassung der genannten
Präparate beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit den
Anwendungsgebieten "Hormonale Kontrazeption" und "Behandlung von Frauen mit
mittelschwerer Akne, die keine Gegenanzeigen für eine Therapie mit oralen
Kontrazeptiva aufweisen, und nach Versagen von geeigneten lokalen Behandlungen."
(sog. Mikropille) in der Darreichungsform Filmtabletten. Sie legte die zugehörigen
Zulassungsdokumentationen (Module 1 bis 5) vor und bezeichnete die Anträge als
Bezug nehmend im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. a) iii der RL 2001/83/EG a.F./§ 24a Satz
3 AMG a.F. und verwies auf die zum Arzneimittel "W. " der Beigeladenen vorgelegten
Unterlagen.
3
Das Präparat "W. " geht auf das am 01.10.1990 vom Institut für Arzneimittel der DDR
(IfAR) zugelassene und in das Arzneimittelregister eingetragene Kontrazeptivum "D1. "
zurück, das mit der Wirkstoffkombination 2 mg Dienogest und 50 µg Ethinylestradiol
gemäß EG-Recht-Überleitungsverordnung in der Bundesrepublik Deutschland als fiktiv
zugelassenes Arzneimittel in Verkehr war und unter der Bezeichnung "W. " mit der
Wirkstoffkombination 2 mg Dienogest und 30 µg Ethinylestradiol durch das BfArM am
05.08.2005 gemäß § 105 AMG "nachzugelassen" wurde. Ferner besteht eine bereits am
13.12.2000 erteilte Nachzulassung für das wirkstoffgleiche Präparat "D2. " (Zulassungs-
Nr. 00000.00.00).
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Unter dem 19.07.2006 machte das BfArM Mängel der Zulassungsunterlagen geltend
und führte u.a. aus:
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"Die regulatorische Vor- und Vollständigkeitsprüfung gemäß § 25a AMG ergab
Folgendes:
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Erste Genehmigung des Referenzarzneimittels Auf Seite 11, Punkt 1.4.2 des
Antragsformulars geben Sie als Erstzulassungsdatum für ein entsprechendes
Referenzarzneimittel in der EU den 05.08.2005 an. Im Sinne des § 24 (1) AMG und der
Übergangsvorschriften des § 141 AMG dürfen Generika-Anträge erst 10 Jahre nach
Erteilung der ersten Genehmigung für das Referenzarzneimittel gestellt werden. Die auf
Seite 11 des Antragsformulars gemachten Angaben sind daher zu korrigieren oder zu
ergänzen. Unter Modul 1.5.2 "Information for abridged application..." ist unter besonderer
Berücksichtigung des Aspektes des Unterlagenverwertungsschutzes gemäß § 24b Abs.
1 AMG darzulegen, auf welcher Grundlage eine Bezugnahme auf das angegebene
Bezugsarzneimittel W. , Zul.-Nr. 0000000.00.00 für möglich gehalten wird. ..."
7
Das BfArM gewährte zur Nachreichung entsprechender Unterlagen eine Frist von einem
Monat.
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Die Klägerin erwiderte hierauf unter dem 10.08.2006 und führte u.a. aus, dass "W. "
auch vor der Nachzulassung am 05.08.2005 als Arzneimittel der DDR durch die
Überleitungsbestimmungen den fiktiv zugelassenen Präparaten der Bundesrepublik
gleichgestellt und in der EU verkehrsfähig gewesen sei. In der beantragen
Zusammensetzung sei "W. " seit dem 14.02.1995, also seit mehr als 10 Jahren,
verkehrsfähig. Für diese Präparate habe es keinen Unterlagenschutz gegeben, da sie
nie der automatischen Verschreibungspflicht des § 49 AMG a.F. unterstellt gewesen
seien. Gemäß § 24a AMG in der Fassung vor der 14. AMG-Novelle habe nur die
Unterstellung eines Stoffes oder einer Stoffkombination unter die automatische
Verschreibungspflicht den Unterlagenschutz gerechtfertigt.
9
Mit Schreiben vom 24.04.2007 kündigte das BfArM die Versagung der Zulassung an
und gab der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 4 Wochen. Die Klägerin
wiederholte und vertiefte daraufhin nochmals ihre Rechtsauffassung und führte aus,
dass für Nachzulassungen vor der 14. AMG-Novelle gar kein Unterlagenschutz
bestanden habe, sodass eine Bezugnahme auf Referenzarzneimittel, deren
Zulassungsverlängerung nach § 105 AMG erfolgt sei, jederzeit möglich gewesen sei.
Dies habe auch der bisherigen Praxis des BfArM entsprochen.
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Mit Bescheid vom 23.07.2007 wies das BfArM die vier Zulassungsanträge zurück, da
den geltend gemachten Mängeln nicht innerhalb der gesetzten Frist abgeholfen worden
sei. Es fehlten Unterlagen zu Pharmakologie/Toxikologie und Klinik. Eine Bezugnahme
auf die zu "W. " vorliegenden Unterlagen sei aus Rechtsgründen nicht möglich, da die
hierzu von der Beigeladenen im Nachzulassungsverfahren vorgelegten Unterlagen zum
gegenwärtigen Zeitpunkt noch Schutz gegen eine kompensationslose Verwertung
genössen. Der Unterlagenschutz sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die
Wirkstoffkombination nicht unter die automatische Verschreibungspflicht gefallen sei.
Die Verbindung von Unterlagenschutz und automatischer Verschreibungspflicht sei
vielmehr mit der 14. AMG-Novelle entfallen. § 24b AMG und die zugrunde liegende
Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 RL 2001/83/EG setzten als Referenzarzneimittel ein
Präparat voraus, das in der Gemeinschaft zugelassen, dessen Verkehrsfähigkeit also
durch eine positive behördliche Entscheidung festgestellt sei. Primärer Zweck der
Verwertungssperre sei es, den in den Unterlagen nach § 22 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 AMG
verkörperten Wert vor Eingriffen durch generische Zulassungen zu schützen. Die Zehn-
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Jahres-Frist sei daher ab der positiven zulassungsbehördlichen Entscheidung auf der
Grundlage dieser Unterlagen zu berechnen.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, den sie wie folgt begründete: Die
Nachzulassung eines fiktiv zugelassenen Arzneimittels entspreche der ersten
Verlängerung eines nach § 21 AMG neu zugelassenen Präparats. Insbesondere fänden
für die Verlängerung einer fiktiven Zulassung die Regelungen des § 31 AMG
Anwendung, soweit in § 105 AMG keine abweichenden Regelungen getroffen sei. Es
sei nicht ersichtlich, weshalb für die Schutzfristen des § 24b AMG zwischen Neu- und
Nachzulassung unterschieden werden müsse. Für nachzugelassene Präparate sei
folglich nicht auf das Datum des Verlängerungsbescheides, sondern auf das Datum der
fiktiven Zulassung, hier den 01.10.1990, abzustellen. Dem Ziel des Unterlagenschutzes,
einen Interessenausgleich zwischen Erst- und Zweitantragsteller herbeizuführen, sei
dadurch in ausreichender Weise genügt. So habe der EuGH durch Urteil vom
03.12.1998 - Rs. C 368/96 -, PharmR 1999, 45 den Unterlagenschutz für bereits auf dem
Markt befindliche Arzneimittel dadurch erheblich einschränkt, dass er für neue
Indikationen nicht auf das Datum der Zulassung der neuen Indikation, sondern auf das
der erstmaligen Erlaubnis abgestellt habe. Der Unterlagenschutz räume dem Erst-
Antragsteller einen Zeitraum ein, in dem er die getätigten Investitionen ungestört von der
Konkurrenz durch Generika nutzen könne. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass der
Erst-Antragsteller innerhalb des 10-Jahres-Zeitraums die für die Zulassungsunterlagen
getätigten Aufwendungen kompensieren könne. Die Beigeladene habe ihre
Entwicklung mindestens seit März 1995 nutzen können, womit ihr diese Möglichkeit
bereits eingeräumt worden sei. In der Zeit von März 1997 bis Ende 2006 habe sich der
Jahresumsatz mit "W. " auf 386.786.262,-- Euro belaufen. Damit sei es das bei weitem
umsatzstärkste Einphasenpräparat auf dem Markt. Auch sei zu berücksichtigen, dass für
das Referenzpräparat in Gestalt der Zulassung durch das Institut für Arzneimittel der
DDR bereits eine Zulassungsentscheidung getroffen worden sei, die mit Billigung der
EG-Kommission wirksam geblieben sei.
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Mit Bescheid vom 18.03.2009 wies das BfArM den Widerspruch der Klägerin als
unbegründet zurück. Die Zulassungsunterlagen seien unvollständig, weil die in Bezug
genommenen Unterlagen für "W. " zum Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 24b Abs.
1 Satz 1 i.V.m. § 141 Abs. 5 AMG weiterhin dem Unterlagenschutz unterlägen.
Anknüpfungspunkt für die Berechnung des Unterlagenschutzes könne ausschließlich
die erste Zulassungsentscheidung sein, die bei Arzneimitteln in der Nachzulassung
gemäß § 105 Abs. 3 AMG die erste Verlängerungsentscheidung sei. So habe das OVG
NRW in seiner Entscheidung vom 26.06.2008 - 13 B 345/08 - ausgeführt, dass
Referenzarzneimittel im Sinne des § 24b AMG nur ein gemäß Art. 6 in Übereinstimmung
mit Art. 8 der RL 2001/83/EG geprüftes und genehmigtes Arzneimittel sein könne.
Genehmigung in diesem Sinne sei nur eine nach Maßgabe dieser Richtlinie oder der
VO (EG) Nr. 726/2004 erteilte Erlaubnis. Auch der Gesetzgeber sei davon
ausgegangen, dass Referenzarzneimittel im Sinne des § 24b AMG nur ein solches sei
könne, dessen Zulassung auf der Basis vorklinischer und klinischer Prüfungen erwirkt
worden sei (BT-Drs. 15/5316, S. 38). § 105 AMG begründe lediglich eine
Zulassungsfiktion, beinhalte jedoch keine inhaltliche Prüfung der Zulassungsunterlagen
oder eine Feststellung der Übereinstimmung mit europarechtlichen Anforderungen. Wie
das OVG NRW ausgeführt habe, rechtfertige der Umstand, dass vor Erteilung der
gemeinschaftkonformen Zulassung erstmals europäischen Anforderungen genügende
umfangreiche und kostenintensive Studien zu erstellen und vorzulegen seien, die
Einschränkung des Zugangs zu kostengünstigen generischen Arzneimitteln. Die
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Entscheidung des EuGH vom 03.12.1998 sei nicht einschlägig, da auch dort auf die
erstmalige Erlaubnis zum Inverkehrbringen abgestellt werde. Die fiktive Zulassung -
auch diejenige, deren Vorläufigkeit aus einer Zulassungsentscheidung des IfAR folge -
stelle keine "Erlaubnis" im Sinne des § 24b AMG dar.
Die Klägerin hat am 16.04.2009 Klage erhoben. Zu Begründung wiederholt und vertieft
sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt sie vor: EU-weit sei
als "Harmonised Birth Date" für "W. " der 14.02.1995 festgelegt. Seit dieser Zeit werde
das Präparat von der Beigeladenen in der derzeitigen Form in den Verkehr gebracht.
Zum Zeitpunkt des Nachzulassungsbescheides sei es daher schon seit über 10 Jahren
im Verkehr gewesen, womit keine Veranlassung bestanden habe, für die Unterlagen
noch eine weiteren Schutz von 10 Jahren zu gewähren. Für die Fristberechnung komme
es vielmehr auf die erstmalige Zulassung innerhalb der EU an. Im Falle der
Nachzulassung sei dies nicht das Datum des Nachzulassungsbescheides, sondern das
des erstmaligen Inverkehrbringens bzw. des Antrags auf Nachzulassung. Denn bereits
zu diesem Zeitpunkt sei es dem Erst-Antragsteller möglich, die Kosten für die
Zulassungsunterlagen zu amortisieren. Diese Fristberechnung entspreche damit den
Sinn der gesetzlichen Regelung.
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Die Nachzulassung eines fiktiv zugelassenen Arzneimittels entspreche der ersten
Verlängerung eines nach § 21 AMG neu zugelassenen Arzneimittels. Auch sei zu
berücksichtigen, dass nach der EG-Recht-Überleitungsverordnung ein Arzneimittel der
DDR sowohl im Gebiet der DDR als auch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
als zugelassen gegolten habe. Bei den fiktiven Zulassungen des IfAR handele es sich
um in Einklang mit europäischem Recht stehende Zulassungen mit der Folge, dass
diese Zulassungen mit Vorliegen des Verlängerungsbescheides rückwirkend als
acquis-konfom anzusehen seien. So habe auch das BfArM in der Vergangenheit fiktiv
zugelassenen Arzneimitteln keinen Unterlagenschutz zukommen lassen. Nichts
anderes ergebe sich aus den Erwägungsgründen zur RL 2001/83/EG. Hiernach solle
das Ziel des Gesundheitsschutzes mit Mitteln erreicht werden, die die Entwicklung der
pharmazeutischen Industrie und den Handel mit Arzneimitteln innerhalb der
Gemeinschaft nicht hemmten. Hier wie auch in der VO (EG) Nr. 726/2004 werde immer
wieder auf das Inverkehrbringen abgestellt. Mit der Verlängerung der Zulassung eines
fiktiv zugelassenen Arzneimittels werde dessen Zulassung rückwirkend zu einer acquis-
konformen. Es werde bestätigt, dass es, so wie es seit Jahrzehnten im Verkehr sei, den
gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an Sicherheit und Wirksamkeit genüge.
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Es sei durch das Ziel, innovative Firmen zu schützen, nicht geboten, an den
Nachzulassungsbescheid anzuknüpfen. Wenn der Erst-Antragsteller sein Produkt
bereits zehn Jahre habe nutzen können, mache es keinen Sinn, ihm ab Erteilung eines
Verlängerungsbescheides erneut eine zehnjähre Schutzfrist einzuräumen. Eine
derartige Ausdehnung des Unterlagenschutzes stelle einen Verstoß gegen das
Eigentumsrecht des Zweit-Antragstellers dar, der einen Anspruch auf
Zulassungserteilung habe, und verletzte ihn in seiner Wettbewerbsfreiheit. Dies gelte
umso mehr, als die Nachzulassung bereits 1990 und die Nachzulassung von DDR-
Arzneimitteln spätestens bis zum 31.12.1995 hätte abgeschlossen sein müssen. Dass
dies nicht gelungen sei, könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Schließlich verletze
die Berechnung der Frist ab der Nachzulassungsentscheidung auch den
Gleichheitsgrundsatz, weil derjenige Erst-Antragsteller, dessen Nachzulassungsantrag
zunächst nicht beschieden werde, einen langen Zeitraum mit
Vermarktungsmöglichkeiten erhalte, während derjenige, dessen Antrag schnell
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beschieden werde, nur einen entsprechend kürzeren Vermarktungszeitraum nutzen
könne.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte vom 23.07.2007 und des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2009 zu
verpflichten, über ihre Anträge auf Zulassung der Fertigarzneimittel "T. I. ", "B. ", "M. "
und "D. " unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und trägt über die Begründung der
streitgegenständlichen Bescheide hinaus vor: Anknüpfungspunkt für die Berechnung
des Unterlagenschutzes könne ausschließlich die erste Zulassungsentscheidung sein,
die bei der Nachzulassung die erste Verlängerungsentscheidung sei. Die zuvor
bestehende Zulassungsfiktion sichere dem Arzneimittel lediglich die Rechtmäßigkeit
des Inverkehrbringens, beruhe jedoch nicht auf einer inhaltlichen Prüfung der
Zulassungsvoraussetzungen und genüge auch nicht den europarechtlichen
Anforderungen an die Dokumentation eines Zulassungsantrages.
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Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil des EuGH vom
18.06.2009 - Rs. C 527/07 - ("Nivalin"), wonach als Referenzarzneimittel im Sinne des
Art. 10 Abs. 1 der RL 2001/83/EG nur ein Präparat in Betracht komme, das
entsprechend der VO (EG) Nr. 726/2004 zentral genehmigt oder für das eine den
Vorgaben der RL 2001/83/EG genügende nationale Verkehrsgenehmigung erteilt
worden sei.
21
Die von der Klägerin postulierte "Rückwirkung" der acquis-konformen Zulassung sei
juristisch nicht haltbar. Die Zulassung entfalte Gültigkeit ab dem Zeitpunkt ihrer
Erteilung. Auch aus der Festlegung eines "EU harmonised birth date" für "W. " könne
die Klägerin für sich nichts herleiten. Das gelte auch aus der Zulassung anderer
Arzneimittel.
22
Die erste acquis-konforme Zulassung für die Wirkstoffkombination aus 2 mg Dienogest
und 30 µg Ethinylestradiol datiere bereits vom 22.12.2000 ("D2. "), sodass der
diesbezügliche Unterlagenschutz bereits am 22.12.2010 ende. Die Klägerin stelle nur
deshalb auf "W. " ab, weil insoweit - die Richtigkeit ihrer Ausführungen unterstellt - die
Unterlagenschutzfrist bereits abgelaufen sei.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Zulassungsakten des BfArM Bezug genommen.
24
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
25
Die Klage ist nicht begründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über die Anträge auf
Zulassung der Fertigarzneimittel "T. I. ", "B. ", "M. " und "D. ". Der Versagungsbescheid
vom 23.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2009 ist
rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Die Beklagte hat die Zulassung der Arzneimittel zu Recht gemäß § 25 Abs. 4 Satz 3
AMG versagt. Hiernach ist die Zulassung (zwingend) zu versagen, wenn den
mitgeteilten Mängeln der Zulassungsunterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist
abgeholfen wird. Die Beklagte hat in dem Mängelschreiben vom 19.07.2006 zutreffend
auf das Fehlen von Unterlagen zu Pharmakologie/Toxikologie und Klinik und damit auf
den Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AMG hingewiesen und um Korrektur
der Angaben zum Erstzulassungsdatum des Referenzarzneimittels "W. ", resp.
Darlegung der rechtlichen Möglichkeit einer Bezugnahme auf die hierzu vorliegenden
Unterlagen in Modul 1.5.2 der Zulassungsanträge gebeten.
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Denn eine Zulassung der Arzneimittel ohne Vorlage eigener Unterlagen gemäß § 22
Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 AMG durch die Klägerin ist ausgeschlossen, da die in Bezug
genommenen Unterlagen der Beigeladenen für "W. " aufgrund des nach der
Überleitungsvorschrift des § 141 Abs. 5 AMG hinsichtlich seiner Schutzfristen weiterhin
anwendbaren § 24a AMG in der Gestalt vor der Änderung durch das 14. AMG-
Änderungsgesetz vom 29.08.2005 (BGBl. I S. 2569) weiterhin vor der Verwertung bei
Zulassung eines Generikums im Sinne des § 24b Abs. 2 AMG geschützt sind. Ohne die
Zustimmung der Beigeladenen ist damit eine Bezugnahme auf die der
Zulassungsbehörde vorliegenden Unterlagen nur möglich, wenn das
Referenzarzneimittel seit mindestens zehn Jahren zugelassen ist oder vor mindestens
zehn Jahren zugelassen wurde (§ 24b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 141 Abs. 5, § 24a a.F.
AMG).
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Dieser Zeitraum ist nicht abgelaufen, da zur Berechnung des Beginns der Schutzfrist auf
die Erteilung der sog. Nachzulassung für "W. " mit Bescheid vom 05.08.2005
abzustellen ist,
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zur drittschützenden Wirkung der Verwertungsfristen des § 24b AMG vgl. OVG,
Beschlüsse vom 26.09.2008 - 13 B 1202/08 u.a. -, vom 05.09.2008 - 13 B 1013/08 -,
vom 03.05.2006 - 13 B 2057/05 -, PharmR 2006, 274.
31
§ 24b Abs. 1 AMG knüpft bereits seinem Wortlaut nach an ein in der Europäischen
Union zugelassenes Referenzarzneimittel an ("zugelassen ist" bzw. "zugelassen
wurde"). Ein Generikum darf nach Satz 2 der Vorschrift erst nach Ablauf von zehn
Jahren nach Erteilung der ersten Genehmigung für das Referenzarzneimittel in den
Verkehr gebracht werden. Dies weist auf eine positive Zulassungsentscheidung, die im
Fall der auf Grund einer Anzeige kraft Übergangsrecht entstandenen fiktiven Zulassung
fehlt.
32
§ 24b Abs. 1 AMG bezweckt zudem eine Umsetzung der Vorgaben des Art. 10 Abs. 1
der RL 2001/83/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG.
Referenzarzneimittel im Sinne der Richtlinie kann jedoch nach Art. 10 Abs. 2 lit. a) der
RL 2001/83/EG nicht jedes legal im Verkehr befindliche Produkt, sondern nur ein
Präparat sein, dessen Zulassung auf der Grundlage der Artt. 6 und 8 der Richtlinie, also
u.a. auf der Grundlage pharmazeutischer und klinischer Versuche, erteilt wurde. Dies
erschließt sich neben dem unzweideutigen Wortlaut der Richtlinienvorgaben auch aus
Sinn und Zweck des abgekürzten Zulassungsverfahrens für Generika. Dieses beinhaltet
keine Abschwächung der Anforderungen an den Beleg von Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit eines Arzneimittels, sondern bezweckt eine Verfahrensvereinfachung
durch die Entbindung des Antragstellers von der Verpflichtung zur Vorlage der
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Ergebnisse eigener pharmakologischer, toxikologischer oder klinischer Versuche. Eine
Bezugnahme ist folglich nur gerechtfertigt, wenn eine entsprechende Prüfung
hinsichtlich des Referenzarzneimittels auch tatsächlich erfolgt ist und der
Zulassungsbehörde vorliegen. Angesichts dessen kann Referenzarzneimittel nur ein
Produkt sein, das in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts
genehmigt wurde.
Vgl. EuGH, Urteil vom 18.06.2009 - C 527/07 - "Nivalin"; Urteil vom 16.10.2003 - C
223/01 -, Slg. 2003, I-11809 "AstraZeneca"; OVG NRW, Beschluss vom 26.06.2008 - 13
B 345/08 -, PharmR 2008, 498-502.
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Hieraus erschließt sich, dass auch das am 01.10.1990 vom Institut für Arzneimittel der
DDR in das Arzneimittelregister eingetragene Kontrazeptivum "D1. " nicht zur
Berechnung der Unterlagenschutzfrist herangezogen werden kann. Ungeachtet des
Umstandes, dass dieses mit "W. " zwar hinsichtlich der Art der Wirkstoffkombination,
nicht aber hinsichtlich der Wirkstoffmenge identisch war, fehlt es an Anhaltspunkten für
die Auffassung der Klägerin, bei den Zulassungen der DDR oder hierauf basierender
fiktiver Zulassungen habe es sich um Genehmigungen im Sinne der RL 2001/83/EG
gehandelt. Durch die EG-Recht-Überleitungsverordnung wurden vielmehr die auf dieser
Grundlage im Zeitpunkt der Beitritts der DDR in Verkehr befindlichen Arzneimittel den
aufgrund des AMG 1976 in den alten Bundesländern fiktiv zugelassenen, aber noch
nicht abschließend geprüften Präparaten gleichgestellt. Die entstandene fiktive
Zulassung unterschied sich qualitativ nicht von derjenigen aufgrund Anzeige nach Art. 3
§ 7 Abs. 2 Satz 1 AMNG (§ 105 Abs. 2 Satz 1 AMG).
35
Es besteht kein Anlass, der Entscheidung über die Nachzulassung die Rechtsqualität
einer Verlängerungsentscheidung nach § 31 Abs. 3 AMG mit der - gleichsam
rückwirkenden - Folge einer nachträglichen Bestätigung der Richtlinienkonformität der
(fiktiven) Zulassung beizumessen. Für eine solche Parallele bietet das AMG keinen
Ansatzpunkt. Die Nachzulassung eines fiktiv zugelassenen Arzneimittels beinhaltet
nach der weitgehenden Annäherung der Voraussetzungen von Neu- und
Nachzulassung durch das 10. AMG-Änderungsgesetz vom 04.07.2000 (BGBl. I S. 1002)
die erste materielle Prüfung seiner Verkehrsfähigkeit nach gemeinschaftsrechtlichen
Maßstäben. Die Verlängerung einer Zulassung nach § 31 Abs. 3 AMG setzt hingegen
eine bestehende, wenngleich befristete Zulassung voraus und folgt anderen materiellen
Vorgaben.
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Vgl. hierzu Urteile der Kammer vom 09.03.2005 - 24 K 5808/01 -, vom 11.02.2004 - 24 K
4227/00 -, PharmR 2005, 186; VG Berlin, Urteil vom 15.12.2004 - 14 A 329/99 -,
PharmR 2005, 107.
37
Unbeachtlich ist, dass - wie die Klägerin unwidersprochen vorträgt - das "Harmonised
Birth Date" für "W. " EU-weit auf den 14.02.1995 festgelegt ist. Die Festlegung eines
solchen Datums dient angesichts national abweichender Zulassungsdaten in der
Gemeinschaft der Harmonisierung der Vorlage der regelmäßigen Sicherheitsberichte
("Periodic Safety Update Reports" - PSUR -) im Rahmen des Pharmakovigilanz-
systems. Dass insoweit bei fiktiv zugelassenen Arzneimitteln nicht auf das Datum einer
(Nach)Zulassungsentscheidung, sondern auf das tatsächliche Inverkehrbringen eines
Präparats in gleich bleibender Zusammensetzung abgestellt wird, ist angesichts des mit
der Berichtspflicht verfolgte Ziel der Arzneimittelsicherheit offenkundig. Für die
Auslegung des § 24b Abs. 1 AMG lässt sich daraus nichts gewinnen.
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Unbeachtlich ist ferner, dass Unterlagenschutz nach § 24a AMG a.F. und die sog.
automatische Verschreibungspflicht nach § 49 AMG a.F. gesetzlich verknüpft waren. Es
kann offen bleiben, ob die Klägerin hieraus für ihren Rechtsstandpunkt im Ansatz etwas
herleiten könnte. Denn jedenfalls ist diese Verknüpfung mit dem Inkrafttreten des 14.
AMG-Änderungsgesetzes vom 29.08.2005 entfallen. Die Übergangsvorschrift des § 141
Abs. 5 enthält keine tatbestandliche Verweisung auf § 24a AMG a.F., sondern verweist
nur auf den Fortbestand der dort bestimmten Schutzfristen.
39
OVG NRW, Beschluss vom 26.06.2008, a.a.O. unter Hinweis auf Sander,
Arzneimittelrecht, § 141 Anm. 8.
40
Eine abweichende Bestimmung des Beginns der Schutzfrist ist auch nicht mit Blick
darauf zu rechtfertigen, dass die Beigeladene bereits vor der Nachzulassung von "W. "
die Möglichkeit hatte, das Arzneimittel auf der Grundlage der bestehenden fiktiven
Grundlage zu vermarkten und damit wirtschaftlich zu nutzen. Die Unterlagenschutzfrist
richtet sich nicht nach der Dauer einer Vermarktungsmöglichkeit, sondern rechtfertigt
sich aus dem Umstand, dass vor der Erteilung einer gemeinschaftsrechtskonformen
Zulassung erstmals gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügende umfangreiche
und kostenintensive Studien zu erstellen und vorzulegen waren. Dieser Aufwand und
das hieraus resultierende geistige Eigentum des Originators rechtfertigen es, auch unter
Berücksichtigung des öffentlichen Interesses am Zugang zu kostengünstigen
generischen Arzneimitteln, einen angemessenen Schutz trotz bereits genutzter
Vermarktungsmöglichkeiten zu gewähren.
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OVG NRW, Beschluss vom 26.06.2008, a.a.O.
42
Angesichts dessen bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme einer dem
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG widersprechenden
Ungleichbehandlung der Klägerin.
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Im Übrigen folgt das Gericht der zutreffenden Begründung des Bescheides vom
23.07.2007 sowie des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2009 und sieht zur
Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 117 Abs. 5 VwGO von einer weiter
gehenden eigenen Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Hierbei
entspricht es der Billigkeit, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen aufzuerlegen, da diese den Klageabweisungsantrag gestellt und sich
damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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